Die Feigheit des Westens

Als sich die Länder des Westens durch die Anschläge des sogenannten Islamischen Staates bedroht fühlten, waren ihnen die Kurden gerade recht, um das im Gebiet um Mossul angesiedelte Neo-Kalifat mit allen Mittel zu bekämpfen. Die USA lobten die Kurden über den grünen Klee, obschon sie wussten, dass die auf drei Staaten (Türkei, Syrien und Irak, nicht zu vergessen Iran) verteilten kurdischen Bevölkerungen ein heterogenes, hoch explosives Gemisch unterschiedlichster politischer Ambitionen darstellten.

Über die Allergie des Erdogan-Regimes gegenüber der „Kurdenfrage“ war der Westen bestens unterrichtet, weil Erdogan keine Gelegenheit versäumte, um in der ihm eigenen Rhetorik alle kurdischen Autonomiebestrebungen als „terroristisch“ zu bezeichnen. Dabei kann die kurdische Nationalbewegung, die eine Bevölkerung von mindestens 20 Millionen Menschen repräsentiert – ähnlich wie einst der Zionismus – auch für sich in Anspruch nehmen, was die Juden aus aller Welt im Banne von Theodor Herzl einst forderten: Sie sind in der Tat ein Volk und verfügen dennoch über keinerlei Staatlichkeit, die sie als Volk schützt. Die Autonomie, die ihnen in ihren Wirtsländern zugestanden wird, ist relativ und steht immer unter dem Vorbehalt einer dozilen Integration in das bestehende staatliche Gebilde.

Nun, da der Islamische Staat der Vergangenheit angehört und Mossul mit Hilfe kurdischer Kämpfer von dieser Pest befreit worden ist, hat sich Erdogan darauf besonnen, die Türkei müsse einen „Sicherheitskorridor“ in Nordsyrien schaffen. Er greift mit allen schweren Waffen zu Lande und in der Luft an und nimmt dabei nicht nur in Kauf, sondern strebt die Zerstörung sogar ziviler Strukturen auf syrischem Gebiet an. Die Kurden, welche bisher von den USA unterstützt und von der Bundeswehr sogar waffentechnisch ausgebildet wurden, stehen nun völlig isoliert dort. Sie, die versucht hatten, in den Grenzgebieten Nordsyriens autonome Strukturen aufzubauen und im Einklang oder in Kohabitation mit der nicht-kurdischen Bevölkerung Selbstverwaltung zu üben, sehen sich einem Koalitionswechsel ausgesetzt, der sie der militärischen Vernichtung preisgibt.

Das Erdogan-Regime, also die Regierung eines NATO-Landes, führt mit militärischen Mitteln einen Vernichtungskrieg gegen eine Zivilbevölkerung, die sie verdächtigt, nicht nur den Kurden, sondern der kurdischen Armee Unterschlupf zu bieten. Wie kann die NATO, die als eine Allianz demokratischer Staaten auf der Basis der Menschenrechte gegründet wurde, sich damit begnügen, durch ihren Generalsekretär Herrn Erdogan lediglich zur Mäßigung zu ermahnen. Ihre Glaubwürdigkeit als ein westliches und westlichen Werten verpflichtetes Militärbündnis steht hierbei auf dem Spiel. 

Die Kurden werden sich noch lange erinnern

Von Deutschland hört man bei diesem Koalitionswechsel fast gar nichts. Das Auswärtige Amt unter Herrn Maas, dem Zwerg Nase der deutschen Außenpolitik, übt sich im Schweigen und – obwohl doch sonst stets auf Menschenrechte pochend – meint, Außenpolitik würde sich in der Akklamation von moralischen Ansprüchen erschöpfen.

Einmal mehr wird die NATO, von Trump ungeliebt, von Biden als US-amerikanische Veranstaltung betrachtet, zu einem Opfer der hastigen populistischen und überstürzten Entscheidungen von US-Präsidenten. Trump rechtfertigte – natürlich auf Twitter – den kurzentschlossenen Rückzug der US-amerikanischen Truppen aus den Kurdengebieten unter dem Hinweis auf die sinnlosen, für Amerika nicht interessanten kriegerischen Auseinandersetzungen außerhalb des Landes. Welche Folgen dies für die Glaubwürdigkeit der NATO hat, schien ihm egal.

Die Kurden werden sich indessen an dieses Manöver noch lange erinnern und dann, wenn man auf sie wieder zugehen wird, weil man auf sie zugehen muss, sicherlich Bedingungen an die Zuverlässigkeit und Bündnisfähigkeit des Westens stellen. Welcher kurdische Soldat oder insbesondere welche mutige kurdische Frau, die als Soldatin sich für ihr Volk militant einsetzt, ist bereit, mit einem Westen zu koalieren, der so wenig seine Versprechen honoriert und scheinbar gar nicht seine Werte zu verteidigen bereit ist, sondern sich stattdessen opportunistisch und feige vom Schlachtfeld der Ehre zurückzieht?

