Am Samstag wird wohl unübersehbar am Brandenburger Tor demonstriert. Anders als im letzten Winter treffen die Proteste nun auf eine Regierung in Auflösung und eine Hauptstadt voller Wahlkämpfer.
Als die Ampel zerfiel und Partei-Mitarbeiter wie Medienschaffende über den Wahlkampfkalender nachdachten, fiel ihnen zuerst die Weihnachtszeit ins Auge. Einige dachten darüber nach, wie denn ein Weihnachts-Wahlkampf aussehen könnte. Welche Werbestrategie kommt an in Zeiten demonstrativer Besinnlichkeit? Wie bekommt man nützliches politisches Gezänk und Glühwein zusammen? Dass das für Kampagnen-Macher und interessierte journalistische Begleiter wichtige Fragen sind, ist nachvollziehbar. Aber eine Größe hatten die meisten nicht auf dem Plan: die Bauern, konkret die protestierenden Bauern.
Das Polit-Establishment in Berlin und den Landeshauptstädten hoffte im Frühjahr, als die Demonstrationen abebbten, es hätte die Bauernproteste gut ausgesessen. Ein paar Gemeinheiten gegen die Landwirte hatte die Politik zurückgenommen oder verschoben. Doch damit waren die Gründe zum Protest nicht einmal ansatzweise beseitigt. Im Gegenteil, sie verschärfen sich. Wenn Rezession und Krise die deutsche Wirtschaft erfassen, betrifft dies natürlich auch den Nährstand. Nur weil die Natur den Zeitraum zur Feldarbeit diktiert, mussten die Bauern vor Monaten die Straße räumen. Doch nun sind sie wieder da.
Es ist kein deutsches Phänomen: In London, Brüssel und Paris sind protestierende Bauern schon wieder auf der Straße. In Britannien richtet sich der aktuelle Protest gegen eine neue Traktorsteuer und eine neue Erbschaftssteuer auf landwirtschaftlichen Besitz, durch die bäuerliche Familienbetriebe ihre Existenz bedroht sehen. In Brüssel und Paris demonstrierten die Landwirte gegen das EU-Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten. Das würde den Import landwirtschaftlicher Erzeugnisse erleichtern, die allein schon deshalb deutlich preiswerter als EU-Produkte sind, weil die südamerikanischen Erzeuger all die teuren EU-Auflagen nicht erfüllen müssen, die für die europäischen Landwirte gelten.
In Deutschland wirkt der Protest mittlerweile grundsätzlicher. Inzwischen gibt es auch verschiedene Mittelstandsinitiativen, die die Bauernproteste aktiv unterstützen. Zwar sieht sich der traditionelle Deutsche Bauernverband (noch) nicht bemüßigt, zum Protest zu rufen, sondern überlässt das Feld den neueren Vereinen, Netzwerken und Initiativen. Aber sollten sie damit großen Erfolg haben, kann sich das auch ändern.
Wenn die Bauern am Samstag wieder in Berlin demonstrieren und auch aus anderen Städten Bauerndemos gemeldet werden, gerät ihr Protest in den anlaufenden Wahlkampf. Das stellt die Parteien vor die schwierige Frage, wie sie sich dazu verhalten sollen. In der letzten Demo-Saison hatten sie sich für eine Mischung aus Beschwichtigen und Diffamieren entschieden. Feinsinnige Beobachter trennten die Protestierenden in den Teil, der berechtigte Anliegen vertreten würde und jenen, die „Rechten, Rechtsradikalen und Rechtsextremen“ auf den Leim gingen. Letzterer Vorwurf wurde insbesondere immer dann in Stellung gebracht, wenn sich der Bauernprotest bei Auftritten grüner Politiker entlud.
Landfriedensbruch und Nötigung?
Es kam zeitlich passend, dass in diesen Wochen – also während der Vorbereitungen neuer Bauernproteste – Landwirte wegen ihrer Teilnahme an den alten Bauernprotesten verurteilt wurden. So berichtete topagrar.com am 15. November 2024:
„Die aus dem Ruder gelaufenen Bauernproteste am Aschermittwoch, 14. Februar 2024, in Biberach an der Riß haben nun ein Nachspiel für einen Beteiligten, der nun vor Gericht stand.
Zu Erinnerung: Damals gab es gewaltsame Straßenblockaden, mehrere Polizisten wurden verletzt, die Beamten setzten Pfefferspray gegen die Demonstranten ein. Die Grünen mussten daraufhin eine geplante Veranstaltung unter anderem mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann und dem Grünen-Bundespolitiker Cem Özdemir aus Sicherheitsgründen kurzfristig absagen.
Vor dem Amtsgericht Biberach musste sich nun ein verbeamteter Lehrer verantworten, der im Nebenerwerb einen Hof führt. Das Gericht sah es als erwiesen hat, dass der 40-Jährige sich vor neun Monaten an einer Straßenblockade beteiligt hatte. Vor Gericht wurden Videos der Blockade gezeigt, auf denen der Familienvater zu sehen war, berichtet der Münchner Merkur.“
Der Lehrer und Landwirt wurde am Ende wegen Landfriedensbruchs in Tateinheit mit Nötigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte zu 4.000 Euro Geldstrafe verurteilt. Der Verurteilte habe angekündigt, das Urteil nicht akzeptieren zu wollen, hieß es. Er hätte auch schon einen Strafbefehl nicht akzeptiert und sein Verteidiger forderte einen Freispruch.
