Wie vielen Reichsbürgern sind Sie, lieber Leser (m/w/d), in letzter Zeit begegnet? Sagen Sie jetzt nicht: „Keinem, niemals“ oder: „WTF sind diese Leute überhaupt?“ Reichsbürger begegneten Ihnen sehr wohl, und zwar reichlich. Wahrscheinlich nicht in persona, aber durch emsige Vermittlung der Qualitätspresse.
Spätestens seit dem packenden Thriller im ersten Jahr der Corona-Zeitrechnung, welcher als „Sturm auf den Reichstag“ in die Hall of Fame des politischen Framing einging, war klar: Da draußen formiert sich eine Armee von Viertes-Reich-Bürgern, deren Machtergreifung drei todesverachtende Ordnungskräfte – die last men standing der Zweiten Republik – gerade noch abwenden konnten.
Bei dieser, angelegentlich Reichs- oder Reichskriegsflaggen schwenkenden, Streitmacht handelt es sich, wie der Verfassungsschutz mutmaßt, um ca. 19.000 sogenannte „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“. Denen wird (Stand: 31.12.2019) ein harter Kern von 950 Rechtsextremisten „zugerechnet“.
Reichsbürger, heißt es, geben auf die bestehende Staatsordnung einen Feuchten. Sie betrachten sich als Bürger des verblichenen Deutschen Reiches und geben untereinander allerlei Phantasiedokumente aus, die das belegen sollen. Eigene Pässe, eigene Währungen, die Grundstücke eigenes Staatsgebiet – das volle Programm einer Deppenfolklore.
Westentaschen-Nazihäscher
Das Bundesinnenministerium, deutlich vorsichtiger als der Verfassungsschutz, erklärt dazu:
Die Szene ist sowohl organisatorisch, als auch ideologisch äußerst heterogen. Die Sicherheitsbehörden gehen bislang nicht davon aus, dass eine einheitliche Bewegung existiert. Häufig konkurrieren die verschiedenen Szenen sogar untereinander. Allein vier verschiedene Gruppierungen der "Reichsbürger"-Szene repräsentieren ihrem Selbstverständnis nach einen "Freistaat Preußen". Andere versuchen zum Beispiel "preußische" Gemeinden zu "reorganisieren", um sie unter "Selbstverwaltung“ zu stellen.
Teilweise berufen sich die Anhänger der Szene auf das historische Deutsche Reich und folgen verschwörungstheoretischen Argumentationsmustern. Dabei treten sie für die Verwirklichung ihrer Ziele sehr aktiv ein. Gleichwohl ist die Bewegung zersplittert, vielschichtig und unübersichtlich. Viele lehnen daher für sich eine Bezeichnung als "Reichsbürger" oder "Selbstverwalter" ab. Entgegen weit verbreiteter Annahmen ist nur ein geringer Teil der Szene dem Rechtsextremismus zuzuordnen.
Prominenz in den Medien erhielten die Reichsbürger ab 2016. Damals erschoss ein Waffenhorter in Bayern einen SEK-Beamten, als seine Knarren konfisziert werden sollten. Der Schütze passte in das Profil eines imaginierten Reichsbürgertums; er wollte unter anderem seine Staatsbürgerschaft annullieren.
Kam praktischerweise hinzu, dass er via Facebook mit einem „Pegida“-Redner „befreundet“ gewesen sein sollte. Zur Erinnerung: Pediga, als Demobewegung inzwischen bedeutungslos, war kurzzeitig in aller Munde. Westentaschen-Nazihäscher waren darauf abonniert.
Pöbeln auf Ämtern
Der Polizistenmörder erhielt eine lebenslange Haftstrafe. Er hatte den Beamten heimtückisch durch die Tür erschossen. Fälle von Zwangsräumungen, bei denen die Räumungspflichtigen andere Menschen umbringen, waren in der Vergangenheit nicht ganz rar, siehe hier, hier oder hier. Sie geschahen – mit der bayrischen Ausnahme – allerdings nicht im Milieu der Reichsbürger.
