Henryk M. Broder / 28.07.2016 / 09:06 / 27 / Seite ausdrucken

Die Antwort haben wir schon. Jetzt suchen wir die Frage.

Wenn der Deutsche hinfällt, hat Tucholsky mal geschrieben, dann steht er nicht auf, sondern schaut, wer ihm schadenersatzpflichtig ist. Wenn aber ein anderer stolpert, dann weiß der Deutsche sofort, was derjenige falsch gemacht hat und was er machen sollte, damit es nicht noch einmal passiert. Auf deutsche Besserwisser und Rechthaber ist Verlaß, vor allem, wenn sie für ein Leitmedium dichten. Zum Beispiel Karin Finkenzeller auf ZEIT Online. Frankreich, schreibt sie, "muss sich der Frage stellen: Warum bringt eine Gesellschaft diese Täter hervor?" Gemeint sind die Killer von Paris, Nizza und zuletzt Saint-Étienne-de-Rouvray

Nun, eine mögliche Antwort auf diese Frage wäre: Weil sie DIE ZEIT nicht lesen. Aber das wäre zu kurz gesprungen. Was die Motive der Täter angeht, bietet Frau Finkenzeller eine ganz neue und originelle Erklärung an: "Die Terroristen wollen die Gesellschaft spalten." Die Gesellschaft ihrerseits ist ungerecht, weil "oft nur einen kleinen Elite" die Freiheit hat, "persönliche Ziele... im Berufsleben anzustreben und zu erreichen". Adel Kermiche, zum Beispiel, "der erst 19-jährige Mörder von Saint-Étienne-de-Rouvray, reiht sich ein in die inzwischen lange Liste der Gescheiterten, die zur Waffe griffen. In seinem jungen Leben hatte er schon zweimal versucht, nach Syrien in ein Ausbildungslager des IS zu gelangen".

Beide Male ist ihm die Ausreise verwehrt worden, und so blieb ihm nichts anderes übrig, als einen Priester zu schlachten, ein Gescheiterter, wie viele vor ihm und viele, die nach ihm kommen werden, voller "Frust und Zorn... auf eine Gesellschaft, die einem die Anerkennung aufgrund der Herkunft versagt". Das Unglück wäre vermutlich zu verhindern gewesen, wenn DIE ZEIT Adel Kermiche, dem erst 19-jährigen Mörder von Saint-Étienne-de-Rouvray, ein Volontariat angeboten hätte. Aber auf diese Idee ist in der Hamburger Zentrale des Blattes leider niemand gekommen. Obwohl für die Aufnahme in den illustren Kreis der ZEIT-Mitarbeiter die Herkunft keine Rolle spielt. So betrachtet, ist nicht nur die elitäre französische Gesellschaft für die Taten der Terroristen verantwortlich, sondern auch DIE ZEIT.

Ebenso ekelhaft, strunzdumm und widerlich: Georg Diez auf SPON: "Terror ist immer erst mal eine Antwort. Es geht darum herauszufinden, auf welche Frage." 

Wie wäre es mit dieser? "Schreibt Georg Diez unter dem Pseudonym Karin Finkenzeller auch für DIE ZEIT?"

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Andreas Hofer / 29.07.2016

Tach Herr Broder, wegen Ihnen lese ich morgens in der U-Bahn wieder Tucholsky. Hielt ich immer für naja, historisch. Aber: Das Ende der Geschichte ist ja nun abgesagt und damit können wir uns auch wieder mit der Antike beschäftigen :)

Thea Wilk / 28.07.2016

Ja, das ist strunzdumm, was da von vielen Medienvertretern geschrieben wird. Dieser Dummheit könnte abgeholfen werden, wenn diese Medienvertreter sich nach Fachlektüre oder Fachleuten umsehen würden. Eleonore Tatge, Kriminalhauptkommissarin und Beauftragte für Kriminalprävention, hat in einem Artikel in der Fachzeitschrift Kriminalistik Heft 11/2011 das von Tätern inszenierte “Drehbuch der Gewalt” beschrieben. Zum Drehbuch der Gewalt gehören auch Rechtfertigungsstrategien der Täter, welche die Täter vorsorglich immer bereit haben, und die gesellschaftlich mit vielen Mythen unterstützt werden. Ein solcher Rechtfertigungsmythos ist, dass der Täter gar nichts anders hätte handeln können. Der Täter ist Opfer z.B. seiner Familiengeschichte oder eben seiner Perspektivlosigkeit. Diesem Rechtfertigungsmythos steht ein Zitat von Heinrich Popitz (Phänomene der Macht, 2009) gegenüber:  “Der Mensch muss nie, kann aber immer gewaltsam handeln”. Und schon ist der Rechtfertigungsmythos geplatzt - außer man möchte sich seine schönen Rechtfertigungsmythen nicht kaputt machen lassen.

