Vera Lengsfeld / 24.05.2019 / 13:00 / 28 / Seite ausdrucken

Die alltägliche Korruption in der deutschen Politik

Nach der Veröffentlichung des Strache-Videos wurde von Politikern und Kommentatoren immer wieder Abscheu vor der Bereitschaft Heinz-Christian Straches zur Korruption geäußert. Bemerkenswert daran ist, wie sehr Leute mit Steinen um sich werfen, die selbst im Glashaus sitzen. Korruption ist ein ständiger Begleiter von Politik – nicht erst seit heute. Politiker aller Parteien, die gerade an der Macht sind, machen mit der Vergabe oder dem Entzug von Staatsaufträgen oder Vergabe von Posten Politik. 

Dafür gibt es zahllose Beispiele, jüngst wurde etwa gemeldet, dass die Partei von Ministerpräsidentin Manuela Schwesig, der SPD, gern Posten an politische Mitstreiter vergibt. „Verwandtschaft ist dabei ein wiederkehrendes Merkmal“. Gegen Verteidigungsministerin von der Leyen erging sogar Strafanzeige wegen einer dubiosen Berateraffäre. Die mediale Aufregung hielt sich in beiden Fällen in engen Grenzen. 

Die Strache-Affäre sollte genutzt werden, um das grundsätzliche Problem der Korruption in der Politik zu untersuchen. Schließlich wird seit Jahren von vielen Autoren versucht, auf dieses gravierende Problem aufmerksam zu machen. Einen sehr wichtigen Beitrag in dieser Thematik leistete Erwin Kurt Scheuch, ein deutscher Politologe.

Über Fachkreise hinaus erlangte Scheuch Bekanntheit durch die Themen, die ihn seit den späten 1980er Jahren beschäftigten: Parteienfilz, Ämterpatronage und politische Korruption; besonders am „kölschen Klüngel“ analysierte er dessen Auswirkung auf das Parteiensystem. Scheuch publizierte dazu, zusammen mit seiner Frau, zahlreiche Bücher, unter anderem die populär gehaltenen Titel: „Cliquen, Klüngel und Karrieren“ und „Bürokraten in Chefetagen“. 

Zustände, die heute aktueller den je erscheinen

Besonders ersteres Buch liefert zahlreiche anschauliche Beispiele für Vorteilsnahme und Korruption und beschreibt Zustände, die heute aktueller den je erscheinen.

Scheuch beginnt seine Analyse mit der Darstellung eines grundsätzlichen Problems: 

„…daß in der heutigen Bundesrepublik die Art der Auswahl von Berufspolitikern und ihre Karriere die entscheidende Schwachstelle des politischen Systems sind, dürfte nicht kontrovers sein. Wenn unsere anschließende Diagnose der Gründe hierfür korrekt ist, dann wird sich der Qualitätsverfall beschleunigen. Es ist dann zu vermuten, daß es irgendwann zu einem Kartell der großen Parteien auf Dauer kommen wird“

Diese Zeilen schrieb Scheuch im Jahr 1992. Heute ist das Kartell der etablierten Parteien Realität. Dass seine Voraussagen so präzise eintreffen würden, hätte Scheuch vermutlich selbst kaum für möglich gehalten. 

Im weiteren Verlauf der Analyse beschäftigt sich Scheuch mit der Personalauswahl. Er schreibt: „Die Personalauswahl der Parteien wird im deutschen System rechtlich durch das Instrument der Liste dominiert, und bei deren Aufstellung dominieren Einflusscliquen auf Kreisebene. Für den Berufspolitiker wirkt der Kampf um die Wiederaufstellung wie die Auseinandersetzung über eine Vertragsverlängerung: Sind die Gewinne durch eine solche Vertragsverlängerung hoch, dann wird der Kampf gegen Konkurrenten gnadenlos. Bereits mit der Aufnahme eines Mandates beginnt heute in der Bundesrepublik der Kampf um die Wiederaufstellung“

Anschließend nennt Scheuch zahlreiche Beispiele für die „Gewinne der Vertragsverlängerung“, welche er sauber aus den Veröffentlichungen in den Lokalausgaben der Zeitungen in Köln recherchiert hat. Er schreibt: „Bei den herrschenden Cliquen in der Kölner Politik geht es im Alltag um Vorteilsnahme. Das kann nur gelingen, wenn sich die miteinander in Konflikt befindlichen Gruppen – zwischen den Parteien und innerhalb der Parteien – vorweg auf Spielregeln verständigen. Der Hauptpreis in diesen Einflusskämpfen sind Positionen in Gremien, auf die der Stadtrat politisch Zugriff hat, und Aufträge, die von der Stadt und den von ihr kontrollierten Gesellschaften vergeben werden“

„Ämterhäufung ist bei den Kerngruppen der Berufspolitiker verbreitet – bis zu fünf Aufsichtspositionen sollen – wie bei Oberbürgermeister Norbert Burger (SPD) gezählt worden sein. Bei den Kölner Verkehrsbetrieben waren 1990 zehn Stadtverordnete im Aufsichtsrat: Fünf von der SPD, vier von der CDU, ein Grüner“.

