Ulrike Prokop, Gastautorin / 07.02.2021 / 11:00 / 23 / Seite ausdrucken

„Die Ausgrabung“: Britische Tugenden provozieren das deutsche Feuilleton

Von Ulrike Prokop.

„Die Ausgrabung“, der neue Film des Regisseurs Simon Stone, präsentiert bei Netflix, ist erfreulich, weil er heilige Kühe der Gegenwartskultur angreift: das definitorische Geschrei und das hemmungslose Moralisieren. Auf eine stille Art provoziert das Werk. Zwei der besten Schauspieler Großbritanniens sind zu sehen: Ralph Fiennes und Carey Mulligan. Mike Eley ist ein großartiger Kameramann, der in strengen Totalen Personen und Landschaft auffasst. Der Film ist auch ein politisches Statement – durch Negation der aktuellen Gemeinschaftsklischees, vom „Wir“, vom „Volk im Krieg gegen Hitler-Deutschland“.

In der Filmerzählung überlagern sich zwei Ereignisketten: das Auffinden eines angelsächsischen Grabmals aus dem frühen 7. Jahrhundert und die Wochen, in denen der zweite Weltkrieg mit dem Überfall auf Polen seinen Anfang nimmt und der Kriegseintritt Großbritanniens erfolgt.

Eine verwitwete Grundbesitzerin gewinnt Basil Brown, einen ernsten und fast verbitterten Autodidakten ohne akademische Titel, für die Erforschung einiger Hügel, vermutlich Gräber, auf ihrem Land. Brown ist Kenner, Geschichtsforscher aus Leidenschaft. Die Geschichte vom großen archäologischen Fund, veranlasst durch Lady Edith Pretty, ist eine wahre Begebenheit: die Geschichte des Fundes von Sutton Hoo im Jahr 1939 nahe der Küste von Suffolk. Ein König wurde hier mit seinem Schiff und Schätzen begraben. Münzen, Silberteller, Goldfibeln belegten erstmals die Verbindung Britanniens zu den Zentren der europäischen Kultur im Mittelmeerraum. Heute befinden sich die Objekte im Britischen Museum.

Konflikte um Verzicht und Opfer

Die Filmerzählung will aber noch anderes als einen Archäologenfund dokumentieren.
Zwischen der Lady Edith und dem Handwerker und Bauern Brown steht die soziale Distanz. Ungewöhnlicherweise macht der Film daraus kein Hierarchiedrama, sondern greift auf das Muster von Respekt, Würde und Vertrauen zurück. Der Bauer, Handwerker und Ausgräber gibt sein Können und verweigert jede Unterwerfung unter die vornehme Herrin, ohne im dummen Sinn aufsässig zu tun. Er hat sein Leben, sie das ihre. Unter dieser Voraussetzung können sie sich näher kommen, ohne sentimentale Übertreibungen. Die Omnipotenzvorstellung, das Glück bestehe darin, alles zu überrennen, wird hier ad absurdum geführt.

Als das prächtige und einzigartige Fundstück, ein Schiff mit Grabkammer und Schätzen, ausgegraben ist, erscheint die Konkurrenz – die akademische Archäologie und die Macht des British Museum, auf der Bildfläche. Der Film verzichtet auch hier auf die Dramatisierung der Gegensätze: Stadt – Land, Machtgier – Ohnmacht, widerlicher Herrenmensch gegen tapfere Volksmenschen. Zwar ist der Groß-Archäologe vom British Museum klassisch fett und unsympathisch – wie das Urbild des bösen Kapitalisten mit Zigarre, der hungernde Proletarier beraubt, aber seine Macht hat Grenzen. Er kommt am Ausgräber und seinem Können nicht vorbei, und die Lady blickt ihn kalt an und konstatiert, wer denn nun den Fund gemacht hat – eben: Der vom großen Museum war es nicht!

