Fabian Nicolay / 12.02.2022 / 06:00 / Foto: Pixabay / 65 / Seite ausdrucken

Die Anmaßung der Wirklichkeitsverweigerung

Deutschland läuft Gefahr, erneut zum Sammelbecken von hysterischen Artefakt-Menschen zu werden, die glauben, mit ihren Anmaßungen Daseinsbeglückung zu betreiben. Aber am Ende hinterlassen sie Niedergang und Elend.

Wirklichkeitsverweigerung ist eine Strategie von Menschen, die den „Alptraum des Realen“ nicht als objektiv erlebbare Krise akzeptieren wollen. Während gesunde „Durchschnittsmenschen“ solche Krisen wie unabwendbare Naturphänomene durchleben, an denen sie wachsen, sind die Wirklichkeitsverweigerer Getriebene, deren übersteigertes Ego dem Irrglauben verfallen ist, weiser zu sein als die göttliche Fügung und einfallsreicher als die Natur. Sie sind sich stets sicher, recht zu haben, denn ihre Behauptung, im Besitz der (wissenschaftlichen) „Wahrheit“ zu sein, trifft immer auf breite Zustimmung im Juste Milieu, dem sie selbst angehören. Das reicht als Legitimation, um das Wort „Wahrheit“ als Gütesiegel, tägliche Beschwörungsformel, Mantra, Bannfluch und Abwehrwaffe zugleich einzusetzen.

Volk, Herrschaft und höhere Mächte – sie bilden den personellen Spannungsbogen einer Tragödie, deren Darsteller zwischen Hybris und Katharsis hin- und hergeworfen werden. Am Ende wird den Weisen die Läuterung zuteil, die Strafe den Überheblichen. Es ist ein uraltes Menschheitsthema, der ontologische „Plot“, in dem das Sein des Menschen nur in den Grenzen der Wirklichkeit und Möglichkeit ausgehandelt werden kann. Jenseits dieser Bereiche ist für den Homo faber und den Homo politicus eigentlich nichts zu holen. Der Erstgenannte ist ein geborener Pragmatiker, der aus allem, was er vorfindet, etwas erschaffen kann, während der andere zwanghaft und wirklichkeitsfern nach den Sternen greift und an krankhafter Selbstüberschätzung leidet. Er glaubt sogar, einer höheren Mission zu dienen, wenn er aktiv lügt.

Falschbehauptung, Panikmache, Übertreibung

Daraus ergeben sich die absurdesten und schlimmsten Geschichtsmomente. Deutschland läuft Gefahr, erneut zum Sammelbecken von hysterischen Artefakt-Menschen zu werden, die glauben, mit ihren Anmaßungen Daseinsbeglückung zu betreiben. Aber am Ende hinterlassen sie Niedergang und Elend.

„Bestimmte Menschen müssen nach oben, weil sie unten Unheil stiften“, hat einmal der Kabarettist Dieter Hildebrandt behauptet. Das ist im Fall von Wieler, Drosten und Lauterbach aber eindeutig unzutreffend. Das deutsche Triumvirat der Wirklichkeitsverleugnung hat mit seinen Séancen vor laufenden Kameras Wissenschaftsgeschichte geschrieben. Das ist schon heute Tatsache.

Doch genau wie den Spiritisten in der Mitte des 19. Jahrhunderts ist es auch den drei Großmeistern nicht gelungen, auch nur einen Corona-Toten zum Sprechen zu bringen. Stattdessen haben sie unzählige Untote geweckt, die ihren Geisterbeschwörern nun auf die Pelle rücken. Sie heißen Falschbehauptung, Panikmache, Übertreibung, Interessenskonflikt, Diffamierung, Vertuschungsversuch. Ob auch die Wiedergänger namens Lüge oder Bereicherung hinzukommen, wird sich noch zeigen.

Dachschaden durch Massenpsychose

Aber neben den Tricksereien um die Corona-Séancen hat das Triumvirat den Boden für nachhaltige Bewirtschaftung Deutschlands mit der Saat der Wirklichkeitsverweigerung urbar gemacht. Alles Bio – da wurde so manch‘ pseudo-wissenschaftliches Kuhhorn in der Geistesscholle des deutschen Gemüts verbuddelt und verrottet jetzt vor sich hin. Neben dem biologisch-dynamischen Dachschaden durch Massenpsychose und Aberglauben haben die drei hauptamtlichen Impftreiber der Wirtschaft Deutschlands eine ausgewachsene Gürtelrose beschert, mit der sie sich nicht mehr auf die Straße traut. Dieser „Impfschaden“ ist dokumentiert und wird nicht so schnell ausheilen ... Schlecht für den ehemaligen Exportweltmeister.

