Klaus-Dieter Humpich, Gastautor / 07.01.2022 / 10:00 / Foto: Pixabay / 40 / Seite ausdrucken

Die deutschen Illusionen bei der Taxonomie

Taxonomie – unter diesem Schlagwort will die EU-Kommission der Kernenergie Finanzierungswege ebnen, weil sie bei der Klimarettung hilft. Deutschland ist empört. Auch die Anerkennung der Gaskraftwerke ist kein Ausgleich.

Wenn man die staatsnahen Medien und die meisten deutschen Politiker zu der Veröffentlichung der Taxonomie zur Nutzung von Kernkraft- und Gaskraftwerken hört, denkt man unwillkürlich an „den Geisterfahrer“: Der Geisterfahrer hört in seinem Autoradio die Warnung vor einem Geisterfahrer auf seiner Strecke. Kopfschüttelnd stellt er die Frage: Wieso einer? Man kann es gar nicht fassen, dass die Europäer (bis auf die zwei Kleinstaaten Österreich und Luxemburg) alle Kernkraftwerke wollen, wo doch Deutschland so „tapfer vorangeht“. Flugs wittert man eine Verschwörung in der Veröffentlichung zum Jahresende.

Geschichte

In Wirklichkeit wird die Taxonomie seit mindestens zwei Jahren im Europäischen Parlament und Europarat heftig diskutiert. Es wurden zu den Arbeitspapieren weit über tausend schriftliche Stellungnahmen eingereicht. Allein zum Entwurf vom März 2020 haben 46.591 Interessenten ihre Stellungnahmen abgegeben. Wo waren da unsere Grünen Abgeordneten? Überdies hat die Kommission auch noch 200 Fachleute befragt und ist nicht einfach selbsternannten „Atomexperten“ gefolgt. Ausgerechnet Bündnis90/Die Grünen – die vehementen Verfechter eines europäischen Zentralstaats – sind nun ganz beleidigt, dass sie nicht ihren Willen bekommen. Dumm gelaufen. Hatte man sich doch für besonders schlau gehalten, indem man über das planwirtschaftliche Instrument einer Taxonomie die Investitionen in die nahestehende Windindustrie lenken wollte. Sozialisten sind immer ganz heiß darauf, das Geld anderer auszugeben. Nur wollen die bösen Kapitalisten ihr Geld nicht mit Windmühlen und Sonnenkollektoren verbrennen. Wenn der Staat Subventionen gibt, gern, aber wenn man eigenes Geld investieren soll, sollte am Ende auch eine hübsche Rendite stehen. Könnte sein, dass der Kinderbuchautor Habeck nun einen Schnellkursus in Wirtschaft – als bereits frischgebackener Wirtschaftsminister – bekommt. Vielleicht hätte er mal lieber die Maus vor Amtsantritt gefragt?

„Grüne“ Kernkraftwerke

Die Kommission übernimmt brutal die Theorie von der Erderwärmung durch CO2 und legt fest, dass Kernkraftwerke weniger als 100 Gramm CO2 -Äquivalent pro kWh (Abkürzung: CO2 e/kWh) in ihrem Lebenszyklus erzeugen und deshalb gut fürs Klima sind – Basta. Dabei ist festzustellen, dass ein Kernkraftwerk durch seinen Betrieb genauso viel CO2 wie ein Windrad oder eine Photovoltaik-Anlage ausstößt – nämlich nichts. Alle Anlagen benötigen aber gleichermaßen Stahl, Beton usw. Bei deren Herstellung wird natürlich CO2 freigesetzt. Wieviel, entscheiden die Bilanzierer der Planwirtschaft. Hinzu kommen noch Betriebsstoffe für z.B. LKW in der Uranmine oder die Kräne zur Montage der Windmühlen. Nur soviel: Die Angabe solcher Zahlen – ohne deren genauen Weg der Ermittlung – ist völlig wertlos. Macht sich aber gut, da sie Seriosität ausstrahlt.

Das Märchen von der nicht beherrschbaren Hoch-Risiko-Technologie

Wir erinnern uns: Nach dem Tsunami in Japan hat die größte Kanzlerin aller Zeiten spontan ihre Ministerpräsidenten zusammengerufen und den „Atomausstieg“ verkündet. Nachdem sie zuvor mit der FDP einen Wahlkampf für eine Laufzeitverlängerung geführt und gewonnen hatte. Die Anbiederung bei den Grünen war umsonst. Kurz darauf gewannen die Grünen die Landtagswahl in Baden-Württemberg und sitzen heute zusammen mit der FDP in der Bundesregierung. Witzig daran ist nur, dass der FDP heute ihre damalige Unterordnung wieder auf die Füße fällt. Gleiche Nummer noch einmal oder etwas dazu gelernt?