Simon Stone zeichnet in seinen Figuren Konflikte um Verzicht und Opfer. Lady Pretty zum Beispiel ist Witwe, die erst heiratete, nachdem sie den Vater bis zu dessen Tod gepflegt hatte. Die Ehe währte kurz. Ein Sohn ist ihr geblieben, und Einsamkeit. War die Entscheidung falsch, zehn Jahre Leben verschenkt? Basil Brown, der Ausgräber, wird nie gegen die akademische Altertumsforschung ankommen. Soll er in Verbitterung die Grabstätte in die Luft jagen? Ein junger Flieger stürzt bei einem Manöver ab – wäre er besser zu Hause geblieben? Der Film zeigt Menschen, die ihr entschiedenes Handeln nicht zu triumphalen Selbststilisierungen nutzen. Tod, Verlust und Misslingen lassen sich im Alltagsleben nicht in einen Abschluss überführen wie „gelungene Trauerarbeit“ oder „sag dir jeden Morgen: ich bin großartig“. Die Darstellung zeigt, was nicht verfügbar ist. Die Lady schmückt sich für ein Dinner, aber der Gast sagt ab. Das Kind will aus der Trauer ausbrechen und findet schließlich seine Vorbilder, ohne dass die Vergangenheit vergeht. Der Ausgräber erlebt einen Augenblick der öffentlichen Anerkennung, aber der ist nicht von Dauer.

Machtvolle und kulturschöne Vergangenheit

Den Film durchzieht ein in Deutschland tabuisiertes Thema: Selbstverständlich opfern sich die jungen Leute im Krieg für die Nation gegen Hitler. Kühl wird das vorausgesetzt; die Bereitschaft ist selbstverständlich und die Tat real und unsensationell. Weder Hassbekenntnisse des Antifaschismus noch sonst triefende Seelendramen gehören hierher. Der Einsatz ist vielmehr eine Selbstverständlichkeit im Rahmen von Jugendkultur und Freundesgruppe. Er wird getragen von der Verbundenheit zwischen den Generationen, und von einem Gemeinschaftsgefühl, das die Klassengrenzen und Rivalitäten zurückdrängt.

Das Fundstück, das Schiff, wird von allen Beteiligten in seiner Bedeutung für England gewürdigt – von Brown, von Lady Pretty und den Museumsleuten. Die Ausgrabung wird in direkten Zusammenhang zu der drohenden Invasion durch Hitler-Deutschland gestellt. Der Fund sei, so die mehrfache Kommentierung, eine Stärkung der Nation. Es beweise eine machtvolle und kulturschöne Vergangenheit, ein Erbe, das bis in die Gegenwart wirke. So kann selbst der Groß-Archäologe eine wichtige Rede halten – das Erbe darf nicht verlorengehen und das nicht aus Gründen der Archivierung, sondern als Appell an das Ich-Ideal der Gegenwart.

Dieses Gemeinschaftsgefühl entspricht in keiner Weise den aktuellen politisierten Meuten mit ihrer Straf- und Verfolgungswut. Es richtet sich ganz selbstverständlich gegen einen Feind, der als Bedrohung der eigenen Lebensart aufgefasst wird. Es werden also nicht Reinheit und Einheit der Gemeinschaft gefeiert. Und doch wird eine Gemeinschaft gezeigt. Es fällt auf, dass die Themen Pflicht und Opfer ohne grandiose Bekenntnisse zu höchsten Werten in den Rezensionen (FAZ, taz, NZZ, SZ) nur als peinlich wahrgenommen werden. Hierzu gehören die Episoden der Liebe einer jungen Archäologin zu einem jungen Mann, der seinen Einberufungsbescheid erhält und als Flieger eher sterben als überleben wird. Diese Episoden werden geradezu wütend abgelehnt. Als „sentimentales Klischee“, „konventionelle Romanze“ (NZZ), als „Memento-Mori-Dialog am offenen Bootsgrab“ (FAZ) „Auffüttern des Plots“ duruch eine „bebrillte junge Wissenschaftlerin“ (taz). Hier wird etwas getroffen, denn die Reaktion ist neuralgisch. Nur die unbestrittene Kunst der Darstellung und der Kamera hindert die Rezensenten am Totalverriss. Denn hier wird ein Nerv getroffen, einfach durch die Darstellung von etwas anderem, das als unverschämt empfunden wird.

Umgangsweisen, die im deutschen Feuilleton nicht gut ankommen

Dem deutschen Selbsthass wird hier ein anderes Bild des Patriotischen entgegengesetzt. Es wird eine inhomogene Gesellschaft gezeigt, die zivile Techniken der Verständigung ausgebildet hat, die in der Lage ist, im entscheidenden Moment Ressourcen zu mobilisieren, die das gemeinsame Zusammenleben als Ergebnis von Generationen der Vergangenheit begreift und es als etwas versteht, das der Verteidigung wert ist. Also kein „ganz gut“ oder „gar nicht wertvoll“, vielmehr ein Unseres, begrenzt und beschädigt, aber doch nicht zu verwerfen.

