Die Exorzisten sind verschnupft

Wenn deutsche Politiker sich anderswo einmischen, ist das etwas ganz anderes, als wenn auswärtige Politiker sich bei uns einmischen. Warum? Ganz einfach: Deutsch sein heißt, recht zu haben

Ja, man ist parteiübergreifend verschnupft. Dieser dahergelaufene amerikanische Vizepräsident hatte doch die Stirn, in München einen Vortrag über Meinungsfreiheit und Demokratie zu halten. Und das uns. Wo wir doch die besten Demokraten weit und breit sind. Jedenfalls in unserer zweifellos objektiven Selbsteinschätzung.

Wie kommt dieser J.D. Vance überhaupt dazu, uns zu erzählen, wie Demokratie und Meinungsfreiheit aussieht! Sowas würden wir nie machen.

Naja, wenn man davon absieht, dass unsere Politiker und Diplomaten vielerorts gerne und routinemäßig die Menschenrechte einfordern. Das ist gut gemeint, ist aber für unsere chinesischen Handelspartner – um nur ein Beispiel zu nennen – kein Vergnügen. Und davon abgesehen, dass wir mit einer feministischen Außenpolitik hausieren gehen, was in moslemischen Ländern keine große Begeisterung auslöst. Und ganz zu schweigen davon, dass unsere führenden Politiker dem amerikanischen Präsidenten immer wieder so sehr die Leviten lesen, als wären sie bei J.D. Vance in die Schule gegangen.

Die Lizenz zum Missionieren

Dass sich unsere Politiker in der Welt nicht gerade durch vornehmste Zurückhaltung auszeichnen, hindert sie nicht daran, sich Einmischungen von einem – immer noch – Partner energischst zu verbitten. Dafür gibt es nur eine Erklärung: Wenn deutsche Politiker sich anderswo einmischen, ist das etwas ganz anderes, als wenn auswärtige Politiker sich bei uns einmischen. Warum? Ganz einfach: Deutsch sein heißt Recht zu haben. Was uns offenbar die Lizenz zum Missionieren gibt. Eine Lizenz, die anderen, wie es scheint, nicht zusteht. Schon gar nicht einer amerikanischen Regierung, mit der wir nicht einverstanden sind und die gegen unseren erklärten Willen gewählt wurde.

Das amerikanische Beispiel zeigt im Übrigen, was man davon hat, wenn sich der Wählerwille so direkt auf die Regierung auswirkt. Das könnte bei uns so nicht passieren. Wir wählen und dann handeln die besseren Herrschaften aus, welche Regierung wir gewählt haben.

Soweit diese streckenweise ironische Beschreibung unseres politischen Verschnupftseins. Man kann aber auch die ernsthafte Frage stellen: Könnte die – zugegeben etwas unhöfliche – Rede des Vizepräsidenten auf der Münchener Sicherheitskonferenz nicht auch Anlass sein, wenigstens ein bisschen über den Zustand unserer Demokratie und unserer Meinungsfreiheit nachzudenken?

Zum Beispiel darüber, was die immer noch grassierende und oft politisch unterstützte Cancel Culture mit Meinungsfreiheit zu tun hat? Und wie es sich mit unserer Freiheit verträgt, dass wir offiziell geförderte Meldestellen eingerichtet haben, bei der man Leute mit unbotmäßigen Meinungen verpetzen kann?

Selbstreflexion ist eine Tugend

Über die Brandmauer, von der Vance auch sprach, nur soviel: Es kann ja jeder mauern soviel er will. Aber wenn immer mehr Leute über diese Mauer hüpfen und die da drüben jenseits der Mauer wählen, könnte das als ein Problem erkannt werden. Und es könnte ein Anlass sein, darüber nachzudenken, was diesseits der Brandmauer nicht ganz richtig oder vielleicht sogar ganz falsch gemacht wird. Flucht, und sei es nur Wählerflucht, ist nun mal kein Ausdruck des Vertrauens in die, vor denen man flüchtet. Vor allem die Kanzlerpartei, vor der in den letzten Jahrzehnten so viele Menschen geflohen sind, hätte Anlass zur Selbstreflexion.

