Hier, in aller Bescheidenheit und als Nachtrag zu den Europa-Wahlen, eine kleine politische Sprachkunde. Im Zentrum dieser Erkundung soll der Populismus stehen.
Die meisten Populisten sind bekanntlich Rechts-Populisten. Bei uns heißen sie AfD, in Frankreich ist es der Rassemblement National und in Italien ist es die Lega, die nicht mehr, wie früher, nur für den Norden zuständig sein will. Das Problem mit den Populisten, ob rechts, ob links, ist, dass ihr Name eigentlich vom lateinischen Volk abstammt, und dass das Volk in einer Demokratie von Hause aus keine Schande ist sondern den Staat tragen soll. Ein enger Verwandter des Populisten ist der Populäre, um nicht zu sagen, der Volkstümliche. Aber wann ist einer ein schlimmer Populist, wann ist er angenehm populär oder gar volkstümlich? Und wann ist eine Partei keine populistische sondern eine populäre oder gar eine Volkspartei?
Das alles ist schwer zu sagen. Wörter können Schall und Rauch sein. Darum versuche ich, mit Hilfe der Rechenkunst ein wenig wissenschaftliche Ordnung in den verwirrenden Sprachgebrauch zu bringen.
Mein Vorschlag: Wer unter zehn Prozent bleibt, muss sich den Vorwurf des Populismus gefallen lassen. Es ist aber auch möglich, dass eine einstellige Partei einfach nur unpopulär ist. Der Unterschied zwischen populistisch und unpopulär ist mathematisch nicht zu erfassen.
Wer mehr als zehn Prozent erreicht, aber keine zwanzig Prozent schafft, ist auf gutem Weg, populär zu werden und den härenen Mantel des Populismus abzuwerfen. Mit elf Prozent muss man sich wohl noch als Populist fühlen, mit 19 Prozent aber kann man sich fast schon populär nennen. Wer sich dazwischen aufhält, sagen wir: bei 15 Prozent, ist ein Hybrid, den man einen Populär-Populisten nennen könnte.
Die bindestrichfreie Popularität
Über zwanzig Prozent beginnt meines Erachtens die bindestrichfreie Popularität, also die Wandlung vom hässlichen Populisten zum attraktiven Populären. Aber ist der Zwanzig-Plus-Populäre schon Angehöriger einer Volkspartei? Früher wäre die Antwort ein klares Nein gewesen. Heute steht, meine ich, das Nein immer noch, aber nicht mehr so klar. Der arithmetische Anspruch der Volksparteien ist geschrumpft.
Wer aber die dreißig schafft, darf sich heute als so volksnah fühlen, dass der Begriff der Volkspartei in greifbare Nähe gerückt ist. Vielleicht sollte man Dreißig-Plus-Parteien volkspopulär nennen. Damit würde man der letzten verbliebenen Volkspartei von altem Schrot und Korn, also der CSU in Bayern, mit ihrem Vierzig-plus-Ergebnis, noch ein Alleinstellungs-Merkmal zu gönnen.
Das gönnt man ihr aber nicht. Die nördlich der Main-Linie zur Lachnummer degradierte CSU hat bei der Europa-Wahl zwar zugelegt und damit die Gesamt-Union vor einer noch größeren Blamage bewahrt. In den elektronischen Nord-Medien aber hat man sie weitgehend ignoriert und liebevoll in die Verluste der Union integriert. Also ging auch unter, dass in Bayern die AfD folgerichtig deutlich schwächer abschnitt als im übrigen Deutschland. Sie ist in der Einstelligkeit verharrt und vorerst ohne Hoffnung auf einen Abschied vom bloßen Rechtspopulismus, was ja nach meinen Regeln mindestens einen zweistelligen Zuspruch verlangt.