Es werden Umgangsweisen gezeigt, die im deutschen Feuilleton nicht gut ankommen. Laut taz wird der Klassengegensatz unzureichend bearbeitet. Es ende alles in Melancholie, bekanntlich einem bürgerlichen Laster, das in der Epoche der Selbstoptimierung eigentlich ausgerottet sein müsste. Laut FAZ ist die ganze Sache ein Langweiler und eine überflüssige Verehrung britischer Tugenden.

Trash-Produktionen – wie die Netflix Serie Bridgerton – werden vom Feuilleton positiv aufgenommen, weil sie direkt in den bestehenden Diskurs von Rassismus und Feminismus eingebunden werden können und weil in den grellen Klischees alle Mainstream-Maschen versammelt sind: POC-Proporz und Frauenemanzipation geben sich ein plattes Stelldichein. Die destruktive Schnoddrigkeit, die weder Genauigkeit noch historische Distanz kennt, passt perfekt zur kulturellen Abbruchhalde der Postmoderne.

Gegen diese Tendenzen stellt „Die Ausgrabung“ eine völlig andere Art des Erzählens.
Dieser Film provoziert, aber nicht weil „Die Ausgrabung“ historisch überholte Melancholien einer Witwe behandelt, sondern weil er auf den neuralgischen Punkt des Haltungsjournalismus zielt: Gut kämpft gegen Böse, Modernisierung ist das Weltgericht, der öffentliche Raum die Hinrichtungsstätte.

Foto: Ministry of Information/ UK Imperial War Museums via Wikimedia Commons

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Dr. Joachim Lucas / 07.02.2021

Ich beschäftige mich viel mit Film, Geschichte, Biografien, Reiseliteratur. Deutsche Autoren/Regisseure kann man überwiegend vergessen. Ständig der moralische Zeigefinger, ideologische Einordnung und Selbstgeisselung. Jedes Thema mit nazi- oder zeitgeistigen Bezügen und seien sie noch so weit hergeholt. Penetrant. Ganz anders empfinde ich die englischen Pendants. Mich wundert die negative deutsche Kritik nicht. Das kann eigentlich nur ein klares Indiz für die Qualität dieses Filmes sein. Ein Beispiel dafür, wie im angelsächsischen Raum historische Themen behandelt werden ist die beeindruckende Dokumentation von Peter Jackson “They shall not grow old” über den 1. Weltkrieg. Trailer bei youtube.

Elmar Stede / 07.02.2021

Vielen dank für den Tipp! Zwar bin ich kein besonderer Cineast, aber Ralph Fiennes habe ich in jeder Rolle, in der ich ihn bislang sah, als grandios wahrgenommen. Wenn es aber so ist, daß dieser Film aufgrund der Art, wie er erzählt, gegen alle momentan angesagten *ismen der Selbstzerstörung des gesunden Menschenverstandes und eines zivilisierten Gemeinwesens verstößt, bzw. diese einfach ignoriert und gaaanz links liegen lässt, dann macht alleine dieser Umstand mich neugieriger ihn anzusehen, als der Plot des archäologischen Sensations-Fundes es allein vermocht hätte. Es ist zugegebenermaßen eine etwas infantile und stark simplifizierende Grundannahme, die ich da in meiner Bewertung “der Dinge” mit mir durchs Leben schlörre; sobald das Föjjetong im Aufruhr schäumt und den üblichen Lautsprechern für die allfällige Moral des Schwarms der Allen der Geifer aus dem Mundwinkel und der Ekel aus dem Antlitz trieft, muss eine Salve sehr gut gesessen haben ! Bliebe nur zu hoffen, daß der Schütze auch genau dort hat treffen wollen!

Helmut Zeitz / 07.02.2021

Sie haben hier eine sehr schöne Rezension verfasst, Frau Prokop. Danke dafür. Und Sie haben das Dilemma der tagtäglich in den deutschen Feuilletons praktizierten Werteverwahrlosung sehr genau auf den Punkt gebracht. Und Sie haben gezeigt, warum im Gegensatz dazu mit fetten Zwangsgeldern geförderte deutsche ÖR-Machwerke in ihrer weltanschaulich gefesselten, selbstgefälligen Behäbigkeit solchen unaufgeregt daher kommenden Qualitätsproduktionen wie “Die Ausgrabung” nicht annähernd das Wasser reichen können.

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