René Zeyer, Gastautor / 13.02.2020 / 06:15 / Foto: Pixabay / 33 / Seite ausdrucken

Die Krypto-Leiche im Keller des BND

Psst, Feind hört mit! Im Krieg, aber auch im Frieden, gibt es Geheimnisse, die jeder Staat gerne für sich behalten möchte. Seit den Zeiten von Cäsar gibt es dafür Verschlüsselungsmethoden. Von einfachen Buchstabenverschiebungen hat sich die Kryptologie zu einer hochkomplexen Wissenschaft entwickelt.

Dabei liefern sich Verschlüssler und Codeknacker einen epischen Wettlauf. Zur Zeit herrscht eine Art Patt. Die Verwendung von asymmetrischen Verschlüsselungen, basierend auf großen Primzahlen, und die Entschlüsselung mit brachialer Computerpower halten sich in etwa die Waage. Bis dann demnächst Quantencomputer den Codeknackern wieder einen Vorsprung verschaffen werden.

Aber zwei Probleme begleiten verschlüsselte Informationen, seit sie verwendet werden. Wenn der Knacker zwar die geheime Botschaft dechiffrieren kann, dafür aber zu viel Aufwand betreiben und zu viel Zeit aufwenden muss, nützt ihm das nichts. Das zweite Problem ist viel heikler und stellte sich zum ersten Mal in großem Maßstab im Zweiten Weltkrieg. Da war es den Engländern mithilfe eines von dem genialen Mathematiker Alan Turing entwickelten Computers gelungen, die vom deutschen Militär benutzte Enigma-Verschlüsselung zu knacken.

So konnten zeitnah deutsche Funksprüche entschlüsselt werden, beispielsweise mit Einsatzbefehlen für U-Boote, die US-Konvois nach England angreifen sollten. Es wäre nun ein Leichtes gewesen, Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Aber damit hätte bei den Nazis der Verdacht geweckt werden können, dass ihre Verschlüsselung nicht mehr geheim war. Da mussten tragische Entscheidungen getroffen werden. Aber den Code der Enigma-Maschine zu knacken, das war eine aufwendige Meisterleistung von vielen genialen Köpfen. Die Geschichtsschreibung ist sich einig, dass damit der Zweite Weltkrieg zwar nicht gewonnen, aber deutlich verkürzt wurde.

Viel einfacher wäre es jedoch, wenn ein Geheimdienst der geheime Besitzer einer Firma ist, die Verschlüsselungsmaschinen und -methoden herstellt. Die im Vertrauen auf ihre neutrale Herkunft aus der Schweiz von mehr als hundert Staaten der Welt verwendet werden oder wurden. Eine Idee wie für einen Spionagethriller von John Le Carré gemacht. Keine Idee, sondern Realität.

Mitte der 90er Jahre erste Gerüchte

Die Firma heisst Crypto AG und hatte ihren Sitz im Innerschweizer Zug. Schon 1925 hatte ihr schwedischer Gründer eine erste Chiffriermaschine gebaut. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Firmensitz in die neutrale Schweiz verlegt. Lange Jahre hat man sich die Verschlüsselung wie mit einer etwas voluminösen Schreibmaschine vorzustellen. Nur werden die Buchstaben nicht direkt aufs eingespannte Papier gehauen, sondern durchlaufen vorher ein kompliziertes Räderwerk, das den Text in einen unverständlichen Buchstabensalat verwandelt.

Der große Verkaufsschlager der Crypto AG waren Sprachverschlüsselungsgeräte für den Funkverkehr. Sie fanden überall auf der Welt für Botschaften, für militärische Kommunikation und auch für Regierungskommunikation ihre Anwendung. Ihre Verschlüsselung beruhte auf einem Algorithmus, der geheim war. Staaten wie der Irak, Libyen, aber auch Chile oder Argentinien verwendeten diese Geräte. In der Meinung, dass damit ihr Nachrichtenaustausch geschützt und geheim wäre.

Schon Mitte der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts gab es erste Gerüchte, dass die mit Geräten der Crypto AG übermittelten Geheimbotschaften nicht für alle geheim waren. Sondern von der CIA und dem deutschen Nachrichtendienst BND mitgehört werden konnten. Das wurde natürlich von allen Beteiligten strikt abgestritten, und mangels handfester Beweise nicht weiterverfolgt.

Kleiner Zwischenakt: Es ist bekannt, dass eine der vielen Maßnahmen der USA nach den Terroranschlägen von 9/11 darin bestand, dass sie alle Anbieter von Verschlüsselungssoftware dazu zwang, den Schlüssel bei der NSA zu hinterlegen. Ohne das kein Marktzugang in den USA. Wer also meint, mit PGP, Threema oder gar Whatsapp oder Skype sei er weitgehend abhörsicher, ist ein Träumer. Wie man nicht erst seit Snowden weiß, hat die NSA inzwischen auch ihr anfängliches Problem gelöst: Sie konnte zwar im Prinzip alle Kommunikationen auf der Welt abhören, ersoff aber im Datenmeer, das dadurch entstand. Intelligente Algorithmen und Strukturen haben dieses Meer gebändigt.