Das Versorgungssystem aufrechterhalten

Scheuch betont in seinem Buch immer wieder, wie die Parteien untereinander kooperieren, um das Versorgungssystem aufrechtzuerhalten. Dabei bringt er ein besonders perfides Beispiel von Korruption und Zusammenarbeit von SPD und CDU:

„Wie abgesichert das System in der Regel aber inzwischen ist, ergibt sich aus den Folgen der Aufdeckung eines Sachverhaltes, der in der Öffentlichkeit als schwere Umweltschädigung gewertet wurde. Die Firma Klöckner-Humboldt-Deutz produziert in seiner Gießerei für Motoren giftigen Sand, der Sondermüll ist. Dieser ist viel teurer zu entsorgen als normaler Abfall. Die Firma hatte zwei Betriebsratsmitglieder mit dem Parteibuch der SPD zu Umweltbeauftragten ernannt, die unter Ausnutzung ihrer Beziehungen zu einem Parteifreund in der Stadtverwaltung erreichten, daß dieser Sondermüll auf normale Müllablagerungen gekippt wurde. Die Stadt wurde dadurch um etwa 3,8 Millionen Mark geschädigt, ganz abgesehen von der Umweltbelastung. Als die Presse darüber berichtete, setzten die Stadtverordneten einen Untersuchungsausschuss ein. Dessen Vorsitzender wurde ein Ratsherr der -Opposition-, Adolf Hellmich, CDU. Diese befand später erwartungsgemäß, daß man Verantwortlichkeiten nicht mehr eindeutig klären könnte, und er sei sowieso gegen eine Hexenjagd“.

Das unumstrittene Paradebeispiel aus Köln ist heute noch als „Kölner Spendenaffäre“ bekannt. Dabei ging es um die Einnahme von Spenden durch die Kölner SPD zwischen 1994 und 1999 als Bestechung, um deren Zustimmung zum Bau der umstrittenen Müllverbrennungsanlage im Kölner Stadtteil Niehl zu sichern. Spenden in Höhe von mindestens 480.000 DM wurden entgegen dem Parteiengesetz nicht im Rechenschaftsbericht verzeichnet und dadurch die Veröffentlichungspflicht verletzt. 

Auch wenn Scheuchs Analyse schon fast 30 Jahr alt ist, ist sie dennoch aktueller den je. Er beschreibt mit außerordentlicher Sachlichkeit und Präzision die Folgeprobleme, die sich aus dem „Prinzip Berufspolitiker“ ergeben:

  • Ein Kartell der großen Parteien 
  • Ein System der Vorteilsnahme
  • Gnadenloser Kampf um die Wiederaufstellung bereits mit Aufnahme des Mandates
  • Ämterhäufung
  • Korruption

Die Tatsache, dass seine Analyse so alt ist, hat außerdem auch einen wichtigen Vorteil. Er beschrieb die Probleme, welche sich aus dem Kartell der Parteien ergeben, bevor dies zum Trend wurde, und somit an Aufmerksamkeit verloren hat. Seiner Analyse kann nicht vorgeworfen werden, dass sie nur Werbung für die AfD sei, da Erwin Scheuch ein Jahrzehnt vor Gründung der Partei verstorben ist. 

Dem Buch von Scheuch wären zahllose andere, die sich mit der Thematik Korruption in der Politik befassen, hinzuzufügen. Inzwischen gibt es nicht nur ein Parteien-Kartell, auch viele Medien haben sich in dieses Kartell eingefügt und kommen ihrer eigentlichen Aufgabe, der Politik auf die Finger zu schauen, Missstände aufzudecken und die Öffentlichkeit darüber zu informieren, kaum noch nach. 

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Florian Bode / 24.05.2019

Der Herr Strache ist möglicherweise ein umsympathischer Aufschneider. Sein Rumgeprotze ist allerdings strafrechtlich nicht relevant. Nichts ist geschehen. Der Nepotismus in deutschen Amtsstuben erfüllt da schon häufiger Tatbestände. Aber da schweigt des Schreiberlings Höflichkeit. Alleine der schlechte Witz, ein gammeliges Segelschiff für einen dreistelligen Millionenbetrag “reparieren” zu wollen, sollte einen Rücktritt erzwingen und den Staatsanwalt in´s Ministerium bewegen.