„Unter Utopie versteht man heute eine realisierbare Unmöglichkeit“, hat der Schauspieler Hans Clarin einmal gesagt. Das Reale spielt heute fast keine Rolle mehr. Das Utopische hat seinen Platz eingenommen. Man glaubt tatsächlich, es bräuchte nur genügend Plansoll, Solidarität und Linientreue, um eine technisch-medizinische, mediale und intellektuelle Unmöglichkeit trotz spontaner Verpuffung noch zum Weltwunder zu verklären. Alles muss in Erfolgen gemessen werden, auch wenn die Zahlen dagegensprechen. Beispielsweise können Millionen Geimpfte nicht irren: Jeder Impfdurchbruch ist demnach ein Erfolg der Pandemie-Bekämpfer und des solidarischen Kollektivs – der Interpretation der Regierung zufolge zeigt er sich eindeutig in der Verhinderung schwerer Schnupfen-Verläufe. Und wir wissen alle aus der Werbung, was das bedeutet.

Parallel-Kosmos der Expertise

Politische Menschen, die Wirklichkeitsverweigerung institutionell betreiben – in Form von Agitation, Propaganda und Kampagnen –, senden Leitbilder, die das Wirkliche der Wirklichkeit (im ureigenen Sinn des Gegenwärtigen) verdrängen und an dessen Stelle eine Einflusszone des paternalistischen Staates setzen, in der es Wirklichkeitsoptionen und Wahrheitsalternativen gibt, deren Gültigkeit beliebig von ihnen gesetzt werden können. Die Herrschaft über das Denken und die Wahrnehmung der Bürger kann nur erlangt werden, wenn die Realität politisch betreut wird. Darin scheint man bereits den Vorbildern aus zwei deutschen Diktaturen nachzueifern.

Die Wirklichkeit hört nämlich dort auf zu wirken, wo ihre Substanz durch (Zukunfts-)Angst destabilisiert und mit Utopie ausgetauscht wurde. Das führt zur Zerstörung dessen, was im Realen an Wirksamkeit überhaupt noch aufzufinden ist. Die Wirklichkeit und die ihr anhaftenden Partikel der Wahrheit verschwinden zunehmend aus den Köpfen der beeinflussten Masse, sobald „die Wissenschaft“ für etwas gehalten wird, das nur wenige vom Staats-Apparat Auserwählte erklären dürfen. Es bildet sich ein in sich geschlossener Parallel-Kosmos der Expertise. Wissenschaft ist dann eine moderierte Tätigkeit der Regierung und ihrer Kostgänger (vgl. „wissenschaftlicher“ Sozialismus). Deren Erklärmodelle, die der Behörden und die der „eingekauften“ Experten, werden als die einzig fundiert-wissenschaftlichen dargestellt. Widerspruch, nicht nur der wissenschaftliche, erstickt schon im Keim seines Mangels an Bühne und Publikum.

Alles ist jetzt volatil

Zusätzlich wird das Ergebnis durch Verunsicherungs-Kampagnen flankiert, die die diskurs-feindliche Okkupation des Begriffs „Wissenschaft“ und ihre Verkörperungen vervollkommnet. Letztendlich wird die Wirklichkeitsverweigerung zu einem dialektischen Instrument der Politik-Organe, als hätte man ehedem Seminare im Ostberliner Politbüro besucht.

So kann Politik im Mangelzustand der Erkenntnis und Legitimation unangefochten durch den Alltag mäandern, ohne dass die Medien aufmucken, ohne dass das Volk aufbegehrt, ohne dass wirkliche Erfolge zu verzeichnen sind, außer denen, die man selbst als solche darstellt. Die Grenzen dieser schamlosen Fälschungen sind ins Ungefähre verschoben. Alles ist jetzt volatil, die freiheitliche Ordnung nur noch eine einheitliche Ordnung gesinnungstechnisch „harmonisierter“ Gemüter.

Die vom Triumvirat behaupteten Erfolge – Verhinderung von Übersterblichkeit, verhinderter Zusammenbruch des Gesundheitssystems, Verhinderung „wissenschaftlicher Fake-News“ der Kritiker – gibt es gar nicht. Und das Beharren auf einem Impf-Regime, dessen volksgesundheitliche und gesundheitssystemische Kollateralschäden immer weitere Kreise ziehen, lassen nur den Schluss zu, dass sich die Herren Wieler, Drosten und Lauterbach schon sehr früh im mentalen Lockdown-Bunker der Regierungspolitik eingeschlossen und den Schlüssel verlegt haben.

Deutschland wird immer mehr zum wunderlichen Einzelgänger in Europa. Während die anderen Länder die Maßnahmen konsequent zurückfahren und eine Normalität anstreben, die der Virus-Lage angemessen erscheint, gerät das Land erneut in den Zustand der Paralyse. Wenn allerdings auch Forscher der Johns-Hopkins-Universität kürzlich in einer Studie zu der Erkenntnis gelangt sind, dass die Lockdown-Politik nahezu keinen Einfluss auf das Sterbegeschehen hatte, sollte das den deutschen Medien eine große Meldung wert sein. Stattdessen pickt man sich aus der Veröffentlichung lieber die statistischen Ausreißer heraus, damit es noch dem gängigen Narrativ entspricht. Das passt dann gleich in die Frontberichte der Wochenschau. Deutschland im Winter 2022. Es lebe das Déjà-Vu der Pandemie.

