Vera Lengsfeld / 24.10.2017 / 10:00 / Foto: Capture Queen / 7 / Seite ausdrucken

Die Bestrafung eines Abweichlers

Der Rücktritt von Stanislaw Tillich kam für die Sachsen-CDU überraschend. Tillich, der nicht Spitzenkandidat bei der Bundestagswahl war, kündigte den Abschied von seinen Ämtern an, den er im Dezember vollziehen will, um die Verantwortung für das katastrophale Bundestagswahlergebnis zu übernehmen. Bezeichnenderweise schien man in Berlin weniger überrascht zu sein als in Dresden. Nur Lothar de Maizière ließ eilig verlauten, dass dies doch nicht nötig gewesen sei.

Mein erster Gedanke war, dass Tillich weniger die Konsequenz aus dem schlechten Wahlergebnis zu ziehen hatte, sondern in erster Linie aus seinem Widerspruch gegen die Haltung der Kanzlerin. Schließlich hatte er eine schärfere Asyl- und Einwanderungspolitik gefordert und von seiner Partei verlangt, die Lücke nach rechts zu schließen. Wer so wider den Stachel löckt, muss bestraft werden, damit dem Rest der CDU-Ministerpräsidenten klar ist, dass sie den Mund zu halten haben.

Zwar wurde Tillichs Abgang mit allerlei Lobhudeleien vernebelt, aber schon am nächsten Tag verriet GMX in Kooperation mit SPIEGEL ONLINE, worum es wirklich ging. Unter dem martialischen Titel: „Deutschtümelei in Sachsen: Rechts auf der Karte“ zog Möchtegern-Regierungssprecher Janko Tietz über die von Tillich geführte Landespartei her:

„Die CDU in Sachsen ... hat Deutschtümelei zugelassen wie kaum anderswo…Zu zaghaft der Widerspruch gegen Pegida…Ministerpräsident Stanislaw Tillich hat dieses Klima stets gefördert, zuletzt mit der Aussage, 'Die Menschen wollen, dass Deutschland Deutschland bleibt'…Zu sehr hat sich die CDU - und ihr Vorsitzender zuvorderst - während der Regentschaft den Menschen mit braunem Gedankengut angebiedert…[Es] durften und dürfen viele Sachsen ganz ungeniert behaupten, es gäbe eine 'Masseneinwanderung' …“.

Horrible dictu! Eine Million junge Männer innerhalb weniger Monate sind keine Masseneinwanderung! Wer das denkt, muss schnellstens umerzogen werden! Laut Tietz sei es die „Aufgabe der Regierung, den Sachsen klarzumachen, dass Deutschland auch Deutschland bleiben wird, wenn Menschen einwandern“.

Tillich hat  bei der Gehirnwäsche versagt

Alles klar: Die Landschaft bleibt die gleiche, auch wenn sie von anderen Menschen bewohnt ist. Das hat das vergangene totalitäre Jahrhundert bewiesen.

Tillich hat also versagt bei der in Berlin gewünschten Gehirnwäsche seiner Untertanen, die heute verschwiemelt „die schon länger hier leben“ genannt werden. Da musste ein Exempel statuiert und ein Urteil gefällt werden, als Abschreckung für andere CDU-Politiker, nach dem Motto „Bestrafe einen - erziehe hundert“.

Die Urteilsbegründung über Medien wie SPIEGEL ONLINE liefern zu lassen, gehört zu den bewährten Methoden von Kanzlerin Merkel, die als über den Dingen schwebend wahrgenommen werden möchte und sich nicht selber die Hände schmutzig machen will. Allerdings, wer den Boden unter den Füßen verloren hat, der kann nicht mehr klar beurteilen, was sich dort abspielt.

Mit dem passiven Widerstand Tillichs hatte Merkel offensichtlich nicht gerechnet. Statt sich brav von Thomas de Maizière auf dem Parteitag ablösen zu lassen und damit dem Merkel-Vertrauten, der nicht ins Jamaika-Schema passt, eine angemessenen Versorgungsposten zu überlassen, trat Tillich selbstbestimmt zurück und nominierte seinen Nachfolger. Der Parteivorstand folgte seinem Vorschlag einstimmig und schlug dem ungläubigen Thomas damit nachhaltig die Tür vor der Nase zu.

