Dass die Berliner Klima-Volksabstimmung am Quorum scheitern würde, war zu erwarten. Überraschend war, wie viele Wähler ins Wahllokal gingen, um mit Nein zu stimmen. Die Volksabstimmung sollte Zeichen setzen und sie tat es. Es ist zum Glück ein ganz anderes Zeichen, als die Initiatoren erhofften.
Eigentlich war den Berlinern ja alles zuzutrauen gewesen. Parteien, deren Regierungspolitik sie laut Umfragen nur nerven, werden von ihnen immer wieder gern gewählt, geduldig nehmen sie hin, dass die Stadt immer unsicherer, dreckiger und ungebildeter wird, dass die Verwaltung komplett überfordert und die Digitalisierung Äonen entfernt ist, dass auch schon mal die Wahl des Landesparlaments, ein Grundpfeiler der Demokratie immerhin, von den Zuständigen einfach verschlampt wird.
Warum also sollten die Berliner nicht auch einem Volksentscheid freudig zustimmen, der die komplette Wirtschaft des Stadtstaates ruiniert, die Wohnungswirtschaft und die Eigenheimbewohner in die Pleite getrieben und alles, was vom Landeshaushalt abhängt, wie Schulen, Unis, Forschungsstätten, Infrastruktur und Landesbetriebe, zum Stillstand gebracht hätte? Ganz so abwegig ist der Gedanke tatsächlich nicht: Immerhin 442.000 Bewohner der Hauptstadt fänden so eine Perspektive offenbar wünschenswert. So viele Wahlberechtigte nämlich haben am vergangenen Sonntag beim Volksentscheid „Berlin klimaneutral 2030“ auf ihrem Wahlschein das „Ja“ angekreuzt und den Zettel in die Urne geschmissen.
Sehenden Augen stimmte diese knappe halbe Million Hauptstädter dem Ansinnen des Plebiszits zu, laut dem per verbindlichem Gesetz in der Stadt jegliche Nettoemissionen von CO2 und Methan auf Null reduziert werden sollten: keine Verbrennermotoren, keine Öl- oder Gasheizungen, kein Flug- oder Schiffsverkehr mit heutiger Technik, Energie nur noch aus Wind, Sonne, Biothermie oder Erdwärme. Rindviehhaltung nur noch für einzelne. Für jeden Pups einer Kuh hätte dem Geist des Inhalts gemäß ein Bäumchen gepflanzt werden müssen.:
All das sollte innerhalb von sieben(!) Jahren geschehen. Und das in Berlin(!), wo schon heute nichts mehr klappt, wo Bürokratie, Inkompetenz und Enteignungsideologie die Bau- und Immobilienwirtschaft zum Tor hinausjagt; wo Rotrotgrün vor fünf Jahren vollmundig ein Mobilitätsgesetz verabschiedete für den Umstieg vom Individual- auf den öffentlichen Nahverkehr – und diesbezüglich seither so gut wie nichts umgesetzt wurde. Im Gegenteil: Busse und Bahnen fahren immer unregelmäßiger, bringen die Pendler zur Weißglut.
Es ging um mehr als Symbolpolitik
Sonntagabend konnte die Stadt aufatmen, der Wahnsinn scheint auch in Berlin bisweilen Grenzen zu haben: Den letztlich gut 50,9 Prozent Jastimmen für den Volksentscheid standen zwar nur 48,7 Prozent Nein-Stimmen gegenüber. Doch das „Quorum“, die vorgeschriebene Mindestzahl von Ja-Stimmen (unabhängig vom Anteil der Nein-Stimmen), nämlich 25 Prozent aller Wahlberechtigten (und das wären am vergangenen Sonntag 607.518 gewesen), wurde nicht erreicht. Immerhin.
