Man erwartet erst gar nicht, dass Donald Trump behandelt wird wie alle anderen. Das zeigte einmal mehr die Einseitigkeit der ABC-Moderatoren während der Präsidentschafts-Debatte. Fakten wurden nur bei Trump gecheckt. Was waren die besten Momente der Kontrahenten?
Ob die Debatte der letzten Nacht wirklich das einzige Aufeinandertreffen von Harris und Trump bleiben wird, bleibt abzuwarten. Harris Kampagne ist nach dem für sie guten Ausgang der ersten so euphorisch, dass man plötzlich noch ein weiteres Treffen im Oktober haben möchte. Als Gastgeber hatte sich Foxnews angeboten, wo die Bedingungen allerdings nicht ganz so vorteilhaft für Harris ausfallen würden.
Das TV-Duell in Philadelphia war ein Erbe der Verhandlungen zwischen Biden und Trump. Ebenso die Regeln, unter denen es stattfand: kein Publikum, kein offenes Mikrofon, kein Trump wohlgesinnter Sender. Was Biden eigentlich helfen sollte, schadete ihm. Harris fand die Regeln eher ungünstig für sich selbst und versuchte, neue auszuhandeln. Bei abgeschaltetem Mikrofon kann Trump sie nicht unterbrechen und so wäre auch ein oberlehrerhaftes und zurechtweisendes „I’m speaking“ wie im TV-Duell 2020 mit Pence unmöglich. Ausgerechnet diese Spitze verwendete nun Trump und spätestens in diesem Moment wurde klar, dass er sich in die Defensive hat drängen lassen. Er wurde zorniger und zorniger. Und während Harris gut eintrainierte Wortgirlanden abspulte, versuchte Trump, sich gleichzeitig gegen Harris Insinuationen und die in An- und Abmoderationen eingeflochtenen lapidaren „Faktenchecks“ der ABC-Moderatoren zu wehren.
Doch das Offensichtliche vorweg: Harris tagelange Klausur hat gewirkt, sie war gut vorbereitet und schoss in Sachen Mimik, Gestik und schauspielerische Performance oft sogar übers Ziel hinaus. Über das mögliche oder unmögliche Händeschütteln zu Beginn wurde viel spekuliert, dass es dann doch stattfand, war allerdings schon der Gipfel der ausgetauschten Höflichkeiten.
In 90 Minuten kein Harris-Faktencheck
Als erster Eindruck bleibt, dass Harris sehr nervös und Trump wild entschlossen zu sein schien, so wenig wie nur irgend möglich zu ihr hinüberzublicken, während sie schon in der ersten Antwort versuchte, möglichst viele der politischen Geschenke unters Wahlvolk zu streuen, die sie in den letzten Wochen angekündigt hatte. Bei der Gelegenheit wurde man auch erstmals Zeuge, wie glatte Lügen über das, was für Grausamkeiten Trump angeblich mit dem Land anstellen wolle, unkommentiert durchgehen. 20 Prozent Verbrauchssteuer auf alles? Er sprach aber von Einfuhrzöllen und da wiederum auch nur für bestimmte Waren, etwa aus China. Die von Trump in seiner ersten Amtszeit eingeführten Zölle sind übrigens immer noch in Kraft und die Frage, warum Biden/Harris sie nicht abgeschafft hätten, übergeht Harris.
Viel lieber möchte sie über „Project 2025“ sprechen. Oder genauer gesagt behaupten, dass diese 900 Seiten dicke Studie eines konservativen Think-Tanks die Agenda Trumps enthalte, was dieser – genau wie die „Heritage Foundation“ als Autor – stets verneint hat. Hier wäre es auch mal an der Zeit gewesen, dass die Moderatoren David Muir und Linsey Davis einen ihrer bei Trump gern eingestreuten Faktenchecks auf die Aussagen Harris anzuwenden. Doch dazu sollte es während der ganzen 90 Minuten nie kommen. Einer gegen alle, alle gegen einen blieb der Arbeitsmodus und Trump schaffte es nur selten aus der Defensive heraus – ein Umstand, der seinen geradezu sichtbaren Ärger nur noch steigerte.
