Thilo Sarrazin / 12.02.2018 / 06:29 / Foto: Wojciech Pędzich / 39 / Seite ausdrucken

Die AfD löst die SPD ab

Zwischen dem 29. Januar und dem 2. Februar erschienen drei bundesweite Meinungsumfragen renommierter Institute. Sie sahen die SPD zwischen 17,5 Prozent und 19 Prozent, ein weiterer Einbruch nach dem historischen Tiefpunkt der Bundestagswahl von 20,5 Prozent. Die AfD lag dagegen in allen drei Umfragen stabil bei 14 Prozent, ein deutliches Plus gegenüber dem Ergebnis der Bundestagswahl von 12,6 Prozent.

Kommt es zur großen Koalition, wird die AfD zur größten Oppositionspartei und hat nach den Regierungsparteien das erste Rederecht bei Plenardebatten. Die letzten Monate zeigten, dass die AfD ihre parlamentarischen Profilierungschancen zu nutzen versteht. Seit einigen Tagen leiten AfD-Abgeordnete den Haushaltsausschuss und den Rechtsausschuss des Bundestages. Die übrigen Parteien werden zur parlamentarischen Normalität gezwungen, und eine Verteufelung der AfD fällt immer schwerer, solange sie selbst dazu keinen Anlass gibt.

In drei ostdeutschen Bundesländern liegt die AfD bei den aktuellen Umfragen vor der SPD. In Bayern wird sie von der SPD nur knapp überflügelt. In Baden-Württemberg liegen SPD und AfD mit jeweils 12 Prozent gleichauf.

Panischer Zickzack-Kurs

Noch vor drei Jahren wären solche Ergebnisse unvorstellbar gewesen. Die AfD ist auf dem besten Weg, die SPD als Partei der kleinen Leute und als Arbeiterpartei abzulösen. Der SPD-Parteivorsitzende Martin Schulz spürte die Bedrohung. Aber er analysierte nicht sauber, sondern führte die SPD in den letzten 5 Monaten in einen panischen Zickzack-Kurs. Er war beleidigt darüber, dass Angela Merkel und die CDU/CSU der SPD im Wahlkampf die Themen wegnahmen und sie so quasi von hinten aufrollten. Mit so fiesen Spielkameraden wollte er nicht länger im selben Sandkasten sitzen. Er warf die Schippe hin und rannte weg.

Aber das ging nicht lange gut. Eine Volkspartei, die regieren kann, aber nicht regieren will, weil ihre Eitelkeit gekränkt wurde, macht sich lächerlich. Von führenden Parteifreunden wurde Martin Schulz sanft aber bestimmt wieder zum Sandkasten zurückgeführt. Dort musste er sich jetzt unter Aufsicht mit Angela Merkel darüber einigen, wie man gemeinsam eine Sandburg baut. Diese schwierige Prozedur nannte man in der ersten Phase Sondierungsgespräche und in der zweiten Koalitionsverhandlungen.

Wir bauen eine Sandburg

Das jetzt erkennbare Design der gemeinsamen Sandburg stimmt den Prüfstatiker besorgt. Was da geplant wird, ist in höchstem Maße einsturzgefährdet beziehungsweise völlig am Bedarf vorbeigebaut. Dazu vier Beispiele:

  • Es wird eine Rentengarantie ausgesprochen: Bis zum Jahr 2025 sollen die Sozialrenten nicht unter ein Nettorentenniveau von 48 Prozent absinken, die Bezahlung bleibt offen. Die wahren Probleme beginnen aber erst danach, wenn die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen. Das Problem wird weiter verdrängt, es handelt sich um reine Schaufensterpolitik.
  • Die Leistungen in der Altenpflege sollen deutlich verbessert werden. Das Pflegepersonal soll besser bezahlt werden, es soll mehr Pflegekräfte geben. Die Kinder sollen aber weniger in Regress genommen werden für die Pflegekosten ihrer Eltern. Offen bleibt, wie das finanziert und bezahlt wird.
  • Mit einer großen "Bildungsoffensive" soll der Bund viel Geld an die Bundesländer für Aufgaben geben, die gar nicht in seine Zuständigkeit fallen.
  • Unerwähnt bleiben die beiden Hauptprobleme des deutschen Bildungswesens, nämlich (1), dass die Bildungsfähigkeit der jungen Menschen wegen ihrer demografischen und sozialen Zusammensetzung ständig sinkt und (2), dass die Mängel einer auf Anforderungsabbau, Inklusion und Abiturientenschwemme zielenden Bildungspolitik mit mehr Geld gar nicht bekämpft werden können, sondern viel tiefer liegen.

