Martin Lewis, Gastautor / 04.12.2018 / 06:20 / Foto: Pixabay / 14 / Seite ausdrucken

Die Andersgrünen: Der Mythos vom edlen Wilden (1)

Von Martin Lewis.

Die Umweltschutzbewegung kam vielen von uns, die wir in den wuchernden Vororten der großen Metropolen groß wurden, gerade recht. Ich bin in Walnut Creek, etwa 40 Kilometer östlich von San Francisco, aufgewachsen, inmitten eines Flickenteppichs alter Baugebiete und alter Obstgärten. Das war in meiner Kindheit ein wahrer Abenteuerspielplatz. Meine Freunde und ich fanden unser Paradies entlang des Walnut Creek, eines bescheidenen kleinen Bachs mit passablen Stellen zum Schwimmen und einem überraschenden Artenreichtum.

Doch als ich älter wurde, wichen die Obstgärten immer neuen Bebauungsgebieten, während der Walnut Creek selbst durch das Pionierkorps der Armee in einen nahezu sterilen Betonkanal verwandelt wurde. Vorstädte wie Walnut Creek, die zu Beginn jenes epochalen Jahrzehnts noch das Beste der städtischen Annehmlichkeiten mit ländlicher Erholungsmöglichkeit verbanden, erschienen an dessen Ende einfach nur noch schrecklich konformistisch. Die Verwandlung vorher angenehmer und vielfältiger Vororte zu auf den Autoverkehr zugeschnittenen Neubaugebieten erschien symptomatisch für eine Moderne, die bei ihrer unbedachten Hingabe zum Fortschritt vom rechten Weg abgekommen ist.

Auch meinen Eltern bereitete die Suburbanisierung Walnut Creeks Kummer, und so zog unsere Familie, als ich 14 war, 160 Kilometer weiter nach Osten, nach Calaveras County im Vorgebirge der Sierra Nevada. 1970 war Calaveras eine hinterwäldlerische Gegend mit weniger als 14.000 Einwohnern und keiner einzigen Ampel. Dort fand ich nicht nur ein Naturidyll vor, sondern auch eine soziale Herausforderung. Die Jungs meines Alters wollten zwar genau wie ich durch die Hügel stapfen, aber sie wollten dabei auch so viel wie möglich rumballern und abknallen.

Hippies und Ökobewegung

Doch innerhalb weniger Jahre gerieten die Dinge in Bewegung. Die Gegenkultur brach auch über Calaveras County herein. Für einige Hippies aus der Haight-Ashbury und anderen städtischen Enklaven hieß es nun „Raus aufs Land“, und so zogen sie an die Nordküste und in die Vorgebirge der Sierra Nevada. Meine bis dahin sonderliche und präpubertäre Identifikation mit der Natur war nun cool an unserer Schule. Ich fand meinen Platz in der Gesellschaft und neue Freunde, die für die Hippies draußen im Wald schwärmten. Wir kultivierten unsere Verachtung für alles, was mit der Moderne zu tun hatte. Unsere überholte Zivilisation, so redeten wir uns ein, war dabei unterzugehen, um bald durch eine neue Ordnung, auf einer höheren Ebene des ökologischen Bewusstseins, ersetzt zu werden.

Nach meinem Highschool-Abschluss kam nur ein College in Frage: die Universität von Kalifornien in Santa Cruz, bekannt für ihren großen und prächtigen Campus, radikale Politik und ihre Atmosphäre der Gegenkultur. Ich fand mein ideales Hauptfach in der Ökologie, mit erstklassigen Naturgeschichtekursen und einer Weltanschauung, die meiner glich. John Muir, Rachel Carson, Aldo Leopold und Lewis Mumford wurden meine weltlichen Heiligen. Fast alle meine Kommilitonen hatten ähnliche Ansichten, denn wir waren in unserem ausgesprochenen Nonkonformismus ziemlich konform.

Nahezu einstimmig sagten wir der amerikanischen Landwirtschaft ihren Untergang um das Jahr 2000 voraus, bedingt durch Bodenerosion und chemische Kontamination. Unser gemeinsames Credo war, dass der Wandel zu einer gutartigen, solar-basierten Wirtschaft nur von den Machenschaften der Ölfirmen und dem zögerlichen Unwillen des Staates, die nötigen Subventionen dafür bereitzustellen, aufgehalten wurde.

Meine erste ökologische Glaubenskrise

Am College in Santa Cruz brauchte man neben der Ökologie noch ein zweites Hauptfach, also musste ich mich noch woanders umschauen. So kam ich schließlich zu den Geowissenschaften, inspiriert durch eine großartige Exkursion zur Geologie Kaliforniens. Gerade mein Geologiestudium jedoch war es, das meine erste ökologische Glaubenskrise auslöste.