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Leserpost

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Andrea Nöth / 12.02.2022

@A. Ostrovsky: Wenn Sie das Buch “Die Deutsche Mutter und ihr erstes Kind” von Johanna Haarer gelesen hätten, würden Sie vermutlich den Herrn Johannes Schuster nicht so extrem missverstanden haben. Ihre Kritik bewegt sich inhaltlich schwer vorbei - an dem was Herr Schuster uns mit seinem Beitrag (vermutlich) sagen wollte. Es war kein blödes Gemecker über ‘Deutsche’, sondern ein Hinweis darauf, wie sich eine solche Erziehung - die speziell im Nationalsozialismus propagiert wurde - bis heute in den Menschen niederschlägt. Preußischer Kadavergehorsam und “Heil, wir folgen” sind Mentalitäten, erzeugt durch Erziehung. Lesen Sie - staunen Sie, dann haben Sie auch eine Ahnung von was was kommt und können sich das unnütze Angiften sparen. Besorgen Sie sich den Original-Nachdruck und nicht auf Sekundärliteratur setzen.

Thomas Brox / 12.02.2022

@ A. Ostrovsky. “Der autoritäre Schmarotzerstaat kann doch gar nicht ausschließlich über autoritäre Schmarotzer herrschen, ... ” Habe ich das behauptet? Sie verfälschen meine Aussage. Der autoritäre Schmarotzerstaat beutet die produktive (oder ehemals produktive) Bevölkerung aus. Der größte Schmarotzer im Deutschland ist die aufgeblähte Staatsmacht. Die Staatsmacht verfügt über 60% des BIP, wobei sie einen ganz großen Teil selbst auffrisst. Das müsste eigentlich jeder Depp kapieren. ++ “Der Staat in Deutschland ist von Fremden vollständig dominiert.” Quatsch. In Deutschland hat der EU-Behördenapparat, die faktisch verbeamtete Politkaste, der Beamtenapparat und der ÖD das Sagen. Das kann jeder Depp schon anhand der Urteile des BVerfG erkennen. An wen zahlt denn der Privatsektor die weltweit höchsten Steuern und Abgaben? Und wer verpulvert diese Einnahmen für Gehälter, fette Pensionen, idiotische Projekte, riesige Sozial-Subsidien zur Wählerbestechung und für Migranten, EU-Transferzahlungen? Was produziert denn dieser fette Staat - außer Murks und Schrott. ++ Ihre eigenartige These ist genau die Art von Irreführung und Vernebelung, die der Artikel thematisiert! Legen Sie Fakten und Belege vor, anstatt Behauptungen. ++ Falls Sie es noch nicht begriffen haben: Das staatliche Corona Tohuwabohu lenkt von den wirklich wichtigen Vorgängen ab.

sybille eden / 12.02.2022

Das berühmte Werk Friedrich A. Hajeks ” Der Weg zur Knechtschaft”, sollte mal von einem fähigen Schreiber ( von der Achse ? ) fortgesetzt werden. Der Titel : “Die Sehnsucht der Deutschen zur Knechtschaft”. Wie wärs ?

Gus Schiller / 12.02.2022

@Helge Lange: Künftige Generationen?? Die letzte Generation klebt sich gerade auf den Straßen fest aus Angst vor der Zukunft. Es ist gut, dass sich diese m/w/d nicht weiter vermehren werden. So bleibt mehr Raum für starke, familienorientierte Zuwanderer aus Süd und Ost.

Kostas Aslanidis / 12.02.2022

“Die Deutschen” verstehen sich ja nicht mal selber, wie soll ich als Grieche, das alles verstehen?

Jean Vernier / 12.02.2022

@ Bernd Müller;  “in was ist dieses Land da hineingeschlittert?”: offensichtlich begann es mit der Wiedervereinigung von freiheitlich-westlich und sozialistisch-klassenkämpferisch geprägten Bevölkerungsanteilen sowie mit Entstehung in der EU größten Volkswirtschaft - noch größer als zuvor. Die anders als 1918ff. völker-gemeinwohlförderlich-friedenstiftend “austariert” werden musste und muss. Bei letzterem wird selbstzerstörerisch seit der Merkel Epoche der augenscheinlich diesem Zweck dienende (Fremd-)Steuerungsmechanismus weit überzogen - durch e i g e n e willfährige und/oder “dekonstruktiv” motivierte (zerstörend wirkende !) Partei-Politiker/Akteure/“Aktivisten”  ... .

Marc Munich / 12.02.2022

Danke für den brillanten Artikel !!!

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