Es ist an der Zeit, das Verhältnis der NATO zur Türkei grundsätzlich zu überdenken und gleichzeitig für die Lösung der Friedensprobleme in Syrien und um Syrien herum schnellstens auf alle Gesprächspartner zuzugehen. Alles andere hat weder mit Realpolitik etwas zu tun noch ist es geeignet, die Menschen in der Region vor den despotischen Übergriffen aus Ankara zu schützen. 

Der chinesische Kommunismus lächelt über die deutsche Einfalt

Von Courage des Westens kann auch keine Rede sein, wenn man die Haltung gegenüber dem anderen Kriegsschauplatz der Freiheit in Hongkong näher betrachtet. Donald Trump – bei protektionistischen Maßnahmen gegenüber den chinesischen Rivalen stets zu aggressiven Maßnahmen aufgelegt – wurde erstmals diplomatisch, als er die chinesische Regierung aufforderte, das Problem in Hongkong friedlich zu lösen. Frau Merkel, Repräsentantin einer Handelsnation, für die der chinesische Markt mittlerweile unentbehrlich geworden ist, übte sich lange darin, ihre kommunistischen Gesprächspartner in China an die Regeln internationalen Handelsaustausches zu erinnern. Das Ergebnis ist bekannt.

Der chinesische Kommunismus lächelt über so viel deutsche Einfalt. Über die Freiheitsbewegung in Hongkong verlor sie nie ein Wort. Immerhin gab das gemeinsame Auftreten des Bundesaußenministers mit dem Repräsentanten der Freiheitsbewegung Anlass für die zentralchinesische Regierung, diplomatische Proteste zu erheben. Doch alle wussten, dass es hierbei nur um Scheingefechte ging und gegenwärtig keine Regierung des Westens bereit ist, die junge Freiheitsbewegung in Hongkong auch materiell zu unterstützen. Dabei geht es den jungen Leuten in der ehemaligen britischen Kronkolonie um mehr, als nur vor dem chinesischen Einfluss geschützt zu werden.

Sie wollen eine autonome demokratische und rechtsstaatliche Verfassung – also ein Verfassungsmodell, das dem kommunistischen Zentralismus aus Peking diametral entgegensteht. Mit der Formel „Ein Land, zwei Systeme“ wird man auf Dauer nicht weiterkommen, zumal die Freiheitsbewegung in Hongkong sich vom kommunistischen China loslösen will. Derweil stehen die Soldaten des kommunistischen Chinas zu Tausenden bereit, um eine weitergehende Friedensbewegung – wenn nötig – gewaltsam zu ersticken. Der Westen bleibt kleinlaut und blamiert sich unsterblich.

In Washington scheint das Problem erkannt worden zu sein. Die Absicht, Australien mit nuklear getriebenen U-Booten auszustatten, erklärt sich ausschließlich mit dem amerikanischen Willen, von Australien aus Operationen bis in das Chinesische Meer zu tragen. Angesichts des Expansionismus des kommunistischen Chinas ist diese Antwort strategisch logisch. Für ihre Verteidigung benötigen die Australier keine Atom-U-Boote. Sie hätten zum Schutz ihrer Küsten nur konventionell betriebenen U-Boote benötigt, die ihnen Frankreich mangels einer kompetitiven Antriebstechnologie nicht liefern kann und niemals hätte liefern können. Statt nun, gleichauf mit den USA und Großbritannien, an einer indospazifischen Strategie teilzuhaben, begnügt sich Deutschland mit Symbolpolitik. Unser Land entsendet die „Bayern“, eine Fregatte der Klasse 123 in den Pazifik. Die weitaus moderneren Fregatten der Klasse F-125 stehen nicht zur Verfügung. Warum? Trotz Abnahme aller gelieferten Schiffe bei der Marine ist keine Fregatte einsatzbereit. Wer nimmt Deutschland noch ernst ?  

 

Dr. jur. Markus C. Kerber ist Professor für öffentliche Finanzwirtschaft und Wirtschaftspolitik an der TU Berlin, Gastprofessor an der Universität Paris 2 (Panthéon-Assas) sowie an der Warsaw School of Economics, Gründer des Thinktanks www.europolis-online.org.

Foto: Matthias Laurenz Gräff/ Devils Child.

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Jochen Lindt / 08.11.2021

Das Problem ist nicht Erdogan, sondern die NATO.  Sie dient exklusiv den Interessen der USA, die aber nicht deckungsgleich mit denen Europas sind. Kurz gesagt: den Amis ist es völlig egal, ob die Türken Europa erpressen und/oder ausnutzen.

