Die digitale Beherrschung der Bürger

Die UN hat eine Kampagne gestartet, bei der zunächst in elf Ländern digitale Identitätsnachweise ausprobiert werden sollen. Alte Bekannte wie die Gates-Stiftung sind beteiligt und auch die EU plant, die Bürger mit einer „einzigartigen und sicheren europäischen digitalen Identität“ zu versehen.

Am 8. November starteten die Vereinten Nationen über ihr „Entwicklungsprogramm“ (United Nations Development Programme, kurz: UNDP) eine Kampagne mit dem Titel „50-in-5“. Damit wollen sie eine „sichere, inklusive und interoperable digitale öffentliche Infrastruktur“ (Digital Public Infrastructure, kurz: DPI) voranbringen. Das UNDP wurde 1965 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen ins Leben gerufen und ist die zentrale Organisation der UN-Entwicklungsfonds und -programme. Es spielt außerdem eine Schlüsselrolle bei der Umsetzung der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs), die 2015 von den Vereinten Nationen in der Agenda 2030 verabschiedet wurden. Dabei geht es erklärtermaßen um die Transformation der Welt hin zu Klimaneutralität, wofür Gesellschaft und Wirtschaft umfassend und in kurzer Zeit verändert werden müssen.

Das Amt des Leiters des Entwicklungsprogramms ist das dritthöchste Amt innerhalb der Hierarchie der Vereinten Nationen, unmittelbar nach dem Generalsekretär der Vereinten Nationen und seinem Stellvertreter. Es wird derzeit von dem deutsch-brasilianischen Politiker Achim Steiner bekleidet, der zuvor unter anderem als Exekutivdirektor des UN-Umweltprogramms (UNEP) in der Nachfolge von Klaus Töpfer tätig war. Der UNDP-Exekutivausschuss besteht aus Repräsentanten aus 36 Ländern weltweit, die nach einem Rotationsprinzip eingesetzt werden. Deutschland ist seit 2017 der größte Geldgeber von UNDP mit einem Gesamtbetrag von circa 378 Millionen US-Dollar pro Jahr. Das UNDP-Deutschlandbüro mit Sitz in Bonn und Berlin festigt nach eigenen Angaben „die unverzichtbare Partnerschaft mit Deutschland zur Realisierung von UNDP's Mission, extreme Armut zu beenden, Ungleichheit zu verringern, die Widerstandsfähigkeit gegenüber Krisen und Schocks zu stärken und strukturelle Transformationen zu beschleunigen, und positioniert UNDP als Deutschlands bevorzugten Partner bei der Umsetzung der 17 SDGs“.

Für die 50-in-5-Kampagne wurden elf „First-Mover“-Länder ausgewählt: Bangladesch, Estland, Äthiopien, Guatemala, Moldawien, Norwegen, Senegal, Sierra Leone, Singapur, Sri Lanka und Togo. In diesen Länden, die als „Leuchttürme des Fortschritts“ dienen sollen, sollen nun ID- und Datenaustauschsysteme erprobt werden, die angeblich ein entscheidender Beschleuniger für die UN-Nachhaltigkeitsziele (SDGs) sein sollen. Innerhalb von fünf Jahren sollen 50 Länder bei dieser „50-in-5“-Kampagne mitwirken, die in Zusammenarbeit mit der Bill & Melinda Gates Foundation, dem Centre for Digital Public Infrastructure, dem Co-Develop Fund sowie der Digital Public Goods Alliance durchgeführt wird.

Der Co-Develop Fund ist ein Fonds, der ebenfalls unter anderem von der Gates- und der Rockefeller-Stiftung gefördert wird, und auch in der Digital Public Goods Alliance tauchen als Mitglieder unter anderem die Gates- und die Rockefeller-Stiftung sowie das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung BMZ auf. Finanziert wird die Kampagne von GovStack (einem UN-Projekt, das wiederum vom BMZ unterstützt wird), der Inter-American Development Bank und UNICEF. Insgesamt will die Kampagne zu einer „radikalen Verkürzung der DPI-Implementierungsphase“ beitragen.

