Während die USA ihr entwicklungspolitisches Engagement grundsätzlich überprüfen, soll es in Deutschland wohl weitergehen wie bisher: offene Spendierhosen für oft zweifelhafte Projekte gepaart mit Größenwahn. Eine weitere Chance wird vertan.
Bevor die sich abzeichnenden Änderungen der deutschen Entwicklungspolitik im aktuellen Koalitionsvertrag von SPD und CDU/CSU thematisiert werden, erscheint es sinnvoll, sich zunächst dem Status quo zuzuwenden. Am besten geeignet für einen Einblick in den gegenwärtigen Stand der einschlägigen Aktivitäten dürfte der Anfang des Jahres vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) – unter Leitung von SPD-Genossin Svenja Schulze – veröffentlichte 17. Entwicklungspolitische Bericht der Bundesregierung sein – mit dem schönen Titel: „Entwicklungspolitik in einer sich wandelnden, multipolaren Welt“.
Ein BMZ-Dokument, wie man es kennt: nämlich nahezu durchgängig befallen vom Größenwahn-Virus. Oder, anders formuliert, geprägt von der Überzeugung, Ereignisse unter souveräner Ignoranz von naturwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten oder auch soliden sozialwissenschaftlichen Erkenntnisse beeinflussen zu können. Passend dazu gibt es ganz überwiegend nur Positives zu vermelden. Falls doch einmal konstatiert werden muss, dass die hoch gesteckten Ziele zumindest fristgemäß nicht erreichbar sind, werden dafür, abgesehen von „Corona“, grundsätzlich nie Gründe genannt. Dabei wusste doch schon der große Entwicklungspolitiker Mao Tse-Tung, wie es geht: „Aus früheren Fehlern lernen, um künftige zu vermeiden!“
Im Haushaltsjahr 2024 standen dem BMZ 11,2 Mrd. Euro zur Verfügung. Etwa 30 Prozent davon für internationale Einrichtungen und Fonds, knapp 58 Prozent, also rund 6,5 Mrd., fließen direkt in Entwicklungshilfeprojekte. Das ist nicht unbedingt wenig, aber für die vom BMZ offenbar angestrebte allumfassende Weltenrettung vielleicht doch ein bisschen knapp. Allerdings steht tatsächlich ein größeres Budget zur Verfügung, da etliche Projekte auch mit Hilfe von – im Vergleich zu den üblichen Marktkonditionen – zinsgünstigeren KfW-Krediten finanziert werden. So wurden über die KfW Entwicklungsbank im Jahr 2024 – meist im Auftrag des BMZ – alleine für Infrastruktur-Vorhaben in Afrika 2,6 Milliarden Euro zugesagt.
Der einschließlich etlicher Fotos und Abbildungen immerhin 142 zweispaltige Seiten umfassende 17. Entwicklungspolitische Bericht kann und soll hier nicht en détail gewürdigt werden. Ich beschränke mich auf das Vorwort der Ministerin und das 2. Kapitel, das sich mit den thematischen Schwerpunkten der Entwicklungshilfe in der gerade zu Ende gegangenen Legislaturperiode beschäftigt. Vieles davon spricht für sich selbst, bedarf folglich kaum der näheren Erläuterung oder Einordnung. Und falls die Zitate – zusätzlich markiert durch kursive Schrift – doch Fragen offen lassen, wurden sie von mir durch kurze Erläuterungen oder Kommentare ergänzt.
Das „Vorwort“ der Ministerin
Es ist mir wirklich schwergefallen, hier etwas besonders Markantes auszuwählen. Denn was Ministerin Schulze zum Zustand dieser Welt im Allgemeinen und zur Entwicklungshilfe im Besonderen zu sagen hat, scheint alles von allerhöchstem Belang zu sein. Beginnen wir mit dem, was sie als „Leitbild deutscher Entwicklungspolitik“ definiert, nämlich: „(…) jedem Menschen weltweit ein sicheres und würdevolles Leben in einer intakten Umwelt zu ermöglichen. Damit jeder Mensch das eigene Potential ausschöpfen und frei entscheiden kann, wie er lebt und wie die eigene Zukunft aussieht. Wenn alle Menschen gleichberechtigt sind, gibt es weniger Hunger und Armut und mehr Stabilität in der Welt.“ Es stellt sich die Frage, ob ein dermaßen allgemeines Statement auf Grundschulniveau nun in erster Linie der Unbedarftheit von Ministerin Schulze geschuldet ist oder ob sie die Leser einfach nur für geistig minderbemittelt hält?
