Gastautor / 16.09.2018 / 06:20 / Foto: DonkeyHotey / 36 / Seite ausdrucken

Die Deutschen verstehen die Welt nicht mehr (2)

Von Christoph von Marschall.

Wie transatlantisch sind wir?

Die westlichen Demokratien standen schon vor der US-Wahl 2016 unter erheblichem Druck. Ganz besonders galt das für die EU-Länder. Und dann kam auch noch Donald Trump. Er wurde zum Inbegriff für alles, was falsch läuft, zumindest in den deutschen Debatten. 

Liegt das nur an ihm? Und war es unausweichlich? In der Theorie hätte sich das deutsche Verhältnis zu Trumps USA anders entwickeln können – sagen jedenfalls Nicht-Deutsche, die das Staunen noch nicht verlernt haben und das deutsche Leiden an den USA mit Verwunderung wahrnehmen. Da zieht ein Mann mit deutschen Wurzeln ins Weiße Haus ein, zum vierten Mal nach Herbert Hoover, Dwight Eisenhower und Richard Nixon. Der Großvater stammt aus Kallstadt in der Pfalz, in dem leicht amerikanisierten Nachnamen Trump lässt sich noch die deutsche Urform Drumpf erkennen. Man könnte den zwei Generationen kurzen Weg vom einfachen Einwanderer zum Präsidenten auch als Aufstiegsgeschichte erzählen – und bei allen inhaltlichen Meinungsverschiedenheiten ein wenig stolz darauf sein, dass ein Landsmann solch einen Erfolg errungen hat. 

Es kam gerade umgekehrt. Dem Präsidenten mit den deutschen Wurzeln gaben die Bundesbürger bei Fehltritten oder umstrittenen Entscheidungen keinen emotionalen Rabatt. Sie gingen schärfer mit ihm ins Gericht als andere Nationen. In den deutschen Debatten über den Zustand des Globus seit der überraschenden Wahl dieses US-Präsidenten am 8. November 2016 klingt es oft so, als sei Trump die Hauptursache der schwierigen Lage. 

In Wahrheit waren die vielfältigen europäischen Binnenkonflikte und Krisen allesamt offenkundig, bevor Trump die transatlantische Bühne betrat. Sie haben ursächlich mit ihm nichts zu tun. Sie sind älter als sein Einstieg in die internationale Politik. Doch als er ins Amt kam, passierte etwas Erstaunliches. In Deutschland redeten viele so, als sei er das entscheidende Glied in den Argumentationsketten – sowohl bei den europäischen Herausforderungen wie der Migrationskrise, der Zukunft des Freihandels, der Verteidigungspolitik, der Energieversorgung, dem Umgang mit dem Krieg in der Ukraine und mit Russland als auch bei den außereuropäischen Streitthemen. Die Medien und die Bürger in Deutschland haben oft klare Meinungen zu diesen Konflikten. Die Bundesregierung und ihre Partner in Europa üben aber wenig Einfluss aus, weil die EU-Staaten sich nicht zu einer gemeinsamen Position durchringen können oder weil sie die Risiken der Einmischung scheuen; dazu gehören zum Beispiel der Nahostkonflikt, die Rivalität zwischen Saudi-Arabien und dem Iran, die Bedrohung durch Nordkoreas Atomwaffen und der Umgang mit China. 

Ebenso wahr ist freilich, dass auch Trump keinen Stolz auf seine Familiengeschichte erkennen lässt. In früheren Lebensabschnitten schien es fast so, als wolle er seine Herkunft neu erfinden. Er gab sich als Abkömmling von Schotten oder Schweden aus. Im Wahlkampf und in den ersten anderthalb Jahren seiner Präsidentschaft benutzte er Deutschland als verbalen Prügelknaben. Ob Migrationspolitik, Verteidigungsausgaben oder Exportüberschuss: Nach seinem Urteil machte die Bundesregierung alles falsch. 

Der Januar 2017, in dem Trump als US-Präsident vereidigt wurde, war zugleich der Beginn eines Wahljahres in Deutschland mit mehreren Landtagswahlen sowie der Bundestagswahl im September. Bei ganz vielen Themen, die auch ohne direkten Bezug zu ihm hätten diskutiert werden müssen, rückte Trump ins Zentrum des Meinungsstreits. Man dürfe doch nicht ihm zuliebe die Verteidigungsausgaben allmählich in Richtung zwei Prozent vom BIP erhöhen. Im Konflikt um die gemeinsame europäische Energiepolitik und die Russland-Sanktionen hieß es nun, Deutschland dürfe sich nicht von Trump vorschreiben lassen, wie es sich versorge. Nach Trumps Ankündigung, die USA aus dem Pariser Klimaabkommen herauszuführen, konnte man in erstaunlich vielen Kommentaren lesen, China sei auf diesem Feld ein besserer Verbündeter als die USA. 

