Richard Wagner / 13.08.2011 / 22:51 / 0 / Seite ausdrucken

Die Dialektik der Mauer

Eine der größten Blamagen des Kommunismus ist sicherlich der Bau der Berliner Mauer. Noch im Sommer 1961 erklärte Parteichef Walter Ulbricht auf einer Pressekonferenz, niemand wolle eine Mauer errichten. Die Bauarbeiter Berlins seien vielmehr mit dem Bau von Wohnungen beschäftigt. Wer die totalitären Gepflogenheiten kannte, wusste, dass mit dem Gegenteil zu rechnen war. Der Mann redete sich viel zu ausführlich heraus.

Zu den wichtigsten Instrumenten der Machtausübung im Totalitarismus gehört der Umgang mit der Sprache. Eine Langzeitdiktatur kann nicht allein durch Repression bestehen, sie wird diese mit der Zeit durch Manipulation ergänzen oder sogar ersetzen.

Der Kommunismus hatte aber auch noch eine weitere Methode zur Verfügung, die Entwertung der Sprache durch die Einordnung in den offiziellen Jargon. Dieser wirkte schlicht zermürbend. Wer einmal ein Neues Deutschland, die Tageszeitung der SED, in der Hand hatte, weiß, dass ein Zeitungsartikel kein Zeitungsartikel ist, und die Zeitung selbst auch keine Zeitung. Man hat nur die Form gewahrt. Die Inhalte hingegen folgten der Logik der Agitation. Agitation aber hieß nicht Mobilisierung für eine propagandistische Idee, sondern die platte Erfindung eines Themas, um die Öffentlichkeit damit zu beschäftigen. Ein solches Thema war der Weltfrieden. Er spielte auch beim Mauerbau eine gewisse Rolle.

Man kann nicht die gesamte Bevölkerung in Haft nehmen, man kann sie nicht einmal flächendeckend kontrollieren, aber man kann die Sprache, zumindest im öffentlichen Raum, in einen Schatten ihrer selbst verwandeln. Dabei ging es weder um Wahrheit noch um Lüge, es ging darum, den Standpunkt der Macht zu bestätigen. Statements aus den DDR-Fernsehberichten aller Art wirken wie schlecht auswendig Gelerntes. Es waren Botschaften aus der Gebetsmühle.  Sie haben die Sprache obszön gemacht.

Die Welt der Kommunisten war notgedrungen eine verkehrte Welt. Es war eine historisch einmalige Situation, dass die Staatsgrenzen nicht primär gegen die Feinde von außen kontrolliert werden mussten, sondern gegen den Fluchtplan von Millionen Menschen zu sichern waren. Die Grenztruppen der DDR mussten ihre Grenze nach innen dicht machen.
  Eines der Hauptprobleme, die der Kommunismus nicht lösen konnte, war der kollektive Wunsch in der Bevölkerung, sich bei erstbester Gelegenheit auf und davon zumachen. Die Grenze zu Westberlin wurde 1961 mit der Mauer abgeriegelt, weil die Massenflucht außer Kontrolle geraten war. Der Rest ist Spekulation oder gar Wichtigtuerei. Es soll ehemalige Offiziere der DDR Grenztruppen geben, die behaupten, durch den Bau der Mauer sei ein Dritter Weltkrieg verhindert worden. Wer hat im 20. Jahrhundert nicht alles einen Dritten Weltkrieg verhindert!

Im Jargon der offiziellen DDR hieß die Mauer im Übrigen gar nicht Mauer sondern antifaschistischer Schutzwall. Was aber ist ein antifaschistischer Schutzwall, und wer kommt auf die Idee, ein Wort so zu verdrehen? Auf der anderen Seite der Mauer stand schließlich nicht die Waffen-SS, und auch nicht die Gestapo, sondern die Westalliierten und die West-Berliner Polizei. Alles Faschisten? Auch der Regierende Bürgermeister und ehemalige Emigrant Willi Brandt?

1966 veröffentlichte der DDR-Dichter und spätere Büchner-Preisträger Volker Braun , ein Gedicht mit dem Titel „Die Mauer“, ein höchst ambivalentes Stück Text, in seiner akrobatischen Dialektik und Hölderlin-Verklausulierung nicht untypisch für das Um-die-Ecke-Denken der linken Intellektuellen in Deutschland Ost aber auch West . Heute ist das Gedicht kaum noch zu verstehen. Damals aber, so sieht es jedenfalls sein Verfasser, sei es schon mutig und riskant gewesen, die Mauer eine Mauer zu nennen, wo sie doch ein antifaschistischer Schutzwall war.

