Markus Somm, Gastautor / 12.03.2019 / 06:15 / Foto: Helmut Jilka / 48 / Seite ausdrucken

Die Besserwisser wissen nichts

In einer Studie hat der The Atlantic, eine berühmte, linksliberale Zeitschrift, versucht, das Ausmaß oder je nach Standpunkt: das Elend der politischen Polarisierung in den USA auszumessen. Dass dieses Land sich zusehends spaltet, das war bekannt, nun wollte man wissen, ob es immerhin Unterschiede geografischer Natur gab. Sind etwa die weltgewandten Städter von New York, die mit dem Fair-Trade zertifizierten Grande Latte zur Arbeit fahren, toleranter als die Hinterwäldler im Mittleren Westen, die schon vor dem Frühstück ihre Gewehre putzen? Oder anders gefragt: Bestand Hoffnung, dass es Gebiete gab, von denen man lernen konnte, wie man in der Politik streitet – ohne sich anzuöden?

Rund 2.000 Amerikaner wurden befragt, unter anderem, wie sie sich etwa fühlten, wenn ein Mitglied ihrer Familie jemanden heiratete, der politisch einer anderen Meinung zuneigte, oder auch mit welchen Begriffen sie die beiden Parteien beschreiben würden. Wen hielten sie für "patriotisch" oder "mitfühlend", wen für "egoistisch", wer machte ihnen Angst: die Republikaner oder die Demokraten? Die Umfrage wurde von angesehenen Instituten vorgenommen, die Stichprobe ist groß genug, kurz, die Ergebnisse sind ernst zu nehmen – und sie sind bemerkenswert. Entgegen den Erwartungen wohl auch der Journalisten des Atlantic stellte sich heraus, dass ausgerechnet die besten Milieus zu Herden der Intoleranz herangewachsen sind. Wer die Universität besucht hat, gut verdient, in Städten oder lauschigen Villenvororten wohnt, wer älter ist und eine weiße Hautfarbe besitzt – der hat am meisten Mühe mit politisch Andersdenkenden. Selber hält er sich für liberal und wählt in der Regel die Demokraten.

Auf der Karte, die im Atlantic zu studieren ist, wo alle 3.000 Wahlkreise Amerikas dunkel oder hell aufleuchten – je nach Grad der festgestellten Toleranz –, gibt es keine Gegend, die dunkler bleibt, also intoleranter, als die reiche Stadt Boston und ihr Umland, eine von den Demokraten geprägte Region, wo die besten Colleges und Privatschulen des Landes liegen, und so viele Akademiker leben wie nirgendwo sonst. Ähnlich sieht es in Manhattan oder San Francisco aus, genauso Hochburgen der Demokraten, wo man am Sonntag offenbar die Toleranz mit allen Menschen dieser Welt predigt, am Werktag aber jeden Republikaner leidenschaftlich hasst. Gewiss, es gibt auch Wahlkreise, wo die Republikaner vorherrschen, und auch sie mögen die Demokraten nicht, allerdings gibt es weniger von diesen; vor allem klaffen nirgendwo Selbstbild und Wirklichkeit so weit auseinander wie bei der liberalen, gut ausgebildeten Oberschicht Amerikas. Wenn wir uns derzeit in diesen Kreisen bewegen, so erleben wir immer wieder, wie diese liebenswürdigen Menschen den "Rassismus" der weißen Unterschicht im fernen Heartland, dem Kern der USA, beklagen, während man an der gleichen Cocktailparty, wo wir solche Bedenken hören, kaum einen Schwarzen erblickt. Selbstverständlich wären solche herzlich willkommen. Aber sie kommen nicht.

Nie merkt man, wie schwach die eigenen Argumente sind

Man geht sich aus dem Weg – und das mag die Polarisierung vertiefen. Neun von zehn Ehepaaren in Boston, so zeigen andere Daten, wählen die gleiche Partei. Acht von zehn Quartieren sind politisch homogen; entweder leben hier nur Demokraten oder nur Republikaner. Ein verhängnisvoller Befund, denn wer allein unter Seinesgleichen bleibt, sieht sich nie gezwungen, seine Ansichten und Vorurteile zu überdenken. Nie wird die Debatte hitzig, nie gefährlich, nie merkt man, wie schwach die eigenen Argumente sind, wenn jene, mit denen man streitet, die gleichen Argumente vorbringen. Was dagegen verstört mehr als der Widerspruch einer Person, die man schätzt? Woraus lernt man mehr?