Nur einmal wäre die Fassade der freundlichen Herablassung fast von Harris abgefallen: als Trump die Wirtschaftspolitik der Biden/Harris-Regierung geißelt und Harris Sozialisation im marxistischen Umfeld ihrer Eltern erwähnt, verliert sie einen Moment lang die Kontrolle über ihre Mimik. Aber sie fängt sich rasch wieder und die Moderatoren lenken das Gespräch auf ihr Lieblingsthema: das Urteil des obersten Gerichtshofes zum Abtreibungsrecht. Trump, der in dieser Sache der wohl liberalste unter allen Konservativen ist, erklärt hier sachlich, wo er steht. Nämlich in etwa dort, wo die deutsche Gesetzgebung sich in der Angelegenheit befindet: Fristen und ansonsten viele Ausnahmen wie bei Vergewaltigung, Inzest oder wenn das Leben der Frau in Gefahr ist.
Er betont, dass es nach 52 Jahren erbitterten Streits über die bestehende Regelung einfach an der Zeit war, die Bundesebene aus der Angelegenheit herauszunehmen und sie endgültig in die Hände der Staaten und somit die der dortigen Wähler zu legen. Ob er denn ein Gesetz unterzeichnen würde, welches Abtreibungen verbieten würde, fragt der Moderator. Trump bemerkt die Falle, die hier für ihn ausgestellt ist, denn ein JA würde die Konservativen verprellen, ein NEIN die Unabhängigen. Es gäbe keine Chance, dass es ein solches Gesetz jemals auf seinen Schreibtisch schaffen werde, weil das die Bundesebene nicht mehr angehe – Thema erledigt.
In Harris Wortgirlanden gingen Gespenster spazieren
Harris Antwort ist weniger salomonisch, sondern dem Gegenstand entsprechend emotionaler und manipulativer. Sie malt mit blutigem Pinsel die unglaublichsten Fälle und auch wenn ihre Vorwürfe an Trump, er plane ein bundesweites Abtreibungsverbot, allesamt nicht zutreffen, hat sie hier ihre wirkungsvollsten Momente. Wieder und wieder spricht sie mit bebender Stimme vom „Trump-Abortion-Ban“ und prägt so die Lüge in die Köpfe der Wähler. Sie machte klar, dass sie es als ihre vorrangige Aufgabe sieht, dass die Bundesebene die Abtreibungsfrage wieder an sich zieht. In Washington, wo Zentralismus und politischer Sumpf zuhause sind, hörte man vernehmlich die Frösche quaken.
Trump, gleichzeitig mit der Antwort auf Fragen wie mit Erwiderungen auf „Faktenchecks“ beschäftigt, machte anschließend den wohl größten Fehler des Abends. Er lief in die Falle, zu viele Fragen bzw. Lügen gleichzeitig abwehren zu wollen und weil ihm sein Ego die Sicht versperrte, entschied sich für die falsche: statt sich der Frage zuzuwenden, warum er den kürzlich von Biden/Harris vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur Grenzsicherheit ablehnte – nämlich weil es die illegale Einwanderung durch Mindest- und Höchstwerte auf Ewigkeit gestellt hätte – arbeitet er sich an Harris flapsiger Feststellung ab, seine Fans würden Trumps Ralleys gelangweilt und in Scharen vorzeitig verlassen.
Harris Antwort war allerdings kaum besser. Warum ihre Regierung erst sechs Monate vor der Wahl über Grenzsicherung nachdenke, kontert sie mit der deplatzierten Feststellung, sie sei als Staatsanwältin in Kalifornien ein ganz harter Hund beim Verurteilen von Grenzübertritten gewesen. Doch solche Ablenkungen überbrückte sie gut und in langen Schleifen und die Moderatoren hatten offenbar keine Lust, ihr mit Nachfragen oder gar „Faktenchecks“ in die Parade zu fahren.
Keine der gern von Biden und in der Debatte auch von Harris verbreiteten Dauerlügen wollte das ABC-Personal bemerken: Charlottsville (very fine people on both sides), Blutbad (bezog sich auf Jobs in der Autoindustrie), Diktator am ersten Tag (eine sarkastische Überzeichnung von executive orders)…alle längst als Lügen überführten Gespenster, mit denen die Dems ihre Wähler erschrecken, gingen in Harris Wortgirlanden spazieren.
