Von Konrad Adam.
Die wichtigsten Personen der Dauerposse „Wir schaffen das“, die seit sechzehn Jahren auf dem Spielplan steht und mittlerweile sämtliche Rekorde bricht, kennen wir schon lange. Seit Ausbruch der Corona-Hysteropandemie sind allerdings ein paar schon halb vergessene Figuren wieder aufgetaucht und neu hinzugekommen: der Blockwart, der seinen Nachbarn denunziert, weil er mehr als drei Personen ins Haus gelassen hat, und dann auch noch ohne Mundschutz. Der Mitläufer, der sich nach der Decke streckt und sagt: „Ich mache das, was alle machen, bin brav und habe zu gehorchen.“ Den Gelehrten, der seinen Mantel in den Wind hängt und jedem das erzählt, was der gern hören möchte (und, selbstverständlich, gut bezahlt), haben wir auch schon kennengelernt (früher als deutschen Physiker, heute als empirischen Sozialforscher). Und selbst die Führernatur, die sich für ihr geschichtsträchtiges Wirken auf den Willen des Herrgotts beruft, weckt Erinnerungen, die auszubreiten allerdings nicht ratsam ist und deshalb besser unterbleibt.
Dass Führernaturen aus dem Süden kommen, mag Zufall sein; dass die nachfolgende Geschichte in Bayern spielt, ist aber ganz gewiss kein Zufall. Dort hatte uns ein Biergarten, gleich neben der Straße gelegen, an einem heißen Tag zur Einkehr verlockt. Kaum hatten wir an einem der vielen freien Tische Platz genommen, als der Wirt auf uns zustürzte und das Anlegen der Maske befahl. Wozu denn?, fragten wir zurück, wir wollen doch nur etwas trinken, und das fällt mit der Maske schwer. Am Tisch könnten wir auf das Ding verzichten, brummte der Wirt, beim Weg hinein und hinaus aber nicht, da sei die Maske vorgeschrieben, auch dann, wenn der Weg kurz ist und durch nichts als die frische Luft führt. Ob wir die Masken denn jedenfalls bei uns hätten? Hatten wir; nur dass sie den Ansprüchen des braven Mannes nicht genügten. Es müsse schon die große, die Rüsselmaske FFP2 sein, sagte er, die habe er auf Vorrat und könne sie uns verkaufen. Das aber wollten wir nicht und machten Anstalten, zu gehen.
Da wurde der Wirt böse: So einfach ginge das nun wirklich nicht. Schlimm genug, dass wir uns ohne Maske Zutritt zu seinem Biergarten verschafft hätten, hinaus kämen wir ohne Maske jedenfalls nicht, Vorschrift sei Vorschrift, auch wir hätten uns danach zu richten. Da wurde uns klar, dass wir uns in einer ähnlich misslichen Lage befanden wie Mephisto, der als Pudel unbesonnen dem Dr. Faust ins Haus gesprungen war, in der Gestalt des Teufels aber nicht wieder hinaus konnte. Was tun? Eine dienstbare Ratte, das Hindernis aus dem Weg zu schaffen, stand uns nicht zu Gebote, wir mussten also selbst versuchen, den Bann zu brechen. Das taten wir, indem wir dem Wirt den bayerischen Gruß entboten und die vier oder fünf Schritte bis zur Straße auf eigene Faust zurücklegten – ohne Maske, ohne Erlaubnis und ohne jemandem weh zu tun, den Wirt vielleicht ausgenommen; aber der hatte es ja verdient.
Jeder kann mitmachen, keiner soll leer ausgehen
So etwas erlebt man in einem Land, das nicht nur die Maske, sondern einen bestimmten Typ, die Rüsselmaske, fordert, verbindlich, ausnahmslos und strafbewehrt. Wer nach den Gründen für das eigenwillige Reglement sucht, sollte nicht bei Medizinern oder Virologen vorstellig werden, sich vielmehr in der Geschäftswelt umsehen, am besten dort, wo sich die Bonzen mit den Lobbyisten treffen. Er wird da auf Gestalten wie Andrea Tandler stoßen, Spross einer alteingesessenen CSU-Familie. Allein für die Vermittlung im großen Maskendeal soll sie Provisionen in Höhe von 30 Millionen Euro bezogen haben – eine abenteuerliche Summe, die allerdings im Handumdrehen zusammenkommt, wenn man die 13 Millionen Einwohner des Freistaates dazu zwingt, sich alle paar Tage für 10 Euro eine FFP2-Maske zu kaufen. Und Söder tut das.
Die Maske ist ein Massenartikel, ein ganz besonderer freilich, weil nämlich, wie man uns verspricht, gesundheitsdienlich. Wo die Gesundheit ins Spiel kommt, gibt es kein Halten mehr, da ist nichts zu teuer und alles erlaubt, fast alles jedenfalls. Da geht es Schlag auf Schlag: Nach den Alten sind jetzt die Jungen an der Reihe, nach den Alpha-, Beta- und Gamma-Varianten die Delta-Version, nach dem ersten, der zweite, der dritte und der vierte Piks, danach ein Wiederholungs- oder Auffrischungstermin – man weiß ja nie. Und gerade weil man nichts Genaues weiß, weder über die Wirksamkeit noch über die Gefahren der Massenimpferei, kann man gar nicht oft genug mit der Spritze in der Hand herumfuchteln. Das Volk hat ja ein Recht, von seiner Führung gehegt und gepflegt zu werden, das wusste auch schon Robert Ley.
Doch auch die beste Führung schafft das alles nicht allein, sie ist auf Helfer angewiesen, auf Männer wie Karl Lauterbach, Frauen wie Andrea Tandler oder Kinder wie Jens Spahn. Jeder kann mitmachen, keiner soll leer ausgehen, alle dürfen zulangen, die Ärzteschaft genauso wie die Krankenhausbetreiber, die Pharmaproduzenten, die Versicherungsagenturen, die Nachhilfelehrer, die Maskenhändler und so weiter. Begleitet von Solidaritäts-Appellen und humanitären Phrasen, haben sie ein Geschäftsfeld entdeckt, das einfach deshalb weiterblühen muss, weil es Gewinne und Wachstum ohne Ende verspricht. „Bereichert euch!“, hieß die Parole des Bürgerkönigs, „It´s the economy, stupid!“, rief Bill Clinton seinen Leuten zu. Wie genau er damit ins Schwarze getroffen hatte, war ihm wohl selbst nicht bewusst. Inzwischen wissen wir es aber alle.