Dass hier, in dieser faktischen Segregation der Intelligenten und der Reichen, eine Ursache der Misere zu orten ist, belegt die gleiche Umfrage. Denn jene Wahlkreise, die sich als viel toleranter erwiesen, sind auch heterogener zusammengesetzt: wie etwa Jefferson County, ein Wahlkreis im Norden des Staates New York an der Grenze zu Kanada. Hier wohnen Leute mit bescheidenem Einkommen, die meisten sahen nie ein College von innen, es gibt Demokraten und Republikaner, Weiße und Schwarze, wenn auch viel mehr Weiße: die Gegend ist Provinz, verwunschen und abgehängt. Weil die Menschen hier aber tagtäglich mit Unterschieden zu tun haben und jeder einen kennt, der eine andere Partei wählt, können sie auch damit umgehen. Gemäß Atlantic ist Jefferson County einer der tolerantesten Wahlkreise der USA. Trump gewann ihn mit über 20 Prozent Vorsprung.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Basler Sonntagszeitung.

Foto: Helmut Jilka CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

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Dieter Kief / 12.03.2019

Die Überschrift ist - ähh, falsch. Die weit übrdurchschnittlich intelligenten Wohlhabenden in Boston wissen sehr viel - es ist genau wie in Basel, Markus Somm. Sie sind aber in den USA zusehends ungeübt darin, femde Perpektiven zu übernehmen, das ist der Punkt, und den liefert eine ganze Armada von US-Intellektuellen seit Jahrzehnte - der wichtigste heißt Charles Murray, ein anderer ist der Blogger Steve Sailer.  Unter den US-Tisch fallen die Interessen der anderen - es ist wie in Frankreich mit den Gelbwesten. Und es ist wie mit den Häbigen Grünen und liberalen Milieus hier. Eine der bizarrsten Erscheinungen, wenn ich mich auf linken Blogs tummle, ist, dass man die fremden den eigenen Unterschichtlern vorzieht. Das Ergebnis dieser Geisteshaltung ist, dass die autochthonen Unterschichtler politisch obdachlos werden. In der Schweiz - wo aber alles sehr viel besser ist, als anderswo (mein Ernst), wählen deshalb viele dieser Leute die SVP - und nicht mehr die Sozialdemokraten. In den USA ist diese Dynamik besonders ausgeprägt, weil die schwarze Unterschicht in vielen Städten komplett vom durchschnittlichen Wirtschaften und Arbeiten abgekoppelt ist. Das ist so krass, dass die eigentlich pro-schwarze liberale Unterschicht gut daran tut, Symbolpolitik im Hinblick auf diese Gruppe der Schwarzen zu treiben und sich ansonsten räumlich und sozial schön abzugrenzen, weil die Realität, der Alltag dieser schwarzen Unterschicht - in Baltimore oder in Detroit etwa,  so deprimierend ist - und weil die liberale Politik darauf kaum eine Antwort hat außer der: Diese Menschen würden in den bestehenden Institutionen diskriminiert. Ansonsten fördert man den Import einer unproblematischeren Unterschicht per Immigration, denn irgendwer muss schließlich den Rasen schneiden und Babysitten und Erdbeeren und Tomaten ernten usw. - Tom Wolfe hat das unübertroffen deutlich aufgeschrieben - zuletzt in seinem grandiosen Roman Back To Blood über die kubanische Immigration nach Miamai.

Dr. Klaus Rocholl / 12.03.2019

„... der Segregation der Intelligenten und der Reichen“ Na ja… meinetwegen „der Studierten und der Reichen“ - aber INTELLIGENT ? Hier trifft wohl eher der alte Spruch zu: „Wirklich gefährlich wird‘s, wenn die Dummen anfangen fleißig zu werden.“ Intelligente Menschen hinterfragen ihre Standpunkte und sind sich ihrer Positionen - und ihres Wissens - nie so sicher. Außerdem gilt immer noch: Wer mit 40 noch links ist, hat kein Hirn!

Frank Holdergrün / 12.03.2019

Die Mainstream Religion hat eine ähnlich kraftvolle Glaubensstärke wie der Islam. Der Ungläubige heißt Nazi, Rassist oder Rechtsextremer, sie sind die Abscheulichsten aller Wesen, mit weniger Intelligenz als einer Kuh. In der Mainstream Religion ist es verboten andere Bücher zu lesen, viele Optionen sind per Vorgaben auf denkunmöglich gestellt, alle Unterschiede wurden eingeebnet und der Mensch ist gut. Wer sie als Sekte bezeichnet, erntet giftige Blicke und beendete Freundschaften, ihr Hornochsentum feiert fröhliche Urstände und täglich werden sie etwas intoleranter. Vor allem auch deshalb, weil ihre bezahlten Staats-jobs dem Ende zugehen, ihre Spielchen der Steuerverteilung bald ein Ende finden, und weil sie nichts anderes gerlernt haben als zu verteilen (vor allem in die eigene Tasche), kommt Panik auf. Unruhige Zeiten in den Boston-Vierteln, der SUV bleibt immer öfters zu Hause.

