Henryk M. Broder / 07.02.2021 / 14:00 / Foto: Henyk M. Broder / 82 / Seite ausdrucken

Die eiskalte Wiederkehr des IM

Von 1949 bis 1989, also von der Gründung der DDR bis zu ihrem dramatischen Ende, gab es etwa 620.000 „inoffizielle Mitarbeiter“, die für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) tätig waren; mal kürzer und mal länger, die einen freiwillig, die anderen, weil sie erpresst wurden oder sich etwas dazuverdienen wollten. Sie observierten und denunzierten ihre Arbeitskollegen und Nachbarn, Freunde und Verwandte, Mitstreiter und Konkurrenten, die ihnen im Weg standen. 

Zu dem Zeitpunkt, als die DDR implodierte, waren noch 189.000 „Kundschafter“ für das MfS unterwegs. Setzt man diese Zahl ins Verhältnis zur Population der DDR, kommt man zu einem erstaunlichen Ergebnis. Auf etwa 90 DDR-Bürger kam ein Inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit. Eine solche Spitzel-Dichte dürfte in der Geschichte einmalig sein. Man kann sie natürlich auch als Beleg dafür nehmen, dass die DDR eine partizipatorische Gesellschaft war, die jedem und jeder die Gelegenheit bot, sich einzubringen.

Je länger die DDR tot ist, umso öfter frage ich mich, was aus diesen Menschen geworden ist und was sie heute machen. Natürlich nur diejenigen, die noch am Leben und berufstätig sind. Von zweien weiß ich, dass sie als Abgeordnete im Bundestag sitzen, wohl versorgt und von keinerlei Gewissensbissen verfolgt. Sie haben sich perfekt in die freiheitlich-demokratische Grundordnung integriert und machen das, was sie schon zu DDR-Zeiten gemacht haben – eine bessere und gerechtere Gesellschaft herbeireden. 

Erst Stasi, dann Stiftung

Eine ehemalige Stasi-Informantin hat schon früh die Zeichen der Zeit erkannt und eine Stiftung gegründet, mit der sie gegen Antisemitismus, Rassismus, Hass und Hetze im Internet ankämpft, großzügig gefördert von anderen Stiftungen und Mitteln aus dem „Demokratie leben!“-Programm der Bundesregierung. Derzeit klärt sie über die Gefährlichkeit der Corona-Skeptiker und Corona-Leugner auf, die mit Rechtsradikalen und Nazis gemeinsam demonstrieren, was natürlich alle Kritik an der amtlichen Corona-Politik gegenstandslos macht.

Und wenn der zuständige aber glücklos agierende Gesundheitsminister an alle „Bürgerinnen und Bürger“ appelliert, „aufeinander aufzupassen“, dann meint er das vermutlich so harmlos, wie er es sagt, dennoch sollte man den niederschwelligen Unterton nicht überhören. Auch die Bürger der DDR waren aufgerufen, „aufeinander aufzupassen“ und dem ABV („Abschnittsbevollmächtigten“) Auffälligkeiten im Verhalten der Bewohner zu melden. Für etliche führte diese Art der Fürsorge direkt in die Haftanstalt Bautzen oder das Zuchthaus in Zwickau. 

Zu den Nebenerscheinungen der Pandemie gehört auch, dass bestimmte Begriffe Erinnerungen wecken. Wenn der bayerische Ministerpräsident erklärt, man brauche „eine große staatliche Kampagne zur Förderung der Impfbereitschaft, an der sich Vorbilder aus Kunst, Sport und Politik beteiligen“, derweil es nicht einmal genug Impfstoff gibt, um diejenigen zu versorgen, die sich freiwillig impfen lassen möchten, dann lebt die DDR wieder auf, wo es an allem mangelte – außer an den Appellen, sich solidarisch zu verhalten. 

„Aufeinander aufpassen“ bedeutet „sich gegenseitig denunzieren“

In den Lokalteilen der Tageszeitungen findet man immer öfter Berichte über Polizeieinsätze, die von „besorgten Nachbarn“ initiiert wurden, weil im Haus nebenan oder in der Wohnung gegenüber Kindergeburtstag gefeiert wurde, was derzeit ebenso verboten ist wie der Erwerb von Böllern und Krachern. „Aufeinander aufpassen“ ist in Deutschland ein Synonym für „sich gegenseitig denunzieren“, natürlich im Dienst des Allgemeinwohls. Das steht auch auf dem Spiel, wenn ein paar Jugendliche in einem Park ein Iglu aus Schnee bauen und sich darin eine Auszeit von der Enge des elterlichen Hauses gönnen. Dann rückt die Polizei in einer Stärke aus, als ginge es darum, einen Drogentransport abzufangen. Von den fünf Iglu-Bauern schaffen es vier, der Festnahme durch Flucht zu entkommen.