Sie kauften schlichtweg die Firma

Wie nun der "Washington Post", dem ZDF und dem Schweizer Fernsehen zugespielte Dokumente belegen, gingen die Geheimdienste bei der Crypto AG noch einen Schritt weiter. Sie knackten nicht etwa den Verschlüsselungsalgorithmus. Nein, sie kauften schlichtweg die Firma. Via den üblichen Umweg über einen Treuhänder in Liechtenstein.

Das bedeutet, und an der Authentizität der Dokumente scheint kein Zweifel zu bestehen, dass CIA und BND jahrzehntelang strikt geheime Nachrichten abhörten. Das bedeutet unter anderem, dass sie über die Putschvorbereitungen gegen den chilenischen Präsidenten Allende informiert waren. Über die Folterknäste und das Verschwindenlassen von Regimegegnern durch die argentinische Militärjunta. Oder auch über die Vorbereitungen des Bombenattentats auf die Berliner Diskothek La Belle. Präsident Reagan legitimierte seinen darauffolgenden Luftangriff gegen Tripolis damit, dass unbezweifelbare Erkenntnisse vorlägen, dass Libyen hinter diesem Anschlag stünde.

Viele Regierungen, Militärs und staatliche Stellen müssen sich nun überlegen, welche Informationen, die sie mit Geräten der Crypto AG übermittelten, jahrzehntelang in die Hände der CIA und des BND gerieten. Der deutsche Nachrichtendienst will sich von der Operation "Rubicon" 1993 verabschiedet haben, Schiss vor Aufdeckung. Die CIA soll bis 2018 weitergemacht haben. In diesem Jahr wurde die Crypto AG in ihrer bisherigen Form aufgelöst.

Wenn sich die ganze Sache bewahrheitet, ist das sicherlich der größte Coup der Nachkriegsgeschichte. Zwei Geheimdienste besitzen eine Firma, die Verschlüsselungsgeräte liefert und lassen sich über die Jahre Milliarden dafür bezahlen, dass die Käufer ihnen alle Geheimnisse auf dem Silbertablett liefern. Da muss man wirklich den Schlapphut ziehen und sich tief verbeugen.

Überhaupt nicht komisch finden das natürlich die Besitzer des Namens Crypto AG. Bei der Geschäftsauflösung im Jahr 2018 meinten sie, damit eine Trademark gekauft zu haben, die große Strahlkraft hat. Noch weniger komisch findet das die Schweizer Regierung. Denn die USP, also das Alleinstellungsmerkmal der Crypto AG im Markt der Chiffriermaschinen, war natürlich, dass man einer Firma bedingungslos vertrauen könne, die in der neutralen Schweiz beheimatet ist und den Geheimalgorithmus so sicher wie das Schweizer Bankgeheimnis verwahrt.

Das Bankgeheimnis ist inzwischen löchriger als ein Emmentaler Käse, und die spannende Frage in der Schweiz ist, wer in der Schweizer Regierung allenfalls davon Kenntnis hatte, dass die wirklichen Besitzer der Crypto AG zwei angeblich befreundete Geheimdienste waren. Auch der schöne Ausspruch von Bundeskanzlerin Merkel, dass Abhören unter Freunden gar nicht ginge, wird damit relativiert. Denn der deutsche Geheimdienst verkaufte sogar getürkte Chiffriermaschinen an Freund und Feind.

Foto: Creative Commons CC0 Pixabay

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Leserpost

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Dirk Vogel / 13.02.2020

Lesen sie mal wie es Herr Danisch erging,der wohl einiges auf dem Kasten hat was Kr. angeht. “Man hat mir damals die Promotion verweigert, aber mir gleichzeitig gesagt, dass es der Universität egal sei, ob ich „die zwei Buchstaben auf der Visitenkarte” hätte, das interessiere sie nicht. Der Doktor sei ihnen egal. Es gehe ihnen darum, dass ich aus dem Forschungsbereich raus sei und dort nicht mehr unterkomme. Ich müsse absichtlich eine fehlerhafte Disseration vorlegen, mich durchfallen lassen und schriftlich verpflichten, in der Wiederholung die schlechteste Note ohne Rechtsmittel zu akzeptieren, dann bekäme ich den begehrten „Doktor”, aber sei aus der Forschung raus. Das sei der Deal. Gleichzeitig hat man die dümmsten und unfähigsten Leute – Leute, die nicht einmal Primzahlen richtig definieren können, Authentifikation nicht von Anonymisierung unterscheiden können, oder es allen Ernstes als Sicherheitsziel beschreiben, dass Passwörter möglichst kurz und einfach sein müssen, damit man sie sich gut merken kann und nicht unter die Tastatur schreibt – mit Auszeichnungen promoviert und in die Professuren gedrückt. Man hatte auf einmal Kryptoprofessorinnen, die dann vor Gericht zugeben mussten, dass sie sich zu Kryptographie nicht äußern können, weil sie davon keine Ahnung haben. “ ... (Anm. d. Red.: Links sind hier leider nicht zugelassen. Bitte googeln nach »Hadmut Danisch Die „Operation Rubikon”«)