Andre Domagala / 28.07.2016

Der angesprochene Georg Diez ist für mich eine Person mit radikalen, wenn nicht gar extremistischen, Ansichten. Einfach nur traurig und widerlich, dass er in einem vorgeblich seriösen Magazin seine gefährlichen Ansichten, von anderen Leitmedien unwidersprochen, veröffentlichen darf.

Wolfgang Kaufmann / 28.07.2016

Er ist die Antwort auf die Heuchelei des Westens. Der Widerspruch zwischen hehren moralischen Ansprüchen und wirtschaftlich-militärischen Deals ist ja auch unserer Linken seit gefühlten 40 Jahren ein Dorn im Auge; vielleicht verstehen sich Linksgrün und Prophetengrün daher so gut. Das soll den Terror weder legitimieren noch verharmlosen – aber auch unsere Seite hat ihren Blinden Fleck. Man stelle sich nur vor, wir hätten jetzt noch Hochstapler im Parlament oder Gemütskranke in der Regierung – dann hätten wir im Orient vollends jedes Ansehen verloren.

GÜNTER wABITSCH / 28.07.2016

Ich schließe mich ihnen an, Herr Raffelsieper. Es ist so ungerecht, dass auch ich nicht so schreiben kann, wie Herr Broder. Vielleicht kann ich ja besser Radfahren oder Sudoku. Möge er noch lange so geil formulieren. Leider befürchte ich, es ändert sich trotzdem nicht viel. Wenigstens beleben uns seine Beiträge, lassen schmunzeln, ja sogar lachen.

JF Lupus / 28.07.2016

Gäbe es Broder nicht, müsste man ihn und seine AchGut-Mitstreiter sofort erfinden. Sie machen die eigene Wut erträglich nach dem Prinzip “geteiltes Leid ist halbes Leid”. Liebe AchGut-Autoren, liebe Autorinnen (nein, ich mache keine Sternchen und keine Mittel"I” oder anderen Genderschei$$dreck), also, liebe AchGuter Männlein und Weiblein: D A N K E, dass es Euch gibt und Ihr nicht den Mut verliert, die Wahrheit zu schreiben.

Alexander Heim / 28.07.2016

Nun Herr Broder, G. Diez hat nicht so ganz unrecht. „Terror ist immer erst mal eine Antwort. Es geht darum herauszufinden, auf welche Frage.“ Man müsste eben nur mal die richtigen Fragen stellen. Aber da die richtigen Fragen, die zwangsläufig zur Antwort “Terror” führt, eben doch mit dem Islam zu tun haben, wie es im Artikel von Moritz Muecke dargestellt ist “Der Islamismus, der dem Islam wie sein Schatten zu folgen scheint, ist mittlerweile in Westeuropa fest verankert. Wenn der Islam zu Deutschland gehört, dann gehören bedauerlicherweise auch seine weniger erfreulichen Elemente zu Deutschland, denn er ist deren notwendige Bedingung.” Die Frage lautet also: Wie schafft es der Islam, (schneller) zu expandieren und die vor 1400 Jahren vorgegebenen Ziele zu erfüllen? Die Antwort darauf ist bekannt. Aber wie wir wissen, haben die Anhänger dieser kruden Ideologie (Muslime) natürlich nichts mit der Ideologie (Islam) und deren radikalen (v. lat.: radix ‚Wurzel‘, ‚Ursprung‘) und fundamentalistischen ( von lat. fundamentum „ Grundlage “ , zu fundus „ Boden, Grundlage “) Ausläufer (Islamismus) zu tun. Der Terror steht in einer Linie mit dem Holocaust. Auch der wurde von Anhängern einer kruden, expansiven Ideologie exekutiert. Nicht erstaunlich, dass beide Ideologien so starke Gemeinsamkeiten haben.

Angelika Tischewitsch / 28.07.2016

Lieber Herr Broder, ich kann mich dem Leser Thomas Raffelsieper nur anschließen. Es gibt neben Ihnen keinen Zweiten, der mir trotz aller empfundenen Frustration, Wut und Trauer mit seinen Beiträgen oft zumindest noch ein Grinsen auf’s Gesicht zaubern kann. Das habe ich auch dringend nötig, denn es trägt nicht unwesentlich zu meiner Entlastung und damit zum Bewahren eines kühlen Kopfes bei.

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