Die erste Ausgestoßene dieser Woche ist Monika Maron. Wie in den letzten Tagen bereits ausgiebig bei der Achse des Guten und anderswo berichtet wurde, hat sich der Frankfurter S. Fischer Verlag nach 40 Jahren Zusammenarbeit von der 79-jährigen Autorin getrennt. „Man kann nicht bei S. Fischer und gleichzeitig im Buchhaus Loschwitz publizieren, das mit dem Antaios Verlag kooperiert“, begründet der Verlag den Schritt. Bereits Anfang dieses Jahres hatte S. Fischer eine kurze Erzählung Marons über die Anschaffung eines Hundes abgelehnt. Laut F.A.Z. wurde dem Agenten der Schriftstellerin zur Begründung mitgeteilt, sie sei „politisch unberechenbar“.
S. Fischer hatte 1981 Marons ersten Roman „Flugasche“ veröffentlicht. Das Buch durfte in der DDR nicht erscheinen, weil es die dortige Umweltverschmutzung und Zensur thematisierte. 1988 siedelte Maron von der DDR in die Bundesrepublik über, die weiteren 18 belletristischen Werke von ihr erschienen ebenfalls bei S. Fischer, dem Verlag, den sie als „Heimat“ bezeichnet.
Antaios ist der Verlag des erzkonservativen Aktivisten und Publizisten Götz Kubitschek, der bekanntlich mit dem „Flügel“ um AfD-Rechtsaußen Björn Höcke sympathisiert, auf einem Rittergut lebt und seine Frau siezt. Was meint der S. Fischer Verlag, wenn er von „Kooperation“ mit diesem Milieu spricht?
Die Dresdner Buchhandlung BuchHaus Loschwitz und das dazugehörige KulturHaus Loschwitz, in dem Veranstaltungen stattfinden, werden von Susanne Dagen und ihrem Lebenspartner Michael Bormann betrieben. Dagen gilt als islam- und migrationskritisch und saß eine Zeit lang im Kuratorium der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung. Mitglied der AfD ist sie allerdings nicht. In Dresden engagiert sie sich bei den Freien Wählern und sitzt für diese im Stadtrat. Überregionale Bekanntheit erlangte Dagen 2017, als sie den offenen Brief „Charta 2017“ initiierte, der Störaktionen gegen neurechte Verlage auf der Frankfurter Buchmesse verurteilte.
„Rettet den gesunden Menschenverstand!“
Mit dem publizistischen Kreis um Kubitschek kooperiert Dagen in dem Sinne, dass sie seit 2018 zusammen mit Kubitscheks Ehefrau Ellen Kositza die Literatursendung „Aufgeblättert. Zugeschlagen – Mit Rechten lesen“ moderiert. Mit diesen regelmäßig erscheinenden YouTube-Videos hat Monika Maron nichts zu tun, bis auf die Tatsache, dass dort auch manchmal ihre Werke besprochen werden.
Monika Maron bezeichnet Susanne Dagen als Freundin, „die manchmal auch übers Ziel hinausschießt“. Als Dagen gefragt habe, ob Maron in ihrer Reihe „EXIL“ einen Essayband veröffentlichen wolle, habe sie keinen Grund gesehen, abzulehnen – zumal S. Fischer die Idee bereits abgelehnt hatte.
Neben Marons Essayband erschienen in „EXIL“ auch „Pawlowsche Idioten“, ein Essay über den „Siegeszug der Dummheit“ von der mir unbekannten Angela Wierig; der satirische Roman „Mao und die 72 Affen“ von dem mir ebenfalls unbekannten Bernd Wagner; und Eva Rex‘ Essay „Rettet den gesunden Menschenverstand!“, offenbar eine Würdigung der liberalen jüdischen Philosophin und Totalitarismusforscherin Hannah Arendt. In der Reihe erschienen außerdem die Erzählung „Das Atelier“ von Uwe Tellkamp und eine Essaysammlung von Jörg Bernig.
Tellkamp – Autor des berühmten Wenderomans „Der Turm“ – ist bekannt für seine Kritik an der Flüchtlingsaufnahmepolitik der Bundesregierung. Mit seiner Aussage „die meisten […] kommen her, um in die Sozialsysteme einzuwandern, über 95 Prozent“ ist er meiner Meinung nach 2017 übers Ziel hinausgeschossen. Ein Rechtsradikaler ist er aber ganz sicher nicht. Bernig kann man vorhalten, dass er in Kubitscheks tatsächlich sehr weit rechts stehender Zeitschrift „Sezession“ publiziert. Seine politischen Positionen sorgten Anfang dieses Jahres für eine Kontroverse, als er zum Kulturamtsleiter der sächsischen Stadt Radebeul gewählt wurde (Bernig zog seine Bewerbung später freiwillig zurück).
