Peter Grimm / 21.05.2022 / 16:00 / Foto: Pixabay / 14 / Seite ausdrucken

Die Dauerschleife der Problem-Sprechblasen

Auch Politiker, die so erscheinen wollen, als würden sie heikle Probleme anpacken, formulieren selten klar, was das konkret bedeutet. Ihnen reicht die Dauerwiederholung ihrer Problem-Sprechblasen. Eine Ministerin gibt ein Beispiel.

Ina Scharrenbach ist Ministerin für Heimat, Kommunales, Bauen und Gleichstellung des Landes Nordrhein-Westfalen. Früher hätte man vielleicht über die Ressortkombination noch etwas verwundert geschmunzelt. Inzwischen ist es  üblich, dass die Neuzusammenstellung von verschiedenen Ressorts zu einem Ministerium nur noch als Ergebnis des Ämterfeilschens in Koalitionsverhandlungen geschieht. Dabei wird nicht mehr sonderlich Rücksicht genommen auf die Sachzusammenhänge der Ressorts.

Ina Scharrenbach ist zwar Mitglied der zum Wahlsieger ausgerufenen CDU, doch hat sie den Einzug in den Landtag verfehlt. Ihren Wahlkreis hat sie als Direktkandidatin nicht gewonnen. Weil aber viele andere Parteifreunde ihre Wahlkreise gewonnen hatten, konnte Frau Scharrenbach auch nicht über den sicher geglaubten Listenplatz zwei ins Düsseldorfer Landesparlament einziehen.

Damit ist für die Christdemokratin noch nicht alles verloren, denn auch 2017 hatte sie den Einzug in den Landtag verfehlt und trotzdem hatte Ministerpräsident Armin Laschet sie zur Ministerin ernannt. Ob und welches Ministeramt jetzt für sie infrage kommt, ist neben den Plänen des nächsten Ministerpräsidenten von der Regierungskonstellation abhängig. Ob eine Christdemokratin beispielsweise den Ressortbaustein „Gleichstellung“ behalten darf, ist fraglich. Fraglos ist es für die Ministerin sinnvoll, im Gespräch zu bleiben, vielleicht mit ein paar populären Forderungen aufzufallen. Perfekt sind dann Forderungen, die zu erfüllen weit außerhalb des eigenen Kompetenzbereiches liegen.

„Dann muss man dafür Sorge tragen“

Nein, ich will hier Frau Scharrenbach solche Überlegungen natürlich nicht unterstellen, ich kenne sie ja schließlich nicht. Aber es sind Gedanken, die sich mir beim Lesen dieser Meldung aufdrängten:

NRW-Kommunalministerin Ina Scharrenbach (CDU) hat sich besorgt über die Armutszuwanderung aus Südosteuropa nach NRW geäußert. "Die Europäische Union muss nach acht Jahren Arbeitnehmer-Freizügigkeit mit Rumänien und Bulgarien dringend überprüfen, was gut und was schlecht gelaufen ist", sagte sie der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (Samstagsausgaben). "Die EU darf nicht die Augen davor verschließen, wenn es in einzelnen Regionen Entwicklungen gibt, die zu Frust und Verdruss führen. Die niedrige Wahlbeteiligung in Gelsenkirchen bei der Landtagswahl dürfte auch etwas damit zu tun haben", so Scharrenbach weiter.

Zu bevorstehenden Beitritten von Staaten aus dem Westbalkan in die EU sagte die Ministerin: Diese Staaten gehören in die EU. Aber Fehler dürfen sich nicht wiederholen. Der Auftrag der Politik ist es, die Arbeitnehmer-Freizügigkeit zu schützen. Wenn ich aber merke, dass diese Freizügigkeit zum Teil unterlaufen wird mit anderen Beweggründen, weil das Wirtschaftsgefälle zwischen Deutschland und Rumänien und Bulgarien so groß ist, dann muss man dafür Sorge tragen, dass das korrigiert wird." Sonst würden die Vorbehalte von Bürgern gegen diese Freizügigkeit zunehmen und sie insgesamt in Gefahr geraten.

Scharrenbach kritisierte auch die Regeln beim Melderecht: "Ich verstehe nicht, warum jemand, der aus dem EU-Ausland einreist, drei Monate Zeit hat, um sich bei den Behörden anzumelden, und jeder Bundesbürger sich innerhalb von 14 Tagen melden muss."

Was für Aussagen. Nach acht Jahren Freizügigkeit muss die Europäische Union das mal überprüfen mit der Armutsmigration in die Sozialsysteme der Bundesrepublik, fordert die Ministerin also. Diese Aussage ist allerdings wenig originell. Vor mehr als acht Jahren, genauer schon 2013, berichtete die WAZ über Erkenntnisse ihres SPD-Amtsvorgängers:

„NRW-Integrationsminister Guntram Schneider (SPD) schlägt Alarm: Die steigende Armutswanderung aus Ost- und Südosteuropa überfordere die Kommunen in NRW.

Schneider kündigte für die besonders belasteten Zentren der Zuwanderung – wie Duisburg und Dortmund – noch vor der Sommerpause ein Hilfsprogramm des Landeskabinetts an.

Gleichzeitig warf der SPD-Minister der Europäischen Union politisches Versagen vor, weil „die Arbeitnehmer-Freizügigkeit für Rumänen und Bulgaren zu früh erfolgt“ sei. „Angesichts der Armutsmigration müssen wir feststellen, Deutschland ist darauf nicht gut vorbereitet gewesen“, sagte Schneider unserer Zeitung.

