Quentin Quencher / 16.04.2020 / 06:28 / Foto: Medvedev / 40 / Seite ausdrucken

Die Faszination vom Ende der Menschen

"Urbex" und "Lost Places" sind Begriffe aus dem noch recht jungen, insbesondere künstlerischen Genre der Fotografie von vom Menschen verlassenen Orten. Eine gewisse Faszination vom Morbiden ist allen diesen Bildern anzumerken. Orte, Plätze, Kulturlandschaften, vor kurzem noch stark frequentiert, ins Leben der Menschen eingebunden, sind nun verlassen. Vor Jahren bemerkte ich darüber:

„Gewissermaßen haben wir es mit Romantik zu tun, und der Ästhetik von Verfall. Doch nicht nur das, als Betrachter unternimmt man gleichzeitig eine Zeitreise, stellt sich vor wie diese Orte gewirkt haben, als sie noch nicht verlassen waren, allerdings mit dem Wissen um deren Ende.“

Nun sehen wir wieder solche Fotos, die allerdings nicht in künstlerischer Absicht gemacht wurden, sondern Dokumentationen des Gegenwärtigen sein sollen. "Schöne neue Corona-Welt" nennt die NZZ diese Bilderstecke und man spürt die Faszination der Blattmacher an diesen nun verlassenen Orten, die aber noch völlig intakt sind. Und genau das ist der Unterschied zum "Genre Urbex". Nicht das Ende der Orte wird erzählt, ihr Verfall, sondern vom Ende der Menschen. Ich muss an Eva Horns Text über „Zukunftsfiktionen vom Ende des Menschen" denken. Für die, die nun von einer "schönen neuen Corona-Welt" sprechen, scheint das keine Dystopie zu sein.

Doch die glauben auch zu überleben, sie werden Überlebende sein, hoffen sie. Sie stellen sich nun vor, ganz allein über diese nun verlassenen Orte zu verfügen. Die eigene Macht wird grenzenlos. Die Spinnereien von allen, von mir herzlich verachteten, Science-Fiction-Autoren werden nun Wirklichkeit. Es sind diese Träume von absoluter Macht, vom Auserwähltsein, was sie dazu verleiten lässt, von einer schönen neuen Corona Welt zu sprechen.

Dieser Beitrag ist auch auf Quentin Quenchers Blog „Glitzerwasser“ erschienen.

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Walter Elfer / 16.04.2020

Eine differenzierte Betrachtung. Wenn ich mir diese Bilder anschaue, dann sehe ich keine “Knipps-Bilder”. Das Motiv wurde immer in Szene gesetzt. Dort wurde definitiv mit Licht “gemalt”. Kann man sehen wie man will, aber es ist ein Ausdruck von Kunst. Und wenn ich mit meiner Kamera unterwegs bin, dann stören mich auch die Menschen, wenn ich ein Objekt ablichten will. Nur ohne den Mensch kann ich alle Details erfassen. Wäre ich Street-Fotograf, würde ich das sicher anders sehen. Auch so, im Alltag. Es ist jetzt mal schön wenn man unterwegs ist und nicht ständig die Menschen im Weg stehen. Dieses egoistische Etwas, was seine Umwelt größtenteil garnicht mehr wahrnimmt. Menschen gehören sicher zu dieser Welt, aber zuviel und zu nervige sind schon eine Plage und diese Zeit ist daher schon, für den einen oder andren, sicher erholsam.

Uwe Steffens / 16.04.2020

Als Fotograf wurde ich auch schon aufgefordert “Corona-Bilder” zu machen. Aber das Problem ist: Viren kann man sich sehen. Mit einer Drohne über menschenleere Plätze zu fliegen und diese abzulichten sagt gar nichts aus. Jeden Sonntagmorgen zwischen 5 und 8h kann ich IMMER so ein Bild machen. Typisch wären da schon “kanalisierte” Warteschlangen (mit Mundschutz) vor Supermärkten oder abgesperrte Eingänge zu Kliniken mit entsprechenden Hinweisschildern.