Manche bejubelten sogar den Beitritt Syriens zum Klimaabkommen – ein Bürgerkriegsland unter einem grausamen Diktator, der Giftgas einsetzt und Krankenhäuser bombardieren lässt. Es ist wohl unbestritten, dass Giftgas und Krieg nicht gerade klimafreundlich sind. Aber wichtiger war denen, die Syriens Beitritt lobten, diese Erkenntnis: Damit seien die USA der einzige Staat weltweit, der sich nicht zum Pariser Abkommen bekenne; sie seien also vollkommen isoliert. Die Häufung von Hurrikans im ersten Trump-Jahr wurde als Beleg interpretiert, wie verfehlt die amerikanische Klimapolitik sei – obwohl solche Häufungen auch in der Vergangenheit alle zehn bis zwölf Jahre zu beobachten waren. 

Überhaupt China: Das Land, das gegen so viele Prinzipien der freien Marktwirtschaft verstößt und Protektionismus praktiziert, wurde 2017 zur Hoffnung für eine liberale Handelsordnung erklärt. Denn Trump war aus der Transpazifischen Wirtschaftspartnerschaft TPP ausgetreten und drohte, die nordamerikanische Freihandelszone NAFTA (Kanada, USA, Mexiko) zu kündigen oder den Vertrag zumindest neu zu verhandeln. Kurz zuvor waren viele in Deutschland noch gegen Freihandel auf die Straße gegangen, speziell gegen ein Transatlantisches Freihandelsabkommen (TTIP). Tatsächlich hatten die TTIP-Gegner nur in drei von 28 EU-Staaten – Deutschland, Luxemburg, Österreich – in manchen Umfragen die Mehrheit gehabt, anderswo dominierten die Befürworter. Im Eurobarometer vom Herbst 2016 waren 53 Prozent der EU-Bürger für ein TTIP, 34 Prozent dagegen, 13 Prozent unentschieden. Dennoch taten die deutschen TTIP-Gegner so, als gebe es eine paneuropäische Widerstandsbewegung. Als nun aber Trump gegen Freihandel agitierte und auch noch die Wahl gewann, verebbte der Protest gegen Freihandel in Deutschland. Denn nun war es Trump, der Freihandelsverträge infrage stellte. Mit ihm wollten die TTIP-Gegner nichts gemein haben.

Auszug aus dem Buch Wir verstehen die Welt nicht mehr von Christoph von Marschall.

Den ersten Teil dieses Beitrages finden sie hier.

Christoph von Marschall ist promovierter Historiker und Diplomatischer Korrespondent der Chefredaktion des Berliner „Tagesspiegel“. 2017/18 beobachtete er Donald Trumps Präsidentschaft in Washington und hatte Zugang zum Weißen Haus. Von 2005 bis 2013 war USA-Korrespondent des "Tagesspiegel". Seine Biografie "Barack Obama. Der Schwarze Kennedy" war ein Bestseller. 

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Margit Broetz / 16.09.2018

Und bei aller berechtigten Kritik an Donald Trump, im Gegensatz zu allen anderen US-Präsidenten der letzten Dekaden ist er nun mehr als ein jahr im Amt, ohne einen neuen Krieg angezettelt zu haben!

Frank Volkmar / 16.09.2018

“Die Deutschen verstehen die Welt nicht mehr” ist meiner Meinung nach etwas irreführend, denn es setzt voraus, das die “Deutschen”  sich umblicken und irritiert feststellen, das neben ihnen niemand mehr ist. Dem ist aber nicht so, man ist frei von jedem Selbstzweifel und hinterfragt sich nicht einmal im Ansatz. Es fehlt nur das man von einer Krankheit aller anderen ausgeht, weil der eigene Weg ja richtig ist. Dieses Denken wird auch noch von den Medien ständig befeuert. Bei transatlantischem Denken fällt mir nur auf, das die Informationsinhalte die hierzulande von den Medien verbreitet werden beschränkt sind auf Trump, Unwetterkatastrophen, Massaker an Schulen, die unselige NRA, Studenten die nicht genug für den Lebensunterhalt haben, verfallende Städte der alten Stahlindustrie und den Showbusiness. Man gewinnt aus den Medien hierzulande manchmal den Eindruck, dort drüben existiert normales Leben nicht.