So dumm, anzunehmen, dass das „Volksgesetz“ hätte umgesetzt werden können, war niemand in der Stadt. Nicht einmal seine Initiatoren. Das gaben sie auch offen zu. Wie auch niemand der sicheren Erkenntnis widersprach, dass eine Nullemissionsstadt Berlin global gesehen Nulleinfluss aufs globale Klimageschehen haben würde. Dafür aber die Hauptstadt desjenigen Landes, von dessen Wirtschafts- und Finanzkraft nicht zuletzt die Finanzierung weltweiter Klimaschutzmaßnahmen abhängt, in Gefahr stand, paralysiert zu werden. Erst die Stadt und dann das Land.
Umso trauriger ist es, wie viele Menschen in Berlin dann doch wieder einmal demonstrierten, wie wichtig ihnen solcherart fataler Symbolpolitik im Klimadiskurs ist. „Zeichen setzen“, „Der Politik Beine machen“, das waren die Sprüche, auf die sie hereinfielen, mit denen die ganze Stadt für teuer Geld zuplakatiert wurde. Dabei auch mit glatten Lügen („Klimaneutral ist billiger“), über die ein Hausbesitzer, der für komplette neue Heizungsanlagen und Dämmungen den Kaufpreis für sein Anwesen demnächst ein zweites Mal hinblättern darf, nicht einmal mehr sarkastisch lachen kann. Mieter, denen entsprechend absehbar saftige Preiserhöhungen ins Haus stehen, ebenso wenig.
Dabei war es für die Initiatoren des Volksentscheids gerade nicht nur Symbolpolitik, für sie ging es um Macht. Sie wollten am ganz großen Rad der Landespolitik mitdrehen, ja, es selbst bedienen. Wie andere selbsternannte Klimakämpfer ihre Macht im Kleinen austesten wollen, indem sie etwa anbieten, gegen die Einführung eines 29-Euro-Tickets damit aufzuhören, ihren Mitmenschen den Weg zur Arbeit zu versperren, oder so lange in Hungerstreik treten, bis sie ein Bundesminister einmal persönlich besucht – so träumten die Betreiber von „Klimaneutral 2030“ gleich davon, die Berliner Landesregierung um den Finger zu wickeln, sie sich hörig zu machen, womöglich jahrelang. Dies mit eben dem Hebel jener allgemeinen – auch eigenen – Erkenntnis, dass die Erfüllung des Gesetzes unmöglich wäre.
Die Nichteinhaltung eines verbindlichen Gesetzes hat oft genug die Klage desjenigen zur Folge, der das Gesetz auf den Weg gebracht hat. Doch mit allzu voreiligen Klageschriften hätten sich die Klimaneutralisten ihrer schärfsten Waffe entledigt. Sie hatten anderes vor: „Wir werden nicht klagen, wenn wir sehen, dass der Senat alles tut, was in seiner Macht steht“, sagte eine Sprecherin der Initiative am Donnerstag vor dem Wahltag. Das darf man sich dann etwa so vorstellen, dass die künftigen Wirtschafts-, Bau- und Verkehrssenatoren halbjährlich bei der Initiative antanzen hätten müssen, um ihre fleißigen Bemühungen zur Klimaneutralität zu dokumentieren, hoffend, dass es ausreicht, um einer drohenden Klage aus dem Weg zu gehen. „Was in der Macht des Senats steht“ – das Urteil darüber hätte sie selbst sich natürlich zugetraut, besser als die Landesregierung.
Der alte Traum von der Räterepublik
Wer verfolgt bat, wie Gerichte in den letzten Jahren auf Klagen von Initiativen hin Regierungen zu mehr Klimaschutz verdonnert haben, einfach so, pauschal, der weiß, dass die Spekulation auf solche Machtspielchen für den Erfolgsfall nicht unberechtigt war. Richterrecht statt Parlamentsrecht in einer wesentlichen Zukunftsfrage des Landes, unter der Oberaufsicht der „Zivilgesellschaft“ – der Klimadiskurs verleitet offenbar auf vielfache Weise zu Gedankenspielchen darüber, wie man am Geist unserer Verfassung drehen kann, um sich und seinen Mitstreitern zu mehr Erhabenheit zu verhelfen. Auch der Gedanke an die Räterepublik scheint wieder populär zu werden. Die Gruppe „Extinction Rebellion“, bekannt für eigenmächtige Verkehrsblockaden und wilde Farbspritzaktionen, will laut ihrer Website und Zeitungsberichten mit Aktionen vom 12. bis 17. April dafür kämpfen, dass die Regierung den „Biodiversitätsnotstand“ ausruft und einen gelosten, repräsentativen Bürgerrat einberuft, „der entscheidet, was es für Maßnahmen braucht, um Energie- und Umweltkrise gerecht zu lösen“. Wofür braucht man da noch Parlament? „Geloste repräsentative“ Bürgerräte und Initiativen können es besser, wie man hört.