Egal, die Kommission hat dieses Märchen brutal zerstört, indem sie verfügt, Kernkraftwerke, die mindestens der Generation III+ entsprechen und von den nationalen Institutionen nach internationalen Regeln geprüft und genehmigt sind, sind sicher (genug). Deutschland steht es selbstverständlich zu, seine „Atomangst“ weiter zu pflegen – nur kann es nicht verlangen, die „German Angst“ auch auf andere Nationen zu übertragen.

Das Märchen von der ungelösten Entsorgungsfrage

Auch hier geht die Kommission pragmatisch vor. Die Bedingungen sind erfüllt, wenn für schwach und mittel aktive Abfälle Endlager bestehen. Für hochaktive Abfälle muss bis 2050 ein geologisches Endlager in Betrieb sein. Bis dahin reicht die Zwischenlagerung abgebrannter Brennelemente. Es gilt der Grundsatz: Wiederverwendung vor Endlagerung. Dies könnte für Deutschland noch eine böse Kröte werden. Geht man doch in Grün-Deutschland von einer Endlagerung der kompletten Brennelemente aus, damit die Mengen entsprechend groß bleiben und eine möglichst lange Gefährdung konstruiert werden kann. Was passiert eigentlich, wenn unsere Nachbarn diesen Weg für zu gefährlich halten und einen Verstoß gegen EU-Richtlinien monieren? Plötzlich sind wir nicht mehr die Musterschüler des Umweltschutzes, sondern eher die Umweltsünder Europas. Gerade Deutschland hält doch die Fahne des Recycling (auch für die letzten verdreckten Joghurtbecher) immer hoch und reibt dies allen anderen beckmesserisch unter die Nase. Ist Plastik tatsächlich gefährlicher als Plutonium?

„Grüne“ Gaskraftwerke

Wer jetzt immer noch glaubt, Deutschland könnte sich nach dem Atom- und Kohleausstieg mit Gaskraftwerken als sogenannte Übergangslösung in das Paradies der „Erneuerbaren“ rübermogeln, sollte sich schleunigst mit der Taxonomie beschäftigen. Erstaunlich ist, wie dieses Kapitel in den Medien verschwiegen wird oder sogar als Zugeständnis für Deutschland dargestellt wird. Bei Lichte betrachtet, ist diese Taxonomie eher eine Absage an Gaskraftwerke.

Übergangslösung bis 2030

Erdgaskraftwerke, für die eine Baugenehmigung bis 2030 erteilt wird, erfüllen nur dann die Taxonomie, wenn sie weniger als 270 g CO2 e/kWh freisetzen oder 550 kg CO2 e/kW als Mittelwert über 20 Jahre. Um die Tragweite dieser beiden Zahlen zu verstehen, sind eine kleine Zwischenrechnung und etwas Fachkenntnis notwendig.

Die modernsten Erdgas-Kombi-Kraftwerke, die man kaufen kann, haben einen elektrischen Wirkungsgrad von 60%, aber auch nur in ihrem Bestpunkt im Grundlast-Betrieb (d.h. sie laufen 24 h täglich, 7 Tage die Woche durch). Wären also genau die Kraftwerke, die nach unserer Talkshow-Königin Claudia Kemfert die Netze „verstopfen“ würden. Unsere Windmüller und Sonnenkönige brauchen aber Kraftwerke, die nur ihre wetterabhängigen Lücken auffüllen. Sonst müsste ihr Strom kostenpflichtig entsorgt werden. Im realen Netz kann deshalb auch ein modernstes Kombi-Kraftwerk nicht einen Wirkungsgrad von 60% im Lastfolgebetrieb einhalten. Doch auch schon dieser Wert wäre im Sinne der Taxonomie tödlich. Wenn man eine Kilowattstunde Erdgas verbrennt, werden ungefähr 200 g CO2 erzeugt. Bei einem Wirkungsgrad von 60% werden somit über 330 g CO2 für jede kWh elektrischer Energie erzeugt. Oder anders herum: Wenn man nur 270 g CO2 freisetzen darf, wäre ein Wirkungsgrad von 74% erforderlich. Das ist aber für ein (rein elektrisches) Kraftwerk thermodynamisch unmöglich.