Reichsbürger, oder was immer unter diesem Label subsumiert wird, sind in der Regel von kleinerem Kaliber. Sie fluten Behörden mit querulantischen Eingaben, pöbeln auf Ämtern herum, drohen Angestellten, versuchen, Steuerbescheide zu unterlaufen und widersetzen sich Zwangsvollstreckungen, solange es irgend geht.
Am Ende des Tages meist vergebens, versteht sich. Kein Einwohner von Schland kann dauerhaft ohne echte, hierzulande gültige Papiere existieren, jedenfalls kein Indigener. Den Eindruck zu erwecken, wie es manche Medien tun, sage und schreibe 19.000 Reichsdödel und Selbstbekocher lebten steuerfrei mit Spaß dabei, ohne Kontoverbindung, Führerschein, Auto, Arzt oder Schulen für ihre Kinder – das ist erkennbar Bullshit.
Man könnte nun sagen: Dass Reichsbürger die bundesdeutsche Rechtsordnung ablehnen, auf Ämtern ausfällig oder gar übergriffig werden, Polizisten und Vollzugsbeamte attackieren, so etwas eint sie mit nicht unerheblichen Teilen der Residenten von (manchmal wörtlich zu nehmenden) Brennpunktgebieten. Nehmen wir nur Duisburg-Marxloh, Berlin-Neukölln, Leipzig-Connewitz, Hamburg-Schanzenviertel. Feuerwehrleute, Polizisten oder andere Amtspersonen können davon ein garstig Lied singen.
Ein Trüpplein aus dem Wolkenkuckucksnest
Bei einem linksextremen Großevent, der G20-Randale in Hamburg, marodierte 2017 ein multinationaler Mob in der Hansestadt, plünderte, legte Feuer, terrorisierte Businsassen. Und die Besatzungen von Rettungswagen, die in gewissen Kiezen Hilfe leisten wollen, müssen öfters selber den Rettungsknopf drücken, weil ihnen aufgebrachte Großfamilien ans Leder wollen.
Unreichsbürgerliche Leute, die gern eine andere als die geltende deutsche Rechtsordnung hätten – etwa die Scharia – gibt es ebenfalls. Nicht zu knapp, und schrägerweise nicht bloß unter Migranten. Was eine überproportionale Neigung zu Gewaltdelikten betrifft, so haben dabei nicht Reichsbürger die Nase vorn, sondern Asylzuwanderer aka Schutzsuchende. Das ergab eine jüngst veröffentlichte Sonderauswertung der polizeilichen Kriminalstatistik.
Speziell die Deliktfelder Mord und Totschlag sind auch nicht gerade schwarzweißrot, sondern eher kunterbunt eingefärbt. Von Sexualdelikten ganz zu schweigen.
Warum also das Bohei um eine Szene, über die hauptsächlich bloß spekuliert wird? Von der nur klar ist, dass sie politisch nicht das Geringste zu melden hat? „Die Gefahr“, so erzählte der verstorbene „Reichsbürger-Experte“ Dirk Wilking vor zwei Jahren dem Staatsfunk, „ist eigentlich nicht, dass sie ernsthaft Macht bekommen. Die Gefahr besteht darin, dass sie den Staat delegitimieren.“
Welch ein Käse. Ein Trüpplein aus dem Wolkenkuckucksnest kann unmöglich dem Staat die Daseinsberechtigung absprechen. Höchstens desavouiert sich der Staat selber. Etwa, indem er sich ein Oberhaupt leistet, das ahnungsfreie Gaga-Reden zur deutschen Geschichte schwingt wie Herr Steinmeier. Die Neuauflage von Heini Lübke, leider nicht so nett.
Nochmals, warum das Geschrei um fast nichts? Exkurs: In den 1980ern und 1990ern ging immer mal wieder ein Gespenst um, das den Namen Scientology trug. Die als Kirche firmierende Psychosekte des amerikanischen Science-Fiction-Schreibers L. Ron Hubbard fing auch in Deutschland Verstörte, Vereinsamte und Wundergläubige ein, um ihnen kostspielige Kurse zur Bewusstseinserweiterung anzudrehen.