Gibt es solche Urteile eigentlich auch gegen Blockierer, die die Durchführung von AfD-Parteitagen mit Gewalt verhindern wollten?
Wegen der vorigen Bauernproteste scheint die Strafverfolgung jedenfalls vielerorts zu laufen. Der zitierten Medienmeldung zufolge seien nach Angaben der Staatsanwaltschaft Ravensburg, allein dort noch Ermittlungen gegen insgesamt mehr als 60 Beschuldigte in diesem Zusammenhang im Gange. 14 Anklagen wären demnach bisher erhoben worden.
Bundesweit sorgen diese Fälle allerdings kaum noch für Aufmerksamkeit. Ob sie regional auf Protestwillige eine einschüchternde Wirkung haben, lässt sich schwer feststellen.
"Rechtsextremismus in der Landwirtschaft"
Aber einschlägige Medienschaffende warnen aktuell die Berliner vor den „rechten Bauern“. Im Zentralorgan für gute Gesinnung, der Taz, schrieb deren Wirtschafts- und Umweltredakteur Jost Maurin:
„Auf dem Höhepunkt der Bauernproteste waren sie alle da: Die vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestufte Identitäre Bewegung verteilte Flugblätter. AfD-Politiker zeigten Präsenz, die rechtsextreme Partei Freie Sachsen nahm Videos auf. Das Kamerateam eines öffentlichen-rechtlichen Senders wurde mit „Lügenpresse“-Rufen beschimpft. All das geschah ungehindert, ohne Gegenrede.
Alles Einzelfälle, wie die Behörden sagen? Alles Schnee von gestern?“
Solche rhetorischen Fragen kann der Taz-Redakteur selbstverständlich klar beantworten:
„Rechtsextremismus ist in der Landwirtschaft kein Einzelfall mehr, das belegen nicht zuletzt überdurchschnittliche Wahlergebnisse der AfD unter Bauern. Der Rechtsruck in der Bauernschaft könnte sich auch diesen Winter wieder auswirken. Die Landwirte haben nach der Ernte weniger auf dem Feld zu tun. Mehr Zeit also, auch für Protest.“
Das hört sich fast so an, als würde es der Kollege bedauern, dass selbst die mit Arbeit durchaus ausgelasteten Landwirte Zeit zum Demonstrieren finden. In jedem Fall muss vor denen gewarnt werden:
„Für den 23. November hat eine von Bauern geführte nationalistisch-populistische Bewegung eine Demonstration in Berlin angekündigt. Angemeldet sind laut Polizei 10.000 Menschen mit 1.000 Traktoren, Lastwagen und anderen Fahrzeugen.“
Veranstalter dieser Demonstration ist der Verein Hand in Hand für unser Land e.V.. Womit belegt der Kollege Taz-Redakteur seine Behauptung, dass es sich bei bei dem Verein um „eine von Bauern geführte nationalistisch-populistische Bewegung“ handle? Einen direkten Beweis für die These gibt es nicht. Aber indirekt kann er sich auf eine einschlägige ministerielle Bewertung berufen:
„Anfang 2024 warnte das Bundesinnenministerium vor dem Versuch von extremen Kräften, die Bauernproteste zu missbrauchen. Ein Sprecher von Innenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte damals, es sei davon auszugehen, dass Akteure aus dem rechtsextremen Spektrum und solche, die den Staat delegitimieren wollten, versuchen würden, Protestveranstaltungen für eigene Interessen zu instrumentalisieren.“
Die Stimme der Expertin
Wobei auch er nicht umhin kommt, einzugestehen, dass diejenigen, die die pauschale Einordnung der demonstrierenden Bauernschaft als schwer rechtslastig kritisieren, durchaus gewichtige Argumenten haben:
„Solche Kritiker dürften sich durch eine Auskunft des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) bestätigt sehen, die die taz Mitte September 2024 eingeholt hat. Die Bauernproteste seien nicht ‚per se als rechtsextremistisch‘ einzustufen, heißt es darin. Das BfV habe nur ‚vereinzelte Demonstrationsteilnahmen, unter anderem von Rechtsextremisten und ‚Reichsbürgern‘ festgestellt. Lediglich ‚in Einzelfällen‘ sehe es solche Bezüge bei den Protesten. Nur ‚vereinzelt‘ hätten sich Rechtsextremisten an Störaktionen beteiligt.“
Solcher Verharmlosung von Regierungskritik aus dem Landvolk setzt der engagierte Kollege die Stimme einer Expertin entgegen:
„‚Ich finde es schwierig zu sagen, rechtsextremistische Einflussnahmen bei Bauernprotesten waren nur Einzelfälle‘, sagt Janna Luisa Pieper, Agrarsoziologin an der Universität Göttingen. ‚Es gab nicht nur eine Vereinnahmung der Proteste durch Rechtsradikale, sondern auch einen Rechtsruck innerhalb der Landwirtschaft.‘“
Wer kann einer Agrarsoziologin schon widersprechen, wenn es um die politische Ausrichtung des Bauernstands geht? Nun waren freie Bauern immer schon eher bodenständig und für hoch fliegende Ideologien nicht wirklich empfänglich. Die politische Linke hatte es deshalb auf dem Land immer schon schwer. Wer mit der Sorge um den eigenen Hof, mit Eigenverantwortung, der Organisation des eigenen Landwirtschaftsbetriebs, der Suche nach wirtschaftlich sinnvollen Lösungen für immer neue Probleme und viel Arbeit auf dem Acker und im Stall zu leben hat, steht realitätsabgewandten Weltrettungslehren verständlicherweise eher ablehnend gegenüber. Vor allem dann, wenn deren Verfechter die Frage danach, wer denn die Zeche zahlt, nur unbefriedigend beantworten können. Das wissen sogar Großstädter wie ich, die mit der Agrarsoziologie noch keine nähere Berührung hatten. Aber sind sie deshalb „rechts“?