Was sich nicht ändern wird

Beim Familiennachzug subsidiär schutzbedürftiger Flüchtlinge soll es eine Härtefallregelung für bis zu 1.000 Fälle im Monat geben. Das offene Scheunentor Asylrecht bleibt aber weiter unverändert, und keiner Erwähnung wert ist die Tatsache, dass die Zahl der Abschiebungen aus Deutschland fällt und nicht steigt.

Die ungeregelten Fragen der Migration und des Zuzugs kulturfremder Wirtschaftsmigranten und Kriegsflüchtlinge, der fortgesetzte Missbrauch des Asylrechts, die langfristigen Folgen für den Arbeitsmarkt, die öffentlichen Kassen und den sozialen Zusammenhalt in Deutschland stehen weiterhin als weiße Elefanten im Raum der Politik. Diese Elefantenherde wird so behandelt, als ob sie unsichtbar wäre. Dabei ist sie das zentrale Thema für die Zukunft unserer Gesellschaft.

Die sogenannten kleinen Leute spüren das sehr genau. Sie möchten von der Politik Schutz und Perspektive, und wenn sie die nicht bekommen, wenden sie sich ab. Karl Marx hatte Recht: Das Sein bestimmt das Bewusstsein, deshalb nehmen mehr und mehr Arbeiter die SPD nicht mehr als ihre Partei wahr. Und Macheath in der Dreigroschenoper hatte auch Recht: "Zuerst kommt das Fressen, und dann kommt die Moral."

Glückliches Österreich

Vor einigen Wochen war der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz zu Besuch bei Angela Merkel. Als ich bei der gemeinsamen Pressekonferenz seine frische klare Diktion hörte und mit den Wortgirlanden Angela Merkels verglich, wurde ich wehmütig: Österreich, du hast es besser. Das Politestablishment wittert die Gefahr: Noch nie wurde ein ausländischer Staatsmann und demokratisch gewählter Führer einer befreundeten Nation in einer deutschen Talkshow so herabsetzend behandelt wie Kurz bei Maischberger. Der österreichische Bundeskanzler wird es nicht vergessen und seiner Kollegin in Deutschland bei passender Gelegenheit heimzahlen. Wer 31 Jahre jung ist, kann auch In Europa in Ruhe abwarten, bis die Zeit der Großeltern abgelaufen ist.

Angela Merkel und Martin Schulz sind aus der Zeit gefallen, und sie wirken auch so. Jedes Jahr, das CDU und SPD gemeinsam regieren, ist eine Hypothek für die deutsche Zukunft und ein Verlust von Handlungsmöglichkeiten. Darum werde ich als SPD-Mitglied in den nächsten Wochen gegen eine erneute große Koalition stimmen.

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Leserpost

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Walter Neumann / 12.02.2018

Ach Herr Sarrazin, wenn es Sie nicht gäbe. Alles ohne Schwafelei auf den Punkt gebracht. Hervorragend. Ein neues Buch von Ihnen ist fällig. Noch zum Besuch von Kurz bei Merkel: Letztere sagte bei der PK doch allen Ernstes, sie werde die neue Ö-Regierung “genau beobachten.” So eine Wortwahl aus deutschem Mund über ein befreundetes Nachbarland ist mich unfassbar.

Karla Kuhn / 12.02.2018

“Angela Merkel und Martin Schulz sind aus der Zeit gefallen, und sie wirken auch so. Jedes Jahr, das CDU und SPD gemeinsam regieren, ist eine Hypothek für die deutsche Zukunft und ein Verlust von Handlungsmöglichkeiten. Darum werde ich als SPD-Mitglied in den nächsten Wochen gegen eine erneute große Koalition stimmen.”  Nicht nur dagegen stimmen Herr Sarrazin, sondern mit Ihresgleichen endlich Merkels Ende einläuten. Die Frau scheint ja jegliche Bodenhaftung verloren zu haben.  Honecker wurde gar nicht gefragt, er wurde einfach seines Amtes enthoben. Die Aussagen Merkels machen einfach bloß noch sprachlos. Wenn sie wirklich den BP einschalten will, dann hoffe ich, daß Steinmeier den Mut und die Größe aufbringt, ihr eine Absage zu erteilen. Soll das noch normal sein ?? So was gab es ja überhaupt noch nicht.