Betrachtet man den anderen möglichen Grenzwert von 550 kg CO2 e/kW als Mittelwert über 20 Jahre, sieht die Sache nicht viel besser aus: Wenn die Leistung von 1 kW das ganze Jahr über betrieben wird, ergibt das eine Arbeit von 8.760 kWh. Bei der Verbrennung von 8.760 kWh Erdgas würden rund 1.752 kg CO2 pro Jahr erzeugt. Es dürfen aber nur 550 kg CO2 e/kW im Jahresmittel freigesetzt werden. Daraus folgt, dass die Anlage nur 2.750 Stunden (Jahresnutzung 31%) im Jahresmittel betrieben werden darf. Ein reines Spitzenlastkraftwerk, was nicht ausreicht, um die Dunkelflauten in Deutschland aufzufüllen. Von Wirtschaftlichkeit ist hier ohnehin nicht die Rede. Von dem kleinen fiesen e im Grenzwert auch nicht. Hier müssen die Schadstoffe, der Transport und die Leckagen (CH4 hat den Faktor 25) mit ihren „Treibhausgaswerten“ noch hinzu gerechnet werden. Die einschlägig bekannten „Abmahnvereine“ der Dieselkrise werden sich schon die Hände reiben.

Gaskraftwerke allgemein

Erdgaskraftwerke dürfen über ihre Betriebsdauer von 20 Jahren nur weniger als 100 g CO2 e/kWh freisetzen. Damit ist der nächste grüne „Gottseibeiuns“ auf der Bildfläche erschienen: Die Abscheidung von CO2 (CCS). Ausdrücklich ist die unterirdische Lagerung vorgeschrieben. Auch hier sei von Kosten gar nicht die Rede.

Das Erdgas darf mit Biogas verschnitten werden, welches die Bedingungen der EU-Vorschrift 2018/2001 erfüllt.

Kraft-Wärme/Kälte-Kopplung

Auch hier gilt der Maximalwert von 100 g CO2 e/kWh. Allerdings beziehen sich die kWh auf die Summe aus elektrischer Energie und nutzbarer Kälte- bzw. Heizenergie. Da man nicht mehr Energie raus bekommen kann, als man reinsteckt, ist auch dieser Wert ohne Abscheidung von CO2 kaum realisierbar. Zudem müssten solche Anlagen wärmegeführt sein (Außentemperatur) und könnten nicht zur nachfrageorientierten Stromversorgung eingesetzt werden. Unbeantwortet bleibt die Frage, ob hiermit nicht die gesamte Industrie der Blockheizkraftwerke (BHKW) ab 2030 gleich mit ausgerottet wird – also noch ein weiterer Ausstieg?

Übergangslösung für KWK bis 2030

Solche Anlagen müssen eine Primärenergieeinsparung von mindestens 10% gegenüber der getrennten Erzeugung von Strom und Wärme haben. Sie dürfen höchstens 270 g CO2 e/kWh freisetzen. Dies ist machbar, wenn sie – analog zu Wärmepumpen – nur zur Abdeckung der Heizlast bis etwa 0°C eingesetzt werden. Wirtschaftlichkeit spielt auch hier für die Kommission keine Rolle. Ferner muss sie eine vorhandene Anlage mit hohem CO2-Ausstoß ersetzen oder eine getrennte Erzeugung von Strom und Wärme oder eine Anlage, die mit fester oder flüssiger fossiler Energie betrieben wurde. Ferner muss die Anlage mindestens 30% „Gase mit geringem Kohlenstoffgehalt“ mit verfeuern (ab Januar 2026) und 55% ab Januar 2030 und bis 2035 vollständig auf „erneuerbare Gase“ umgestellt sein. Unter „erneuerbaren Gasen“ soll wohl Biogas und Wasserstoff gemeint sein. Besonders über letzteres werden sich die Motorenbauer freuen. Der Ersatz muss zu einer Einsparung von mindestens 55% GHG per kWh produzierter Energien führen. Das dürfte für bereits bestehende BHKW ein Killerkriterium sein.

