Die CDU braucht einen Notarzt

Friedrich Merz tritt an – und er hat vier Trümpfe in der Hand. Erstens führt er die Umfragen nicht nur an. Er liegt seit Monaten deklassierend weit vor den anderen Kandidaten um den CDU-Vorsitz. Mit ihm scheint die Union die besten Wahlaussichten für 2021 zu haben. Vor allem an der CDU-Basis herrscht darum zusehends eine klassenfahrtartige Pro-Merz-Stimmung.

Zweitens hat Merz auf dem Parteitag von 2018 bereits 48 Prozent der Delegiertenstimmen errungen. Es fehlt ihm also nur noch eine Kleinigkeit. Diejenigen, die ihn damals wählten, dürften dies nun erst recht tun. Manche von denjenigen, die damals als Bundestagsabgeordnete bewusst gegen Merz stimmten, um ihr Mandat nicht in vorgezogenen Neuwahlen zu gefährden, neigen nun aber ins Merz-Lager, weil mit ihm ihre Rückkehr in den Bundestag 2021 wahrscheinlicher wird.

Drittens hat Merz ein klares Profil. Er steht für Wirtschaftskompetenz, Westbindung und Werteorientierung. Sein Programm für mehr Sicherheit und mehr Wirtschaftswachstum, weniger Bevormundung, staatliche Regulierung und weniger Steuern ist CDU pur. Der diffusen Profillosigkeit der Union stellt er schon rhetorisch das Konzept „klare Kante“ entgegen. Damit könnte er das gesamte deutsche Parteienspektrum wieder konturieren und manchen Wähler von der AfD in die politische Mitte zurückholen. Mit diesem Argument hält ihn selbst die linksliberale Wochenzeitung „Die Zeit“ „für den Richtigen“.

Viertens ist Merz die Alternative zur Alternativlosen. Gerade weil er zu Angela Merkel und der Großen Koalition in markanter Distanz steht, sehen ihn viele Parteifreunde als glaubwürdige Verkörperung eines Neubeginns an. Vor allem für die Ost- und Süddeutschen in der CDU, für den Mittelstand, die Wirtschaftsliberalen und die Konservativen der Partei ist er eine Sehnsuchtsfigur für ein Comeback – das Comeback seiner Person ist dabei eine perfekte Projektionsfläche des ersehnten Comebacks der Partei.

Ein Handlungsreisender durch Deutschland

Anders als bei seinem ersten Anlauf 2018, als Merz wie ein Komet über die CDU kam, hat er diesmal die Partei in ihrer Breite vorbereitet. Er quert seit Monaten wie ein Handlungsreisender durch Deutschland und seine CDU-Ortsverbände, um Gefolgschaft und Akzeptanz zu sammeln. Auch mit Annegret Kramp-Karrenbauer und den Mitbewerbern pflegt er ein überraschend gutes persönliches Verhältnis. Offenbar wollen Laschet und Merz – egal wie der Parteitag ausgeht – hernach gemeinsam in den Wahlkampf ziehen.

Diese Variante der Team-Idee bedeutet, dass Merz auch im Falle einer Niederlage als Wirtschafts- und Finanzhäuptling der Union eine Machtgröße bleiben wird. Umgekehrt versichert sich Merz damit der Rückendeckung des Merkel-Lagers – falls er gewinnt.

CDU-Insider erwarten für den Parteitag einen klaren Zweikampf zwischen Merz und Laschet. Dies liegt auch daran, dass die Personalfrage unausgesprochen mit einer Richtungs- und Strategiedebatte verknüpft ist. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet steht dabei für eine inhaltliche Fortsetzung des Merkel-Mitte-Kurses und für einen „Brückenbauer-Wahlkampf“. Mit dem konzilianten rheinischen Umarmer Laschet würde man – wie bisher mit Merkel – das linke Lager nicht unnötig mobilisieren, sagen seine Unterstützer und plädieren für eine Fortsetzung der Merkel-Taktik einer „asymmetrischen Demobilisierung“.

Mit Merz würde die CDU hingegen einen entschiedenen „Orientierungswahlkampf“ eröffnen und das eigene Lager endlich wieder mobilisieren, erwidern dessen Gefolgsleute. „Uns hilft kein ‘Weiter so’ mit neuen Gesichtern. Wir brauchen einen echten Aufbruch“, sagt ein Bundestagsabgeordneter, der auf dem kommenden Parteitag für Merz stimmen will.