Georg Dobler / 12.02.2018

Glückliches Österreich, nicht nur hinsichtlich der neuen Regierung. SWR-Sendung “mal ehrlich” am 06.09.2017, Professor Stefan Sell, Hochschule Koblenz: “...im Vergleich bekommen sie (die Österreicher) zu einem Durchschnittsrentner in Deutschland 800 Euro mehr im Monat”. Ab Minute 28 in der Videothek. Das heißt wenn der Österreichische Rentner am Strand liegt wird er bald sehr wenige Deutsche Rentner antreffen weil die mangels finanzieller Liquidität zu Hause bleiben. Danke Deutsche Politik, gut gemacht.

Gerhard Bleckmann / 12.02.2018

Wie Recht Sie haben, Herr Sarrazin. aber warum wechseln Sie nicht zur AfD? Man könnte Sie dort gut gebrauchen. Die SPD ist schon lange nicht mehr die Partei der Werktätigen. Menschen, denen eine Partei Bescheidenheit für eine eventuelle, angeblich gefährliche Klimagefahr in vielleicht 80 Jahren und für die Versorgung von weiter eingeladenen Wirtschaftsflüchtlingen verschreibt, denen man ihren Diesel madig macht und jetzt auch ihr Eigenheims, das sie sich durch Verzicht für ihre Altersversorgung erarbeitet haben zusätzlich besteuern will, suchen eine andere Partei und das ist zur Zeit nur die AfD, neben einer weitgehend unentschlossenen FDP, die wie die Etablierten, die zuverlässigste und billigste Stromversorgung entsorgen will, um Landjunker glücklich zu machen.

Udo Müller / 12.02.2018

Das eigentliche Drama ist, dass wir auf Jahre - Jahrzehnte vielleicht - nicht in der Lage sein werden, zurückzufinden zu einem vom gesunden Menschenverstand informierten Mittelweg. Große Teile der Führungseliten in Politik und Zivilgesellschaft sind grün durchtränkt. Sollte die Gegenbewegung sich durchsetzen, wird sie uns auf die andere Seite der Wippe führen - nicht zur Mitte - da sind fast schon Naturgesetze am Werk. Wie sonst sollte ein System, das grünen moralischen Absolutismus als alternativlose Erlösung für ankonditionierte Kollektivschuld anbietet, zu verändern sein? Der Blick auf Dänemark ist interessant. Zwei Sachen sind anders gelaufen: Es gab viel früher eine sogenannte rechtspopulistische Partei die für parlamentarische Balance gesorgt hat und es hat nie eine grüne Partei Fuß gefasst. Unsere gesellschaftliche Spaltung ist dem Dänemark der Gegenwart bisher erspart geblieben.

Bettina Federlein / 12.02.2018

Werter Herr Sarrazin, um Ihren zweiten Punkt einmal aufzugreifen: Woher sollen denn diese zusätzlichen Pflegekräfte kommen? Stand nicht die Zahl 8000 im Raum? Es wird schon seit längerem bundesweit händeringend nach fachlich qualifizierten Personen oder Ausbildungswilligen gesucht. „Pflegekräfte: Bundesagentur setzt wieder stärker auf Philippinen“, Ärzteblatt 07.11.2016 Es sieht ganz danach aus, dass bei ca. 1,5 Mio. seit September 2015 eingewanderten   „Flüchtlingen“ die Zahl der euphorisch angepriesenen künftigen Fachkräfte in Pflegeberufen eher marginal ist. Hat man tatsächlich erwartet, dass sich Muslime kulturell derart verbiegen, wenn mit Frau/en und stattlicher Kinderzahl ein deutlich höherer, alimentierter Unterhalt zu erzielen ist, zumal die muslimische Ehefrau tendenziell eher nicht erwerbstätig ist?

N. Müller / 12.02.2018

Herr Sarazin, zunächst ist es schön zu hören, dass Sie ihre Stimme nutzen werden um gegen die “GroKo” zu stimmen. Erlauben Sie mir jedoch bitte eine Frage: Was genau hält Sie noch in der SPD, in der Sie nicht einmal Ambitionen und Aussicht haben einen Wandel zu vollziehen. Ist es Sentimentalität oder Provokation oder etwas ganz anderes? Ich würde mich freuen etwas darüber zu erfahren, da es für mich wirklich ein Rätsel darstellt. MfG

Kurt Fels / 12.02.2018

Dem österreichischen Schalmeiengedöns geht unser deutscher Nachbar inklusive Herr Sarrazin"auf den Leim”. Als Österreicher muss ich darauf hinweisen das Kurz bis jetzt nur gesprochen und nicht gehandelt hat. Wenn er nicht “liefert” wird daraus ganz schnell eine gewöhnliche klassische Politkarriere und die Wehmut ist “Kurz”.

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