HaJo Wolf / 16.09.2018

Provokante Fragen, besonders an die scheinbar zahlreich vertretenen Juristen unter Lesern und Schreibern: Wer entscheidet, ob die jeweilige Handlung desjenigen, der sich auf 20.4 beruft, entsprechend diesem Artikel gerechtfertigt ist? Was ist 20.4 wert, wenn jedes beliebige (und systemhörige, sonst wäre der Richter bald im Aktenkeller verschwunden) Gericht die Handlung nicht mit 20.4. rechtfertigt?  Autorisiert Art 20.4 zu Tyrannenmord?

Dr. Inge Frigge-Hagemann / 16.09.2018

Die derzeitige Bundesrepublik würde DEUTSCHLAND zu gern eliminieren (z.B. die Szene, in der die Kanzlerin mit angeekelter Miene die deutsche Fahne vernichtet) und ich kann mich nur wiederholen: das derzeitige Deutschland ist zum Narrenschiff mutiert und keine Besserung in Sicht.

Daniel Oehler / 16.09.2018

Der Artikel geht in einer Reihe von Punkten in eine falsche Richtung: Die passende Überschrift wäre “Die Welt versteht die Deutschen nicht mehr”. Schuld ist die grün-rot gefärbte Ideologisierung der Medien. “Transatlantisch” ist ein beschönigendes Synonym für Abhängigkeit von den USA. Trump ist auf keinen Fall verantwortlich für den Abstieg Deutschlands durch grüne Technikfeindlichkeit und rote (Un-)Bildungspolitik. Aber er ist zumindest mitverantwortlich für die Spannungen zwischen NATO und Russland. Wer den Militäretat um einen Betrag steigert, der höher ist als die gesamten Ausgaben Russlands, ist kein Friedensengel sondern ein Werkzeug der Waffenhändler. Trump tritt auf internationaler Bühne - anders als Putin - nicht als Diplomat, sondern als schießwütiger Cowboy auf. Damit ist er in weiten Teilen der Welt unten durch. Im Mittleren Osten tanzt er mit dem radikalislamischen Reime in Saudi-Arabien und unterstützt deren Krieg gegen den Jemen. Die Invasion der USA in Irak und Syrien geht unter Trump munter weiter. Trump sprach von “wonderful weapons”. Durch die Waffen der USA sind allein in der arabischen Welt mehrere Millionen Menschen getötet worden. Und was Syrien angeht ist es peinlich, die Anti-Assad-Propaganda wiederzukäuen. Assad ist kein Engel, aber er steht für ein Syrien, in dem die christlichen und jüdischen Minderheiten leben können. Die saudischen Kumpel Trumps stehen für einen Nahen und Mittleren Osten, in dem Christen und Juden entweder getötet, vertrieben oder zwangskonvertiert werden. Wer mit den Saudis ins Bett geht, ist ein Teil des Problems, nicht der Lösung.

Werner Baumschlager / 16.09.2018

Das ganze Problem liegt darin begründet, dass die Amerikaner es gewagt haben, einen anderen Präsidenten zu wählen, als den von den Medien, der Politik und Hollywood ausgesuchten. Dieser Machtverlust jagt denen natürlich weltweit eine Heidenangst ein, denn wenn das Schule macht, ist Game Over für die. Wäre Trump der Erkorene gewesen, würde er heute gefeiert und gepriesen für genau die selben Dinge, für die er jetzt niedergeschrieben wird. Komplizierter ist die Sache glaub ich nicht.

Wolfgang Kaufmann / 16.09.2018

Deutschland beschreitet überhaupt keinen Weg, Deutschland dreht sich in einer permanenten Nabelschau nur um sich selbst. Trumpf verkörpert die rationale Seite, die unsere BauchdenkerInnen zwanghaft in sich unterdrücken.

Paul Braun / 16.09.2018

Die öffentliche Meinung in Deutschland wird durch deutsche Medien geprägt. Diese bedienen sich im Wesentlichen bei CNN, New YorkTimes und Washington Post. Das sind ganz offensichtliche Zusammenhänge, Herr von Marschall. Es gäbe diesen Trump-Malus nicht in der deutschen Öffentlichkeit, wenn deutsche “Qualitäts”-Journalisten objektiv wären. Das heisst, wenn sie, Fox News oder Breitbart genauso stark gewichteten.

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