Es geht bei solchen Aktionen nicht darum, Hygiene-Konzepte durchzusetzen. Wäre dem so, müsste als erstes der öffentliche Personennahverkehr eingestellt werden. Es geht darum, Disziplin und Gehorsam zu erzwingen. Und eine Gemeinschaft herzustellen, die bereit ist, Freiheit zugunsten von Sicherheit aufzugeben, vorübergehend natürlich, im Vertrauen darauf, dass der Staat die Grundrechte, die er einkassiert hat, irgendwann als „Privilegien“ für die Guten zurückgeben wird. Was früher der Klassenfeind war (und noch früher das internationale Finanzkapital), das ist heute Corona, eine das Bewusstsein lähmende Substanz, die den freien Willen deaktiviert.

Ich weiß immer noch nicht, was die ehemaligen Inoffiziellen Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit heute machen. Eines aber halte ich für sicher:

Das Personal für die nächste Diktatur ist schon da.

 

Zuerst erschienen in Die Weltwoche

Foto: Henyk M. Broder

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Leserpost

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Michael Hinz / 07.02.2021

@Harald Kopp ” Das bestialische Nazisprech “Arbeit macht frei” heisst bei den lupenreinen Demokratie-Wächtern vielleicht dann “Gesinnung macht frei”. Und vor allem: “Impfung macht frei..” Dann kommen nämlich die Grundrechte als Privilegien zurück.

g.schilling / 07.02.2021

@Ferdinant Katz: gut erkannt, das Personal war nur ruhiggelegt. Jetzt zeigt sich langsam die Transformation von der die Gottgleiche seit mehr als einem Jahr faselt. Es ist die Wiedergeburt der DDR. Nur sind im Discounter die Regale voller als damals im HO-Laden. Aber das kriegt sie auch noch hin. Vorwärts immer, rückwärts nimmer. Wir faffen daf.

Petra Wilhelmi / 07.02.2021

Sie haben völlig recht, Herr Broder. Zum Glück hat man als ehemaliger DDR-Bürger vieles an Verschleierung noch nicht verlernt. Eingeladener Besuch darf keine Blumen mitbringen, weil es ihn als Besucher outen würde und Ähnliches. Schließlich fällt in der Großstadt es nicht so auf, wenn jemand in ein Haus geht, der dort nicht wohnt. Man wird misstrauisch und fragt sich, ob nicht doch die Hausbewohner einen verpfeifen würden oder einer aus anderen Häusern. Schließlich hat auch schon jemand aus der Straße vor längerer Zeit die Polizei geholt, weil ein Paketfahrer sein Fahrzeug nicht dort geparkt hat, wo er hätte parken müssen. Wenn schon bei solch Kinderkram die Polizei geholt wird, was dann, wenn es nach Ansicht der Denunzianten um Leben oder Tod geht. Teile und herrsche, dann hat man das Volk im Griff und die Denunzianten werden gehätschelt. Solche miesen Bürger gibt es überall. Ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich mich nach nur 30 Jahren wieder in einer Diktatur wiederfinden werde. Da diese Diktatur durch Internet und Co. aber ganz andere Möglichkeiten hat, als damals die DDR, benötigt man auch nicht so viele IMs. Die digitale Personenkennzahl, oder wie die korrekt heißt, das digitale Geld und vielleicht noch das digitale Sozialkonto wird alles richten, wenn dann die Datenbank dem ganzen tiefen Staat zugänglich ist. Einzige Hoffnung ist, da in Deutschland nirgendwo irgendetwas klappt, was angestoßen wird, dass das Funktionieren des ganzen digitalen Krams bzw. das Abfragen der Datenbanken noch in etwas weiterer Ferne liegen.

T. Schneegaß / 07.02.2021

Es gibt einen ganz klaren Zusammenhang zwischen dem Grad persönlicher Freiheiten (Dichte der Regulierungen und Verbote) in einem System und dem Umfang des Denunziantentums. In den für Denunzianten schweren Zeiten vor der Vollendung des Systems der .... im Kanzleramt war es anstrengend, da war schon ab und zu mal ein Falschparker ein willkommener Anlass für den Griff zum Telefon. Heute herrschen für diese miesen Charaktere wahrhaft paradiesische Zustände, Denunziant ist ein Vollzeitjob geworden. So gesehen, Herr Broder, waren selbst die IM in der DDR regelrecht zu bedauern, da “arbeitsmäßig” unterversorgt. Deshalb “erfanden” sie auch hin und wieder mal ein “Delikt”, um zu gefallen. Das ist heute absolut nicht mehr nötig. Sobald ein Mensch heute sein Haus verlässt, besteht die berechtigte Chance, dass er innerhalb von Minuten Dutzende von mit Bußgeld und härteren Strafen belegte “Rechtsverstöße” begeht.