„Deutsche Werte“ erschrecken niemanden wirklich

Michael Kretschmer ist eine gute Wahl, wenn er hält, was er verspricht. Der designierte Ministerpräsident will die CDU auf einen strikt konservativen Kurs führen. Er plädierte für „deutsche Werte“ und einen starken Rechtsstaat. Das Grundgesetz sei nicht verhandelbar. Der "Tagesspiegel" versuchte, ihn zu diskreditieren, indem er titelte: „Kretschmer für deutsche Werte“. Allerdings scheint das außer den Redakteuren und einigen hartgesottenen Lesern niemanden mehr zu stören.

Kretschmer selbst reagierte gelassen: „Ich stehe mit beiden Beinen fest in der Mitte unseres politischen Systems.“ Sollte er da stehen bleiben, wäre das nicht nur gut für Sachsen, sondern auch für Deutschland. Die Allmacht der „mächtigsten Frau der Welt“ bröckelt, und zwar erheblich. Nicht mal in Sachsen kann sie sich noch voll durchsetzen. Aber an den widerständigen Sachsen hat sich schon das Politbüro der SED die Zähne ausgebissen. 

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Leserpost

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Wolfgang Lang / 25.10.2017

Das ist Merkel macht Technik. Bestrafen einen, erziehe den Rest.

Matthias Hofmann / 25.10.2017

Tillich ist kein Opfer! Er ist seit 10 Jahren Mitglied des Bundespräsidiums der CDU, war neun Jahre MP von Sachsen. Tillich ist Teil des System Merkel. Erst nach der Wahlniederlage meldete er leise Kritik an. Tillich ist ein Verlierer - wie Kretschmer auch. Nur war er wenigstens so ehrlich, die Konsequenzen zu ziehen. Seit dem 24.09. ist die AfD stärkste Kraft in Sachsen. Angesichts der Wahlen Anfang 2019 ist es gut möglich, dass Kretschmer nur gut ein Jahr MP spielen darf.

Frank Mertes / 24.10.2017

Ich glaube nicht, dass Thomas de Maizière von den Sachsen akzeptiert worden wäre. Ein Statthalter von Merkels Gnaden? Ein Befehlsempfänger der Kanzlerin? Ein Mann, der in der Flüchtlingskrise eine ganz schwache Figur machte? (Nach der Länderspielabsage in Hannover: “Ein Teil der Antworten würde die Bevölkerung verunsichern”) Ein Christ, der islamische Feiertage in Deutschland einführen will? Kurz, ein völlig überforderter Politiker?

Marko Schindler / 24.10.2017

Na ja, ich bin unsicher, ob dies die tatsächlichen Hintergründe sind. Tatsache ist doch wohl, dass Thomas de Maizière seinen Wahlkreis (in Sachsen) behaupten konnte, Kretschmer dagegen nicht. Die lokale Presse fragte noch am Montag, wen wohl Tillich als Nachfolger für den glücklosen Innenminister präsentieren würde. Kretschmer wurde einhellig als “nicht vermittelbar” dargestellt, weil er eben ein Wahlverlierer ist. Das gleiche Blatt feiert nun ebendiesen Wahlverlierer als einzige Hoffnung für Sachsen und künftigen Retter der CDU ebenda. Und Sie stoßen in das gleiche Horn! Seltsam ...

Monique Brodka / 24.10.2017

Horrible (französisch) !

Dr. Bredereck, Hartmut / 24.10.2017

Sehr geehrte Frau Lengsfeld, es gibt ja noch einen anderen “halben” Abweichler in Sachsen-Anhalt. Der Herr Haseloff setzt seine Kritik an der eigenen Partei aber immer so an, dass er sich für das Weiterregieren stets ein Hintertürchen offen hält. Außerdem ist Haseloff voll damit beschäftigt, seine Kenia-Regierung am Laufen zu halten. Eine grüne 5,2%-Partei muss man mit ganzer Kraft im Schach halten. Da ist für mich “Jamaika” sogar ein Fortschritt..

Dr. Andreas Dumm / 24.10.2017

Es muß heißen: “horribile dictu”. Das Wort “horrible” gehört der englischen Sprache an, nicht der lateinischen.

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