Zusammenfassung

Wer glaubt, Erdgas erhält ein grünes Label, der irrt sich gewaltig. Wie oben gezeigt wurde, sind die Anforderungen (nahezu) unerfüllbar. Es geht mit großen Schritten in die politisch erträumte Wasserstoffwirtschaft. Alle Michel, die nun wieder glauben, Grenzwerte der EU sitzt man einfach aus, sollen sich mal lieber an die Grenzwerte für Stickoxide bei Dieselmotoren erinnern. Wahrscheinlich ist es sogar viel zu spät, noch grundlegende Änderungen vorzunehmen. Viel wahrscheinlicher ist es, dass wir mit Kernkraftwerken an den Grenzen zugepflastert werden (Niederlande 2, Polen 6, Tschechien 2). Wir dürfen dann Strom dort zu deren Preisen kaufen. Wobei halt, niemand kann unsere Nachbarn dazu zwingen, den Willen müssen wir uns schon durch höhere Preise erkaufen. Das Ergebnis wird eine massive (gewollte?) Abwanderung der Industrie sein. Arbeitsplätze und Steuern gehen verloren. Armes Deutschland, scheint hier nicht übertrieben. Wie viel schlimmer die Lage noch werden kann, zeigt ein polnisches Industriekonsortium, das 20 SMR bauen will. Das ergibt schöne „Chemieparks“, in denen deutsche Firmen hoch willkommen sein werden und ausreichend und zuverlässig mit billiger Energie versorgt werden. Wer glaubt, das Kernenergiezeitalter geht durch die Abschaltung von Reaktoren in Deutschland zu Ende, leidet einfach nur an Realitätsverlust.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Klaus-Dieter Humpichs Blog „Nuke-Klaus“.

Foto: Pixabay

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Leserpost

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Victor Kleinpeter / 07.01.2022

@Kurt Müller “der Prozess des Zerfalls ein quantenmechanischer Vorgang ist, der sich technisch nicht beeinflussen bestenfalls nur mit einem ungeheuren Aufwand von der Umwelt abschotten lässt,”: Vllt geht sowas wie LASER.

Victor Kleinpeter / 07.01.2022

@Kurt Müller “fahren Sie nach Gorleben,”: Da ist ja auch noch dieses Caesium-137 drin. Das leuchtet sogar. In 500 Jahren würde ich es tun. Aber übernachten würde ich da nicht. “und dieser müsste die nächsten 1.000.000 Jahre sichergestellt werden (Endlagerung)”: Das ist falsch. Was nach 1M Jahren noch zu 0,1% da ist, hat 100k Jahre Halbwertszeig, strahlt also praktisch nicht, sonst wäre es ja bis dann zerfallen.

Victor Kleinpeter / 07.01.2022

@Leo Hohensee: Bei Tschernobyl ist ein halber Zentner Caesium-137 rausgekommen. Bei dem Goiania-Unfall hat ein dummer Dieb 19 Gramm Caesium-137 verteit. Weil bei der Kernspaltung viele verschiedene Bruchstücke rauskommen, wird es sehr schwer sein, das so einzustellen, dass sowas wie Caesium-137 vermieden wird. Dran forschen ist gut. Aber solange kein Reaktor läuft, der das tut, was er soll, ist alle Theorie grau. Werbung allein ist so wertvoll wie Cargo-Lifter.

Helmut Bühler / 07.01.2022

Nur keine Sorge, die EU wird schon verhindern, dass wir uns und vor allem unsere Industrie vollständig zugrunde richten. Wer soll denn dann den Club Med und all die französischen Begehrlichkeiten finanzieren?

Elias Schwarz / 07.01.2022

Ich glaube nicht, daß Polen SMRs bauen wird. Wahrscheinlich bauen sie ein Paar VVER-ITER mit je 1,3 GW Leistung und 6 Mrd. Eur pro Stück und sind dann sehr, sehr zufrieden. Und die deutsche Firmen natürlich auch.

Arnold Balzer / 07.01.2022

Wenn jetzt auch noch die Kraft-Wärmekopplung mit den Brüsseler Zahlentricksereien unrentabel gemacht wird - na dann, gute Nacht! Dass die von Dampfturbinen produzierte Abwärme sinnvoll fürs Heizen und Warmwasser genutzt werden kann, liegt auf der Hand, aber ist offenbar von verblödeten grünen Führern nicht gewollt, weil ja zu allererst das Verbrennen fossiler Kraftstoffe bzw. der nukleare Zerfall steht. Ich habe in Berlin wohnend mit Fernwärme nie so günstig heizen können wie im Vergleich zuvor mit Öl betriebenen Zentrlheizungsanlagen - und das zu Öl-Preisen der 70/80er Jahre. Wenn jetzt diese BHKW nach und nach abgewrackt werden (zB Heizkraftwerk Wilmersdorf, seit Apr. 2021 stillgelegt, s. Wiki), werden sich einige Mieter noch wundern: Denn Hauseigentümer müssen dann eine ineffiziente und betriebskosten-intensive Erdwärmeanlage installieren, das soll wohl zukünftig die einzige akzeptierte Hauswärmequelle sein. Aber die Erde schickt ja keine Rechnung ...

G. Böhm / 07.01.2022

Muß es nicht ‘Die Halluzinationen D-Lands heißen?’