Per Gedankenkraft einen Baukran schwenken
Die sollte in eine Art Übermenschentum münden („Operating Thetan“), deren Träger sich von stinknormaler Gebundenheit an Raum, Zeit und Materie emanzipieren könnten. Ein ausgereifter Scientologe sollte zum Beispiel in der Lage sein, per Gedankenkraft einen Baukran in die gewünschte Richtung schwenken zu lassen, verhieß eine Broschüre. So weit, so beknackt.
Grundsätzlich unterschied sich Scientology also nicht wesentlich von anderen profitorientierten Kulten, etwa dem des Bhagwan/Osho. Was Heilsversprechen anging, so bot die Sekte aus Sicht eines Atheisten ungefähr dasselbe wie das Christentum oder der Islam. Bloß, dass das Paradies schon im Diesseits erreichbar sein würde.
Anfangs arbeiteten die Scientology-Drücker mit aggressiven, später mit subtileren Anwerbemethoden. Beim „Auditing“, einer Art Verhör am „E-Meter“, holte man Interessenten nach ihren psychischen Macken und ihrer Finanzlage aus. Kritikern („unterdrückerische Personen“) spionierte man hinterher. Versuchte hartnäckig, Aussteiger zurückzuholen, gründete Tarnfirmen. Kurz, es handelte sich um eine normale, fiese, mit allen schmutzigen Wassern gewaschene Abzockerfirma.
Aber das Echo in der deutschen Presse! Über viele Jahre wurde Scientology quasi als Staatsfeind gehandelt. Der Verfassungsschutz beobachtete die Sekte ab 1996, warnte noch 2018 davor, Scientologen wollten Wirtschaft, Politik und Gesellschaft „unterwandern“. Zehn Jahre zuvor hatte Bayerns Innenminister Beckstein Alarm geschlagen: Hubbards Agenten schickten sich an, das Nachhilfestundengeschäft in ihre Krallen zu kriegen!
In Wahrheit ist die Hoch-Zeit der Sekte schon sehr lange passé. Im Hamburger Hauptquartier zum Beispiel herrscht so gut wie kein ersichtlicher Publikumsverkehr. Die Hansestadt war es auch, die 2010 ihre zu Beginn hoch gelobte „Arbeitsgruppe Scientology“ dicht machte, weil sie offenbar obsolet geworden war.
Deren Chefin Ursula Caberta traf das hart. Sie hatte 18 spannende Jahre als bundesweit nachgefragte, viel zitierte und interviewte „Scientology-Jägerin“ auf dem Buckel. Aus ihrem Frust über den Job- und Bedeutungsverlust machte sie kein Hehl.
Upgrade zum gesellschaftlichen Megaproblem
Endes des Exkurses. Was er zeigt? Dass eine Sekte, Partei, Gruppe, Bewegung, Strömung, sei sie auch relativ marginal, plötzlich ein Upgrade zum gesellschaftlichen Megaproblem kriegt, kann unterschiedliche Gründe haben. Scientology verdankte seine negative Aufwertung einer sonderbaren Hysterie. Die ich mir nicht mehr recht zusammenreimen kann, obwohl auch ich vor 30 Jahren oder so mal was Schwerstkritisches über die Sekte verfasste. War es das ewige Bestreben der Journos, scheinbar große Themen immerfort weiterzudrehen, wie das früher in Redaktionskonferenzen hieß?
Sicher war es richtig und nützlich, über Scientology aufzuklären, der Sekte juristisch die Zähne zu zeigen, Aussteigern beizustehen. Aber in Sachen Scientology kamen Maßstäbe abhanden. Im wiedervereinigten Deutschland der Neunziger gab es schließlich reihenweise dubiose Geschäftsmodelle, die dringender der Durchleuchtung bedurft hätten. Und die von SED-Ganoven verschobenen Milliarden, wo gingen sie hin?
Der Reichsbürger-Hype ist Politik, logisch. Wer immer irgendwas gegen „rechts“ unternimmt, kriegt Aufmerksamkeit von Medien und Parteikadern sowie Knete aus Staats- oder Stiftungsmitteln. Geld fließt in Strömen, schafft man es nur, unter jedem deutschen Sofa Nazis zu entdecken. Wer das für eine Verschwörungstheorie hält, mag sich per Internet bei der Bertelsmann-Stiftung, der Hauke-Brost-Stiftung oder der Holtzbrinck-Stiftung ins Eingemachte begeben.