Johannes Schuster / 13.02.2020

Ach wie schön, ich hatte schon gedacht, ich würde nie wieder solche Nachrichten lesen, als kämen sie aus der Küche des kalten Krieges. Die goldenen 20er der Kanzlerin, wer früh feiert, der früh kotzt. Ach ja, wer gute Nachrichten über das Virus sucht, die gibt es in Taiwan, das über Chiang Wei- Kuo auch einen guten Draht zur Wehrmacht hatte und als westlicher Flugzeugträger vor China fungiert. Gehlens lange Finger über den Globus. Endlich lohnt sich das Lesen der Zeitungen mal wieder…. Europa in Auflösung, Geheimdienstaffären, ein Virus killt die Weltwirtschaft und über allem thront unbeirrbar: Mutti in Pjöng-Berlin. Ich habe schon gedacht die Weltgeschichte hätte sich ins Altersheim verzogen…..

E Ekat / 13.02.2020

Unser Geheimdienst ? Eine Ente.  Die wissen nichts, das ist gerichtsbekannt.  Das Wissen, nichts zu wissen ist offenbar dermaßen ernüchternd, daß es gelegentlich für 120 Jahre unter Verschluß genommen wird.  Bereits 1993 habe man sich zurückgezogen, weil man eine Enttarnung fürchtete ?  glaubwürdig.  So konnte man den Eindruck gewinnen, daß es Frau Merkel nicht sonderlich gestört hatte, abgehört zu werden. Sie hat ja auch nichts zu verbergen. Denn sie macht offen all das, was sie denkt. Es hört ihr halt niemand zu. Oder glaubt ihr nicht. Die beste Tarnung ist immer noch die, alles vor aller Augen ablaufen zu lassen.

Karsten Paulsen / 13.02.2020

Ich verstehe die Aufregung nicht. Die Geheimdienste haben gemacht was ich gemeinhin von Geheimdiensten erwartet ... und in diesem Fall auch noch gut.

Roland Stolla-Besta / 13.02.2020

Hat nicht schon der von unseren SED-LINKEn*innen*div verehrte Herr Lenin richtig gesagt: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“? Na also, dann verhalten sich doch die Geheimdienste völlig richtig!

Lars Bäcker / 13.02.2020

Geheimdienstarbeit war schon immer ein schmutziges Geschäft. Insofern wundern mich diese Nachrichten nicht. Ich will gar nicht wissen, was der BND noch so alles für Leichen im Keller hat. Ich soll es aber auch nicht wissen, sonst wäre es nicht geheim. Geheimdienste dienen aber gerade dem eigenen Land bei der Einrichtung und Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit (sofern Politik auf diese hört und nicht, wenn die Meinung der Dienste politisch nicht opportun ist, die Leitung austauscht). Insofern sind die oben aufgedeckten “Scheußlichkeiten” Kollateralschäden, die man hinzunehmen bereit sein muss, wenn man als Land nicht selbst unter die Räder kommen will. Wie gesagt, es ist ein schmutziges Geschäft, dient aber letztlich uns allen.

Marcel Seiler / 13.02.2020

Anstatt hier rumzukriteln (“Leiche im Keller”), sollte der Autor CIA und BND für diese Aktion in den höchsten Tönen loben. Moralisierende Vorwürfe, man hätte von Schrecklichkeiten gewusst, ohne etwas zu tun, sind kindisch: Erstens hätte man ohne Crypto davon sowieso nichts gewusst. Zweitens hätte man durch offenes Handeln die Quelle verraten, also die Gans geschlachtet, die goldene Eier legt. Meinen Dank an CIA und BND für diese Aktion!

John Sheridan / 13.02.2020

Spätestens mit dem Verbot von True-Crypt war doch klar, wohin die Reise geht. Und dass der BND ein alliierter CIA-Ableger war und ist, nicht umsonst wird im Frankfurter Raum ein Grossteil des Internetverkehrs gefiltert (in den VSA verboten!) wird, ist doch eine “olle Kamelle”. Es hat sich halt keiner dafür interessiert, oder wie war das mit Erikas Mobile?! Heute geben die Meisten ihre Daten sogar freiwillig über Fratzenbuch, WhatAPup oder anderen ab.

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