Eigentlich halte ich es mit der gesunden journalistischen Überzeugung, dass die Politik Teil der Entertainment-Industrie ist und ihre vornehmliche Aufgabe darin besteht, die Medien mit unterhaltsamen Geschichten zu versorgen. Das geht natürlich nur, so lange man nicht selber unmittelbar von der Politik getroffen wird. Bei uns ist das zur Zeit gleich dreifach der Fall. Meine in England lebende Tochter hat der Brexit getroffen, meine in Amerika lebende Tochter muss Trump aushalten, und ich fahre einen schönen alten Diesel, der mir gerade mies gemacht wird. Kurz und gut: Der Unterhaltungswert der Politik ist für mich im Augenblick stark gesunken.
Aber zum Glück gibt es ja nicht nur die harte Politik sondern auch die Kulturszene. Zum Beispiel die Sache mit dem Ende Deutschlands. Das kommt ja in doppelter und ziemlich unterschiedlicher Gestalt vor. Am unterhaltsamsten hat Thilo Sarrazin „Deutschland schafft sich ab“ geschrieben und dabei ungehörigerweise das Tabu-Wort „Kopftuch“ verwendet. Außerdem hat er Hartz-Vier-Empfängern, denen das Heizgeld knapp wird, empfohlen, zu Hause auch mal 'nen Pullover anzuziehen, eine ungeheuerliche Zumutung in unserer T-Shirt-Kultur. Kurz: Er hat mit seinen Büchern die Mitgliedschaft im Verein der Edlen und Guten aufgekündigt. Aber er hat mit seinen Bestsellern vielen Leuten aus dem Herzen gesprochen und das mag ihn trösten.
Ein anderes Ende unseres Bestseller-Deutschlands findet auf Latein statt, als „Finis Germania“. Der Autor hat durch sein Ableben die Farce um sein Geschichtsbuch verpasst, dessen Titel haarscharf am korrekteren „Finis Germaniae“ vorbeischlittert, das man bereits im Ersten Weltkrieg und dann im Hitlerbunker herannahen sah. Ich bin zu alt, um meine Zeit mit lateinisch aufgemotztem Untergangsgeraune zu verschwenden. Aber was sich um dieses Buch von Rolf Peter Sieferle posthum entwickelt hat, ist nun doch wieder ganz erheiternd.
Da ist einmal die Sache, dass es die rechtsvölkische Betrachtung („Auschwitz ein Mythos“) auf die Empfehlungsliste der hochfeinen Jury „Sachbücher des Monats“ geschafft hat, was natürlich zu dem ebenso vorhersehbaren wie unterhaltsamen Skandal geführt hat. Noch kurioser aber ist, dass der „Spiegel“ dann, dem politischen Reinheitsgebot folgend, das inhaltlich unerwünschte Buch aus der Bestsellerliste gestrichen hat.
Mittendrin in der Super-Nanny-Gesellschaft
Warum wird es hier erst richtig komisch? Weil eine Bestsellerliste etwas anderes ist als eine Empfehlungsliste. Eine Bestsellerliste ist eine Liste, denkt der Laie, die die Bücher enthält, die sich am besten verkaufen. Zahlen und Fakten also. Tja, und dann kommt der Redakteur mit der Schere im Kopf und schnipselt einen Bestseller einfach weg. Damit der Leser nicht merkt, dass ein anrüchiges Buch von so vielen Leuten gekauft wird.
Damit sind wir mal wieder mitten drin in der Supernanny-Gesellschaft. Die inhaltliche Bereinigung einer Bestsellerliste ist eng verwandt mit der Datenbereinigung politischer Erderwärmer, die es nicht ertragen können, wenn die Fakten auch mal gegen sie sprechen. Das Prinzip, dass nicht sein kann, was nicht sein darf, ist die philosophische Grundlage der tantenhaften Betreuungspolitik, die uns immer fester im Griff hat. Sie äußert sich in Auftrittsverboten unangepasster Autoren und Wissenschaftler und im Boykott unerwünschter Bücher.
Ich gebe zu: Wenn Fakten um der guten Sache willen einfach zugedeckt oder weggeschnipselt werden, fällt das gelassene Schmunzeln nicht ganz leicht. Ein Bestseller ist ein Bestseller ist ein Bestseller, auch wenn er nicht schön ist. Eine Pause in der Erderwärmung ist eine Pause in der Erderwärmung ist eine Pause in der Erderwärmung, auch wenn es klimapolitisch noch so störend ist. Es mag ja sein, dass der fiese Bestseller schon bald wieder in der Versenkung verschwindet. Es mag ja sein, dass morgen das Klima wieder so dramatisch hochschnellt, wie es unserer Klimapolitik in den Kram passt. Aber Fakten sind Fakten sind Fakten.
Die Super-Nanny aber hält ihrem Kind mit der Hand die Augen zu, damit es wohl behütet und angenehm ahnungslos das liebe Leben genießen kann. Sicher, der eine oder andere von uns möchte gerne als Erwachsener behandelt werden. Aber das ist offenbar ein inzwischen unüblicher Wunsch. Und auf Einzelwünsche kann um der guten Sache willen nun mal keine Rücksicht genommen werden.