Alex Feuerherdt / 30.11.2015 / 17:12 / 4 / Seite ausdrucken

Die antisemitische Vorhut der EU

Man muss es den Israelboykotteuren lassen: Sinn für Symbolik haben sie. In weißen Schutzmänteln, wie um eine gefährliche Kontamination abzuwehren, zogen einige von ihnen am vergangenen Samstag durch die Bremer Innenstadt. Auf diesen Uniformen hatten sie selbstgebastelte Schilder befestigt, die sie als »Inspekteure« ausweisen sollten. »Kennzeichnungspflicht von Waren aus den illegalen israelischen Siedlungen« stand darunter geschrieben. Zielsicher suchten die Aktivisten Orte auf, an denen sie derartige Erzeugnisse vermuteten: ein großes Kaufhaus, den Markt, eine Drogerie.

Die EU-Kommission hatte kürzlich eine Kennzeichnung von israelischen Produkten aus dem Westjordanland, aus Ostjerusalem und von den Golanhöhen beschlossen, doch die Umsetzung dieser Verordnung geht manchen Kämpfern wider den jüdischen Staat offenkundig nicht schnell genug. Daher schreiten sie, als Bürgerwehr organisiert, nun schon einmal selbst zur Tat.

»Wir gehen nach Verdacht vor«, sagt ihr Bremer Sprecher Claus Walischewski, und der Verdacht, Juden könnten Unrecht tun, hat in Deutschland schon immer genügt, um sich im Recht zu fühlen, sie Mores zu lehren. Also markierten Walischewski und seine Kameraden gleich alle israelischen Produkte, derer sie habhaft werden konnten. Nicht mit einem gelben Stern natürlich, das tun nur Nazis, sondern mit Papierfähnchen. »Vorsicht«, hieß es darauf, »das Produkt könnte aus einer illegalen israelischen Siedlung stammen«.

Ein uneigennütziger Dienst an den Menschenrechten also. Als solchen haben in der Geschichte zwar noch alle Antisemiten ihr Tun moralisch gerechtfertigt, aber Claus Walischewski ist Bezirkssprecher bei Amnesty International in Bremen und kann deshalb, wie man weiß, schon qua Amt kein Antisemit sein.

Doch nicht nur in Bremen zogen am Samstag selbsternannte Inspekteure los, um schon einmal willig zu vollstrecken, was die Europäische Union ganz in ihrem Sinne entschieden hat. Auch in Berlin, Bonn und Hamburg gab es solche »Wareninspektionen«. In Bonn liefen die »Israelkritiker« dabei ebenfalls in weißen Schutzmänteln auf und hatten sogar eigens erstellte Formulare mitgebracht, auf denen sie unter der Überschrift »Deutsche Zivilgesellschaft – Inspektion der Produkte israelischer Unternehmen« mit deutscher Gründlichkeit die Ergebnisse ihrer gestrengen Prüfungen festhielten.

Die Rubriken hießen »Artikel«, »Herkunftsangabe«, »tatsächl. Herkunft«, »angegebene israelische Firma«, »angegebene deutsche Firma«, »Barcode (Bc)« sowie »Verdacht«. Soll niemand behaupten, bei der Verfolgung jüdischer Verbrechen gehe es in Deutschland nicht bürokratisch korrekt zu.

Wie gesagt: Einen Sinn für Symbolik haben die Damen und Herren von der Bewegung für einen Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen (BDS) gegenüber Israel. Und schon diese Symbolik verdeutlicht ihre ideologische Grundlage und Motivation, den Antisemitismus nämlich, auch wenn sie das vehement bestreiten.

Die uniformartige weiße Schutzkleidung, mit der eine Seuchengefahr suggeriert wird; die bandenförmige Organisierung als selbst ermächtigte Vollstrecker des Volkswillens unter dem wohlklingenden Label »Zivilgesellschaft«; die gründliche Inspektion und detaillierte Erfassung in Listen als Vorstufe zur Säuberung; der Verdacht, also das Gerücht über die Juden, wie Adorno den Antisemitismus definierte; schließlich die Kennzeichnung, also Stigmatisierung von allem, was für jüdisch gehalten wird, und der Aufruf zum Boykott – es bedarf keiner großen assoziativen Fertigkeiten, um zu erkennen, wonach die »Inspekteure« trachten.