Chr. Kühn / 16.04.2020

Was passiert, wenn Menschen nicht mehr da sind, wird gerade diese Tage vor dem Hintergrund des 75. Jahrestags des Kriegsendes deutlich. Als Ostpreußen “seine” Menschen verlor…die Straßen vergaßen ihre Namen, die Felder lagen brach, die Wiesen versauerten und die Steppe wucherte von Samarkand bis ins Samland (frei nach Arno Surminski). Unter der Sowjetunion wurde Ostpreußen geschichts- und gesichtslos, und die kümmerlichen Reste, die es bis in die Gegenwart geschafft haben, erscheinen einem wie ein Traum (gut, der südliche Teil hat das besser geschafft). Sobald man den Kopf wendet, um genauer hinzusehen, lösen sie sich in Luft auf. Das ist ein mögliches Szenario auch für das heutige Deutschland und sollte eigentlich zu denken geben, aber seien wir ehrlich…wem ist das Obige überhaupt gewahr, außer einigen Geschichtsinteressierten und den paar verbliebenen Ostpreußen? Wem sagen die Worte Natangen, Bernsteinküste, “Nimmersatt, wo das Reich sein Ende hat”, Uszpiaunehlen, Schlacht von Tannenberg, Schirwindt an der Scheschuppe, das Massaker von Metgethen, Rominter Heide, Großes Moosbruch, Lorbaß, Schwarzsauer oder Meschkinnes noch was? Eben.

Wolf Köbele / 16.04.2020

Der Traum des einzig Überlebenden ist bestimmt alt. Grenzenlose Verfügbarkeit von allem, was andere Menschen erarbeitet, erworben, gesammelt haben - womöglich geht es gar nicht um den einzig Überlebenden, sondern um den einzigen ErstenPlatz einer ganzen NGO. - Es lohnt sich, neuerlich Arno Schmidts “Schwarze Spiegel” zu lesen; da teilt sich die Faszination stärker mit als dirch Fotos (inneres vs. äußeres Bild).

giesemann gerhard / 16.04.2020

Es gibt alte Leute, die sich diebisch freuen, wenn mal wieder eine/r aus der Alterskohorte stirbt. Das gibt ein echtes Überlegenheitsgefühl - je jünger der/die ist, desto besser. Der Tod ist eben die größte Niederlage, die wir Menschen erleiden müssen, und wir müssen mit diesem Wissen leben. Das nennt man wohl “die Vertreibung aus dem Paradies”. Vielleicht ist die derzeitige Corona-Politik nichts als ein groß angelegter Vorversuch zu dem sogenannten “Gilgamesch-Projekt”: Der Mensch möge oder möchte ewig leben. Das Gilgamesch-Epos ist das älteste bekannte Epos der Menschheit, älter als das Alte Testament. Man findet dort sogar eine Beschreibung der Sintflut/Sündflut, die der des AT derart ähnelt, dass sie wohl davon abgeschrieben worden ist.

beat schaller / 16.04.2020

@Frances Johnson , Ja, Herr Johnson, da ist was dran…...hart aber fair?  b.schaller

Sabine Lotus / 16.04.2020

Lustig H@rr Johnson. Sie bedienen meine Reflexe (“jaja, Luxusreisen sollen wohl schon drin sein…”) und nach kurzem Schnauben muß ich auch noch eingestehen, daß Sie richtig liegen. All die Kreuzfahrten, Fernreisen, “Bildungsreisen” von denen mir dieser “Reisepöbel” in den letzten Jahren berichtete…zusammengefaßt könnte ich sagen: Erkenntniswert gleich null. Wichtig war das Fressen an Bord, die Bedienung, all der ganze Schnulli, mit dem sich der “Reisepöbel” mal für zwei Wochen so richtig schön ‘Upper Class’ fühlen konnte. Erkenntnisse aus den bereisten Gebieten? “Ach, da gehe ich doch nicht hin”. Und so poltern sie durch Ägypten und atmen die Pyramiden bis zur Notschließung kaputt. Allerdings sehe ich da jetzt mit dieser Argumentation direkt wieder Reiseprivilegien für Systemstramme am Horizont aufsteigen. Ich denke, das wäre auch nicht in Ihrem Sinne ;)

Corinne Henker / 16.04.2020

Diese Träumer wären doch die ersten, die es erwischt: realitätsfern, unvorbereitet, ohne naturwissenschaftliche Kenntnisse oder praktische Fähigkeiten, egozentrisch, hilflos und somit komplett unfähig, unbehütet zu überleben.

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