Von Michael Shellenberger.
Wie viele Anfang der 1970er Jahre geborene Kinder hatte ich das Glück, dass meine Eltern Hippies waren. Einer der Helden meiner Kindheit war Stewart Brand. Stewart ist nicht nur ein Hippie der ersten Stunde, er ist auch einer der ersten modernen Umweltaktivisten der 1960er und 70er Jahre. Eine meiner Lieblingserinnerungen ist, wie ich als kleiner Junge kooperative Brettspiele gespielt habe, die sich Stewart Brand als Gegenmittel zum Vietnamkrieg ausgedacht hatte.
Ich komme aus einer langen Reihe christlicher Pazifisten, bekannt als Mennoniten. Jeden August gedachten wir Kinder der US-Atombombenabwürfe auf Japan, indem wir Kerzen anzündeten und sie auf Papierschiffchen im Bittersweet Park losschickten.
Nach meiner Schulzeit, während ich auf der Universität war und danach, brachte ich Delegationen nach Mittelamerika, um dort die Diplomatie und den Frieden zu fördern, und um landwirtschaftliche Genossenschaften in Guatemala und Nicaragua vor Ort zu unterstützen. Nach und nach, während ich um die Welt reiste und kleine Bauerngemeinschaften auf jedem Kontinent besuchte, erkannte ich, dass die meisten jungen Leute nicht auf dem Land festsitzen wollen. Sie wollen nicht ihr ganzes Leben damit zubringen, Holz zu zerkleinern und zu schleppen. Sie wollen in die Stadt, um eine Chance auf Ausbildung und Arbeit zu haben.
Was ich inzwischen begriffen habe, ist, dass dieser Prozess der Urbanisierung, des Umziehens in die Städte, tatsächlich sehr gut ist für die Natur. Er lässt es zu, dass die natürliche Umwelt zurückkehrt. Er lässt es zu, dass der zentralafrikanische Berggorilla, eine wichtige, bedrohte Tierart, seinen Lebensraum behalten kann, den er braucht, um zu überleben und zu gedeihen.
In die Vertikale gehen
In diesem Prozess muss man in die Vertikale gehen. Das kann man sogar an Orten wie Hongkong sehen, wo dank Hochhäusern die natürliche Umgebung der Stadt bewahrt wird. Natürlich braucht es riesige Energiemengen, um in die Höhe zu wachsen. Die große Frage unserer Zeit ist deshalb, wie wir große Mengen verlässlicher Elektrizität gewinnen können, ohne das Klima zu zerstören.
Anfangs war ich Anti-Atom-Aktivist, und ich begann schnell, mich für erneuerbare Energien starkzumachen. In den frühen 2000ern half ich dabei, eine Gewerkschaft und Umweltallianz zu gründen, die Apollo Alliance hieß. Wir setzten uns für Investitionen in saubere Energie im großen Stil ein: Solarenergie, Windenergie, elektrische Autos. Die Investitionsidee wurde schließlich von Präsident Obama aufgegriffen. Während seiner Zeit an der Regierung investierten die USA ungefähr 150 Milliarden Dollar, um Solarenergie, Windenergie und elektrische Autos viel billiger zu machen als sie waren.
Wir schienen viel Erfolg zu haben, aber wir begegneten auch einigen Herausforderungen. Einige davon kennen Sie in Deutschland: Solar- und Windkraftanlagen können in Deutschland nur 10 bis 30 Prozent der Zeit genutzt werden, so dass die Stromversorgung nun vom Wetter abhängig ist. Es gab aber noch andere Probleme, die uns auffielen. Manchmal erzeugten diese Energiequellen zu viel Energie. Und auch wenn der Batterien-Hype groß ist, gibt es hinreichende Energiespeicher nicht einmal in Kalifornien, wo es viele Investitionen gibt und wo viele Leute aus dem Silicon Valley eine Menge Geld in die Entwicklung von Batterien und andere Speichertechnologien stecken.
Über die Atomenergie neu nachdenken
Während wir mit diesen Problemen kämpften, meldete sich 2005 Stewart Brand zu Wort und sagte, wir sollten über die Atomenergie neu nachdenken. Für mich und meine Freunde war das ein Schock. Stewart war in den frühen 70er Jahren als Berater von Gouverneur Jerry Brown in Kalifornien einer der ersten großen Befürworter der Solarenergie überhaupt. Aber er sagte: Schau, wir haben es mit der Solarenergie nun lange probiert. Trotzdem bekommen wir global weniger als ein halbes Prozent unserer Elektrizität durch Solarenergie, gerade mal ungefähr zwei Prozent durch Wind. Und der Großteil unserer sauberen Energie kommt aus Atomenergie und Wasserkraft.
