Die Bundeswehr als „Corona-Ordnungsmacht“

Der faktisch immer noch existierende Corona-Ausnahmezustand stellt keine Basis für einen wie auch immer gearteten Einsatz der Armee im Inneren dar. Doch die Berufung eines Generalmajors als künftigen obersten Corona-Manager ist ein markiges Zeichen.

Herbst 1977, der „deutsche Herbst“. Ein Land im Ausnahmezustand. Terroristen der militärisch ausgebildeten und agierenden „Rote Armee Fraktion“ hatten zahlreiche Bombenanschläge und Morde an einflussreichen Persönlichkeiten aus Politik, Justiz und Wirtschaft auf ihrem Gewissen, Jetzt befand sich Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer in ihrer Gewalt. Parallel zu seiner Entführung hatten PLO-Terroristen die Lufthansa-Maschine „Landshut“ in ihre Gewalt gebracht mit 91 Menschen an Bord. Sie drohten, das Flugzeug in die Luft zu sprengen, wenn nicht die in Stuttgart-Stammheim inhaftierten Top-Terroristen der RAF unverzüglich freigelassen würden. Im ganzen Land herrschte eine bis dahin ungekannte Hysterie. Niemand, der eine hohe Funktion in Staat und Gesellschaft innehatte, konnte sich mehr sicher fühlen.

In Bonn, der damaligen Bundeshauptstadt, tagten ohne Unterlass zwei von Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) eingesetzte Krisenstäbe, mehrmals täglich die „kleine“, ein- bis zweimal pro Woche oder öfter die „große“ Lage. Unter Schmidts persönlichem Vorsitz gehörten dem „kleinen“ Krisenstab folgende Persönlichkeiten an: Bundesinnenminister Werner Maihofer, Justizminister Hans-Jochen Vogel, Außenminister Hans-Dietrich Genscher (teilweise vertreten durch Bundeswirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff), Staatsminister Hans-Jürgen Wischnewski, Kanzleramtsleiter Manfred Schüler, Regierungssprecher Klaus Bölling, BKA-Präsident Horst Herold und Generalbundesanwalt Kurt Rebmann, Nachfolger des 1977 von Terroristen ermordeten Generalbundesanwalts Siegfried Buback. In der großen Lage saßen zusätzlich führende Politiker aller im Bundestag vertretenen Parteien sowie die Ministerpräsidenten jener Bundesländer, in denen RAF-Häftlinge inhaftiert waren.

Obwohl die Bundesrepublik gewissermaßen militärisch auf eigenem Boden sowie von außen in einer seit Kriegsende unbekannten Dimension herausgefordert wurde, gehörten diesen Krisenstäben, die im Grundgesetz nicht vorgesehen waren, keine Vertreter der Bundeswehr an. Wenn man davon absieht, dass Schmidt im Zweiten Weltkrieg als Oberleutnant bei der Reichsluftwaffe gedient hatte, waren es rein zivile Gremien, die mit polizeilichen, geheimdienstlichen und politischen Mitteln versuchten, die Kontrolle über das Land aufrecht zu erhalten, der Mörder habhaft zu werden, die Geiseln zu befreien und den Bestand der deutschen Rechts- und Gesellschaftsordnung zu sichern. Das Land bestand die Krise, ohne wesentliche Rechtsgüter und demokratische Errungenschaften preisgegeben zu haben. Den Vorschlag, inhaftierte Terroristen der Folter zu unterziehen, soll Schmidt energisch zurückgewiesen haben.

„Nichts, das nicht in Betracht gezogen werden kann“

Auch heute steckt Deutschland in einer Krise. Diesmal gilt der Kampf nicht schwer bewaffneten und zu allem entschlossenen Terroristen, die Deutschland in eine Art Steinzeitkommunismus führen wollten, sondern einem unsichtbaren Virus, einem Atemwegserreger, der zwar in eher seltenen Fällen zu schwerer Krankheit und Tod führen kann, doch die allermeisten Bürger mehr oder weniger unbehelligt lässt. Und obwohl das Land in seinem Bestand niemals bedroht war oder bedroht ist, werden Rechtsgüter, die bislang als unveräußerlich galten, im Turbogang ausgehöhlt oder suspendiert. Wieder tagen Gremien, die vom Grundgesetz nicht vorgesehen sind, doch im Unterschied zu damals treffen sie Entscheidungen, die schwerwiegend und langfristig in Freiheit und körperliche Integrität jedes Einzelnen eingreifen.

