Die falsche Landebahn

Die Pandemie-Massnahmen zerstören das komplexe wirtschaftliche Geflecht mit dem Risiko eines Total-Crashs. Was schief gehen kann, wird schiefgehen. Ein Beispiel vom Flughafen Paris.

Kein Märchenprinz – sei es Markus, Robert oder Martin – wird das Königreich, so wie im Märchen, mit einem einzigen Kuss aus dem Dornröschenschlaf wieder zum vollen Leben erwecken.

Die Mächtigen sind sich dessen natürlich bewusst. Sie werden in ihrer unendlichen Weisheit und Güte den Menschen da draußen eine „Anlaufzeit“ gewähren. Home-Office bleibt weiterhin eine Option, und auch in den Firmen wird der Arbeitstakt nur langsam auf das alte Tempo hochgefahren, wenn überhaupt.

Die Regierenden aber brauchen diese Anlaufphase nicht. Sie sind ja in den Jahren der Pandemie über ihre geforderten Pflichten hinausgewachsen, sie sind auf Hochtouren gelaufen. In mitternächtlichen MP-Konferenzen und im harten Ringen um die letzten ethischen Fragen der Menschheit war ihre Drehzahl immer hart an der roten Linie.

Wie aber könnte sich die Anlaufphase für die normalen Sterblichen im praktischen Leben nun gestalten? Sicherlich wird es da viele Patzer geben, so wie hier am Himmel über Paris.

Landung in Paris

Die Stadt an der Seine hat eine Reihe von Flughäfen, der größte ist „Charles de Gaulle“, kurz CDG. Gut 20 km nordöstlich vom Eiffelturm gelegen, bietet er dem Luftverkehr vier Landebahnen, alle parallel in Ost-West Richtung. Zwei davon sind nördlich des riesigen Terminals gelegen, zwei südlich.

Die Bahnen werden – so wie weltweit üblich – gemäß ihrer Himmelsrichtung bezeichnet. Die Grad-Zahl, wie der Kompass sie anzeigt, wird durch zehn dividiert und dann gerundet. Bei CDG haben alle vier Bahnen eine Ausrichtung von 85 Grad, das gibt also, gerundet, 85:10 = 8 oder 9. Damit all das nicht zu komplex wird, hat man den beiden nördlichen Bahnen die 9 zugeordnet, den südlichen die 8. Und damit man noch die jeweiligen Zwillingsbahnen unterscheiden kann, heißt die eine „Rechts“ und die andere „Links“. Auf dem Asphalt der Startbahnen sind diese Bezeichnungen übrigens in riesigen Lettern wie „8L“ oder „9R“ aufgemalt.

Bonjour, Paris

Es war der frühe Morgen des 20.7.2020. Die beiden südlichen Pisten – 8L und 8R – waren dank Corona eingemottet, nur die nördlichen Pisten 9L und 9R waren aktiv. Eine Boeing 787 Dreamliner der United näherte sich, aus USA kommend, der Stadt an der Seine. Die freundlichen Radarlotsen von „Paris Control“ leiteten ihn zum Landeanflug auf CDG mit dem Funkspruch: „Cleared for approach runway 09 Left“.

Im unmittelbaren Luftraum eines Flughafens hat dann jemand anderes das Sagen, in unserem Fall ist das „CDG Tower“. Der Captain des Dreamliners tauschte mit der charmanten Französin im Tower ein „Bonjour“ aus, und erhielt von ihr die Freigabe für Landung auf 09 Right. Das überraschte ihn, denn Paris Control hatte ihm kurz zuvor 09 Left zugewiesen, und so funkte er zurück „Ich verstehe 09 Right?“. Keine Antwort.

Das war eine recht kurzfristige Änderung des Programms. Der Kapitän der Boeing mit 300 Passagieren an Bord knipste den Autopiloten aus und steuerte sein Schiff, so wie eine Cessna, rein händisch auf die rechte der beiden Pisten zu. Dazu musste er einen „Sidestep“ ausführen, er musste den Anflug um ca. 400 m nach rechts verlegen.

Go around!

