Gestern wurde im Reichstag der Faeser-Tag mit einer Aufführung in drei Akten begangen. Erst erschien die Bundesinnenministerin vor dem Innenausschuss, um sich zur Schönbohm-Böhmermann-Affäre befragen zu lassen, dann trat sie vor dem Plenum auf, und dort wurde ihr Fall zum Schluss noch einmal auf Antrag der AfD debattiert. Nancy Faeser und die AfD haben eine symbiotische Beziehung.
Wenn man eine Weile vergessen könnte, dass man es mit Menschen zu tun hat, die Entscheidungen über Wohl und Wehe dieses Landes treffen, sondern nur ihrem realsatirischen Unterhaltungswert Beachtung schenken dürfte, hätte man im Berliner Polit-Theater gestern vielleicht einen amüsanten Tag erleben dürfen. Der Deutsche Bundestag lud zu den Nancy-Faeser-Festspielen, eine Groteske in drei Akten.
Dem ersten Akt durfte das Publikum nicht direkt beiwohnen, sondern musste sich ein Bild aus den Erzählungen der Teilnehmer einer exklusiven Runde formen. Die Bundesinnenministerin trat in einer nichtöffentlichen Sitzung vor dem Innenausschuss auf. Als der sie vor Kurzem schon einmal befragen wollte, hatte sich Nancy Faeser bekanntlich krank gemeldet und ihre Staatssekretärin geschickt. Weil sie dummerweise zeitgleich gesund und fit genug für ein Wahlkampf-Interview war, erntete sie viel Kritik. Die Innenministerin hatte offenbar vergessen, dass man sich nach einer Krankmeldung nicht bei anderen Aktivitäten erwischen lassen darf.
Gestern nun erschien Faeser höchstselbst, um die Frage, ob sie ungesetzliche Methoden genutzt hat, um den mittlerweile ehemaligen Präsident des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) Arne Schönbohm loszuwerden. Die Entlassung erfolgte bekanntlich, nachdem ZDF-Fernsehmoderator Jan Böhmermann in seiner Sendung ZDF Magazin Royale behauptete bzw. insinuierte, Schönbohn hätte Kontakte zum russischen Geheimdienst gehabt. Die Öffentlichkeit musste annehmen, dass das der Grund für die Entfernung des Spitzenbeamten von seinem Posten gewesen sei. Nachdem sich herausgestellt hatte, dass diese Vorwürfe offenbar jeder Grundlage entbehrten, wollte die Ministerin keinen Fehler eingestehen, sondern sprach von weiteren Gründen. Vorwürfe stehen im Raum, sie hätte seinerzeit auch mit ungesetzlichen Mitteln nach Belastungsmaterial gegen Schönbohm suchen lassen. Zur Ausschusssitzung brachte sich die Ministerin als Verstärkung sicherheitshalber ihren Verfassungsschutzpräsidenten Thomas Haldenwang mit.
Für das breite Publikum waren die verschiedenen Versionen dieser Runde schnell erzählt. Ausschussmitglieder aus den Oppositionsfraktionen beklagten, sie hätten nichts wirklich Neues erfahren und wesentliche Fragen seien unbeantwortet geblieben. Die Ministerin selbst erklärte im zweiten Akt, bei ihrem Auftritt vor der breiten Öffentlichkeit im Plenum, sie hätte im Ausschuss alle Fragen hinreichend beantwortet. Abgeordnete, die etwas Anderes behaupteten, müssen in einer anderen Sitzung gesessen haben.
Die Befragung im zweiten Akt
Also damit sind wir beim zweiten Akt, der Befragung der Innenministerin im Plenum des Bundestages. Hier bekam das breite Publikum selbst einen Eindruck davon, was Genossin Faeser unter der hinreichenden Beantwortung von Fragen versteht. Sie pflegt eine ganz eigene, recht minimalistische Kunst des Nichtssagens. Während viele andere politische Nichtssager die Inhaltsarmut ihrer Rede mit schillernden und wortstarken Textbausteinen zu kaschieren suchen, handelt Faeser bei diesem Auftritt konsequent nach dem Motto: Wer nichts sagen will, muss dazu auch nicht viele Worte machen. Insofern ließ sie auch etliche Fragen einfach unbeantwortet. Manchmal ersann sie wirklich innovative Begründungen zur Nichtbeantwortung einer Frage.