Der Volksentscheid ist gescheitert. Man darf wieder ein wenig hoffen auf die Vernunft in der Stadt. Auch durch die Wucht der Ablehnung. Üblicherweise verlassen sich bei Plebisziten diejenigen, die nicht dafür sind, darauf, dass das Quorum nicht eingehalten wird. Letzteres war auch dieses Mal der Fall, immerhin 165.000 Stimmen fehlten da. Umso erstaunlicher, dass fast genauso viele mit Nein wie mit Ja stimmten. Obwohl letztlich keine einzige Nein-Stimme nötig gewesen wäre. So oder so hätte die Anzahl der Ja-Stimmen nicht gereicht, und das war fast absehbar. Doch offenbar lag dieses Mal aufgrund der Absurdität des Vorhabens vielen Einwohnern daran, ihre persönliche Ablehnung deutlich zu machen. Symbolpolitik der Vernunft gegen Symbolpolitik der Klimaaktivisten. Die Wahlbeteiligung für einen Volksentscheid war dieses Mal hoch. Und zwar überdurchschnittlich in erster Linie nicht bei den Befürwortern, sondern bei den Nein-Sagern.
Dies ist besonders bemerkenswert, da die Stadt zuplakatiert war mit Werbung für die Ja-Stimmen. An 7000 Laternen hingen DINA-1-Poster, 650 Großaufsteller zierten die Grünstreifen der Boulevards und Ausfallstraßen, was sich in dem Ausmaß im Wahlkampf nur die großen Parteien leisten können. Alles finanziert aus Spenden in Millionenhöhe, schwerpunktmäßig aus der Branche der Erneuerbaren Energien, deutschen wie internationalen Geldgebern, auch aus den USA. Gegenöffentlichkeit war im Stadtbild nicht sichtbar. Dem Senat, selbst wenn er gewollt hätte, waren die Hände gebunden, die Regierung ist bei Plebisziten zur Neutralität verpflichtet. Und wer immer ansonsten als Gegner plakatiert hätte – er wäre in der Stadt erledigt gewesen. Gegenargumente zur Not ja, aber eine Kampagne? Das wäre zu weit gegangen, der woke Zeitgeist hätte das nie verziehen. „Klimaleugner“, „rechtsextrem“, oder Schlimmeres wäre zur Sprache gekommen.
Angesichts dessen sind die vielen – eigentlich ja nicht nötigen – Neinstimmen ein Fanal, das in den vergangenen Jahren womöglich nicht immer so ausgefallen wäre. Doch die Tatsache, dass sich inzwischen eine CDU-geführte Landesregierung abzeichnet, und dies auch laut Umfragen eine große Mehrheit so wünscht, hat Viele in der Stadt aus ihrem paralysierten Blick auf die angeblich unvermeidbare linksgrüne Regierung befreit. Der Mut zur Klarheit und Offenheit scheint zu wachsen, auch zum Erkennen von Luftschlössern und eingetrichterter Weltuntergangsstimmung. Die Grünen können es noch nicht fassen, dass ihr reichlich gequältes Narrativ von der ewigen, weil heiligen „Fortschrittskoalition“ Rotgrünrot zusammengebrochen ist.