Und doch sind sie nur die Vorhut, die Avantgarde gewissermaßen, aber nicht das eigentliche Problem. Denn sie fühlen sich zwar ermächtigt, haben aber keine Macht – wovon schon das Hausverbot zeugt, das gegen ihre Bremer Abordnung für sämtliche Filialen einer großen Drogerie verhängt wurde.

Viel schwerer wiegt der Kennzeichnungsbeschluss der EU-Kommission, denn dieser ordnet europaweit verbindlich an, was deutsche BDS-Schergen nur in einigen Läden vorwegzunehmen versucht haben. Er gießt ihr Ressentiment also in Gesetzesform, und das sorgt für einen Schaden ungleich größeren Ausmaßes. Genau deshalb hat die israelische Regierung die Europäische Union auch konsequenterweise fürs Erste als Vermittlerin im Nahost-Friedensprozess kaltgestellt.

Zuerst erschienen auf der Seite: https://www.fischundfleisch.com

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Leserpost

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Martin Krieger / 02.12.2015

Guten Abend, habe bei AI nachgefragt, die Aktion wurde von AI nicht initiiert und wird auch kritisch gesehen. Man spricht darüber wohl mit dem Typen. Viele Grüße-Martin Krieger, Frankfurt am Main

Hjalmar Kreutzer / 01.12.2015

Diese netten Leutchen festhalten nach Jedermannsrecht und warten bis die Polizei kommt, wäre mein Handeln als Ladenbesitzer gewesen. Waren, die nicht gekauft werden, zu betatschen oder mit Fähnchen, Aufklebern o.ä. zu entwerten, stellt einen Verstoß dar, außerdem wäre eine Strafanzeige wegen Amtsanmaßung als “was-auch-immer-Inspekteur” fällig. Zu diesem Zweck müssen dann die Personalien erfaßt werden, auch, um ein Hausverbot durchzusetzen. Was für eine ungeheuerliche Anmaßung!

Rainer Verstand / 30.11.2015

Diese Art der Agitation ist so ekelhaft wie typisch für die sozialistischen Bessermenschen Deutschlands. Ob nun ein braunes Hemd, oder ein weißer Kittel dabei getragen wird, ist mir relativ egal. Die Mode ändert sich, Menschen nicht. Das ganze dann aber nur unter “Israelkritik”, der hässlichen kleinen Schwester des Antisemitismus, laufen zu lassen, finde ich feige. Wenn schon die EU-Komission den “Ewigen Juden” denunzieren darf, sollte sich die deutsche Vorhut nicht zurückhalten müssen.

Hans Michel / 30.11.2015

Hallo danke für den Artikel. Es ist schlicht unfassbar, was hier in diesem Land abgeht. Ich habe Israel schon immer für seine Standfestigkeit bewundert und habe sehr viel Verständnis für dieses Land. Schon immer hat mich Geschichte interessiert und nach der Wende konnte ich endlich auch eine sehr gute Geschichte des jüdischen Volkes erwerben. Ich habe dieses Buch verschlungen und lese heute noch gelegentlich darin. Ein Volk, dass wenigstens 1500 Jahre nur verfolgt und geschmäht und letztlich aufs äußerste gelitten hat, kann ich nicht verdenken, dass es alles tut, ihr Land zu verteidigen. Aber leider, wollen wir wetten, in 10 - 15 Jahren sind wieder mal die Juden an allem Schuld. Aus Hitler und seiner Gefolgschaft, wird der große Held, auch in den Schulbüchern, weil er den “Mut” hatte, die elenden Juden, die Menschheitsfeinde zu vergasen. Da können doch alle reden wie sie wollen, wir haben einen neuen Faschismus in Deutschland, der geht aber von Links aus. Von der Geschichte haben die alle nichts gelernt. Woher auch, wenn in den Schulen von Geschichtsunterricht kaum noch was zu merken ist. Ich bin jetzt 68 Jahre alt, in der DDR geboren und sozialisiert. Wir hatten damals in der Schule den “Kampf der Arbeiterklasse”, Marxismus-Leninismus, Staatsbürgerkunde und solches Zeug. Aber wirklich zugehört hat keiner. Wir haben es halt so über uns ergehen lassen und die paar Phrasen für die Prüfung hatten wir immer drauf. Ich Frage mich, was die heutige Jugend so drauf hat ? Dann noch eine Menge Muslime; es wir ein wirres Gemenge. Antwort auf die Fragen der Zeit habe ich auch nicht. Ich hoffe nur, dass ich in meinem Leben nicht noch das Gleiche wie meine Eltern erleben muss. Hans Michel  

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