„Die Demokratie ist weiblich“ – und ich bin leider männlich 

Von Aljoscha Harmsen.

Das ZDF hat kürzlich auf besonders ohrwurmige Weise wieder zur Aufklärung beigetragen – mit dem Lied „Die Demokratie ist weiblich“ von Sebastian Krumbiegel. In den Lyrics stehen Dinge wie: „Die Demokratie ist weiblich. Ich weiß nicht, aber ich glaube, dass die Liebe und die Hoffnung ihre Schwestern sind.“ Weiter geht es um die Barmherzigkeit und die Humanität und – besonders gut: die Klugheit. Ein Lied, das sich über vier Minuten lang mit Artikeln beschäftigt und dem Hörer erklärt, dass Demokratie weiblich und – Weiblichkeit demokratisch ist? Hier hat der Schwanz beim ZDF mal wieder mit dem Hund gewedelt. Hätte ich vor 30 Jahren in der Grundschule einen solchen Aufsatz abgeliefert, hätte ich eine Empfehlung für die Lernbehindertenschule bekommen. 

Im Begleitvideo kommen viele Prominente zu Wort, von Iris Berben über Anja Reschke bis Dunja Hayali und Til Schweiger. Manche davon erheben die linke Faust und stehen dann gestisch leider eher auf der sozialistischen Barrikade. Was bleibt für uns Männer übrig? Der Krieg und der Sieg. Toxische Männlichkeit. Da weiß der Sänger aber nicht, warum die Artikel hier männlich sind. Außerdem kommt der Autor „nicht drauf klar“, dass der Frieden männlich ist. Da hätte ihm meine Grundschullehrerin vielleicht helfen können. Das ist jetzt zu spät. Diese unlösbare Menschheitsfrage müssen wir uns als Hörer hier unbeantwortet gefallen lassen. Vielleicht können die Demokratie und der Frieden ja irgendwann mal ergebnissoffen miteinander reden. 

Die Solidarität, die Schönheit, die Freiheit: Das sind nicht etwa Dinge, auf die alle Menschen ein Anrecht oder eine Chance haben, sondern sie sind etwas Haltungsexklusives. Was das ZDF hier verbreitet, ist perfide: Es ist fast für jeden Menschen ein passender Prominenter dabei, der seinen Fan abholt und für eine völlig durchemotionalisierte Selbstverständlichkeit begeistern will: für die Promotion einer Staatsform, die kein Mensch bei Verstand infrage stellt.

Der Sänger benutzt den Begriff „Demokratie“ für das, was beim ZDF unter „bunt und vielfältig“ verstanden wird und vergisst, dass Diversität erst dann etwas Ernstzunehmendes bedeutet, wenn sie nicht an äußeren Merkmalen bemessen wird, sondern an verschiedenen Meinungen, die sich befruchten. Dafür muss man sich zuerst einmal zuhören. Hier wird nicht miteinander, sondern zueinander gesprochen – es wird gepredigt. „Demokratie“ wird von einer Staatsform zu einer kunterbunten Harmonielehre versungen. Sie sollte nicht emotionalisiert, sondern einmal rationalisiert werden. 

Wer das Lied hört, denkt auch an die Grausamkeit. Der Ohrwurm wird es hoffentlich nicht. Frei nach Ignazio Silone: „Wenn der Demokratie wiederkehrt, wird er nicht sagen, ich bin der Demokratie, sondern ich bin die Demokratie.“

 

Aljoscha Harmsen studierte Geschichte, Sprach- und Literaturwissenschaften und arbeitet als Redakteur und als freier Autor u.a. für die Neue Züricher Zeitung 

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Leserpost

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Jürgen Fischer / 22.09.2020

Ach, waren das noch Zeiten, als Nina Hagen noch “Unbeschreiblich weiblich” war. Da war sogar der Feminismus noch halbwegs erträglich - was wir erst jetzt, Jahrzehnte später, erkennen.

