Beda M. Stadler, Gastautor / 28.08.2008 / 22:07 / 0 / Seite ausdrucken

Die Erfindung des Liebstöckel Pesto

Unter der Dusche fallen manchen Leuten die besten Ideen ein. Der warme Wasserstrahl bescherte auch mir ein Experiment, das einen erfolgreichen Abschluss fand. In der Wissenschaft kriegt man für so was Lorbeeren, falls das Experiment in einer seriösen Zeitschrift erscheint. Die NZZ am Sonntag mag sich zu den seriösen Blättern zählen, sie ist aber kein geeigneter Ort um wissenschaftliche Erkenntnis erstmalig zu verbreiten. Sie hat keinen „Peer-Review“, also keine Begutachtung durch meist anonym bleibende Kollegen, die entscheiden, ob die Umsetzung der Idee reproduzierbar erscheint. Warum ich trotzdem diese Zeitung benutze, meine Erfindung kund zu tun, hat seinen Grund: Es geht um das geistige Eigentum…

 

Unter der Dusche kann man aber nicht wählen, was einem einfällt. Mein Geistesblitz bestand darin, den Basilikum im „Pesto al genovese“ durch Liebstöckel zu ersetzen. Schweizer nennen dieses nach Verführungskunst tönende Pflänzchen „Maggi-Kraut“. Den Herrn Maggi hat dies möglicherweise gefreut, schliesslich hat er die Idee gehabt, aus billigem Sojaschrot, sonst als Viehfutter verwendet, die Maggiwürze zu fabrizieren. Auch Wissenschaftler schaffen es manchmal, ihren Namen in die Benennung eines neu entdeckten Lebewesen zu schmuggeln, aber ein seit jeher in der Küche verwendetes Kraut umbenennen, ist eine besondere Leistung.

Mir graute, dass mein eben erfundenes Liebstöckel Pesto vulgär in Maggi-Kraut-Pesto verballhornt würde. Erfindung ist Erfindung, auch wenn es nicht gerade die Glühbirne war. Ein ungutes Gefühl beschlich mich, wenn man sich vorstellt, dass schon 2000 Jahre lang italienische Mammas in der Küche experimentierten, und für mich allenfalls gar nichts zu erfinden war. Mein Liebstöckel-Pesto ein Plagiat? Einer der Berner Starköche, der mir eben ein asiatisches Pesto zum Fisch kredenzte, hatte noch nie von Liebstöckel-Pesto gehört. Bei mir stieg die Hoffnung auf eine richtige Erfindung.

Die Küche wird immer mehr verwissenschaftlicht. In der Cuisine Moleculaire finden sich Utensilien oder Zutaten, die wir seit langem im Labor gebrauchen. Die Agar-Nudeln aus der Molekularküche des spanischen Lokals «El Bulli» kommen aber nicht einmal in die Nähe meines Liebstöckel-Pestos. Der Agar - ein Geliermittel - ist mir also in der Kulturschale für Bakterien lieber als auf dem Teller. Die Köche des Restaurants El Bulli erhalten trotzdem viel berechtigte Anerkennung für ihre Erfindungen. Nur sind sie die wirklichen Erfinder? Es ist Zeit, dass die Küche ein Publikationsprinzip wie in der Wissenschaft einführt. Wir wüssten gern, wer die Pommes Frites, die Willisauer Ringli oder die Pizza erfunden hat.

Nachdem ich viel Lob für meine Spaghetti con Liebstöckel erhielt, kam die grosse Ernüchterung. Ich habe mein frisch erfundenes Rezept gegoogelt und gefunden. Ich bin nicht der Entdecker! Die Versuchung war aber gross, das Rezept trotzdem zu publizieren und damit in die Küchengeschichte einzugehen. Wir wären somit wieder bei der Wissenschaft. Auch dort gibt es die armen Tröpfe, die ein leben lang etwas erforschen, und dann publiziert es ein anderer. Es gibt für praktisch jede wichtige Erfindung jemanden, der behauptet, eigentlich würde der Ruhm ihm zustehen.

Der Schutz des geistigen Eigentums ist für die Wissenschaft essentiell. Nur wollen wir diesen Schutz in der Küche? Nein! Die Amerikaner würden sonst in ihrer Seele verletzt. Was würde diese Nation tun, wenn alle wüssten, Ketchup ist eine alte sizilainische Sauce, der Hamburger, wie der Name andeutet, eine verkommene Frikadelle? Wer in Zukunft über die Patentierung mitreden will, sollte sich im klaren sein, ob es richtig war das Walliser Trockenfleisch in Bündnerfleisch umzutaufen. Die Walliser geben den Erfindern nämlich ihren gebührenden Kredit. Man fährt hier auf goudronierten, nicht geteerten Strassen. Dr. Goudron hat nämlich nie eine „Walliser“, sondern eine Bündner-Nusstorte gegessen.

Kolumne erschien zuerst am 24. August 2008 in der NZZ am Sonntag 

 

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