Viele rechtliche und institutionelle Vorkehrungen, die die Väter des Grundgesetzes ersonnen hatten, um die Wiederkehr eines autoritären oder totalitären Gewaltsystems auf deutschem Boden zu verhindern, wurden und werden marginalisiert oder über Bord geworfen: der Föderalismus, die Gewaltenteilung, der Parlamentsvorbehalt, die Unabhängigkeit der Justiz und, nicht zuletzt, die Grundrechte. Und nun wird gar einem leibhaftigen Bundeswehr-General die Leitung eines neuen Krisenstabes anvertraut und zwar unter Federführung einer noch gar nicht amtierenden Bundesregierung – in einem institutionellen Niemandsland gewissermaßen. Diesmal ist nichts davon zu hören, dass sich führende Politiker dem Äußersten entgegenstellen. Im Gegenteil: Bald-Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte bei der Berufung von Generalmajor Carsten Breuer, der neue „Corona-General“ („Bild“) werde „alles tun, was nötig ist. Es gibt nichts, das nicht in Betracht gezogen werden kann“.

Soll eine weitere Bastion des Grundgesetzes sturmreif geschossen werden? Will man nun auch die Axt angelegen an die besonders strengen Maßgaben, die das Grundgesetz für den Einsatz der Truppe im Inneren vorsieht, auch dies eine Lehre aus der Geschichte, in der militärische Kräfte immer wieder zur Einhegung oder Vernichtung innenpolitischer Gegner herangezogen wurden, in der Weimarer Republik etwa bei der blutigen Niederschlagung des Spartakusaufstandes in der Verantwortung des damaligen Volksbeauftragten für Demobilisierung, Heer und Marine beziehungsweise Reichswehrministers Gustav Noske, ironischerweise (auch er) ein Sozialdemokrat, der sich in seinen Memoiren mit dem berühmten Satz zu rechtfertigen versuchte: „Einer muss den Bluthund machen.“

Letzte einer ganzen Reihe von Eskalationsstufen

In einem Kommentar zum einschlägigen Artikel 87 a des deutschen Grundgesetzes heißt es:

„Die Regelung des Art. 87a soll Vorsorge gegen die beiden Risikofaktoren des Streitkräfteeinsatzes im Inneren treffen: Die Freisetzung des militärischen Gewaltpotentials und die Präsenz der Streitkräfte als Machtfaktoren im Inneren des Staates. Aus der zweitgenannten Stoßrichtung der Norm ergibt sich nun, dass Art. 87a Abs. 2 GG nicht nur jede bewaffnete, sondern auch jede innenpolitisch nicht neutrale Verwendung der Streitkräfte verhindern will. Eine Verwendung der Streitkräfte als Mittel der vollziehenden Gewalt in einem Eingriffszusammenhang liegt nicht erst bei einem konkreten Vorgehen mit Zwang, sondern bereits dann vor, wenn personelle oder sachliche Mittel der Streitkräfte in ihrem Droh- oder Einschüchterungspotential genutzt werden. Dabei ist außer der militärischen Verwendung auch jede andere Verwendung erfasst, die sich als Mittel der vollziehenden Gewalt darstellt und die Gefahr in sich birgt, die Bundeswehr zu einem Machtpotential der Exekutive im Innern des Staates werden zu lassen.“

Bislang kann die Bundeswehr im Inneren nur bei Naturkatastrophen (wie jüngst im Ahrtal) oder besonders schweren Unglücksfällen auf Anforderung eines Bundeslandes oder, bei mehreren betroffenen Bundesländern, auf Weisung der Bundesregierung zur Unterstützung von Polizeikräften eingesetzt werden. Darüber hinaus regelt Art. 87a Abs. 4 den Einsatz der Streitkräfte im Inneren des Staatsgebietes im Falle des inneren Notstandes. Er ermächtigt die Bundesregierung, die Streitkräfte zur Abwehr von Angriffen auf den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes zu verwenden. Die Norm richtet sich etwa gegen organisierte und militärisch bewaffnete Aufständische, die die Herrschaft über den Staat erobern wollen. Dabei liegt die Schwelle zum Einsatz der Streitkräfte als letzte einer ganzen Reihe von Eskalationsstufen so hoch wie irgend möglich.

Die Personalie komme einer Sensation gleich

Es ist evident, dass der faktisch immer noch existierende Corona-Ausnahmezustand keine Basis für einen wie auch immer gearteten Einsatz der Armee im Inneren darstellt. Doch die Berufung eines Generalmajors als künftigen obersten Corona-Manager ist ein markiges Zeichen, vor allem in Hinsicht auf die geplante Impfpflicht und die an die Erstimpfung sich anschließende, in regelmäßigen Abständen wiederkehrende „Boosterung“ der gesamten Bevölkerung. Die neue Ampel will zeigen will, dass sie „Eier hat“, im Gegensatz zur angeblich in Sachen Corona, Klima und so weiter so zauderhaften Vorgängerregierung. Dass diese Personalie ausgerechnet von einer Koalition ersonnen wurde, deren Repräsentanten wie keine Bundesregierung zuvor vom Geist des Pazifismus durchdrungen sind, vom Credo offener Grenzen und einer absichtlich herbeigeführten Schwächung der Bundeswehr und damit der „wehrverfassungsrechtlichen Bewusstseinslage“, also der Überzeugung der Bürger von der Sinnhaftigkeit der Verteidigung ihres Landes unter Inkaufnahme auch eigener Opfer, ist so unerwartbar, dass es dem Publikum den Blick auf die Widersprüche verstellt. 