Rafael Rasenberger / 08.11.2021

Wenn man nicht weiß, wohin man segeln soll, ist jeder Wind schlecht. Wir haben keinen Plan und leider wissen das alle. Deswegen sieht´s so aus, wie´s aussieht.

Gunther Lotze / 08.11.2021

Maas der ZWERG NASE? Also bitte! Nase war ein lieber, hübscher, kluger Junge, der wegen seiner großen Klappe das Samsara durchlaufen musste bis er unter Hilfestellung zur Ausgangserscheinung zurückfand. Für mich ist Maas das Rumpelstilzchen, bei dem ich sehnsuchtsvoll warte, daß es sich in zwei Hälften zerreißt. Und möglichst noch vor seinem hochdotierten Abgang!

Günter H. Probst / 08.11.2021

Das mitteleuropäische Siedlungsgebiet befindet sich mental dort, wo Frankreich Anfang der 30ger Jahre lag: “Es wird nie wieder Krieg geben”. In den 40ger Jahren mußten sie mühselig umlernen. Da die Bevölkerung des mitteleuropäische Siedlungsgebietes, ehemals D, nicht einmal einen e i g e n e n Verteidigungswillen, eine Verteidígungsfähigkeit,und damit Verteidigungsabsicht hat, wäre jede Außenpolitik, die den Einsatz militärischer Mitel verlangt, noch lächerlicher als die gegenwärtige Scheckbuchpolitik. Das wisssen auch die Russen und Chinesen, die ihr Militär gerade ausbauen und modernisieren und auch der türkische demokratische Despot. Deswegen zahlt man “Schutzgeld”.

Franz Klar / 08.11.2021

Wer anderen ständig bescheidstößt , dem wird bescheidgestoßen werden .  § 1 für Bescheidstoßer und Bescheidwisser .

Silas Loy / 08.11.2021

DIe Wiederbelebung des Osmanischen Reichs ist Erdogans Programm. Im Übrigen wedelt der türkische Schwanz immer mal wieder mit dem Hund NATO. Auch die türkischen Kolonien auf deutschem Boden zeugen davon. Man meint, auf die Türkei nicht verzichten zu können, und das nutzt Ankara schamlos aus. Die Bemerkungen zu den Kurden sind richtig. Sie haben ein Recht auf eine eigene Staatlichkeit. - Als Hongkong nach Ablauf der Pacht an (die Volksrepublik) China zurückgegeben werden musste, war schon klar, dass sich das nicht vertragen wird. Aber wer sollte sich mit China deshalb anlegen? Taiwan ist schon schwierig genug. Auch erschliesst sich nicht, warum Deutschland jetzt im Pazifik mitmischen soll. Wir sind Mitglied des Nordatlantischen Verteidigungsbündnisses. Das ist unser Interesse. Nicht der Pazifik. Allerdings auch keine Abhängigkeit von China. Die USA hingegen sind Pazifikanrainer ebenso wie Australien, Neuseeland und Kanada, also Länder des Commonwealth, in denen die Königin von England bekanntlich das Staatsoberhaupt und für die deshalb Grossbritannien Garantiemacht ist.

Daniel Oehler / 08.11.2021

Für die Kurden sieht es zappenduster aus. Nicht nur dass sie untereinander - typisch für die Region - ziemlich zerstritten sind. Sie haben es sich - in naivem Glauben an Versprechungen aus dem Westen - mit allen anderen Völkern in der Region gründlich verscherzt. Die Kurden haben es in ihren Siedlungsgebieten mit Türken, Arabern und Iranern zu tun. Für alle sind sie Verräter, die die US-Besatzer in Syrien und Irak unterstützen. Es wäre für die Kurden besser gewesen, wenn sie erstens sich mit einer Seite IN DER REGION verbündet und zweitens JEDE KOOPERATION mit den USA verweigert hätten. Was tun? Sich klar auf die Seite der arabischen Regierungen in Syrien und Irak stellen und den US-Invasoren die rote Karte zeigen. Das wäre ein klares Zeichen der Loyalität gegenüber den anderen Völkern der Region. Dann wäre auch Herr Erdogan gezwungen, seine kostspieligen militärischen Aktivitäten in Syrien und Irak zu beenden. Was wird aus der Türkei? Wegen des stärkeren Bevölkerungswachstums bei den Kurden wäre es am besten, ein paar kurdischen Gebiete aus dem türkischen Staatsverband auszuschließen. Andernfalls werden die Kurden irgendwann in der Türkei die Mehrheit der Bevölkerung haben. Ich bin heute mal pessimistisch und nehme an, dass erst die Kurden und dann die Türken ein großes Debakel erleben werden. Und ich sehe keine Möglichkeit, das aufzuhalten.

Werner Pfetzing / 08.11.2021

Ich denke schon, man sollte die Türkei aus der NATO werfen und Israel ein interessantes Angebot für einen Beitritt machen.

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