Im Rahmen ihrer „Digitalen Strategie“ hat die EU-Kommission am 16. September ein „Medienfreiheitsgesetz“ zur „Überwachung der Freiheit“ veröffentlicht. Das klingt nicht nur widersprüchlich, sondern das Gesetz hat es in sich.
Schon im Dezember 2020 startete die Europäische Kommission eine NEWS-Initiative, da die Nachrichtenmedien von der Pandemie schwer getroffen worden seien und die „Herausforderungen durch Desinformation und Einnahmeverlagerungen ständig zunehmen.“ So steht es in einem offiziellen vierseitigen PDF-Dokument, das im März 2022 veröffentlicht wurde und hier heruntergeladen werden kann. Darin wird einleitend zusammengefasst:
„Die Europäische Union unterstützt die Nachrichtenmedien hauptsächlich durch
- die Haushaltslinie 'Multimedia-Aktionen' zur Finanzierung der Berichterstattung unabhängiger Nachrichtenmedien über EU-Angelegenheiten
- Pilotprojekte und vorbereitende Maßnahmen zu verschiedenen Themen, die jährlich vom Europäischen Parlament vorgeschlagen werden
- Maßnahmen im Rahmen ihres Programms 'Kreatives Europa' zur Förderung von Medienpluralismus und -freiheit, Medienzusammenarbeit und Medienkompetenz.“
Mit anderen Worten: Die EU finanziert „unabhängige Nachrichtenmedien“, die über „EU-Angelegenheiten“ berichten. Fragt sich nur, wie unabhängig Medien über EU-Angelegenheiten berichten, wenn sie genau von eben jener EU finanziert werden. Und ob Pilotprojekte, die auf Vorschlägen des Europäischen Parlaments beruhen, tatsächlich den Medienpluralismus fördern, sei ebenfalls dahingestellt. Wer sich nun näher über die NEWS-Initiative informieren möchte, findet sich in einem Dickicht aus Verkettungen von Links wieder, deren Startpunkt hier liegt. Letztlich kulminieren die Ausführungen jedoch in der Aussage: „Die Kommission möchte eine lebendige und vielfältige Öffentlichkeit fördern, in der die Bürger Zugang zu zuverlässigen Informationen über die EU haben.“ Wer entscheidet, welche Informationen über die EU als zuverlässig gelten, bleibt offen.
„Medien, die ein Risiko für die öffentliche Sicherheit darstellen“
Geht man zeitlich noch einen Schritt weiter zurück, landet man auf der EU-Webseite zum „Green Deal“. Hier wird in einer Veröffentlichung vom 11. Dezember 2019, auf die man nicht oft genug hinweisen kann, der EU-Fahrplan für die Transformation zu einer klimaneutralen Gesellschaft und Wirtschaft bis zum Jahr 2050 formuliert. Dabei sollen auch Kommunikation und Information eine entscheidende Rolle spielen: „Die Kommission wird dafür sorgen, dass die grüne Wende in der Debatte über die Zukunft Europas breiten Raum einnimmt.“
In diese Reihe fügt sich also das am 16. September dieses Jahres vorgelegte „Medienfreiheitsgesetz“ ein. Das vollständige Dokument des Gesetzesentwurfs ist dreiteilig, ausschließlich in englischer Sprache verfügbar und umfasst insgesamt fast 350 Seiten. Die entsprechende Pressemitteilung der EU-Kommission ist dagegen nur drei Seiten lang und beginnt wie folgt:
„Die Europäische Kommission hat heute ein europäisches Medienfreiheitsgesetz angenommen, ein neues Regelwerk zum Schutz des Pluralismus und der Unabhängigkeit der Medien in der EU. Die vorgeschlagene Verordnung umfasst unter anderem Schutzvorkehrungen gegen politische Einflussnahme auf redaktionelle Entscheidungen und gegen Überwachung. Der Schwerpunkt liegt auf der Unabhängigkeit und stabilen Finanzierung öffentlich-rechtlicher Medien sowie auf der Transparenz von Medieneigentum und der Zuweisung staatlicher Werbeausgaben. Ferner werden Maßnahmen zum Schutz der Unabhängigkeit von Redakteuren und zur Offenlegung von Interessenkonflikten festgelegt. Schließlich wird mit dem Gesetz das Thema Medienkonzentrationen angegangen und ein neues unabhängiges Europäisches Gremium für Mediendienste geschaffen, das sich aus Vertretern der nationalen Medienregulierungsbehörden zusammensetzt. Darüber hinaus hat die Kommission eine ergänzende Empfehlung angenommen, um interne Schutzvorkehrungen für redaktionelle Unabhängigkeit zu fördern.“
Das klingt gut. Als aufmerksamer Leser stolpert man allerdings zwangsläufig darüber, was wohl mit dem „neuen unabhängigen Europäischen Gremium für Mediendienste“, das sich „aus Vertretern der nationalen Medienregulierungsbehörden zusammensetzt“, gemeint sein könnte. Dazu wird weiter ausgeführt:
„Das Gremium wird die wirksame und einheitliche Anwendung des EU-Rechtsrahmens für die Medien fördern, insbesondere indem es die Kommission bei der Ausarbeitung von Leitlinien zu Medienregulierungsfragen unterstützt. Es wird auch Stellungnahmen zu nationalen Maßnahmen und Entscheidungen abgeben können, die sich auf die Medienmärkte und Medienmarktkonzentrationen auswirken. Das Gremium wird auch nationale Regulierungsmaßnahmen in Bezug auf Medien aus Drittländern, die ein Risiko für die öffentliche Sicherheit darstellen, koordinieren, damit diese Medien die in der EU geltenden Vorschriften nicht umgehen. Das Gremium wird außerdem einen strukturierten Dialog zwischen sehr großen Online-Plattformen und dem Mediensektor organisieren, um den Zugang zu verschiedenen Medienangeboten zu fördern und um zu überwachen, ob die Plattformen Selbstregulierungsinitiativen wie den EU-Verhaltenskodex zur Bekämpfung von Desinformation einhalten.“
Wer entscheidet, was Desinformation ist?