Aus Sicht Schneiders kann derzeit niemand einschätzen, wie viele Menschen aus Rumänien und Bulgarien kommen werden, wenn ab Januar 2014 die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit gilt. „Angesichts der Lebensverhältnisse vieler Menschen in Bulgarien und Rumänien müssen wir aber realistischerweise mit mehr Zuwanderung rechnen“, meint Schneider.“

„Die Ministerin plädiert für ein rigoroses Vorgehen“

Der spätere CDU-Ministerpräsident Armin Laschet wollte am 30. Dezember 2013 nicht anerkennen, dass die volle Freizügigkeit für Rumänen und Bulgaren Probleme bringen könnte, wie er damals dem Deutschlandfunk sagte:

„Wir haben in Nordrhein-Westfalen beispielsweise in Duisburg und in Dortmund große Probleme mit Bulgaren und Rumänen. Das hat aber gar nichts mit der EU-Freizügigkeit zu tun, denn die kommt ja erst am 1. Januar. Die Probleme sind aber heute schon da.“

Im gleichen Interview erklärte Laschet übrigens auch voller Überzeugung:

„Die meisten, die zuwandern aus Bulgarien und Rumänien, sind hochqualifizierte Leute, die wir hier dringend brauchen.“

Vielleicht war das ja vor Inkrafttreten der vollen EU-Freizügigkeit, deren Überprüfung von Frau Scharrenbach nun anmahnt, wirklich so, aber vier Jahre später, im Dezember 2018, berichtet der Deutschlandfunk aus dem deutschen Westen:

„Nur etwas mehr als zehn Prozent der bulgarischen und rumänischen Arbeitssuchenden verfügen über eine abgeschlossene Berufsausbildung. Selbst einen Schulabschluss können viele Menschen, die nach Dortmund kommen, nicht vorweisen.

Ähnlich ist die Situation von bulgarischen und rumänischen Zuwanderern auch in anderen strukturschwachen Ruhrgebietsstädten, vor allem in Duisburg und Gelsenkirchen.“

Zu dieser Zeit war Laschet bereits Ministerpräsident und Scharrenbach Ministerin. Als solche kommt sie auch in dem zuletzt zitierten Deutschlandfunk-Beitrag zu Wort, als es um den Kampf der Stadt Dortmund gegen bandenmäßigen Sozialbetrug mittels Zuwanderern aus Bulgarien und Rumänien geht:

Ministerin Scharrenbach von der CDU plädiert für ein rigoroseres Vorgehen: Wenn nach den EU-Regeln kein Aufenthaltsrecht bestehe – also Migranten nach sechs Monaten keinen Job gefunden haben – müssten die Ausländerbehörden die Ausreise anordnen.

„Davon wird zugegebenermaßen wenig Gebrauch gemacht, aber das Recht besteht.“

Wer ist „man“?

Wenn Ministerin Scharrenbach jetzt die Lösung von Problemen anmahnt, die sowohl sie als auch ihr Amtsvorgänger seit Jahren anmahnen, dann ist es doch eigentlich auch ein Eingestehen des eigenen Scheiterns oder der fehlenden Kompetenzen. Vielleicht war auch der Wille, sich allzu oft mit diesem Thema zu exponieren, nicht vorhanden. Jetzt heißt es nun von ihr, wie oben zitiert: „Wenn ich aber merke, dass diese Freizügigkeit zum Teil unterlaufen wird mit anderen Beweggründen, weil das Wirtschaftsgefälle zwischen Deutschland und Rumänien und Bulgarien so groß ist, dann muss man dafür Sorge tragen, dass das korrigiert wird."

Wer ist „man“? Die EU-Kommission? Der Bundeskanzler? An wen addressiert die Ministerin ihre Forderung? Und was heißt es denn konkret, wenn sich die gemachten Fehler beim EU-Beitritt der Westbalkan-Staaten nicht wiederholen dürfen? Welche Fehler? Die volle Freizügigkeit oder das Recht, im reicheren EU-Land Sozialleistungen zu beziehen? Das kann man doch konkret beantworten, wenn man will. Aber so sehr die Ministerin auch als Politikerin erscheinen will, die heikle Themen anpackt, klar formulieren möchte sie dann doch nicht, was das konkret bedeutet. Damit ist sie nicht allein. Von dieser Krankheit scheinen inzwischen die meisten politischen Verantwortungsträger befallen zu sein. Das ist leider auch nichts Neues. Es ist so alltäglich, dass es einem schon gar nicht mehr auffällt. Nur manchmal dann doch, wie jetzt bei Frau Scharrenbach. Und dann kann man auch mal wieder daran erinnern. Dass es ausgerechnet Frau Scharrenbach getroffen hat, ist wirklich Zufall.

Foto: Pixabay

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Leserpost

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Felix O'Neill / 21.05.2022

Legale Freizügigkeit nach EU-Recht ist also “böse”, illegale Merkel-Horden dagegen… “Wir schaffen das”!

sybille eden / 21.05.2022

Die Frau Ministerin kann ihre Kritik an niemanden adressieren, denn sie will schliesslich ihre hohe Besoldung nicht aufs Spiel setzen !

Volker Kleinophorst / 21.05.2022

Nun ja Sie weisen auf Probleme hin, warnen, befürchten, sorgen.. . Nur das es ihr Job wäre, Probleme zu lösen, ist völlig aus dem Focus geraten. Lieber inszeniert man eine neue Krise um von der letzen abzulenken. Wie Gut, dass die Leut so blöd sind.

Nico Schmidt / 21.05.2022

Sehr geehrter Herr Grimm, Wir schreien danach, daß unser System doch bitte, bitte ausgenutzt wird. Wer das erkennt und nicht will, ist ein Rechter! Mfg Nico Schmidt

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