Karim Dabbouz / 05.07.2016 / 06:25 / Foto: Tomaschoff / 11 / Seite ausdrucken

Generationenkonflikt: Die Dummheit der anderen

Von Karim Dabbouz

Dass die schlechten Verlierer am lautesten blöken, ist ja nichts Ungewöhnliches. Einen faden Beigeschmack bekommt das Gejammere aber, wenn darin Lagerdenken und Demokratiefeindlichkeit durchschimmern. Vor allem das junge, gebildete und weltoffene Milieu offenbart dieser Tage, für wie viel wertvoller als eine gesunde Demokratie es sein weltmännisches Lebensgefühl hält. Denn, man korrigiere mich, sollte ich falsch liegen: Mehr als ein diffuses Gefühl der Verbrüderung mit den Briten und einer Welt ohne Grenzen hat die EU-Mitgliedschaft Großbritanniens den meisten jungen Menschen in Deutschland kaum bedeutet.

Ohnehin hängt die Schwere der Folgen des Brexit davon ab, zu welchen Verhandlungsergebnissen die EU und Großbritannien gelangen und wie schnell diese umgesetzt werden. Dabei kann es durchaus passieren, dass die Stimmen derjenigen, die aus Angst vor Überfremdung für den Brexit stimmten, in einem Kuhhandel für den freien Zugang zum EU-Binnenmarkt geopfert werden. Oder dass die Reisefreiheit der Briten innerhalb der EU nur zum Preis der weiteren Visafreiheit von EU-Bürgern in Großbritannien zu haben ist. Alles Verhandlungssache. Für das backpackende Milieu würde sich dann kaum etwas ändern. Mit dem Bulli nach Norwegen war bisher ja auch kein Problem.

Es gibt eine tiefsitzende Angst vor dem vermeintlich dummen Mitmenschen

Die Trauerbekundungen rund um den Brexit erinnern an die immer gleichen Diskussionen über die Vor- und Nachteile der direkten Demokratie. In der Regel läuft das so ab: Ein Dachdecker und ein Soziologiestudent sitzen am Tisch und unterhalten sich über Volksabstimmungen. Der Dachdecker sagt: "Dann hören die da oben endlich auf uns!" Der Soziologiestudent daraufhin: "Ja, aber Populisten hätten dann viel leichteres Spiel." Der Dachdecker: "Ist mir egal, ich will direkt abstimmen können, schließlich zahle ich deren Gehälter." Der Soziologiestudent: "Die Erfahrung zeigt aber, dass in einer direkten Demokratie die Gefahr irrationaler Entscheidungen größer ist. Die einfachen Leute verstehen die komplexen Themen doch gar nicht."

Das illustriert sehr gut, worum es bei der Debatte um Volksabstimmungen und um das Referendum zum Brexit überhaupt geht: Wem trauen wir zu, wichtige Entscheidungen zu treffen und wie ernst nehmen wir die Lebensrealitäten unserer Mitmenschen?

Mein Eindruck ist ernüchternd. Es gibt eine tiefsitzende Angst vor dem vermeintlich dummen Mitmenschen, selbst wenn man ihm im täglichen Leben kaum begegnet. Auf ein solches Lagerdenken haben Rassisten kein Patent; das gibt es auch im jungen, gebildeten und weltoffenen Milieu, das sich jetzt lautstark zu Wort meldet und beklagt, der einfache Mann sei dumm und würde Europa mit eben jener Dummheit in den Kollaps reißen. Die Alten und Ewiggestrigen hätten den jungen Menschen die Zukunft geraubt, dabei sind die Jungen einfach nicht in ausreichender Zahl zur Wahl gegangen. Das Pseudoargument der Dummheit ist dabei genau so schnell zur Hand wie der Nazivorwurf. Beide sind äußerst praktisch: Man muss sich mit den Menschen nicht weiter auseinandersetzen, schließlich hat man ja auch wenig Zeit und abends schon was vor. Böhmermann hat 'nen neuen Song und Joko und Klaas laufen im Fernsehen.

