Wagen Sie es nicht! Denken Sie nicht einmal daran! Ab 1. Januar dürfen ihre alten Socken auf keinen Fall im Hausmüll landen, sonst darf die Müllabfuhr Ihre Tonne einfach stehen lassen.
Wenn Sie im neuen Jahr aus dem Fenster schauen und jemanden beobachten, der in Ihrer Restmülltonne wühlt, muss es nicht unbedingt ein Obdachloser sein, der nach etwas Essbarem sucht. Es könnte auch sein, dass schlichtweg kontrolliert wird, ob sich ein löchriger Socke in Ihrem Müll befindet. Das ist nämlich ab 2025 verboten. So will es die überarbeitete EU-Abfallrichtlinie.
Doch nicht nur löchrige Socken, sondern auch zerschlissene Bettwäsche und Handtücher dürfen nicht mehr im Hausmüll landen, sondern müssen im Altkleidercontainer entsorgt werden. Falls Sie weiterhin Textilien in Ihre Abfalltonne werfen, wird diese künftig von der Müllabfuhr vielleicht einfach stehen gelassen.
Schließlich sind Sie mit Ihrem Modekonsum ja auch am Klimawandel schuld. Sie wissen doch: Die Textilindustrie ist für mehr Treibhausgase verantwortlich als alle internationalen Flüge und Schiffe zusammen. Hoffentlich haben Sie jetzt wenigstens ein schlechtes Gewissen und geloben Verzicht. Denn nur so können die EU-Zielvorgaben erreicht werden.
Alltagsabfälle sollen möglichst vermieden und bis 2030 wenigstens zu 60 Prozent wiederverwendet oder recycelt werden. Zwar stellt sich das Recycling von Textilien, die oft aus Mischfasern bestehen, als problematisch dar, doch wozu überhaupt darüber nachdenken, ob Verbrennen vielleicht die ökologischere Lösung wäre: Der Plan steht und muss erfüllt werden.
Weniger kaufen und Socken stopfen!
Für Sie heißt das: Sie sollen weniger kaufen und Ihre Socken so lange stopfen, bis sie nur noch aus Stopfgarn bestehen. Wie praktisch, dass diese Verzichtsideologie bestens zur Kriegswirtschaft passt. Denn Ihren bisherigen Konsum können Sie sich sowieso bald nicht mehr leisten.
Aber keine Sorge. Die EU-Textilstrategie sieht vor, dass innovative Technologien für hochwertiges Recycling entwickelt werden. Was wiederum neue Geschäftsfelder für entsprechende Unternehmen eröffnet. Und Sie können sich vielleicht sogar über einen neuen Arbeitsplatz in der Recycling-Industrie freuen!
Und Hand aufs Herz. Ist es nicht eine große Erleichterung, dass Ihnen die EU-Kommission die wirklich wichtigen Entscheidungen im Leben abnimmt? Sie brauchen schon ab Januar nicht mehr zu überlegen: Wohin mit der zerfetzten Wäsche? Einfach ab damit in den Altkleidercontainer! Seien Sie der EU-Kommission also dankbar!
Martina Binnig lebt in Köln und arbeitet u.a. als Musikwissenschaftlerin (Historische Musikwissenschaft). Außerdem ist sie als freie Journalistin tätig.