Der Dreamliner fädelte sich also zur Landung auf 9R ein. Er flog dabei genau nach Osten und war im harten Sinkflug, denn er wollte ja landen. Als aufmerksamer Leser haben Sie bemerkt, dass er jetzt voll in die aufgehende Sonne flog, was die Sicht beeinträchtigte.

In diesem Augenblick gibt der Tower einem Easyjet Airbus 320, der am Boden auf seine Startfreigabe wartet, die Erlaubnis, auf die Piste zu rollen „... line up runway 09 Right“. Das wird ausgeführt; der Pilot schaut beim Rollen sicherheitshalber aus dem linken Seitenfenster des Cockpits – und sieht eine riesige Boeing auf sich zukommen.

Geistesgegenwärtig funkt er an den Dreamliner: „Go around!“, d.h. nicht landen, sondern durchstarten! Es ist total unüblich, dass ein Pilot dem anderen sagt, was er zu tun hat, aber in diesem Fall ist es zum Wohle aller Beteiligten. Die Boeing gibt Vollgas und fliegt knapp über den Easyjet hinweg.

Hätten die Beteiligten in den Cockpits nicht so schnell reagiert – kaum vorzustellen, was passiert wäre. Aber es war noch einmal gut gegangen. Für die französische Luftfahrt-Behörde (BEA) war es Grund genug, um eine Untersuchung dieses als „schwerwiegenden Vorfall“ eingeordneten Missverständnisses durchzuführen. Deren Ergebnis wurde kürzlich hier veröffentlicht.

Automatische Reflexe

Keine Frage, die Lotsin im Tower hatte einen schweren Fehler gemacht. Und die Entschuldigung: „Jedem passiert mal so ein Versprecher“ galt in dieser Situation ausnahmsweise nicht. Was aber unwidersprochen blieb, war ihre Verteidigung, dass die Covid-19-Pandemie einen Mangel an beruflicher Praxis mit sich gebracht hätte, wodurch die automatischen Reflexe, die für ihre Arbeit im Tower erforderlich sind, beeinträchtigt wurden.

Diese Entschuldigung wird man in Zukunft millionenfach zu hören bekommen, denn die beschriebene Situation wird auch an anderen Arbeitsplätzen auftreten. Der Verlust automatischer Reflexe durch Home-Office oder „Teilzeit“ wird in allen Unternehmen und Institutionen zu Pannen führen, die zwar nicht immer Menschenleben gefährden, aber vielleicht das Überleben der Firma.

Komplexe Geflechte

Es ist also keineswegs gesagt, dass Unternehmen und Institutionen nach der Pandemie automatisch zur alten Effizienz zurückfinden. Firmen und ganze Branchen sind, so wie ein Flughafen, auf automatische Reflexe bei der reibungslosen Kooperation und Interaktion mit anderen angewiesen. Das sind extrem komplizierte organisatorische Geflechte, unternehmerische Nervensysteme, die sich im Laufe der Jahre im kapitalistischen Überlebenskampf – im „survival oft he fittest“ à la Charles Darwin – entwickelt haben. Derer wird man sich im normalen Alltag nie bewusst. Jetzt aber, durch Lockdown beschädigt, werden wir dieser Strukturen gewahr, so wie wir unser Kniegelenk auch erst dann wahrnehmen, wenn es seinen Dienst versagt.

Ob sich unsere Politiker der Tragweiten ihrer wilden Corona-Entscheidungen bewusst waren? Unsere Wirtschaft ist nicht „unkaputtbar“, und wenn sie überlebt, dann wird sie mehr als alle anderen unter „Long Covid“ zu leiden haben.

Dieser Artikel erschien zuerst im Blog des Autors Think-Again. Sein Bestseller „Grün und Dumm“ ist bei Amazon erhältlich.

Foto: John Christian Fjellestad CC-BY 4.0 via Wikimedia Commons

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Leserpost

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Claudius Pappe / 09.09.2021

Die Frau im Tower hat nur einen einzigen Fehler gemacht, den der Pilot ausgebügelt hat. Frau Merkel hat über 1000 Fehler gemacht, und keiner von den über zehn-tausenden Politikern, Beratern ,Richtern und Staatsanwälten hat diese Fehler bemerkt und gegengesteuert und den Kurs gewechselt.

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