Claus Bockenheimer / 24.05.2019

Und ? Sind diese Zustände in in anderen Demokratien westlichen Zuschnitts nicht genauso oder teilweise sogar noch schlimmer - gar nicht erst zu reden von autokratisch-autoritären Staaten und Diktaturen ? Vielleicht kann Frau Lengsfeld auch nachhaltige und praktische Lösungsvorschläge präsentieren; einfach nur"draufhauen” ist ja sehr einfach - kann selbst ich. Und sie war doch lange genug Politikerin, also Spezialistin ; hat sie in diesen Zeiten jemals das Thema aufs tapet gebracht ? Würde nmich schon interessieren.

Dr. Gerhard Giesemann / 24.05.2019

Es gilt also, dieses Kartell der großen (und paar kleinen) Parteien auf zu brechen. Am Sonntag ist Gelegenheit dazu, on verra. Toll ist unter diesem Aspekt das Video von “Rezo” - genau gegen dieses CDU/CSU/SPD-Kartell gerichtet.  Rezo hat zwar auch nicht begriffen worum es eigentlich geht - aber ein Anfang ist gemacht. (Toll, wie er u.a. die Sawsan Chebli vorführt, wenn die die Drohnenangriffe der Amis auf Muslime rechtfertigt, herrlich. Sichtlich verwirrt, aber Karriere geht eben vor, das Leben ist ein Steinbruch). Die Kids geraten mehr und mehr in Panik ob ihrer Zukunft, zu Recht, möchte ich meinen, und sie werden bald begreifen müssen, dass ihnen nicht das Klima diese nimmt, sondern ganz andere Kräfte. In Gestalt von jungen Männern, die einer Raub- und Mordideologie frönen, die als Religion verbrämt daher kommt. Aber dazu gibt es in den direkter betroffenen Ländern am Rande Europas gute Ansätze, von denen wir in unserer Mittellage profitieren können - endlich mal der erste Vorteil in unserer Geschichte bis 1945. Jetzt müssen die Anderen UNS schützen, wollen sie nicht mit untergehen - ihre Landnahmen haben sie schließlich bereits getätigt. Schaumermal.

Rafael Sterzer / 24.05.2019

Hallo, ich habe am Inhalt des Artikel nichts zu bemängeln. Ganz im Gegenteil. Was mir aufgefallen ist, ist die Schreibweise “aktueller DEN je”. Ist das so richtig? Müsste es nicht “aktueller DENN je heissen”?. Gruß, Rafael Sterzer.

Sabine Schönfelder / 24.05.2019

Wenn zwei das Gleiche tun, ist es noch lange nicht dasselbe! Wobei Strache ein Maulheld blieb, während die Damen Schwesig und von der Leyen bereits in Aktion traten. Propaganda verzerrt das ganze Koordinatensystem von Recht und Ordnung, gewollt und intendiert. Das Bestehende soll zerstört werden, in unserem Fall der Rechtsstaat, die einstige Asylpolitik, selbst physikalisches Grundwissen, um die eigene Ideologie zu platzieren. Unter korrupter Verwaltung läuft auch der Alltag ‘voll Scheiße’ siehe Nordrhein-Westfalen, Berlin und Bremen. Aber solange der Länderfinanzausgleich normale marktwirtschaftliche Parameter unterdrückt, läuft es weiter und weiter und weiter und wird mehr und mehr und mehr….........

Johannes Schuster / 24.05.2019

Als ob die AfD besser wäre in puncto Geld und Macht…. Wer sauber sein will braucht Charakter und wer Charakter hat, geht nicht in die Politik (Helmut Schmidt nehme ich da raus). Korruption kommt in direkten Demokratien weniger vor, weil Schmieren nichts bringt, wenn das Volk trotzdem bockt. Und ich glaube auch nicht, daß wenn die wulstigen AfD Funktionäre an der Macht wären, es anders herginge, eher noch provinzieller. Volkstum und Biergefälligkeiten liegen sehr dicht bei einand.

Andreas Rühl / 24.05.2019

Da habe ich wohl was falsch verstanden. Ich dachte, der Skandal an dem Video sei nicht, was Strache sagt und verspricht, sondern dass er so doof war, sich dabei im volltrunkenen Zustand aufnehmen zu lassen.

Jörg Jevlasch / 24.05.2019

Zitat: “daß es irgendwann zu einem Kartell der großen Parteien auf Dauer kommen wird” kenn ich schon. Nannte sich in meiner Jugend SED. Danke nein. Will ich nicht mehr. Dann braucht aber niemand mehr von Demokratie sprechen.

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