Machtpolitische Abnutzung und innere Lähmung

Tatsächlich braucht die CDU in Wahrheit nicht nur einen neuen Vorsitzenden, sondern einen Notarzt. Denn die CDU schwächelt und irrlichtert nicht bloß. Die Partei steckt in der schwersten Krise seit der Spendenaffäre vor zwanzig Jahren. Damals brach das Machtsystem Helmut Kohls zusammen und hinterließ eine tief erschütterte Partei. Heute geht Angela Merkels Ära zu Ende und die Verwundung der CDU ist noch größer.

Denn diesmal trifft die machtpolitische Abnutzung und innere Lähmung der Partei auf eine polarisierte Republik mit Populisten und existenzbedrohten Volksparteien. Zum Vergleich: Die CDU/CSU erreichte 2019 bei der Europawahl (zum Ende der Merkel-Ära) gerade noch 28,9 Prozent der Stimmen, bei der Europawahl im Jahr 1999 (zum Ende der Kohl-Ära) waren es 48,7 Prozent. Bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg 2004 errang die CDU 47,2 Prozent, am vergangenen Wochenende waren es noch 11,4 Prozent.

Anders als bei der Kohlfinalkrise ist der Sockel der jetzigen Merkelfinalkrise also viel kleiner. Die Lage ist schlichtweg dramatisch für das Selbstverständnis der Union als staatstragende Partei. Die CDU hat unter Merkel 200.000 Mitglieder verloren, Hunderte von Mandaten sind weg, der Substanzverlust in der Stammwählerschaft beträgt mindestens zehn Prozentpunkte. In der CDU fürchten nicht wenige, dass man wie die SPD völlig abstürzen könne. Manche sorgen sich sogar, dass man bei weiteren Fehlern wie in Thüringen sogar der italienischen Democrazia Cristiana in die Bedeutungslosigkeit folgen könnte.

Auch diese Stimmungslage der Angst spielt Merz in die Karten. Viele in der CDU erinnert die jetzige Lage an die Krise der österreichischen Schwesterpartei ÖVP, die 2016 unter die 20-Prozent-Marke abgerutscht und nur mehr drittstärkste Kraft in Österreich war. Mit Sebastian Kurz und einem markant bürgerlichen Profil gelang der ÖVP ein spektakuläres Comeback. Merz selber hat Kurz zu dessen jüngstem Wahlsieg daher demonstrativ gratuliert: „Es hat sich einmal mehr gezeigt: Mit klarem Profil kann eine bürgerliche Partei auch wieder Mehrheiten gewinnen.“ Erst einmal muss er freilich den Parteitag gewinnen.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei The European.

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Leserpost

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Hjalmar Kreutzer / 27.02.2020

So wie 2017 die FDP, wie „Aufstehen“ der Frau Wagenknecht soll jetzt der Pinocchio Merz nur eins, der bösen, bösen, schlimmen faschistischen AfD Wählerstimmen mit ähnlichen Parolen abjagen. Wird sich dadurch an der Politik dieser Bundesregierung und ihrer Scheinopposition in der Volkskammer irgendetwas ändern zugunsten des deutschen Volkes? Träumen Sie weiter. Wegen der Meinungsvielfalt auf der Achse respektiere ich Ihre Veröffentlichungen hier trotzdem.

Roland Bieler / 27.02.2020

In der Mitteldeutschen Zeitung heute: „Gegenwind für Merz „ Im Internet formiert sich Widerstand. Dabei wird der Unionspolitiker wegen früherer Positionen angegriffen. Was ist dran an den Vorwürfen ? ... heißt es in der 2. Überschrift. ... heißt nicht wir die links grüne Mainstream Presse sind gegen Merz sondern das böse Internet. Er stimmte 1997 gegen das Gesetz welches Vergewaltigung in der Ehe zur Straftat erklärt, 2000 schlug er die Rente mit 70 vor, 2004 hatte er eine Abschaffung des Kündigungsschutzes erwogen und 2006 war er gegen die Offenlegungen von Nebeneinkünften der Abgeordneten. Ich hoffe Merz ist bewusst das die Kanonen geladen und die Schmutzkübel gut gefüllt sind. Wenn es seine Unterstützer nicht schaffen sich gegen den links grünen Widerstand zu zeigen und und sich zu Merz zu bekennen bleibt seine Kandidatur eine Randnotiz.

Mathias Hartmann / 27.02.2020

Ich will diesen elenden Verein von Mitläufern, Funktionären, Kryptobolschewisten und Taktierern nur noch loswerden.