Salvini auf dem Ehrenplatz des Volkspopulären
Bundesweit aber hat die AfD bei der Europa-Wahl die Zehn-Prozent-Marke geknackt. Allerdings so knapp, dass sie weiter mit eineinhalb Beinen im Rechtspopulismus steckt und nur mit ein paar Zehenspitzen das etwas freundlichere Feld des Populär-Populismus erreicht. Da haben ihre französischen und italienischen Freunde einen größeren Schritt nach vorne gemacht. Sie heißen zwar medial weiterhin Rechts-Populisten, sind aber – folgt man meiner Rechnungsart – tief ins Feld der bindestrichfrei Populären vorgerückt.
Marine Le Pen hat mit ihren gut 23 Prozent sogar den Vormarsch der populären, um nicht zu sagen populistischen Mitte des Emmanuel Macron hinter sich zurückgelassen. Und Matteo Salvini erreicht mit seinen 33 Prozent den Ehrenplatz des Volkspopulären, und rückt bei großzügiger Rechnung sogar ans Podium der Volkspartei heran. Das allein macht die offiziell immer noch als Rechts-Populisten geführten Truppen aus Frankreich und Italien im Europa-Parlament so stark, dass sie vor dem Europäischen Gerichtshof wahrscheinlich durchsetzen könnten, mindestens als rechts-populär zu gelten.
Nun gibt es Populismus oder Popularität nicht nur rechts. Wie zum Beispiel sollen wir die Grünen nennen? Lange ist's her, dass sie mal als linke Schmuddelkinder keinen Zugang zur bürgerlichen Gesellschaft hatten. Den Begriff des Links-Populismus benutzte man damals noch nicht. Heute haben die Grünen die Zwanzig-Prozent-Marke geknackt, und haben nicht nur mathematisch Anspruch darauf, ohne Einschränkung populär genannt zu werden. Aber was für eine Popularität ist das? Kann man die Grünen als links-populär bezeichnen? Oder wie sonst?
Die Grünen haben einen sehr gehobenen Geschmack
Sie sind zwar populär geworden, aber man zögert, sie volkstümlich zu nennen. Sie haben einen sehr gehobenen Geschmack und es war bekanntlich schon immer etwas teurer, einen guten Geschmack zu haben. Die Grünen sind nichts für die Geissens, also nur bedingt links. Sie sind eine Partei nicht nur für besser Gebildete, sondern auch für besser Verdienende geworden – also eine Art FDP für Menschen mit bienengerechtem Gartengrundstück und Hybrid-SUV. Würde elitär-populär auf sie passen? Warum nicht. Oder gar elitär-populistisch? Lieber nicht. Das könnte Ärger geben.
Und wie soll man die arme SPD einordnen? In Bayern ist sie einstellig geworden, was nach den Regeln meiner Mathematik den Verdacht auf Populismus zur Folge hat. Das kann aber in diesem Fall nicht gelten. Für die SPD gilt eine Mathematik der Bewegung. Genauer: der Abwärtsbewegung. Wer vom Kraftpaket in die Magersucht abgleitet, kann kein Populist sein. Er ist einfach nur unpopulär.
Man könnte auch von entpopularisiert sprechen, da man ja früher mal populär war. Entvölkert? Das klingt zu brutal. Das Volk ist ja noch vorhanden, nur ist es jetzt anderswo. Kann man als entpopularisierte Partei wieder populär werden? Wahrscheinlich nur, wenn man es mit einer Prise Populismus versucht. Mit Mitte-Links-Populismus? Sicherlich. Aber der Mitte-Links-Populismus ist einer der schwierigsten Populismen überhaupt. Der reine Links-Populismus ginge leichter, aber den hat schon ein anderer Verein gepachtet. Man müsste ihn also klauen.
Fast hätte ich Bremen vergessen. Aber zu Bremen fällt mir sprachanalytisch nicht viel ein. Es sei denn, es kommt zu Rot-Rot-Grün. Dann hätten wir dort eine Regierung des Mitte-Links-Elitär-Popularitäts-Populismus. Der in Bremen erstmals siegreichen CDU würde es in diesem Fall wohl die Sprache verschlagen.