Mehr Schaden als Nutzen

Mit DPI ist eine umfassende digitale öffentliche Infrastruktur gemeint, die auch ein biometrisches digitales Identitätssystem einschließt. Nun ist gegen sinnvolle Digitalisierung nichts einzuwenden, doch der Komplex aus Identität, Zahlungen, Dokumenten und Datenverwaltung ist höchst anfällig für Missbrauch und schlichtweg auch für Fehler, wie etwa die jüngsten Pannen bei der Postbank zeigen. In Indien wurde beispielsweise das biometrische digitale Identitätssystem Aadhaar eingeführt, auf dessen Grundlage das Unified Payments Interface (UPI) für digitale Zahlungen funktioniert. Mit ihrer 12-stelligen Aadhaar-Nummer können die Bürger Indiens außerdem online auf Dokumente wie Steuerunterlagen oder auch Impfzeugnisse zugreifen.

Allerdings hat sich die DPI-Technologie als nicht gerade unproblematisch erwiesen: So lässt sich das System relativ leicht mit falschen Anmeldedaten oder gefälschten Fingerabdrücken austricksen. Im August dieses Jahres hatte das UNDP schon eine Broschüre veröffentlicht mit dem Titel: „Accelerating The SDGs Through Digital Public Infrastructure: A Compendium of The Potential of Digital Public Infrastructure“. (Zu deutsch etwa: „Beschleunigung der SDGs durch digitale öffentliche Infrastrukturen: Ein Kompendium über das Potenzial der digitalen öffentlichen Infrastruktur“.) Hier lässt sich wunderbar nachlesen, was alles unter DPI subsumiert werden kann.

Auch die Tatsache, dass vor allem Stiftungen, die eng mit Digitalkonzernen verbunden sind, auf die beschleunigte DPI-Umsetzung drängen, spricht eher dafür, dass die Interessen der Konzerne im Vordergrund stehen. Als Deckmäntelchen dient dabei die angeführte Begründung, dass durch DPI die Verwirklichung der UN-Nachhaltigkeitsziele schneller erreicht würden. In einem von der medizinischen wissenschaftlichen Fachzeitschrift BMJ kürzlich veröffentlichten Artikel kritisierten die drei Wissenschaftler Jonathan Shaffer, Arsenii Alenichev und Marlyn Faure denn auch ausdrücklich eine weitere Initiative der Gates-Stiftung, durch die Gesundheits-Projekte mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen finanziert werden sollen. Die Wissenschaftler kommen zum Ergebnis, dass die Einführung dieser KI-Instrumente in die ohnehin schon fragilen Gesundheitssysteme mehr Schaden als Nutzen anrichten würde.

Außerdem stellen sie fest:

„Zu den weiteren Rechtsverletzungen, die wahrscheinlich mit der weit verbreiteten Einführung von KI einhergehen werden, gehört die unerwünschte und uneingeschränkte Überwachung, auch und gerade im Bereich Gesundheit und Medizin. Allgegenwärtige Dateneingaben, Geräte und Wearables, die eine wachsende Zahl biometrischer Daten aufzeichnen, und die geografische Verfolgung durch globale Positionierungssysteme (GPS) ermöglichen die Entwicklung 'hochgradig personalisierter und gezielter Marketing- und Informationskampagnen sowie stark ausgeweiteter Überwachungssysteme'. Abgesehen von aufdringlicher, manipulativer und erpresserischer gezielter Werbung kann dieser Überwachungsapparat von politischen Akteuren und Staaten eingesetzt werden, um den Diskurs in sozialen Medien zu kontrollieren, die Aktivitäten der Bürger zu überwachen und die politische Meinung und das Wählerverhalten zu beeinflussen. Das Schreckgespenst autoritärer Regime, die KI zur sozialen Kontrolle einsetzen, scheint ein immer wahrscheinlicheres Szenario zu sein. Das Fehlen einer demokratischen Kontrolle dieser Instrumente ist eine ernste und wachsende Gefahr.“

Dann darf man eben nicht einreisen

Wie es der Zufall so will, einigten sich am 9. November übrigens auch die EU-Gesetzgeber auf eine Digitale Brieftasche. Und einen Tag zuvor erzielten Vertreter des EU-Parlaments und der Ratsvorsitz eine vorläufige Einigung für eine europäische digitale Identität (eID). Mit der digitalen Brieftasche sollen sich Bürger in Zukunft in der ganzen EU ausweisen können. Dazu betonte Kommission-Vizepräsidentin Věra Jourová:

„Die Brieftasche für digitale Identitäten wird eine neue Ära des digitalen Jahrzehnts einläuten, da sie eine bequeme und sichere Möglichkeit darstellt, persönliche digitale Dokumente zu verwalten und täglich auf öffentliche und private Online-Dienste zuzugreifen. Die Europäerinnen und Europäer werden die Kontrolle über ihre persönlichen Daten haben und diese, wenn sie es wünschen, über eine App auf ihrem Telefon weitergeben können.“

Und EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton ergänzte:

„Die heutige Einigung ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum EU-Ziel für 2030, allen europäischen Bürgern die Möglichkeit zu geben, eine sichere und die Privatsphäre schützende digitale Identität zu nutzen. Die EU-Brieftasche für digitale Identitäten wird den Bürgern die Kontrolle über ihre Daten geben und die Sicherheit bei der Nutzung von Online-Diensten erhöhen. Sie wird die technologische Souveränität Europas stärken und uns helfen, die heutigen und zukünftigen Herausforderungen der Digitalisierung zu bewältigen.“

Ob die EU-Bürger der Beteuerung, dass sie die Kontrolle über ihre Daten behalten, Glauben schenken werden? Jedenfalls müssen neben den öffentlichen Dienstleistern auch die im Rahmen des Gesetzes über digitale Dienste (Digital Services Act, kurz: DSA) benannten sehr großen Online-Plattformen wie beispielsweise Amazon, Booking.com oder Facebook sowie private Dienste, die gesetzlich verpflichtet sind, ihre Nutzer zu authentifizieren, den digitalen Identitätsnachweis akzeptieren. Neben der sicheren Speicherung ihrer digitalen Identität können die Nutzer mit der Brieftasche auch Bankkonten eröffnen, Zahlungen tätigen und digitale Dokumente wie einen mobilen Führerschein, ein ärztliches Rezept, ein Berufszertifikat oder ein Reiseticket aufbewahren. Darüber hinaus können die digitalen Brieftaschen mit bestehenden nationalen eID-Systemen verbunden werden.

Dafür sollen die EU-Bürger nun also über eine „einzigartige und sichere europäische digitale Identität“ verfügen. Wörtlich heißt es in der Pressemitteilung des Europäischen Rats: „Die Bürger werden in der Lage sein, ihre Identität nachzuweisen und elektronische Dokumente aus ihren digitalen Brieftaschen vom Mobiltelefon aus mit einem Klick weiterzugeben.“ Die Kontrolle durch die Nutzer soll dafür sorgen, dass lediglich erforderliche Informationen weitergegeben werden. Fragt sich nur, was in einer konkreten Situation mit „erforderliche Informationen“ gemeint ist. Falls beispielsweise die Einreise in ein EU-Nachbarland nur mit einem QR-Code möglich sein sollte, der den aktuellen Impfstatus dokumentiert, hat der Nutzer zwar die Möglichkeit, seine Daten – in diesem Fall seinen Impfstatus – nicht preiszugeben. Dann darf er halt nur nicht einreisen.

 

Martina Binnig lebt in Köln und arbeitet u.a. als Musikwissenschaftlerin (Historische Musikwissenschaft). Außerdem ist sie als freie Journalistin tätig.

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Leserpost

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Franz Moll / 14.11.2023

Wenn ich lese “EU plant, Bürger mit einzigartiger und sicherer europäischer digitalen Identität” zu versehen, gehen mir sofort alle möglichen negativen Gedanken durch den Kopf: Gläserner Mensch, Winston Smith, Datenkrake, Gängelung, Anmaßung, Kontrolle ... Allein, dass die EU nur schwer in der Lage ist, so ein System aufzusetzen, tröstet mich ein bisschen. Oder erinnert sich jemand an das EU-Projekt Gaia-X? Und was kann der digital lesbare Personalausweis, den man mir vor 10 Jahren aufgedrängelt hat?

David Matthas / 14.11.2023

Und wie immer , bei jeder Schweinerei vorne weg. .die BRD , der größte Nettozahler….Sollen sich die Schäfchen mal alle chipen lassen , dann gibt es eben massive Stromausfälle und ihre virtuellen Felle schwimmen ihnen davon….