Ähnlich verhält es sich auch bei dem folgenden, etwas längeren Statement:
„Entwicklungspolitik setzt Maßnahmen gegen den Klimawandel und für den Erhalt der Biodiversität um, damit wir nachfolgenden Generationen eine intakte Umwelt hinterlassen. Wir konzentrieren uns zudem darauf, die Menschen vor den Folgen der Klimaveränderung zu schützen, sie in klimabedingten Katastrophenfällen sozial abzusichern. Wenn beispielsweise eine Dürre die Ernte und damit das Jahreseinkommen zerstört, ist es wichtig, den Fokus auf eine Just Transition zu setzen. Just Transition beschreibt den Weg zu einer gerechteren Weltwirtschaft, mit erneuerbaren Energien, von der alle Menschen profitieren. Dies unterstützen wir zum Beispiel durch die Förderung der Wasserstoffproduktion in unseren Partnerländern, die den Menschen dort gute Arbeitsplätze und sichere Einkommen und der Industrie sauberen Strom bringt.“
Im pointierten Klartext: Kommt es zu witterungsbedingten Ernteausfällen, helfen wir mit einer Förderung der Wasserstoffproduktion.
Politiker neigen bekanntlich dazu, das von ihnen (Mit-)Verantwortete schönzureden. Aber den letztlich doch wohl völlig gescheiterten Einsatz von deutschen bewaffneten und unbewaffneten Kräften in der Sahel-Zone bis zum Sommer letzten Jahres so zu beurteilen wie die Ministerin, erfüllt schlicht den Tatbestand einer besonders schweren Störung des Realitätsbezuges: „Entwicklungspolitik ist aber auch im deutschen sicherheitspolitischen Interesse, da sie Krisen und Konflikten, wie auch Terrorismus vorbeugt. Wie zum Beispiel im Sahel. Wo die Menschen sich meist nicht aus ideologischen Gründen den Terroristen anschließen, sondern schlicht, weil es die einzige Einkommensquelle ist. Für diese Menschen schafft die deutsche Entwicklungspolitik verlässliche Perspektiven jenseits des Terrorismus.“ Nähere Einzelheiten dazu werden nicht angeführt.
"Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen"
„2.2 Armut, Hunger und Ungleichheit wirksam zurückdrängen“:
„Die Bekämpfung von Armut, Hunger und Ungleichheit ist entscheidend für nachhaltige Entwicklung und die Erreichung der Agenda 2030. Sie ist Kernaufgabe deutscher Entwicklungspolitik. Konflikte, wirtschaftliche Schocks und der Klimawandel sind die wesentlichen Hemmnisse bei der Erreichung von SDG 1 (Anm.: Sustainable Development Goals) („Keine Armut“), SDG 2 („Kein Hunger“), SDG 8 („Menschenwürdige Arbeit“) und SDG 10 („Weniger Ungleichheiten“) bis 2030.“
Leider sieht es bezüglich der Agenda 2030 insgesamt nicht besonders rosig aus: „Neun Jahre nach Verabschiedung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung mit ihren 17 Nachhaltigkeitszielen (SDGs) fällt die Bilanz ernüchternd aus: nur 17 Prozent der Unterziele sind auf gutem Weg, und nach derzeitigem Stand wird kein Land die SDGs bis 2030 erreichen.“ Eine seriöse oder zumindest schlagwortartige Analyse für dieses Desaster der Agenda 2030 sucht der Leser vergebens. Was wiederum nicht verwundert, denn wer solchen größenwahnsinnigen Vorhaben wie der Agenda 2030 zustimmt, hat das geradezu zwangsläufige Scheitern bereits billigend in Kauf genommen. Wobei Ministerin Schulze zugutezuhalten ist, dass die Zustimmung zu dieser Agenda im Jahr 2015 in die Amtszeit ihres Vorgängers Müller (CSU) fiel.
2.3 Sozial-ökologische Transformation entschieden vorantreiben (Just Transition):
„Handlungsleitendes Ziel der Bundesregierung ist ein würdevolles und sicheres Leben für alle in einer intakten Umwelt. Die Menschheit muss ihren Kurs radikal ändern, um ein Leben und Wirtschaften innerhalb der ökologischen Belastungsgrenzen der Erde zu ermöglichen. Sie muss ihre Emissionen massiv reduzieren, um das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaschutzabkommens zu erreichen. (…) Maßnahmen zu Klimaschutz und -anpassung (sind) so zu gestalten, dass alle Frauen, Mädchen und marginalisierte Gruppen davon profitieren. Zu einem sozial gerechten Wandel gehört es auch, Menschen, die vom Arbeitsplatzverlust durch den Umbau der Wirtschaft zu Klimaneutralität bedroht sind, durch Qualifizierung und Maßnahmen der sozialen Sicherung an diesem Übergang teilhaben zu lassen.“ Um es mit Ex-Kanzler Helmut Schmidt zu sagen: Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.