Ich habe die Bücher nicht gelesen, aber insgesamt bekomme ich nicht den Eindruck, dass es sich bei EXIL um eine in irgendeiner Form rechtsradikale oder rechtextreme Publikationsreihe handelt. In jedem Fall sollten die Beitragenden und Werke für sich betrachtet werden. Kann Monika Maron etwas dafür, dass ein anderer Autor für die Sezession schreibt?
Das Ganze wirkt arg konstruiert
Vollkommen absurd sind die Versuche, aus der Tatsache einen Strick zu drehen, dass die Bücher der Reihe EXIL auch vom Verlag Antaios vertrieben werden. Denn in Deutschland kann sich jeder bei einem Grossisten mit jedem verfügbaren Buch eindecken und dieses weiterverkaufen. Das Buch „Experimente statt Experten: Plädoyer für eine Wiederbelebung der Demokratie“, das ich 2019 mit anderen verfasste, wird auch vom rechtsesoterischen Kopp-Verlag vertrieben. Das passt mir zwar nicht, aber es lässt sich nicht ändern.
Der Verlag Antaios verkündet stolz auf seiner Webseite „Antaios liefert jedes Buch“. Das ist wohl wortwörtlich gemeint. Cora Stephan hat bereits auf der Achse des Guten darauf hingewiesen, dass Kubitscheks Versandbuchhandel auch einen Band vertreibt, der von Hengameh Yaghoobifarah herausgegeben wurde – also der abgedrehten, linksidentitären taz-Kolumnistin, die Polizisten gerne auf der Müllhalde entsorgen würde. Auch die von S. Fischer verlegten Bücher Monika Marons lassen sich über Antaios bestellen.
Es ist das gute Recht des Verlags, Maron rauszuwerfen. In Deutschland herrscht Vertragsfreiheit. Dennoch wirkt das ganze arg konstruiert. Man will wohl eine Autorin loswerden, die bereits seit einigen Jahren irgendwie unter „Rechts Verdacht“ steht, weil ihre Romanfiguren sich Sorgen um Gendersternchen, muslimische Einwanderung, politisch korrekte Denkverbote oder die Krise der Männlichkeit machen, und auch die Autorin selbst als öffentliche Person immer mal wieder Dinge sagt, die nicht in den hyperprogressiven Zeitgeist passen. Vielleicht fürchtet S. Fischer, durch das Festhalten an Maron andere Autoren zu verlieren oder potenzielle Autoren abzuschrecken. An den Verkaufszahlen ihrer Werke kann der Rausschmiss jedenfalls nicht liegen, diese bleiben gut.
„Politische Unberechenbarkeit“ und Kontaktschuld über zwei Ecken. Das reicht heute offenbar, damit eine mutige ehemalige DDR-Dissidentin, die sich selbst als „freiheitssüchtig“, „demokratisch“ und „liberal“ bezeichnet, und die nie etwas auch nur annährend rechtsradikales, verfassungsfeindliches oder ähnliches geäußert hat, aus dem Programm eines renommierten Verlags fliegt. Als „Promi“ wird Maron hoffentlich bald einen neuen Verleger finden. Um die Zukunft der Kultur in unserem Land muss einem trotzdem bange werden. Was bedeutet es, gerade für junge, noch unerfahrene Kreative, wenn die politische Disziplinierungsmaschine immer übersensibler wird, und man sich ständig fragen muss, ob man einen Fehltritt begeht?
Teile von Maurós Text erscheinen mir tatsächlich ungünstig
Der zweite Ausgestoßene der Woche ist Helmut Mauró. Der Musikkritiker hatte sich in einem Beitrag in der Süddeutschen Zeitung kritisch mit dem Starpianisten Igor Levit auseinandergesetzt. Levit ist das wandelnde Klischee, das mit den Fridays for Future Kids posiert, sich auf seiner Webseite als „Bürger, Europäer, Pianist“ präsentiert – in dieser Reihenfolge, und auf seinem Twitter-Account, dessen Profilbild eine erhobene schwarze Faust ist, alle paar Stunden etwas zu Flüchtlingen, Gender, Alltagsmasken und – vor allem – dem „Kampf gegen Rechts“ postet. Legendär ist Levits wiederholte Aussage, AfD-Mitglieder hätten „ihr Menschsein verwirkt“. Über diesen 33-jährigen „Staatskünstler“, der 1995 mit seinen Eltern aus Russland nach Deutschland einwanderte, hat Georg Etscheit bereits auf der Achse des Guten alles gesagt, was gesagt werden muss.