Ein anderer ehemaliger DDR Dichter, Peter Hacks, er selbst ein Solotänzer im DDR-Literaturbetrieb, durch die Mischung aus eiskaltem Leninismus und gewollt aristokratischem Gehabe, machte noch 1999, ganze 10 Jahre nach dem Fall der Diktatur, und dem Verschwinden ihres Staatsgebildes ins historische Nichts, ein Gedicht auf die Mauer publik, eine dreiste zynische Eloge, offensichtlich zur Provokation für alle gedacht, denen die Menschenwürde am Herzen liegt. Hacks, wortwörtlich: „Der Erdenwunder schönstes war die Mauer“. Er bezeichnet sie im Weiteren sogar noch als „Gesamtkunstwerk“.
Natürlich muss man so etwas nicht ernst nehmen. Man kann es auch ignorieren. Vielleicht wollte der Autor ja auch nur eine Debatte, die ihm nicht passte, ad absurdum führen. Die Mauer war eines der Symbole des Kommunismus, ein Symbol im Schlagabtausch zwischen Ost und West.  Sie zeigte die Hilflosigkeit der Machthaber im Osten, angesichts der Realität des Ostens und der Wahrheit des Ostens. Die sozialistische Gesellschaft war nicht lebensfähig. Man mag noch so viele Erklärungen finden, Ausreden. Der wahre Grund für den Untergang des Kommunismus ist seine Unfähigkeit, die Rahmenbedingungen für eine Gesellschaft zu schaffen, die das Leben des Menschen lebenswert macht.

Es ist bis heute nur schwer zu verstehen, wie der Kommunismus unter den Intellektuellen so viele Anhänger finden konnte. Sie, Gegner des Kapitalismus, sahen stets anstatt der Realität des Kommunismus ihre Vorstellung von ihm. Sie sahen nicht die sozialistische Gesellschaft den grauen Alltag, die seelische Verwahrlosung, die geistige Öde und die Perspektivlosigkeit der Bevölkerung, sie sahen Utopia. So fanden nicht wenige auch für alles, was es an Schrecklichem in diesem Osten gab, eine Erklärung.
Auch für die Mauer fanden sich schnell Argumente. Angeblich sollte sie ja dem Sozialismus nützen. Nicht wenige Intellektuelle erwarteten nach der Abschottung mehr Freiheiten für Kunst und Wissenschaft. Die Parteiführung hatte wohl tatsächlich durchblicken lassen, dass sie dazu bereit wäre. Es war eine Lüge, um die kritischen Denker vom Stillhalten zu überzeugen. 

So ließ die Wahrheit nicht allzu lange auf sich warten. Bereits 1965, auf dem berüchtigten 11. Plenum der Partei wurden Kunst und Wissenschaft ein weiteres Mal zur Ordnung gerufen. Es wurden die neuesten Filme verboten, in denen ein bisschen mehr an Freiheiten zu sehen war und die neuesten Bücher abgestraft, die ein bisschen lockerer mit dem Staatsjargon umgingen. Im Übrigen waren das keine staatsfeindlichen Werke sondern bloß weniger dogmatische Sichtweisen auf das System, das von den zensierten Künstlern und Schriftstellern grundsätzlich akzeptiert wurde. Es war für sie das „bessere Land“, wie der Titel einer Lyrikanthologie behauptete.

Wer aber an das „bessere Land“ DDR glaubte, dem war in der Tat nicht zu helfen. Er musste auch den Bau einer Mauer für sinnvoll halten. Wer für das Ganze ist, muss auch für die Details sein.

Damit aber ist auch die Rolle der einschlägigen Intelligenzia, der DDR-Befürworter und der Utopiegetriebenen geklärt. Sie hatten das kommunistische Regime, das von keinem gewählt worden war, zu legitimieren. Ein französischer Veranstalter, der 1965 den bereits in Ungnade gefallenen Liedermacher Wolf Biermann nach Paris einladen will, wendet sich in seinem Schreiben an die Parteibehörden mit folgender Argumentation: Er habe Biermann in Frankfurt am Main gehört und für ihn stehe seither die Wirkung im Ausland des Liedermachers zugunsten der DDR außer Frage. Jeder Erfolg Biermanns, so der Veranstalter Felix Lusset damals, sei ein Gewinn für die DDR als sozialistischer Staat.

Dieser Appell blieb bekanntlich erfolglos. Offensichtlich hatte die Wandlitzbande kein Vertrauen in die verbündeten Dichter und Denker . Die lautesten unter ihnen wurden sogar ausgebürgert. Auch Biermann.
(Der Artikel ist am13.8. in der gedruckten Ausgabe von DIE TAGESPOST erschienen)

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