Das Problem war das weltweite Verschwinden großer Teile der Megafauna am Ende der letzten Kaltzeit am Übergang vom Pleistozän zum Holozän, vor etwa 12.000 Jahren. Ein Sommer, den ich mit Recherchen für meine Abschlussarbeit verbrachte, überzeugte mich, dass die Schuld dafür eigentlich bei den Menschen lag. Doch diese Einsicht verstörte mich hochgradig, denn die „Naturvölker“, frei von westlichen Ideologien und kapitalistischen Motiven, sollten doch eins mit der Natur sein, unfähig, ihr wirklich Schaden zuzufügen.

Weitere Zweifel kamen auf, als ich in meinem Abschlussjahr eine spekulative Abhandlung über die historische Geschichte der Beziehung zwischen Menschen und Elefanten für einen Archäologiekurs schrieb. Elefanten, so habe ich gelernt, können eine Landschaft gründlich verändern, wenn sie in großer Anzahl darin vorkommen. Sie verwandeln Baum- in Grasland. Welche Lebensräume, so fragte ich mich, mag man wohl vorgefunden haben im noch unbesiedelten Nordamerika, in dem damals mehrere Arten von Mammuts, Mastodonten, Bäume ausreißenden Riesenfaultieren elefantöser Größe und VW-käferartiger Glyptodonten lebten? Die Natur, die ich so sehr liebte, erschien mir nicht länger sehr natürlich, eher wie ein Relikt der menschlichen Ursünde.

Martin Lewis ist Dozent für Geschichte an der Stanford University. Bei dieser Serie handelt es sich um eine Übersetzung eines Artikels bei The Breakthrough.

In der nächsten Folge lesen Sie morgen: „Spalte Holz, nicht Atome“ – wirklich?

 

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Foto: Pixabay

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Werner Arning / 04.12.2018

Die Erhaltung der Natur gilt Vielen heutzutage als das Heiligste. Die Natur bedeutete für sie Inbegriff des Guten, des Reinen, des Unschuldigen. Fast gleichzeitig mit der Abdankung von Religionen in der westlichen Welt begann die Mystifizierung der Natur, begann das Vergöttern der Natur. Die Natur wurde zum goldenen Kalb. Doch ist die Natur, wie alles auf der Welt, äußerst vergänglich. Sie verändert sich ständig, wenn auch über Zeiträume, die ein Menschenleben überschreiten. Als Gott eignet sie sich nicht. Der Anbetung entzieht sie sich. So tanzen wir um das goldene Kalb und warten auf die Ermahnung und Ernüchterung. Denn wer Vergänglichkeit anbetet, der ist auf dem Holzweg.

Thomas Weidner / 04.12.2018

In Deutschland spielten bei den Grünen wirkliche Umweltschutzgründe nur kurzzeitig und damit ganz am Rande eine Rolle. Binnen kürzester Zeit waren die Grünen von Systemveränderern (i.d.R. K-Gruppen, z.B. Marxistisch-Leninistische Gruppe, Kommunistischer Bund Westdeutschland, usw., meist aus der DDR von SED-Stasi gelenkt und finanziert) übernommen, die zunächst (und - hat es sich wirklich geändert???) nur eines wollten: “Es den Mächtigen zeigen”. D.h. jedes Projekt wurde nach allen Regeln der Kunst sabotiert. Verzögert bzw. durch diverse Forderungen verteuert und verteuert. Um Vernunft ging es da nicht mehr - ausschließlich darum, welche geforderten Maßnahmen die Kostspieligsten waren. Man muss das an deutschen Universitäten (selbst an Provinz-Unis in Bayern in den 80ern) selbst erlebt haben… Aktuellstes Beispiel: Stuttgart 21, Umsiedlung von Eidechsen. Mal unter diesen Stichworten googlen… Es hat sich nicht geändert - QED.

Thomas Taterka / 04.12.2018

Für den Anfang sag’ ich’s ‘mal so: ich würde jederzeit den Eid auf das"Streben nach Glück “, ohne Wenn und Aber schwören, aber die amerikanischen Städte können Sie behalten,  die amerikanische Wirtschaft können Sie behalten, die amerikanische Politik mitsamt den Präsidenten können Sie behalten,  Harvard, Yale, Stanford,was auch immer können Sie behalten. Das kostbarste, was Amerika zu bieten hat, ist die überwältigende Wildnis und die echte und herzliche Gastfreundschaft der Menschen, die am"Rand” leben wollen oder müssen. Was Amerika braucht, sind echte soziale Reformen. Eine Gesetzliche Krankenversicherung wäre ein Anfang. Wenn ich mal “Heimweh ” bekomme, lese ich den ” Juneau Empire”, zur Erheiterung. Oder denke an den morgendlichen Ausblick aus Zimmer 6, Halsingland Hotel. Amerika ist heute ein Ort des Elends und wenn es das nicht ändert, wird es seine Rolle vollkommen verlieren.

Wilfried Cremer / 04.12.2018

Die Megafauna war das Gegenstück der Megaflora. Die Leichen beider sind der Mutterboden unserer Tage. Das macht Sinn.

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