heinrich hein / 07.02.2021

Ach, lieber Herr Broder, Sie haben natürlich wieder einmal vollkommen recht. Aber was kann der Deutsche denn heute noch gut: Flughäfen bauen nicht, Internet nicht, schnellen Mobilfunk nicht, Bahnhöfe Bauen (Stuttgart) auch nicht, beim Autobauen muss er betrügen und bescheissen. Dann freut er sich doch, wenn wenigstens das Denunzieren und das Belehren anderer noch klappt. Der Großteil der Menschen sind ganz arme Schw….. und die freuen sich eben, wenn sie anderen noch richtig eins reinwürgen können. Es hat schon seinen Grund, dass keine andere Sprache als die deutsche das Wort “Schadenfreude” kennt. Ich rege mich nicht mehr darüber auf sondern ich denke mir immer, der Deutsche ist eben ein ganz und gar verkommener Spießgeselle. So werde ich zumindest nicht immer wieder negativ überrascht. Und falls Frau Grimm gleich wieder schreibt, das gelte für mich ja natürlich nicht - ich habe zumindest noch niemanden denunziert.

Gudrun Meyer / 07.02.2021

Bis jetzt sind es einzelne, wahrscheinlich sogar nur wenige einzelne, die die “besorgten Nachbarn” geben. In Fällen, wo Personen und Familien, die gegen die Corona-Regeln verstoßen, sozial respektierte Gründe dafür haben, passiert offenbar überhaupt nichts. Im Januar 2021 starb meine Mutter friedlich zu Hause, umgeben von ihren drei Töchtern, deren Männern, den 6 Enkeln und manchmal noch von weiteren Verwandten sowie 2 sehr guten Freundinnen. Der Pflegedienst, der 2 x am Tag kam, sprach nie an, dass sich Leute aus 6,7 Haushalten gleichzeitig in der Wohnung befanden. Die Nachbarn, die das natürlich auch wussten, erzählten es weiter (meine Mutter war 30 Jahre lang Lehrerin in der Kleinstadt gewesen, allgemein bekannt und beliebt), aber selbst, als vermutlich schon Hunderte von Menschen Bescheid wussten, belästigte uns niemand. Nachbarn, mit denen wir redeten, meinten, es sei völlig richtig, dass unsere Mutter nicht ins Krankenhaus müsse, wo wir sie ja nicht hätten besuchen dürfen. Die Spitzelei setzt an anderen Stellen an, z.B. an lauten, nächtlichen Partys. Sie sickert allmählich ein, da liegt das Problem. In ein paar Jahren, wenn Ausgangssperren und Berufsverbote mit irgendeinem anderen Virus “begründet” werden, riskieren wahrscheinlich auch Familien wie meine anonyme Denunziationen, besonders natürlich dann, wenn irgendwer sie für “rechts” erklärt.

Magdalena Schubert / 07.02.2021

Zu diesem Artikel passt das Zitat des Philosophen Étienne de La Boétie (1. November 1530 bis 18. August 1563) „Der Unterdrücker hat weiter nichts als die Macht, die Ihr ihm zugesteht, um Euch zu unterdrücken. Woher hat er genügend Augen, Euch auszukundschaften, wenn Ihr sie ihm nicht selbst liefert? Woher soll er die vielen Arme haben, Euch zu schlagen, wenn er sie sich nicht von Euch ausborgt? Wo bekommt er die Füße her, Eure Städte niederzutrampeln, wenn es nicht Eure eigenen sind? Wie kann er Gewalt über Euch haben, wenn nicht durch Euch selbst? Wie könnte er es wagen, Euch zu überfallen, wenn nicht mit eurer eigenen Mitwirkung?“  Étienne de La Boétie war ein französischer Hoher Richter und Gelegenheitsautor. Und er schrieb über die freiwillige Knechtschaft des Menschen! Das Thema ist heute noch genauso aktuell wie vor hunderten von Jahren! Die Menschheit hat offensichtlich nichts dazugelernt. Es ist so unsagbar traurig.

M.-A. Schneider / 07.02.2021

Das Personal ist schon lange da, im Kleinen wie im Großen, die Einen agieren freiwillig, weil sie fest überzeugt davon , dass sie äußerst wichtig und bedeutend sind und alles richtig machen, dabei sie merken gar nicht, dass sie benutzt werden,  und das ist das Schlimme. Die bösen Staatsfeinde in der Gestalt von Klima-und Corona-Leugnern, Rassisten und Rechten oder gar Merkel-Kritikern müssen zwingend bekämpft werden, und zwar mit allen Mitteln und um jeden Preis. Die Anderen haben sich schon durch Netzwerke eine ganz andere Position erarbeitet, bekämpfen die Demokratie und lassen sich das vom Staat fürstlich finanzieren.

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