Als sie beispielsweise nach dem Ausländerwahlrecht gefragt wurde, das von ihrer hessischen SPD in jenem Wahlkampf gefordert wird, dessen Spitzenkandidatin sie ist, fühlte sie sich als Bundesinnenministerin nicht zuständig. Grund: Es ginge ja um Vorstellungen eines Partei-Landesverbands. Die Landes-Wahlkämpferin Faeser hat nämlich mit der Bundesinnenministerin Faeser nichts zu tun. Das hat sie durchaus früher schon so gelebt, und es wurde nur falsch verstanden. Die Nancy Faeser konnte, wie oben schon angedeutet, als Ministerin krank und als hessische SPD-Spitzenkandidatin pumperlgesund sein.
Aber kommen wir wieder zu Faesers Auftritt im Bundestagsplenum. Immerhin sprach sie auch kurz über den Fehler in dem SPD-Dokument und dass nicht an ein Wahlrecht für Asylbewerber gedacht sei. Zudem gestand sie einem AfD-Fragesteller zu, dass ein Ausländerwahlrecht, wie es sich die hessische SPD vorstellt, verfassungsrechtlich gar nicht möglich sei. Deshalb ginge es da um längerfristigere Vorhaben, deren Umsetzung erst einer Verfassungsänderung bedürften. Damit aber kein falscher Eindruck entsteht: Wenn Genossin Faeser über Fehler spricht, dann nicht über eigene. Dass sie selbst etwas falsch gemacht haben könnte, scheint ihr nur sehr schwer vorstellbar zu sein.
Sowieso in der Schönbohm-Affäre. Von den öffentlich durch Böhmermann gegen Schönbohm vor dessen Entlassung erhobenenen Vorwürfen wurde er offiziell entlastet. Kein Grund für die Ministerin, an ihrer Entscheidung zu zweifeln. Sie hätten ohnehin kein Vertrauen mehr zu ihm gehabt und überhaupt hätte die Fachaufsicht auch schon früher so einiges an Schönbohms Amtsführung bemängelt. Was genau, das sagt sie nicht, deutet es nicht einmal an. Solches Geraune muss aus ihrer Sicht offenbar reichen. Die Frage von Abgeordneten, ob sie sich nicht beim nachweislich unschuldigen Schönbohm entschuldigen wolle, läuft vollkommen ins Leere. Fehler sind – wie gesagt – ihre Sache nicht. Lieber lebt sie mit feststehenden Gewissheiten: Die größte Gefahr für die Demokratie kommt von rechts oder illegal Einreisende kann man an der Grenze nicht einfach zurückweisen.
Kein Platz für Versprecher?
Nicht nur Fehlentscheidungen, sondern auch simple Versprecher will sie sich nicht eingestehen. Zumindest nicht in der gestrigen Faeser-Aufführung. Als sie sich gegen das Begehren einiger Abgeordneter nach festen Grenzkontrollen an der polnischen Grenze mit dem Argument wehrt, auch dann könne man illegal Einreisende nicht zurückweisen, entschlüpft ihr der Halbsatz, dass ein Migrant, der dann Asyl verlange, auch Asyl bekomme. Wörtlich sagte sie, "dann bekommt er Asyl", auch wenn sie wohl sagen wollte, dass er dann hierzulande aufgenommen werden muss, um seinen Asylantrag zu stellen. So sagte sie es auch bei späterer Gelegenheit.