Auch der SZ-Kolumnist Mauró fragt sich, ob Levits politisch-genehme Twitterei maßgeblich die Karriere des Pianisten befördert hat, und ob das Bundesverdienstkreuz, das Levit diesen Monat verliehen wurde, nicht eher dessen „Haltung“ ehrte als dessen Leistungen als Musiker.
Wie zu erwarten, gab es einen Shitstorm. Die heftige Kritik der Levit-Unterstützer kann ich in gewisser Weise nachvollziehen. Teile von Maurós Text erscheinen mir tatsächlich ungünstig. So kritisiert er z.B., dass Levit nach einem antisemitisch-motivierten Angriff auf einen jungen Mann in Hamburg twitterte: „So, so müde. und so wütend.“ Letztlich spricht hier ein nicht-jüdischer Journalist einem Juden das Recht ab, über eine antisemitische Gewalttat wütend und traurig zu sein. Warum, bei all den tatsächlich kritikwürdigen Aussagen Levits, ausgerechnet diesen und ähnliche Tweets herauspicken?
Entschuldigung in einem seltsam verschwurbeltem Schreiben
Was ich allerdings nicht nachvollziehen kann, ist die Tatsache, dass sich die SZ infolge des Sozial-Medialen-Fäkalgewitters bei Igor Levit und bei ihren Lesern entschuldigt hat. Entweder die SZ-Chefredaktion betrachtet den Text tatsächlich als antisemitisch, dann hätte er in dieser Form nie erscheinen dürfen. Oder sie findet ihn in Ordnung. In letzterem Fall sollte sie aber zu ihrer Entscheidung und zu ihrem Autor stehen.
Einen ähnlichen Fall gab es in Deutschland bereits 2018, als die Zeit ein Pro-Contra zur privaten Seenotrettung von Flüchtlingen und Migranten im Mittelmeer veröffentlichte. Als, wie zu erwarten, die kritischen Kommentare einprasselten, entschied sich die Chefredaktion zu einem bemerkenswerten Schritt: Sie entschuldigte sich in einem seltsamen, verschwurbelten Schreiben bei ihren Lesern für den „Fehler“ und hängte somit die Verfasserin des „Contra“-Beitrags, Mariam Lau, wie man im Englischen sagt, zum Trocknen auf.
Empörte Twitter-Nutzer sollten nicht zur de facto Chefredaktion von Zeitungen befördert werden, und Herausgeber sollten zu ihren Entscheidungen stehen und nicht ihre Autoren der Meute zum Fraß vorwerfen, sobald es Kontroversen gibt. Auch das ist „Cancel Culture“. Ob Maurós Beitrag tatsächlich antisemitisch ist, sollen andere beurteilen, die sich mit diesem Themenfeld besser auskennen. Es wäre jedenfalls nicht das erste Mal, dass das Zentralorgan des deutschen Linksliberalismus mit einer fragwürdigen Einstellung gegenüber dem Volk des Buches auffällt.
Denunziationsaufruf der Ärztekammer Nordrhein
Eine dritte beachtenswerte Entwicklung ist diese Woche eine Art Denunziationsaufruf der Ärztekammer Nordrhein. Der WDR brachte am 20. Oktober 2020 auf seiner Webseite den Artikel „Wenn Ärzte Corona verharmlosen – oder gar leugnen“. Darin wird Stimmung gemacht gegen niedergelassene Ärzte, die – oh Schrecken – zu Patienten sagen, Corona sei „keine wirklich große Bedrohung“ (was für einen Großteil der Bevölkerung sogar zutreffen dürfte, wenn ich den aktuellen Stand der Wissenschaft richtig verstanden habe) oder das Tragen einer Maske unsinnig finden (auch das ist zumindest diskussionswürdig, es ist u.a. die Sichtweise des schwedischen Chefepidemiologen Anders Tegnell). Der Artikel schließt mit einem Aufruf der Sprecherin der Ärztekammer Nordrhein an die Patienten: „Hinweise über entsprechende Fälle bitte der zuständigen Ärztekammer melden. ‚Wir gehen dann der Sache nach‘.“