Kurz und gut: Natürlich kann jeder beleidigt sein, weil J.D. Vance in unserem Gäu keine Komplimente verteilt sondern Kritik ausgeteilt hat. Man kann aber auch genauer hinschauen und sich fragen, ob der eine oder andere Punkt, den er vorgetragen hat, vielleicht bedenkenswert sein könnte. Selbst der Vize dieses schwierigen Mannes im Weißen Haus, muss nicht von Hause aus, in allem unrecht haben.

Selbstreflexion ist eine Tugend und im Zweifel fruchtbarer, als einfach nur eine Schnute zu ziehen.

 

Rainer Bonhorst, geboren 1942 in Nürnberg, arbeitete als Korrespondent der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) in London und Washington. Von 1994 bis 2009 war er Chefredakteur der Augsburger Allgemeinen-Zeitung.

 

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Leserpost

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Petra Wilhelmi / 16.02.2025

Die Vance-Rede war nicht unhöflich. Wollte nur mal darauf hinweisen. Wahrheit ist eben Wahrheit.

Dr. Wilhelm Dierkopf / 16.02.2025

Ja, Selbstreflexion ist eine Tugend, die jeder von uns beherzigen sollte. Aber, was geschah heute Abend im Quadrell von RTL ? Der Bundeskanzler und sein Vizekanzler “haben alles im Griff”. Der Kanzlerkandidat der Opposition interpretiert die Rede des Vizepräsidenten der USA völlig um : “Lasse mir nicht von US-Vize sagen, mit wem ich in Deutschland zu sprechen habe”. Und sucht die Koalition der Mehrheit der Mitte nach der Wahl mit Rot und/oder Grün. Im Westen nichts Neues !

Chris Kuhn / 16.02.2025

@M. Müller: natürlich wird ein an und mit erwiesener Lügner wie Lauterbach von seiner grundrechtebrechenden Entourage nicht vorauseilend begnadigt werden, weil es mehr als wahrscheinlich ist, daß dieser Blender und Hochstapler nach einem “friedlichen Regierungswechsel” weiter sein Unwesen treiben darf. Ihre Kritik am Gulf of Mexico u./o. America liegt im übrigen noch unter dem früheren Aufreger, ob es denn Wroclaw oder Breslau heißen soll.

Franz Klar / 16.02.2025

“Bundesweit sind auch an diesem Samstag wieder Menschen auf die Straßen gegangen um gegen Rechtsextremismus zu protestieren. In München waren es 250.000 Demonstrierende”(Quelle zdf.de , 08.02.2025) . Mit Meinungsfreiheit und Demokratie hätten sich sogar 500000 getraut . Vance predigte leider erst hinterher .

Rupert Drachtmann / 16.02.2025

„Unhöfliche Rede“? Witz oder. Eine klare Ansprache ist geboten. Wir kennen doch unsere „Eliten“, die verstehen nicht mal eine klare Ansprache. Wenn man noch deutlich wird deuten sie es noch als Auszeichnung um. Genau richtig. Und zu 1000% zutreffend. Ein „Danke“ wäre angemessen.

Karl-Heinz Vonderstein / 16.02.2025

Ist schon witzig das mit Vance. Sieht die Demokratie und Meinungsfreiheit in Europa in Gefahr. Mag ja sein. Aber ausgerechnet Trumps Außenminister! Ist ungefähr so, als wenn ein Alkoholiker uns erzählen will, dass man die Finger weg lassen soll vom Alkohol.

Dr. Thomas Schimpff / 16.02.2025

Ganz leicht OT: Ich bin kein Macho. Weder privat noch in der politischen Bewertung. Aber die Damenriege innert der Eingangs-Karikatur zeigt wieder meine politischen Lieblings-Mädels in El Berlin in ganzer Hässlichkeit, herrlich: Strack-Zimmermann, Esken und als Krönung das Nancy. Dankeschön

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