Kein Bullerbü in Köpenick
Witz am Rande: Auch die Grünen hatten sich nicht für den Volksentscheid ausgesprochen, halb wegen seines illusorischen Inhalts, halb wegen der Gefahr des Scheiterns. Nur eine, die ehemalige grüne Spitzenkandidatin Bettina Jarasch, die inzwischen zwei Wahlkämpfe für ihre Partei klar persönlich versemmelt hat (mit Symbolpolitik und dem wörtlichen Ruf: „mehr Bullerbü“), wie jüngst auch die anschließenden Sondierungen mit den anderen Parteien – sie, Jarasch, stand voll dahinter und ließ sich entsprechend beim Einwurf in die Urne pressewirksam fotografieren. Ob die Parteispitze immer noch glücklich darüber ist, dass sie Jarasch, die nach der letzten Wahl bei der Abstimmung für die Fraktionsführung keine Mehrheit hatte, nur durch Druck auf die Konkurrentin auf den Posten gehoben hat. Wundersamerweise gilt Jarasch immer noch als „Reala“ – die irrealste Realpolitikerin.
Der Volksentscheid hat die Unterschiede in der Stadt, die sich bereits bei der letzten (Wiederholungs-)Wahl abzeichneten, noch deutlicher gemacht. Die Bewohner der Außenbezirke haben sich noch deutlicher vom „Bullerbü“ in der Innenstadt entfremdet. Aus Spandau und Köpenick kann man nicht jeden Tag mit dem Fahrrad in die City fahren, und ein Eigenheimbesitzer im Grünen hat ein anderes Verhältnis zu sechsstelligen Kosten für Wärmepumpe und Rundumdämmung, wohingegen vielen Kreuzbergern und Moabitern eher der Griffel aus der Hand fällt, als dass sie bei einem Klima-Entscheid, und sei er auch noch so unrealistisch und verlogen, mit Nein stimmen würden.
Die Berliner Medien, auch der durchweg linksgrüne Tagesspiegel mit seinen noch linksgrüneren Ablegern (Newslettern) und der ebensolche Sender RBB haben dieses Mal durchweg auch die Defizite der Initiative zum Volksentscheid benannt, kritische Kommentare veröffentlicht. Und doch herrschte in der Grundstimmung ein durchgehender Basso continuo der Sympathie „pro“. Verschwörungstheorien sind allermeist zweifelhaft, auch dass der Tag der Abstimmung festgelegt wurde auf den Sonntag nach einer wie immer katastrophistischen Erklärung des Weltklimarates (das Datum stand lange fest), sollte nicht überbewertet werden. Und doch fiel es auf, dass aus dem fernen Köln im Deutschlandfunk am Sonntag früh in den Nachrichten der Volksentscheid stundenlang erste Meldung war, ausführlich in Minutendimensionen, dass aber am Montag früh die Hörer in den halbstündlichen (gesendeten) News vergeblich auf Informationen über den Ausgang der Abstimmung gewartet haben. Die Information, dass nun abgestimmt werden kann, obwohl nur für einen Bruchteil der Hörer, die Berliner nämlich, relevant, schien wichtiger als diejenige fürs ganze Land, nämlich das Ergebnis. Weil gescheitert?
Egal wie traumtänzerisch und kontraproduktiv – Klimainitiativen genießen durchweg Sympathien in unseren Medien, letztlich auch kriminelle Straßenblockaden. Als man jetzt, Sonntagabend bei der „Wahlparty“ der Initiatoren abends im Fernsehen die langen Gesichter und die Tränen sah, da mochte man es der RBB-Reporterin schon ein wenig nachsehen, dass sie fast schon mitweinte. Ein „Wellnessteam“ stand bereit für diejenigen, die das Ergebnis nicht aushalten konnten. Im Keller gab es ein „Safe Space“ für die ganz harten Fälle. Man darf hoffen, dass all sie sich inzwischen erholt haben, am besten auch von ihren Illusionen. Vielleicht helfen die zum Wochenbeginn in Berlin herrschenden eisigen Temperaturen, den kühlen Kopf zurückzugewinnen.
Das mit dem Vorführen der Landesregierung, das mit dem Antanzen der Senatoren zum regelmäßigen Rapport – daraus jedenfalls wird nichts. Vorerst jedenfalls.