Es sollte das höchste und prächtigste Gebäude der Welt werden. Anfang der Dreißiger Jahre befahl der 1927 an die Macht gekommene sowjetische Diktator Stalin den Bau eines „Palastes der Sowjets“ in Moskau. Das gigantische Projekt wurde unter westeuropäischen Architekten freudig aufgenommen. Die Größten ihrer Zunft beteiligten sich an der Ausschreibung und lieferten Entwürfe, darunter Le Corbusier, Walter Gropius, Gründer des legendären Bauhauses, und Erich Mendelsohn, heute Klassiker der Moderne.
Getreulich erfüllten sie die Wünsche des Bauherren: riesige Freiflächen für Massenaufmärsche und zahllose Konferenz- und Versammlungssäle für bis zu 15.000 Personen. Dabei versuchten sie, die Vorgaben des an Masseninszenierungen interessierten Regimes mit der Formensprache neuen Bauens zu verbinden, eine Gratwanderung zwischen eigenem künstlerischen Anspruch und den Ansprüchen einer Regierung, deren staatsterroristischer Charakter schon in der Anfangszeit des Stalinismus niemand verborgen bleiben konnten, auch wenn die Zeiten des „Großen Terrors“ noch bevorstanden.
Architekten wollen vor allem eines: bauen. Sie wollen, dass ihre mit schnellem Strich aufs Papier geworfenen Visionen irgendwann einmal Realität werden. Denn nichts ist frustrierender, als nur für die Schublade zu werkeln. Und weil selbstbewusste Architekten, vor allem, wenn sie als „Stararchitekten“ gehandelt werden, es nicht gerne sehen, wenn ihnen allzu viele Köche den Brei verderben und ihre Entwürfe bis zur Unkenntlichkeit verwässern und entstellen, greifen sie gerne zu, wenn die Aufträge aus Ländern kommen, in denen vielleicht nur ein Einziger das Sagen hat, in denen die Normen schlank sind und nicht zu erwarten ist, dass das plötzliche Auftauchen eines Juchtenkäfers oder einer Zauneidechse das schöne Projekt zu Fall bringt.
„Ich bin eine Hure. Ich bin ein Künstler“
Es ist deswegen nur allzu verständlich, wenn der Wiener Architekt Wolf D. Prix, Gründer des avantgardistischen Architekturbüros Coop Himmelb(l)au, einer der bekanntesten Vertreter des Dekonstruktivismus und Schöpfer etwa der spektakulären BMW-Motorwelt in München, zwei Aufträge in Wladimir Putins Reich in Angriff genommen hat. Es handelt sich wieder einmal um Paläste, wenngleich keine Sowjet-, sondern Kulturpaläste: einen im sibirischen Kemerowo, einen weiteren in Sewastopol auf der Schwarzmeer-Halbinsel Krim. Die Bauten gehören zu insgesamt vier Leuchtturmprojekten der Kultur, die auf Putins Initiative in Rekordzeit, nämlich schon bis 2023 realisiert werden sollen. 2024 finden die nächsten russischen Präsidentschaftswahlen statt.
Nun wurde die Krim 2014 in einer Undercover-Aktion von russischen Verbänden besetzt und Russland daraufhin vom Westen mit diversen Sanktionen bestraft, die bis heute gelten. Wolf D. Prix muss sich deswegen unschöne Fragen gefallen lassen. Wie er in einem gewissermaßen besetzten Gebiet bauen kann für ein Regime, das auf eklatante Weise völkerrechtswidrig handelte, indem es einen nicht unbedeutenden Teil des Nachbarlandes Ukraine annektierte und zudem einen bis heute nicht befriedeten Krieg in der ukrainischen Bergbauregion Donbass anzettelte.
Prix‘ Antwort in einem Artikel von Gerhard Matzig im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung war nicht so offensiv wie die des US-Stararchitekten Philip Johnson, der einmal bekannte, er würde notfalls für „den Teufel persönlich“ bauen: „Wer mich beauftragt, kauft mich. Ich bin käuflich. Ich bin eine Hure. Ich bin ein Künstler.“ Der Wiener dagegen wand sich fast körperlich sichtbar: Er baue definitiv nicht für Hitler oder den Teufel, sondern für Putin. Und der sei auch nicht der Bauherr, das sei die Russische Föderation, und außerdem gehe es nicht um eine Kaserne, sondern einen Kulturbau. Nie davon gehört, wie schön sich Kultur in den Dienst der Propaganda nehmen lässt?
„Für diese Probleme ist die Politik zuständig, nicht die Architektur“
Der Casus stellt sich aber noch etwas komplizierter dar. Eigentlicher Auftraggeber ist nämlich die russische Stiftung Nationales Kulturerbe der Holding Rosneftegaz. Für die Bauarbeiten wiederum soll der Konzern Stroytransgaz verantwortlich sein, der den Auftrag laut SZ im Sommer 2019 von dem Konzern Stroygazmontage übernommen hatte. Letzterer gehört dem mit Putin eng verbandelten Baumagnaten Arkadi Rotenberg, der auf der Sanktionsliste der EU steht, weil er eine Brücke vom russischen Festland auf die nun ebenfalls russische Krim gebaut hatte. Das alles ist Prix nicht unbekannt.