In so einer Bundestagsaufführung wird ein Versprecher dennoch gern zum Gegenstand einer spitzen Zwischenbemerkung gemacht. Hier wollte damit ein AfD-Abgeordneter sticheln und fragte sie, ob sie das mit dem Asyl, das der Migrant bekomme, wirklich so gemeint habe oder ob es sich um einen Versprecher gehandelt hätte. Ein leichtes wäre es nun gewesen, sich souverän für diesen kleinen Versprecher zu entschuldigen und den Fragesteller als kleinlichen Krümelkacker vorzuführen. Doch Genossin Faeser leugnete, diesen Halbsatz, wie zitiert, gesagt zu haben.
Wer solche Grotesken nur lächerlich findet, der ist auch zur Unterhaltung bei Bundesttagsaufführungen sicher nicht am richtigen Platz. Aber das ist das realistische Abbild des Niveaus, auf dem in Deutschland Politik gemacht wird. Engagierter Streit mit spannenden Redeschlachten im Parlament gibt es in dieser Welt nicht.
Und insgesamt hat Nancy Faeser nach eigener Darstellung alles richtig gemacht und in der Migrationspolitik Erfolge erzielt wie keiner ihrer Vorgänger, weil es schließlich eine EU-Übereinkunft über die Migrationspolitik gibt. Würde man Nancys Erzählungen folgen, dann dürfte es eigentlich gar keinen Notstand in den Städten und Landkreisen bei der Unterbringung der vielen, vielen Asylbewerber geben. Während allenthalben die völlige Überforderung beklagt wird, will Nancy ihr Publikum glauben lassen, dass sie alles im Griff habe.
Außerdem brauchen wir Migration, und sie hat ein tolles Fachkräfteeinwanderungsgesetz und das beste Staatsbürgersschaftsrecht auf den Weg gebracht. Als sie darauf angesprochen wird, dass von den vielen Migranten, die in den Jahren nach 2015 kamen, insbesondere unter den Syrern, auch nach Jahren immer noch sehr viele nicht arbeiten, spricht sie tatsächlich – es klingt wie 2015 – von den "syrischen Ärzten" und all den Fachleuten, für die sich die Ampel den sogenannten Spurwechsel ausgedacht habe, damit sie aus dem Asylverfahren zu einem Aufenthaltstitel zu Arbeitssuche und Arbeit wechseln können.
Symbiose dank Brandmauer
Zuschauer, die nicht im gut besoldeten Berufspolitik-Soziotop leben, hatten bei diesem Auftritt der Nancy Faeser den Eindruck, dass die Innenministerin der Wirklichkeit des Jahres 2023 vielleicht etwas entrückt ist. Das ist im Berliner Politikbetrieb wahrlich kein Alleinstellungsmerkmal, aber in der Innenministerin erfuhr das eine selten kraftvolle Darstellung.
Der dritte Akt wurde dann am frühen Abend mit der Ministerin aufgeführt, aber es ging nur um sie. Schon in ihrer Befragung sprachen sie Abgeordnete aus CDU und AfD darauf an, dass sich laut einer Umfrage 52 Prozent der Bürger einen Rücktritt der Innenministerin wünschten. Und am Abend, zum Abschluss der Plenarsitzung, stand ein Antrag der AfD-Fraktion auf der Tagesordnung. Der Bundestag – so wünschte die Partei hinter der Brandmauer – solle die Bundesinnenministerin zum Rücktritt auffordern. Wegen besagter Brandmauer kann diesem Wunsch natürlich niemand nachkommen. Wenn dann die AfD vom Kanzler fordern sollte, er möge die Ministerin entlassen, dann geht das natürlich gar nicht. Insofern kann die AfD am ehesten dafür sorgen, dass Genossin Faeser im Amt bleibt. Sie muss nur energisch genug ihren Abgang fordern.
Umgekehrt sorgt Nancy Faeser, wie Gunter Weißgerber hier bereits feststellte, mit der Art, in der sie ihre Amtsgeschäfte führt, dafür, dass die Umfragewerte für die AfD immer weiter wachsen. Man kann sich gegenseitig ungemein helfen. Vielleicht ist das die Pointe der gestrigen Faeser-Festspiele in diesem sogenannten Hohen Haus: Nancy Faeser und die AfD haben eine symbiotische Beziehung. Der Brandmauer sei dank.