2.4 Feministische Entwicklungspolitik etablieren:
Schon um an die große Außenpolitikerin Annalena B. zu erinnern, darf dieses Thema hier natürlich nicht gänzlich unerwähnt bleiben. „Die Weltgemeinschaft hat sich das Ziel gesteckt, bis 2030 Geschlechtergleichstellung weltweit zu verwirklichen.“ Aber: „Seit dem Beschluss der Agenda 2030 bleiben die Fortschritte – offenbar aus unerklärlichen Gründen – deutlich hinter den Zielen zurück. Ausgehend von aktuellen Daten wird es noch 134 Jahre dauern, bis eine Gleichstellung der Geschlechter erreicht ist.“ Hier schweigt der Kommentator in Demut und Verzweifelung.
Der aktuelle Koalitionsvertrag von SPD und CDU/CSU
Was gibt dieser Vertrag in Bezug auf die künftige Entwicklungspolitik her? Zunächst etwas Erfreuliches, zumindest wohl für Ministerin Schulze, denn das Ministerium soll in SPD-Hand bleiben. Schauen wir in das hier relevante 5. Kapitel (Zeile 4222 bis 4277), findet sich dort gleich zu Beginn folgende, markig klingende Absichtserklärung:
„Wir brauchen grundlegende Veränderungen in der Entwicklungspolitik, die aktuelle geopolitische und ökonomische Realitäten stärker abbilden und gestalten müssen.“ Außerdem sollen zur Steigerung der Effektivität die „Schnittstellen“ zwischen den beteiligten Ressorts vermindert werden.
Nun könnten die geforderten grundlegenden Veränderungen grundsätzlich ja darin bestehen, dass bei gleicher Programmatik die Anstrengungen, also z.B. die zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel, deutlich erhöht werden oder auch, dass ganz neue, noch genauer zu definierende entwicklungspolitische Aufgaben gestellt werden. Vielleicht geht es aber auch nur darum, dass bereits länger bestehende Aufgaben fortan wesentlich energischer zu verfolgen sind. Werfen wir also einen genaueren Blick auf die einzelnen aufgelisteten entwicklungspolitischen Vorhaben.
Abgesehen vielleicht von dem Rohstoff-Thema handelt es sich dabei allerdings im Wesentlichen um die bekannten entwicklungspolitischen Zielsetzungen: „(…) wirtschaftliche Zusammenarbeit und Sicherung des Zugangs zu Rohstoffen, Fluchtursachenbekämpfung sowie die Zusammenarbeit im Energiesektor“, wie immer der Leser sich diese „Zusammenarbeit“ genauer vorzustellen hat. Ob auch die folgenden Themen Bestandteil der künftigen strategischen Schwerpunkte sind, geht aus dem Text nicht eindeutig hervor, eher aber wohl nicht: „Wir werden uns weiterhin im Kampf gegen Armut, Hunger und Ungleichheit engagieren. Wir setzen auf die Förderung von Mädchen und Frauen (…) Weitere zentrale Aufgaben sind gute Bildung, menschenwürdige Beschäftigung, soziale Sicherung, robuste Gesundheitssysteme und gute Regierungsführung.“ Da hätte ich als Arzt mal eine Frage: Was genau sind robuste Gesundheitssysteme?
Beim Folgenden hat sich, so scheint es zumindest, CDU/CSU gegen die SPD durchgesetzt: „Die Kooperationsbereitschaft der Partnerländer bei den Bemühungen, die irreguläre Migration nach Europa zu begrenzen und eigene Staatsbürgerinnen und Staatsbürger zurückzunehmen, ist ein zentraler Faktor für den Umfang der bilateralen Regierungszusammenarbeit.“ Wäre das tatsächlich ernst gemeint, hätten die künftigen Koalitionäre doch schlicht und einfach – mit Hilfe von Ministerin Schulze – eine Liste mit den entsprechenden Ländern erstellen lassen können, bei denen dann ab sofort oder in Bälde Geldhahn und andere Annehmlichkeiten abgedreht werden, perspektivisch vielleicht gar gemeinsam mit bestimmten anderen EU-Ländern. So allerdings wird es insgesamt doch wohl bei lauen Bekundungen oder auch der bloßen Simulation von Härte und Entschlossenheit bleiben.
Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Wolfgang Meins ist Neuropsychologe, Arzt für Psychiatrie und Neurologie, Geriater und apl. Professor für Psychiatrie. In den letzten Jahren überwiegend tätig als gerichtlicher Sachverständiger im zivilrechtlichen Bereich.