Und das sind nur drei Big Players im privaten, zivilgesellschaftlichen Einflussnahmebetrieb. Hinzu kommen die parteinahen Stiftungen. Sie erhielten allein im Jahr 2017 stolze 581 Millionen Euro aus Steuermitteln. Mit dem Geld finanziert etwa die Heinrich-Böll-Stiftung auch jede Menge Projekte gegen „Rechtspopulismus und Rechtsextremismus“.
Faible für Verschwörungs- und Unterwanderungsstorys
Manche Claims werden zufällig aufgetan und erweisen sich dann als Goldadern für Journos mit einem Faible für Verschwörungs- und Unterwanderungsstorys.
Aber ach! Nicht wenige, die unbedingt was mit Medien machen wollen, scheitern kläglich. Der nicht gerade lukrative Beruf des Journos ist seltsamerweise heiß begehrt, die Konkurrenz der Anwärter groß. Unterdessen kegeln Verlage kräftig Personal, was den Druck noch erhöht.
Zum Glück gibt es Auffangbecken in der linksdrehenden Anschwärzungsbranche. Manche Möchtegern-Journos landen bei der üppig finanzierten „Amadeu-Antonio-Stiftung“, dem Magazin „Der rechte Rand“, dem Recherchezentrum „Correctiv“ oder anderen Leuchttürmen der Zivilgesellschaft. Wovon, bitte, würden diese Menschen leben, fänden sie nicht ständig neue Verschwörungen, die es aufzudecken gilt? Neue Faschos, die Unterwanderstiefel schnüren, um mit Tschingderassabum zur Mitte der Gesellschaft durchzustoßen.
Die nächste Sau, die durchs Dorf der Investigativbolzen getrieben wird, heißt „QAnon“. Wer etwas von seiner Lebenszeit opfern möchte, kann sich die (angebliche) Geschichte dieser Klapsmühle via Wikipedia zuführen. Wobei der ellenlange Wiki-Eintrag, in dem versucht wird, einem Irrwitz der Spitzenklasse auch noch politische Relevanz einzuhauchen, beinahe kurioser rüberkommt als die kolportierte QAnon-Chose selbst.
Sie ahnen, warum? Bingo! Es ist The Donald, dessen fanatische Kombattanten gerüchteweise hinter QAnon stecken. Wie sagt ein sozialistischer Wahlkampfhelfer in Constantin Costa-Gavras’ unvergesslichem Film „Z“ von 1969? „Die Amerikaner stecken immer hinter allem, auch wenn man es nicht merkt.“
„QAnon boomt auch in Deutschland“.
Höchste Zeit also, die QAnon-Sekte und ihre Machenschaften endlich auch in Deutschland zu entlarven. Der deutsche Ableger des US-Magazins „National Geographic“ machte den Anfang mit einem länglichen Stück. Ein Mitarbeiter wollte auf der Berliner Corona-Demo vom 29. August „immer wieder“ den Buchstaben „Q“ erblickt haben, „auf T-Shirts, Plakaten und Transparenten“. Fett gedruckte Zwischenüberschrift: „QAnon boomt auch in Deutschland“.
Der woke Schreiber, ein hoffentlich irgendwann mal regelmäßig entlohnter Freischaffender namens Felix H., macht in einschlägigen Publikationen „viel mit Rechtsextremismus und Verschwörungstheorien.“ Im benannten Bericht von der Berlin-Demo interviewt er einen Experten, der Reichsbürger und QAnonler schwungvoll auf einen Nenner hievt: „Außerdem passen mehrere Erzählungen von QAnon mit denen der Reichsbürger sehr gut zusammen“.
Und dieser Mann expertiert für wen? Natürlich für die „Amadeu-Antonio-Stiftung“! Eben jener liefert auch der Felix die eine oder andere Momentaufnahme aus seiner Knipse zu.
So wächst dann alles wunderbar zusammen. Ja, unter den großen Aluhut passen die unterschiedlichsten Birnen.