Für die Berliner Demonstration hat Hand in Hand für unser Land als Redner tatsächlich auch so ein zweifelhaftes politisches Irrlicht wie Jürgen Todenhöfer geladen. Der ist ein radikaler Verharmloser der Gefahren des radikalen Islam. Es gibt zwar gute Gründe, ihn für radikal zu halten, aber kaum für rechtsradikal.
Tabu-Themen und fehlende Angebote
Zur letzten Bundestagswahl trat er mit seiner eigenen Gerechtigkeitspartei Team Todenhöfer an. Ob die bei der Neuwahl des Bundestags wieder dabei sein wird und Todenhöfer seinen Auftritt schon mal für den Wahlkampf nutzt, ist nicht bekannt. Sein Einfluss auf Bauern und andere Demonstranten dürfte äußerst begrenzt sein. Den meisten sind die Reden auf der Tribüne ohnehin schmückendes Beiwerk. Die Demonstration selbst ist der Kerninhalt.
Mag auch auf dem Lande traditionell mehrheitlich konservativ gewählt werden, die Bauernproteste des letzten Winters zogen in den Städten durchaus viele Sympathiesanten aus ganz verschiedenen politischen Richtungen an, die mit der irrationalen Politik der letzten deutschen Bundesregierungen unzufrieden sind. Diese Anschlussfähigkeit macht sie politisch so hochbrisant, wenn ihre Proteste jetzt mitten in einen Bundestagswahlkampf hineinrollen.
Das ängstigt viele politische Akteure und sie denken gleichzeitig alle verzweifelt darüber nach, wie sich der Bauernprotest zum eigenen Nutzen instrumentalisieren lässt. Und es schwant ihnen, dass das für eine Oppositionspartei besonders leicht sein könnte, nämlich der, die in Bund und Ländern immer nur Opposition spielen durfte und von nahezu jeder politischen Verantwortungsposition ausgeschlossen blieb, obwohl sie dadurch stärker und stärker wurde.
Das liegt nicht daran, dass die Bauern so rechtslastig sind, sondern daran, dass alle anderen ihnen und auch vielen Bürgern keine attraktiven politischen Angebote mehr machen. Wichtige Themen – wie beispielsweise die Subvention der unkontrollierten Masseneinwanderung – werden am liebsten tabuisiert und dann laut vor der Wahl derer gewarnt, die dies nicht tun.
Diese Bundestagswahl wird beispiellos sein. Es wird eine Wahl sein, bei der traditionelle Parteibindungen eine geringere Rolle spielen werden, als bei den Wahlen zuvor. Die allgemeine Stimmungslage wird enorm wichtig sein, gerade in diesen Krisenzeiten, in die hinein auch noch der kalte Schauer der lange vergessenen Kriegsangst zieht. Werden die Wahlbürger nach einem Hort der Sicherheit bei den traditionellen Parteien suchen? Oder werden sie alle abstrafen wollen, die daran beteiligt waren, das Land in die Krise zu führen? Die Bauernproteste können hier äußerst wirkmächtig werden. Das lässt sich mit solchen Warnungen, wie der folgenden aus der Taz, kaum aufhalten:
„Dass Rechtsextremismus unter Landwirten wohl nicht nur „vereinzelt“ vorkommt, könnte sich auch bei der Demonstration des Vereins Hand in Hand für unser Land am 23. November in Berlin wieder zeigen. Der Verein kämpft für den Erhalt der Agrardieselsubvention, gegen eine angebliche Bevorzugung von Migranten etwa bei der Bereitstellung von Wohnraum, und er stellt den Klimawandel infrage.“
Das schreckt in Zeiten konkreter Wirtschaftskrise wohl kaum einen Unzufriedenen mehr ab, zu einer solchen Demonstration zu gehen.
Peter Grimm ist Journalist, Autor von Texten, TV-Dokumentationen und Dokumentarfilmen und Redakteur bei Achgut.com.