Kurt Müller / 07.01.2022

Werter Herr Gastautor, Ihre Überschrift “Das Märchen von der ungelösten Entsorgungsfrage” würde ich tatsächlich schon fast als Scheinwissen (Fake News) einordnen. Da es weltweit immer noch kein Endlager gibt, ist das Problem auch noch nicht gelöst. Gesetze und Vorgaben hin und her - kein Land und kein Bundesland will ein Endlager haben. Wie die Erfahrung zeigt, wird das mit allen Mitteln verhindert. Die Annahme in den Fünfzigern und Sechzigern, das Problem bis ungefähr zum Jahre 1995 gelöst zu haben, hat sich nicht erfüllt. Es war eine naive Technik-Gläubigkeit verbunden mit dem Irrtum, das Ingenieure immer für alles eine Lösung finden würden. Nicht einkalkuliert wurde die enorme Komplexität, die freilich erst sichtbar wird, wenn man Lösungsmöglichkeiten anfängt ernsthaft zu entwickeln und dabei verantwortlich handeln möchte. In den USA zum Beispiel wurde für die Frage der Endlagerung ein Professor der Philologie damit beauftragt, das Problem der Informationsübertragung zu untersuchen. Wie vermittelt man künftigen Generationen, das es ein radioaktives Endlager gibt und man sich davon fernhalten muss? Wie macht man das über einen Zeitraum von 1.000.000 Jahren? Es kann davon ausgegangen werden, dass schon in 1000 Jahren kein Englisch oder Deutsch mehr gesprochen wird, wie wir es heute kennen, und dass es nicht mehr übersetzbar sein wird. Oder anders argumentiert: wenn die frühe Zivilisation im Zweistromland im heutigen Irak Atomkraft gehabt und ein Endlager gebaut hätte, wäre das etwa 10.000 Jahre her. Der Atommüll in dem Endlager Lager würde dann immer noch 990.000 von heute aus gerechnet strahlen, und wir müssten das irgendwie managen. Wie soll das gehen? Man sieht, die Dinge werden viel komplizierter, als man es damals dachte, und eine überzeugende verantwortungsvolle Lösung gibt es bis heute nicht.

Kurt Müller / 07.01.2022

Victor @ Kleinpeter: Ich würde sagen, die Menge der wenig strahlenden Stoffe macht es aus. In der Summe können diese auch schädlich und tödlich werden. Ein Vorschlag von mir: fahren Sie nach Gorleben, nehmen Sie eine Säge mit, machen Sie dort einen Castor-Behälter auf und entnehmen sie etwas Material. Halten Sie es in der Hand und betrachten sie es eingehend. Was schätzen Sie, wie lange es dauern wird, bis Sie kollabieren würden? Ja gut, diesen fiesen Vergleich beiseite gelegt und nur abstrakt argumentiert: ich schätze, fünf bis zehn Minuten, sicherlich nicht mehr als eine Stunde. Dann wäre das Gewebe eines Betroffenen so sehr verstrahlt und geschädigt, dass multiples Organversagen eintritt. Das Problem an der Atomkraft (Nutzung, Wiederaufbereitung, Zwischen- und Endlagerung) ist auch, dass sich die Menschen wahrscheinlich mangels höherer Bildung nicht klar machen, das 1. bei Strahlung von Kernstrahlung die Rede ist, 2. wie das auf lebendes Gewebe wirkt, 3. dass die Schädigung lebenden Gewebes unumkehrbar ist, 4. der Prozess des Zerfalls ein quantenmechanischer Vorgang ist, der sich technisch nicht beeinflussen bestenfalls nur mit einem ungeheuren Aufwand von der Umwelt abschotten lässt, und 5. bei Vermischung mit der Umwelt zum Beispiel mit Wasser sich das nicht wie Schmutz heraus filtern lässt. Stichwort Strahlenkrankheit - auch hier der Irrtum, es wird suggeriert, dass es sich um eine Krankheit handelt, was Heilung impliziert; ist aber nicht so, sondern es ist die Zerstörung der lebenden Zellen in den Knochen, die Blutkörperchen erzeugen. Der Organismus bildet keine Blutkörperchen mehr und lebt ungefähr noch zwei Wochen von denen, die da sind, und dann ist es unweigerlich vorbei. Die Menschen solchen Risiken auszusetzen, finde ich nicht richtig, weil das Risikomanagement einen ungeheuren Aufwand erfordert, und dieser müsste die nächsten 1.000.000 Jahre sichergestellt werden (Endlagerung) - so lange strahlt das ja in den Castor-Behältern mit tödlicher Dosis.

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