Einige wirklich gute Momente
Doch gelingen ihr die eingeübten Tiefschläge besser als Trump. Etwa als die Sprache auf die große Zahl ehemaliger Mitarbeiter Trumps kam, die sich heute gegen ihn stellen würden. Er feure eben jeden, der die Erwartungen nicht erfülle, so Trump, worauf Harris antwortete, er sei 2020 von 81 Millionen Wählern gefeuert worden.
Insgesamt wurde der Schlagabtausch von Minute zu Minute verbissener und Trump hatte noch einige wirklich gute Momente. Zum Beispiel bei der Frage nach dem Truppenabzug aus Afghanistan, den die Biden/Harris-Regierung so spektakulär versemmelt hatte. Kein Wort von Harris über die 13 gefallenen Soldaten, stattdessen der Vorwurf, Trump habe den Anführer der Taliban sogar zu Gesprächen in Camp David empfangen. Das stimme, so Trump. Und er habe dem verblüfften Abdul dort ein Luftbild von dessen Haus überreicht mit dem Hinweis, wo man „anklopfen“ werde, wenn die Taliban die Vereinbarungen zum Abzug nicht einhalten werden. Harris hingegen sei von Biden nach Europa gesandt worden, um Putin am Einmarsch in die Ukraine zu hindern und drei Tage später sei der in der Ukraine einmarschiert. Nicht gerade ein Zeichen, dass Biden und Harris in der Welt ernst genommen würden.
Es waren insgesamt 90 anstrengende Minuten und je nach Blickwinkel und Parteipräferenz fallen die Bewertungen höchst unterschiedlich aus. Die Vorurteile gegenüber Trump, die ungleiche Behandlung seiner Äußerungen und der seiner Gegner sind für viele jedoch bereits eingepreist. Man erwartet gar nicht erst, dass er behandelt wird wie alle anderen – auf keiner Seite. Seine Reaktionen, seine offensichtliche Frustration und sogar Wut darüber, lassen allerdings erkennen, dass sowas nicht mehr einfach an ihm abprallt. Jedenfalls nicht diesem Abend. Das ließ ihn angefasst und müde wirken. Auch deshalb kann sich Harris wohl zu ihrer Performance beglückwünschen. Sie wirkte frischer und schlagfertiger.
Seinen besten Moment hob sich Trump sich für das Ende auf, denn das Los hatte ihm das Schlusswort erteilt. All die tolle Politik, die teuren Geschenke an die Wähler, die Bekämpfung der Inflation, das Stärken des Mittelstandes, die Grenzkontrollen…all die Versprechen, die sie den Wählern gebe, hätte sie als Teil der Regierung Biden und Präsidentin des Senats seit dreieinhalb Jahren in die Tat umsetzen können. Doch passiert sei das Gegenteil.
Mit ziemlicher Sicherheit werden nach Harris beachtlicher Performance ihre Umfragewerte einen Sprung nach oben machen. Ob das Stimmungshoch von Dauer sein wird, oder ob sich die Wähler am Ende doch fragen, wer die Suppe eigentlich eingebrockt hat, die Harris auszulöffeln verspricht, bleibt abzuwarten.
Wirklich eigene Idee hat ihre Kampagne scheinbar immer noch nicht. Zwar enthält die Kampagnenwebseite mittlerweile einen Punkt „Issues“, doch hat man den offensichtlich in großer Eile von der Kampagnenwebseite Bidens kopiert, wie Spuren im Quelltext belegen. Es wird für Harris schwer bleiben, sich von Biden und seiner desaströsen Bilanz abzusetzen und so muss sie weiterhin gleichzeitig vorwärts und rückwärts gehen.
Roger Letsch, Jahrgang 1967, aufgewachsen in Sachsen-Anhalt, als dieses noch in der DDR lag und nicht so hieß. Lebt in der Nähe von und arbeitet in Hannover als Webdesigner, Fotograf und Texter. Sortiert seine Gedanken in der Öffentlichkeit auf seinem Blog unbesorgt.de.