Allerdings: Architekten wollen (siehe oben) bauen. Das geht im Gegensatz zu Deutschland, wo sich „Großprojekte“ über Jahrzehnte ziehen, besonders gut in autoritären oder diktatorisch geführten Staaten. China zählt dazu, wo das Schweizer Büro Herzog & de Meuron für die Olympiade 2008 in Peking ein neues Nationalstadion („Vogelnest“) hochzog und sich von Menschenrechts-Aktivisten insistierende Fragen gefallen lassen musste. Ähnlich erging es der irakisch-britischen Architektin Zaha Hadid, als sie in Baku ein später preisgekröntes Bauwerk schuf, das dem Andenken des 2003 verstorbenen aserbaidschanischen Staatschef Heydar Alijew gewidmet ist, dem, wie auch der chinesischen Führung, schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen wurden.
Und auch für Hadids Stadion für die WM 2022 in Katar hagelte es Vorwürfe wegen der schlechten Arbeitsbedingungen dortiger Wanderarbeiter. Franz Beckenbauer hatte sich seinerzeit mit der Bemerkung verewigt, er habe „dort keine Sklaven gesehen“. Die 2016 verstorbene Architektin selbst sagte auf entsprechende Nachfragen, für diese Probleme sei die Politik zuständig, nicht die Architektur.
„Die Frage ist, wie man baut“
Prix hatte seine Kollegin 2014 gegen die Vorwürfe in Schutz genommen:
„Die Diskussionen über Zaha Hadids Architekturen werden immer lächerlicher. Sie ist berühmt, hat sehr viele Aufträge, und das weckt Neid. Ich kenne keinen Architekten, der, vor der Frage stehend, ein Kulturzentrum nach seinen Vorstellungen in Baku zu bauen oder nicht, wildentschlossen aus moralischen Gründen diesen Auftrag abgelehnt hätte. Ich kenne aber viele Architekten, die nie gefragt wurden und deshalb umso empörter diejenigen verurteilen, die Aufträge aus den sogenannten Diktaturen annehmen. Aber die Frage ist nicht, ob man in autoritären Gesellschaften bauen kann, sondern die Frage ist, wie man baut.“
Weiter sagte er, würden Architekten heute mit immer größeren, auch „scheinmoralischen“ Verpflichtungen beladen, zugleich werde aber ihr Einfluss auf das Baugeschehen immer geringer.
Hier spricht Prix noch einmal klar aus, wonach Architekten streben: Sie wollen, dass ihre Pläne Gestalt annehmen, und zwar am besten unbeeinflusst von finanziellen oder demokratischen Zwängen. Dafür sind manche von ihnen bereit, zweifelhafte Verbindungen einzugehen. Johnson und Hadid bekannten sich dazu. Prix hingegen, der sein Büro 1968 im Jahr der Studentenrevolten gegründet hatte, um die Architektenszene im linksrevolutionären Geist aufzumischen, scheint immer noch seinen längst desavouierten Idealen nachzuhängen, als „wir wirklich fest daran geglaubt (haben), mit Architektur die Welt verändern zu können“.
Der „Star“architekt versinkt selbst im Sumpf seiner Widersprüche
Daraus wurde nichts, stattdessen hat die Welt die Architekten verändert. Von seinen altlinken Träumen möchte Prix indes nicht ablassen, wenn er etwa gegen den bei Investoren gerade ziemlich beliebten Neoneoklassizismus wettert, der einer „typisch bourgeoisen, reaktionären Haltung“ entspreche. Dazu gesellen sich dann noch die üblichen Ergebenheitsadressen an den Zeitgeist der Nachhaltigkeit, wobei die architektonischen Skulpturen des Büros Coop Himmelb(l)au alles andere sind als ökologisch, bestehen sie doch vor allem aus sehr viel nutzlos umbautem Raum.
Nachtrag: Den Zuschlag für den Bau des Palastes der Sowjets erhielt auf Stalins Geheiß nicht einer der westeuropäischen Avantgardisten, von denen sich später Walter Gropius immer wieder Hoffnung auf Projekte in Nazideutschland machte, sondern an den Sowjetarchitekten Boris Iofan, der einen monströs verkitschten Entwurf im sich ankündigenden Zuckerbäckerstil eingereicht hatte. Realisiert wurde das Machwerk nie, weil das vorgesehene Baugelände an der Moskwa zu sumpfig war.
Prix‘ Entwurf für das Kulturzentrum in Sewastopol, dessen schnittige Raumschiff-Konturen in peinlich-anbiedernder Weise die nach vorne in eine lichte, rote Zukunft weisenden Umrisse des Denkmals für die Verteidigung Sewastopols im Zweiten Weltkrieg im Stil des sozialistischen Realismus aufnehmen, wird das nicht passieren. Eher schon versinkt der „Star“architekt selbst im Sumpf seiner Widersprüche. Und mit ihm der linke Medienmainstream, der Prix und seine himmelb(l)auen Mannen immer als Lichtgestalten „antibürgerlichen“ Bauens protegiert hatte.