beat schaller / 12.03.2019

Interessante Ausführung Herr Somm und auch ein guter Einblick. Ich weiß dass ich nichts weiß.  Ich weiß auch dass du weißt, dass ich nichts weiß. Ich weiß aber auch etwas, das du nicht weißt. Nämlich, dass du auch nichts weißt. Es ist offensichtlich, das den USA ein oder zwei Parteien in der Regierung zu weniger schwarz/weiss Politik (im wahrsten Sinne ) verhelfen könnte. b.schaller

Gert Köppe / 12.03.2019

Das ist ein interessanter Artikel, Herr Somm. Dieses Verhalten kann man immer wieder beobachten. Intoleranz durch und durch, aber “Weltoffenheit” predigen. Das gleiche Verhalten gibt es sogar in sozialistischen Diktaturen. Das konnte ich selbst lange genug erleben. Es gab z. B.: in der DDR nicht wenige Menschen, die waren mit dem Sozialismus vollkommen zufrieden. Klar, denn sie waren ja auch selbst die Günstlinge, die Bevorzugten des Systems. Sie bekamen die besten Wohnungen, bauten sich Häschen und mussten nicht lange auf das nötige Baumaterial warten. Das Auto, ein Telefonanschluss, ein Fleckchen im “Grünen” mit Datsche, Beförderungen im Beruf, alles kein großes Problem. Ab und an zeigten sie dann mal, bei diversen Jubel-Veranstaltungen ihre “ach so große Toleranz”, in dem für die Völkerfreundschaft geworben wurde, für Toleranz, Mitgefühl und Solidarität. Manchmal waren dann auch ein “Quotenschwarzer” aus Angola, oder der “arme Unterdrückte” aus Nicaragua anwesend, um alles noch zu Untermalen. Aber sonst, da blieb man lieber unter sich. Wehe wenn aber ein Andersdenkender “auffällig” wurde und noch etwas Kritisches über ihre “sozialistische Kuschelgesellschaft” von sich gab, dann war es vorbei mit der Toleranz. Das geht garnicht! Der sieht das alles falsch! Der muss gemeldet und wieder auf “Linie” gebracht werden. Der will nur nicht wahr haben wie gut es ihm geht. Dabei ging es ihm nicht gut, denn er war ja kein “Bevorzugter” und kein Günstling. Aber diese Probleme, die durch die Mangelwirtschaft für Großteil der Bevölkerung selbst geschaffen wurden, die wurden ausgeblendet. Die wollten die “Besseren” nicht sehen. Es kann nicht sein was nicht sein darf. Andersdenkende sind böse, es sind die Feinde unserer “friedliebenden” Gesellschaft. Genau so ist es auch heute wieder. Man wählt Links-Grün, weil man zu den “gut Betuchten” gehört, weil es so schön für das eigen Gewissen ist und dann mit dicken SUV zum Öko-Laden und das Kind aus der Privatschule abholen.

Matthias Braun / 12.03.2019

“Der beste Mensch sein, heißt zwischen sich und andern den wenigsten Unterschied machen; der schlechteste, den meisten.” (Arthur Schopenhauer)

Maria Czerny / 12.03.2019

Sehr geehrter Herr Somm, irgend etwas stimmt nicht in Ihrem Zahlenspiel. Sie schreiben von 2000 Befragten in den USA und halten das für dieses Land für eine zumindest ernst zu nehmende Stichprobe. Und dann bildet man diese 2000 Antworten farblich auf 3000 Wahlkreise ab und kommt auch noch zu graduellen Unterschieden in der Farbdarstellung entsprechend der Antworten zur Toleranz in diesen Kreisen. Mich würde der statistische Hintergrund interessieren wie das zu schaffen ist, wenn pro Wahlkreis im Mittel nicht einmal eine Person befragt wurde. Habe ich etwas falsch verstanden oder begegnen wir hier wieder dem Phänomen, dass sich Journalismus und Statistik gelegentlich ausschließen?

Dr. Gerhard Giesemann / 12.03.2019

Problem: Wenn die “politisch Andersdenkenden” schlichtweg Nixdenkende sind, dann hat der Besserwisser wieder bessere Karten. Soll’s auch geben.

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