Ihr habt doch nur Angst um euer Informationsmonopol

Es gibt gute Gründe für Referenden und es gibt gute Gründe dagegen. Am Ende ist alles eine Frage der Prioritäten - und der Geisteshaltung. Wer sich gerne über seine Mitmenschen stellt und seine subjektive Meinung für die objektive Wahrheit hält, wird Volksabstimmungen eher abgeneigt sein. Damit spielt man den Eliten in die Hand, denn auch unter ihnen scheinen sich viele vor dem vermeintlich dummen Menschen zu fürchten. Entsprechend respektlos geht man in Brüssel mit dem Willen der Wähler um. Erste Reaktion: Noch mehr Zentralismus, noch mehr Bürokratie, noch mehr wir von oben gegen euch da unten. Gleich regen sich auch Stimmen, die an den Briten ein Exempel statuieren und den Zugang zum EU-Binnenmarkt nur gegen teure Kompromisse hergeben wollen. Nicht, dass der Pöbel noch einmal auf derart dumme Ideen kommt.

Selbstverständlich funktioniert Demokratie aber nur, wenn möglichst viele mitmachen. Sie muss schließlich repräsentativ sein. Studien zeigen, dass direkte Demokratie nicht unbedingt zu mehr Beteiligung führt, die Menschen sich mit den Ergebnissen der Abstimmungen aber besser identifizieren können. Auch scheint es einen Zusammenhang zwischen subjektiv wahrgenommener Zufriedenheit und der Möglichkeit der Teilnahme an Direktabstimmungen zu geben. Das allein ist ein großer Gewinn für die Demokratie. Kritiker bemängeln hingegen die soziale Selektivität: In der Regel sind es die gebildeten und gut informierten Menschen, die an Referenden teilnehmen. Aber ist dies in der repräsentativen Demokratie anders? Und vor allem: Wäre es nicht besser, dafür Sorge zu tragen, dass diese Menschen wieder Zugang zu ausreichend und ausgewogener Information bekommen? Wir schaffen das, und so?

Nein, denn in Wahrheit fürchtet man den Verlust des eigenen Informationsmonopol und die Rache des dummen Mitmenschen: Was wenn auf einmal niemand mehr auf uns hört und plötzlich alle anfangen konservative Parteien zu wählen? Was wenn auf einmal niemand mehr an Multikulti und den Traum offener Grenzen glaubt? Was wenn die ganzen dummen Menschen auf einmal die Nase voll haben von Nudging und Paternalismus? Das zieht sich durch alle politischen Debatten und ist einer der Gründe dafür, dass in Ostdeutschland Menschen auf die Straße gehen, "Lügenpresse" skandieren und in diesem Klima des Entrechtetseins Flüchtlingsheime brennen. Das Mitspracherecht dieser Menschen wurde zum Preis der Machterhaltung derer geopfert, die ihre subjektive Realität für moralischen Konsens halten.

Die EU ist ein Klub mit freiwilliger Mitgliedschaft

Ich stelle mir die EU wie einen Klub vor: Die Mitgliedschaft ist freiwillig und es ist Sache des Mitglieds, ob es weiter im Klub bleiben möchte oder nicht. Dass die anderen Mitglieder entscheiden, dass du Mitglied bleiben musst und dir ihre Bedingungen aufzwingen, kann nicht richtig sein. Und doch ist es gerade dieses Gefühl, von einem elitären Verein auf der anderen Seite des Kanals genötigt und bevormundet zu werden, das letztlich wohl den Ausschlag für den Brexit gab. Das Ergebnis ist ein dickes „Fuck you!“ an diejenigen, die bestimmen wollen, was sein darf und was nicht. Trotz der Schwierigkeiten, die der Brexit mit sich bringt, ist das irgendwie auch eine gute Nachricht.

Karim Dabbouz (29) lebt im Ruhrgebiet.

Foto: Tomaschoff

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Thomas Weidner / 05.07.2016

Ein kluger Artikel.

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