Laut dem „Weltklimarat“ IPCC erzeugt Atomenergie viermal weniger Kohlenstoffausstoß als Solarenergie. Darum empfahlen sie auch in ihrem Bericht von 2014 den verstärkten Einsatz von Erneuerbaren, Atomenergie und CO2-Abscheidung und -Speicherung.
Schauen wir uns Deutschland einmal genauer an. Deutschland gewinnt den Großteil seiner Elektrizität und all seine Treibstoffe für den Verkehr aus fossilen Brennstoffen. Im Jahr 2016 erzeugte Deutschland 40 Prozent seines Stroms aus Kohle, 13 Prozent aus Atomenergie, 12 Prozent aus Erdgas, 12 Prozent aus Wind und 6 Prozent aus Solarenergie. Es ist wichtig, im Blick zu behalten, dass wir letztlich nicht nur den aktuellen Anteil von 18 Prozent Erneuerbaren auf 100 Prozent steigern müssen. Um den gesamten fossilen Verkehrssektor auf Elektroautos umzustellen, müsste man von 18 Prozent Erneuerbaren auf ungefähr 150 Prozent kommen. Deutschland hat viel in Erneuerbare investiert und Innovationen in Solar- und Windenergie vorangetrieben, aber das ist ein ziemlich heftiger Anstieg, und die Speicherfrage bleibt weiterhin ungelöst.
Schauen wir uns das Jahr 2016 an. Deutschland hat vier Prozent mehr Solarpanele installiert, aber drei Prozent weniger Elektrizität aus Solarenergie erzeugt. Bei Treffen mit Energieexperten frage ich oft die Leute, ob sie erraten können, wie das kommt. Meist sagen sie, dass sie keine Ahnung haben. Dabei ist der Grund ganz einfach: 2016 hat in Deutschland die Sonne nicht besonders häufig geschienen.
Na ja, das heißt wahrscheinlich, dass es mehr Wind gab, oder? Denn wenn die Sonne nicht so viel scheint, gibt es vielleicht dafür mehr Wind, und die Sache gleicht sich aus? Tatsächlich hat Deutschland 2016 elf Prozent mehr Windturbinen installiert, aber zwei Prozent weniger Elektrizität aus Wind gewonnen. Dieselbe Geschichte. Es gab eben nicht so viel Wind.
Gerade einmal 23 Minuten Speicher
Jetzt denken Sie vielleicht: „Dann brauchen wir eben eine ganze Menge Solar- und Windkraftanlagen, damit wir auch dann mehr Energie aus diesen Quellen kriegen können, wenn es nicht so viel Sonne oder Wind gibt.“ Das ist in der Tat, was Deutschland versucht. Der Plan ist, die durch Solarenergie gewonnene Elektrizitätsmenge bis 2030 um 50 Prozent zu erhöhen. Das würde das Land von 40 auf 60 Gigawatt bringen. Aber wenn es dann wieder ein Jahr wie 2016 gibt, hat man noch immer nur neun Prozent der Gesamtelektrizität aus Solarenergie. Und das in dem Land, das bei der Solarenergie weltweit führend ist! Deutschland ist Spitzenreiter bei den Erneuerbaren.
Die naheliegende Reaktion ist, dass wir doch einfach alles in Batterien stecken könnten. Man hört so viel von Batterien. Man könnte geradezu denken, dass wir bereits riesige Energiespeicher haben. Meine Organisation Environmental Progress hat sich unseren Heimatstaat Kalifornien angesehen, und wir haben herausgefunden, dass wir gerade einmal 23 Minuten Speicher für das Netz haben – und um diese 23 Minuten zu bekommen, müsste man jede Batterie in jedem Auto und Lastwagen im Staat benutzen. Wie Sie sich denken können, ist das nicht besonders praktisch, wenn man irgendwo hin will. Die Situation in Deutschland ist vielleicht ein bisschen anders als Kalifornien, aber auch nicht so anders.
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Michael Shellenberger ist US-amerikanischer Umweltaktivist und Leiter des Breakthrough Institutes. Bei dieser Serie handelt es sich um die Übersetzung eines Vortrages, den Michael Shellenberger im November 2017 in Berlin gehalten hat.
Teil 2
Teil 3
Teil 4