Man muss sich nur ausmalen, welcher Aufschrei durch die Medien gegangen wäre, wenn eine zumindest nominell konservative Regierung eine solche Entscheidung getroffen hätte. Dem Trio Scholz/Habeck/Lindner wurde dagegen allseitiger Respekt gezollt. Die Süddeutsche Zeitung (SZ) sprach in einem wohlwollenden Porträt Breuers auf der Meinungsseite von einem „Wow“-Effekt. Die Personalie komme einer Sensation gleich. „Gut möglich, dass Breuers Gesicht bald ähnliche Bekanntheit erlangt wie das des Virologen Drosten.“ Bewähre sich Breuer, dürfte ihm „sogar eine Zukunft als Generalinspekteur der Bundeswehr offen stehen“.

Was erwartet man sich von dem General, der seit 2018 an der Spitze des Kommandos Territoriale Aufgaben steht, das für Einsätze der Streitkräfte im Inland zuständig ist? Scholz zufolge soll der 56-jährige unter anderem die Booster- und weitere Corona-Impfungen in Deutschland beschleunigen. Dazu könnte weiteres medizinisches Personal der Bundeswehr abkommandiert werden oder, wie bereits geschehen, Soldaten zur administrativen Verstärkung der Gesundheitsämter. Außerdem dürfte es darum gehen, mit militärischer Effizienz eine Meldeinfrastruktur aufzubauen, die über den Impfstatus jedes einzelnen Bürgers Auskunft gibt, der Einstieg in einen Überwachungsstaat, der alles bisher Dagewesene in den Schatten stellt.

Und sollte es auch hierzulande noch zu mächtigen Demonstrationen gegen den Corona-Maßnahmenstaat kommen, lässt sich mit Hilfe des willfährigen Bundesverfassungsgerichts vielleicht doch ein Staatsnotstand konstruieren, der die frisch zwangsgeimpfte Bundeswehr als „unabhängige Ordnungsmacht“ auf den Plan riefe, weitaus weniger anfällig für Fraternisierungen mit den von allfälliger Repression Betroffenen als die Polizei, die stets näher am Volk agiert.

So schnell damit Tabus zu brechen, wohlfeile Programmatik zu schreddern, lang gehegte Überzeugungen zu schleifen und eigene Ideale zu verraten, so schnell war noch keine politische Kraft wie die Ampel. Aber einer muss ja den Bluthund machen.

Foto: Christian Engels / Frankfurter Klasse

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Leserpost

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Heribert Glumener / 03.12.2021

Interessante Entwicklung. Wäre es dann nicht auch an der Zeit, den Menschen endlich den Allround-Chip direkt in den Arm zu implantieren? Viel besser als diese Smartphone-Daddeleien/ QR-Codes und komfortabel für ältere Menschen, für die Smartphones Neuland sind. Frei nach Werner Keller: “Was gestern noch als Verschwörungstheorie (Wunder) galt”.

Bernd Ackermann / 03.12.2021

Als die RAF die selbsternannten Eliten des Landes attackierte, wusste sich diese mit allen Mitteln zu wehren. Wenn Einmann den Michel und die Micheline mit einem fröhlichen “Allahu Akbar” auf den Lippen in die Ewigen Jagdgründe schickt, ist es ihnen egal. Mit dem kleinen Mann, der Verfügungsmasse des Staates, kann man es machen. Und jetzt also die Bundeswehr. Ich sehe schon Scharfschützen auf Hausdächern liegen, die mit Betäubungsgewehren, mit denen man sonst in der Serengeti Elefanten flachlegt, Impfdosen auf unwillige und ungeimpfte Passanten verschießen.

Sabine Lotus / 03.12.2021

Und wenn sie es dann eingeführt haben, machen sie schön schnell die Biege wie Schallenberg und Kurz, überlassen das Spritzvolk dem Militär und setzen sich auf den tropischen Strand, der ihnen für ihre ‘rote Linien schreddern’ Politik versprochen wurde. Uschi klatscht. Alle gucken doof. Vorhang.

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