Demnach lohnt sich ein Blick in den „Verhaltenskodex zur Bekämpfung von Desinformation“, zu dem eine Pressemitteilung der EU-Kommission vom 16. Juni dieses Jahres vorliegt. Hier springen vor allem drei Punkte ins Auge:
- „Verringerung finanzieller Anreize für die Verbreitung von Desinformation, indem dafür gesorgt wird, dass denjenigen, die Desinformation verbreiten, keine Werbeeinnahmen zugutekommen;
- Stärkung der Nutzer mit besseren Werkzeugen, damit sie Desinformation leichter erkennen, verstehen und melden können;
- Ausweitung der Faktenprüfung in allen EU-Ländern und ihren Sprachen, wobei dafür gesorgt wird, dass Faktenprüfer für ihre Arbeit angemessen entlohnt werden“.
Wiederum drängt sich die Frage auf: Wer entscheidet, was Desinformation ist? Das neue Gremium der „Vertreter der nationalen Medienregulierungsbehörden“? Dieses setzt sich übrigens aus Vertretern der audiovisuellen Medien zusammen. In diesem Zusammenhang ist die im Dezember 2021 von der Europäischen Audiovisuellen Informationsstelle publizierte Broschüre „Medienregulierungsbehörden und die Herausforderungen bei der Zusammenarbeit“ von Interesse. Deren Vorwort beginnt mit der Feststellung: „Nationale Regulierungsbehörden sind die Hüter von Meinungsfreiheit und Pluralismus in den Rundfunk- und Online-Medien.“ Wie und warum aber sollten Vertreter der audiovisuellen Medien beispielsweise über regionale Printmedien wachen? Gerade in einem föderalistisch strukturierten Land wie Deutschland wäre ein derart zentralistisches Gremium der Pressefreiheit sicher eher nicht förderlich.
Einfluss auf große Plattformen und Suchmaschinen
Dazu kommt noch das vom Europäischen Parlament Anfang Juli dieses Jahres verabschiedete Gesetz über digitale Dienste (DSA), das unter anderem von der Bürgerrechtsbewegung „European Digital Rights“ (EDRI) in einer Pressemitteilung kritisiert wurde. Brisant darin ist beispielsweise ein Passus, durch den ein Krisenreaktionsmechanismus eingeführt werden kann:
„Dieser Mechanismus wird von der Kommission auf Empfehlung des Gremiums der nationalen Koordinatoren für digitale Dienste aktiviert. Er wird es ermöglichen, die Auswirkungen der Tätigkeiten sehr großer Plattformen und sehr großer Suchmaschinen auf die betreffende Krise zu analysieren und verhältnismäßige und wirksame Maßnahmen zur Wahrung der Grundrechte zu ergreifen.“
Klingt wieder gut, bedeutet aber nichts anderes, alsdass die EU-Kommission im Fall einer „Krise“ direkt Einfluss auf große Plattformen und Suchmaschinen wie etwa Google nehmen kann. Kurzum: Zentralisierung allenthalben.
So wundert es nicht, wenn der BDZV (Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger) und der MVFP (Medienverband der freien Presse) in einer gemeinsamen Pressemitteilung Kritik an dem Gesetzentwurf üben. Wörtlich heißt es darin: „Mit dem Vorschlag, den Grundsatz der redaktionellen Freiheit von Verlegerinnen und Verlegern de facto außer Kraft zu setzen, würde die EU die Pressefreiheit zerstören.“ Dies sei nicht zuletzt deshalb nicht hinnehmbar, „weil allein die Verlegerinnen und Verleger letztlich die ideelle, ökonomische und rechtliche Verantwortung für die gesamte Publikation“ trügen. Und noch einmal: „Wenn die von der EU-Kommission vorgeschlagenen Eingriffe in die redaktionelle Freiheit der Verlage nicht im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens rückgängig gemacht werden, würde die EU wesentliche Elemente der seit dem Beginn der Demokratie in Europa verankerten Pressefreiheit opfern.“
Fazit: Die EU-Kommission betreibt offenkundig Orwellschen Neusprech. Anstatt die Unabhängigkeit und den Pluralismus der Medien zu fördern, schafft sie die Voraussetzungen dafür, dass die Pressefreiheit massiv eingeschränkt werden kann. Damit soll wohl eine EU-weit vereinheitlichte mediale Berichterstattung über „EU-Angelegenheiten“ erzielt werden ‒ im Neusprech auch „zuverlässige Informationen über die EU“ genannt.