S. Zeilmann / 14.11.2023

Schmeißt doch einfach eure Smartphones weg oder schafft Euch sowas nicht an. Die Leute wurden über ihren Spieltrieb an die Hochfrequenz-Kästchen gelockt, angefixt bis sie ohne nicht mehr leben können. Jetzt wird nachgelegt. Es gibt nichts effektiveres zur Kontrolle, Überwachung und Sanktionierung - siehe China. Wer will mich zwingen, ein Konsumprodukt zu kaufen (Handy) um am öffentlichen Leben teilzunehmen? Das ist diskriminierend! Abgesehen von den negative biologische Wirkungen die Hochfrequenz-Technologie auslöst. Aber auch das wird nicht offengelegt und diskutiert. Wer will schon einen Billiardenmarkt kaputtmachen und die Verlockungen eines weltumspannden Kontrollsystems aufgeben. In der Zusammenschau aller auf europäischer und weltweiter Ebene geplanten und z. T. schon eingeführten “digitalen Wohltaten” ergibt sich ein Bild der Demokratiezertörung, Beschränkung der Meinungsfreiheit, Aushöhlung des Rechtsstaates und Abbau der Menschenrechten - alles Werte, deren Heiligkeit von den politischen Akteuren verbal doch so hochgehalten werden. Diesen Blick haben aber nur “Verschwörungstheoretiker”.

Block Andreas / 14.11.2023

Da wird die Mehrheit der Schlafschafe begeistert mitmachen wenn es soweit ist….und wenn nicht, gibt es einfach eine Bratwurst umsonst…. hat ja bei der Giftspritze auch funktioniert….

Steffen Huebner / 14.11.2023

Robert@Schleif, jeder Feind meines Feindes ist mein Freund. Proteste werden wohl nichts bringen, aber jeder sollte wo es nur geht, viel digitalen Daten- Sand ins Getriebe schütten. Grotesk:  “Deutschland ist seit 2017 der größte Geldgeber von UNDP mit einem Gesamtbetrag von circa 378 Millionen US-Dollar pro Jahr.” Offensichtlich sollen wir den Kakao durch den wir gezogen werden, auch noch trinken.

Volker Kleinophorst / 14.11.2023

@ R. Schleif In den 70ern hatten wir einen Deutschaufsatz: “Orwell oder Huxley - Wie wird es kommen?” Meiner Meinung nach: Ein Mix aus beiden. Der Deutschlehrer, der mich trotz oder auch wegen Leistungsträger genau so wenig abkonnte, wie ich ihn, gab mir (nur) ein befriedigend, weil ich mich um die Antwort gedrückt hätte. Finde ich immer noch lustig. Also: Orwell wäre richtig gewesen, Huxley auch. Aber keinesfalls ein Mix daraus. Originalzitat Lehrer: BILDzeitungsniveau. Auf einem Schulfest traf ich “Weingummi-Sam” wieder. Ich war auf der Springerjournalistenschule. Sam: “Ich wusste, Sie landen mal bei der BILD.” (War damals noch eine Beleidigung, weil BILD noch nicht links war.) “Das Sie immer noch hier sind, überrascht auch Keinen.” Finde ich auch immer noch lustig. Schlimm: Dieser Lehrer war 100mal besser, als die Pfeifen die heute den Volkserzieher geben.

j. heini / 14.11.2023

“Wurden “ausgewählt”: Diese Länder mußten nicht zustimmen? Norwegen und Estland. Die Vereinten Nationen: Undemokratisch wie die WHO, aber mächtig. Ich zweifle die Berechtigung unserer Regierungen an, Verträge mit solchen Institutionen zu schließen, und sich zu verpflichten, die Beschlüsse in nationales Recht umzusetzen. Ich zweifle auch das Recht an, die Beschlüsse dieser Institutionen dann an der Öffentlichkeit vorbei im BT und BR (ist der überhaupt involviert?) in nationale Gesetze zu überführen. Aber anscheinend hält das BVErfGE das ja alles für demokratisch. Die Vorbereitung der Weltherrschaft schreitet voran. Leider ohne Hakenkreuz, so dass unsere Konditionierung nicht ausgelöst wird. Und unsere Datenschützer schweigen. All die Daten bei Unternehmen sind ja schon bedenklich genug. Aber beim Staat sind sie für jeden Einzelnen von uns irgendwann tödlich. Die Möglichkeiten, die wir dem Staat zubilligen, wird er irgendwann nutzen. Da sollte sich keiner etwas vormachen. Dafür muss nur ein Gesetz geändert werden. Das ist nicht schwer.

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