Klaus Biskaborn / 22.09.2020

Man sollte sich den furchtbaren Singsang durchaus mal anschauen, weniger anhören, das fällt schwer, interessant wer sich für diesen Schwachsinn hergibt.

Ines Sack / 22.09.2020

Also erstens ist das Lied schon mindestens ein Jahr alt und zweitens: wenn Sie wissen wollen, wie Sebastian Krumbiegl wirklich über Frauen denkt und nicht allzuviel Angst vor Ohrenkrebs haben, hören Sie sich doch mal die 1. Strophe von “Du musst ein Schwein sein” an. Danach werden Sie sagen: “Du hast ja so Recht, Sebastian Krumbiegl, du bist ein genialer Künstler, der ein großes Werk erschaffen hat, Sebastian Krumbiegl!” (Der eigentliche Grund, wieso Sebastian Krumbiegl bei Frauen nicht ankommt, dürfte allerdings sein Äußeres sein.)

Ulrich Weinfurtner / 22.09.2020

Sehr geehrter Herr Harmsen, nicht nur die Demokratie ist weiblich, sondern auch die Diktatur, die Propaganda, die Denunziation, die Dummheit, die Mißgunst,  die Faulheit, die Gier, die Eitelkeit, die Rachsucht, die Völlerei, die Selbstsucht, die Trägheit, die Übertreibung, die Sünde … Selbst die Volkskammer der DDR war weiblich. Nicht weiblich hingegen sind der Mut, der Fleiß, das Glück, der Anstand, das Wohlwollen, der Optimismus, der Glaube, das Ideal, der Sinn, der Edelmut, der Genuß… Mit freundlichen Grüßen Ulrich Weinfurtner

Sebastian Weber / 22.09.2020

DIE Dummheit, DIE Arroganz, DIE Überheblichkeit, DIE Armut, DIE Krankheit - ich könnte stundenlang so weitermachen. Mensch, was machen wir hier? Womit beschäftigen sich erwachsene (?) Menschen? - - - - Die ganz Gender-Kacke geht mir ziemlich auf den S…enkel. Ich könnte das Gendergedöns ja ignorieren, wenn ich nicht als braver Steuerzahler dafür blechen müsste (Gender-Lehrstühle; Kosten für das Umschreiben von Satzungen etc etc). Ich erinnere ich noch, wie ich Ärger mit unsrem Pastor bekam, als er im Konfirmationsunterricht meines Sohnes immer von den “Jüngerinnen und Jüngern” sprach und ich ihm mangelnde Bibelkenntnisse vorwarf. Demnächst wird aus “Jesus” vermutlich “Jesa”. Oder er wird am besten gleich “divers” - dann halten die Idioten endlich mal die Klappe.

Peter Holschke / 22.09.2020

Ist der Autor ein Masochist? Warum schaut er das?  Frei nach Stalin “Fernseher weg, Problem weg!”. Die Kritiker der Elche sind selbst welche. Statt das Fernsehen in den Abgrund zu schicken oder es im Altenheim an der Wand einen natürlichen Tod sterben zu lassen, wird dem Zombie immer wieder Luft eingeblasen.

Bernd Ackermann / 22.09.2020

Ok, nach einer Minute dieses Machwerks musste ich Youtube wieder beenden, ansonsten hätte ich angefangen aus den Ohren zu bluten. Who the fuck is Krumbiegel? Nun kommt Demokratie aus dem Griechischen, Demos, das Volk (igitt!), und Kratos, die Herrschaft. Warum es jetzt Herrschaft und nicht Frauschaft heißt liegt wahrscheinlich an der toxischen Männlichkeit des AWM. Zum Glück ist die Dummheit ebenfalls weiblich, damit gehen die Damen im Video nicht leer aus. Was mich aber maßlos ärgert ist, dass ich diesen Dünnpfiff auch noch mit meiner “Demokratieabgabe” finanzieren darf.

Rolf Mainz / 22.09.2020

Nicht zu vergessen: die Dummheit, die Naivität, die Torheit, die Arroganz, die Ignoranz, die Idiotie, allesamt ebenfalls weiblich… Pardon.

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