Ulla Kröger / 27.02.2020

Fragt sich, ob die “ehemaligen” CDU/CSU Wähler, die nach Merz´ unglaublicher Sprachkloake neuerdings zum “Gesindel” gehören, diesem bösen, alten weissen Mann noch folgen wollen. Währe ich einer, so könnte mich dieser sprücheklopfende Umfaller mal am Mors…!

Stefan Zorn / 27.02.2020

Mit Merz könnte es klappen. Allerdings auf ihn verlassen würde ich mich mit Hinblick auf seine Äußerungen zur AfD eben auch nicht. Ich werde deshalb trotzdem das Original wählen und Herr Merz kann dann ja “klare Kante” zeigen und auf Augenhöhe mit der AfD koalieren, um eine weitere Entwicklung in Richtung “DDR 2.0” zu verhindern. Dann werden wir ja sehen, ob er ein Aufrechter, oder eben auch nur ein begabter Schwätzer ist.

Ulrich Geil / 27.02.2020

Joa, mitm Merz an der Spitze könnte es für die CDU wieder leicht aufwärts gehen. So ein ganz kleines bisschen wenigstens. Eine echte Wende wirds unter ihm aber auch nicht geben. Dafür fehlen im nicht nur die richtigen Leute, sondern vermutlich auch noch andere Dinge. Aber ich lasse mich gerne vom Gegenteil überzeugen. Zumindest hat er schlicht mehr drauf, als der Rest der auf CDU-Seite in Erscheinung tretenden Leute. Und genau deswegen wird er vermutlich auch nichts zu melden bekommen. Aber das wird die Führerin entscheiden. Und Sie, Herr Weimer, dürfen es meiner Bildung und Lebenserfahrung danken, daß ich Ihnen nicht in für jeden Proletarier verständlichen Worten klar sage, was ich von Ihrem Artikel halte. So müssen Sie sich damit zufrieden geben, daß ich Ihre Analyse insgesamt für eine krasse Fehleinschätzung halte, auch wenn am Rande Wahres gestriffen wird. Als kleinen Appetizer mag ich aber durchaus noch sagen, daß die CDU keinen Notarzt mehr braucht, sondern einen Re-Animator ;)

M. Braun / 27.02.2020

Friedrich Merz ist die einzige und letzte Chance für die CDU. I

Marc Stark / 27.02.2020

Der wahre Grund, warum die AFD schon seit dem ersten Tage so vehement verteufelt wird, ist der, das sie unser SYSTEM grundlegend in Frage stellt. Diesen Filz aus Oligarchie/Lobbyismus, Zombie-Unternehmen-Subventionen und Steurraub-Sozialismus, der eben kein pöhser Kapitalismus, sondern blanker Korporatismus ist. Das ausgerechnet Friedrich Blackrock Merz, diesere Muster-Korporatist, diesem Filz beikommen will, halte ich für ausgeschlossen. Ein paar populistische Pseudo-Änderungen, ein paar Seehofer heisse Luft, bekäme auch Blackrock als Dierektregierung hin, das wäre zumindest ehrlicher. Die AFD steht für DIREKTE Demokratie, Volksabstimmungen, für MEHR Bürgerrechte/beteiligung, mehr individuelle Freiheit… und WENIGER Staat, Kontrolle, Macht, Zentralismus…. DAS ist der WAHRE Grund, warum alle anderen Parteien, die allesamt für MEHR Staatsquote, Kontrolle, Macht… stehen, sie in nie dagewesener Form bekämpfen. Die AFD will grundlegend die “repräsentative” Demokratie, durch DIREKTE Demokratie ersetzen. Das ausgerechnet ein solches Anliegen antidemokratisch, gar faschistisch sein soll, ist der Gipfel der Perfidie. Aber glaubt ruhig weiter, das ein neuer Hampelmann an der Spitze irgendeiner System-Partei irgendwas ändert, gebt alle 4 Jahre eure Stimme und haltet sonst brav die Schnauze und glaubt munter weiter das dieses Farce Demokratie ist. Alles besser als bloss ja nicht mit diesen widerlichen Nazis in Verbindung gebracht zu werden! (Zugegeben es gibt einen Flügel. Würde dieser das Buntheits-Dogma nicht so vehement in Frage stellen, wäre er mit seinen sozialistischen Elementen und dem Liebäugeln mit Staatsquote, Macht, Kontrolle… die ideale Systempartei. So liefert er aber den Vorwand, um den wahren Feind, die liberalen Direktdemokraten, immer dreister auszugrenzen.)

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