Kehren wir doch vor der eigenen Tür. Wer hätte so viel von mir gelesen, wenn ich weiter nur über Klimawandel, Elektromobilität und Liberalismus fabuliert hätte. So erreichen meine bescheidenen Texte ungeahnte Reichweiten und bei dem einen oder anderen Leser setzt sich mein Name fest. Daraus gilt es Kapital zu schlagen. Aber ich bin nicht der Einzige, dessen Ruhm steigt. Corona bringt nicht nur Angst, Reichweite und Quote. Sondern auch Heldentum, wenn man sich nur ausreichend geriert. Doch nun zur Sache.
6 Uhr dreißig und 25 Sekunden. Hier ist Berlin. Wir melden uns aus den Union-Studios mit der Achgut.com-Corona-Hitparade. Wie immer wurde die Reihenfolge von Media-Control ermittelt. Und hier ist alles live.
Platz Nummer 1: Dauersiegerin Angela Merkel, seit sie in den „Blut, Schweiß und Tränen”-Modus des eisernen Kanzlers Otto von Bismarck gefallen ist. Vor einem Jahr war ihr Abgesang schon von so vielen Stimmen zu hören, dass die den Chören Gotthilf Fischers seligen Angedenkens zur Ehre gereicht hätten. Heute erklimmt sie in den Umfragewerten ungeahnte Gipfel, und Armin Laschet muss sich Sorgen machen, ob sie nicht doch genötigt wird, nochmal anzutreten, weil ihre Umfragewerte selbst Maggus Söder schlagen. Sonst verlässt sie wie einst der Lotse Bismarck auf einer zeitgenössischen Karikatur das sinkende Schiff, am Steuer Wilhelm II. Nur wer füllt diese Rolle im heutigen Narrativ (das Wort musste ich noch unterbringen) aus? Laschet? Trump oder Merz? Achtung: Angela Merkel war schon viermal dabei und kann nicht wiedergewählt werden.
Das Orakel von Corona drückt sich auf jeden Talk-Show-Sessel
Platz Nummer 2: Maggus Söder, der früher bekennende Fan von Helmut Kohl und Franz Josef Strauß, sorgt derweil auf den Friedhöfen von Speyer und Rott am Inn für erschütternde Erdbewegungen und sonnt sich in der Beliebtheit der Demoskopen. Ich vermute ja, dass das Ende des Lockdowns in Bayern erst kommt, wenn Söder in den Beliebtheitsskalen zum Sinkflug ansetzt und die Christlich-Sozial-Grüne Koalition im Bund infrage steht. Maggus – ich geb Gas.
Platz Nummer 3: Jens Spahn, der sich schon vor der Pandemie als Gesundheitsminister ganz wacker schlug. Nun mutiert der bekennende Hüne zum Jung-Siegfried, der unerschrocken um Masken und Impfstoffe kämpft. Jede Menge Sendezeit ist ihm sicher. Soviel ARD Brennpunkt und ZDF Spezial war nie. Da muss selbst Rosamunde Pilcher warten. Nur gegen den Fußball tritt die allmächtige Verkündung der „Ergebnisse“ der „Ministerpräsidenten-Konferenz“ am Samstag Abend nicht an. Aber die Mutanten machen Hoffnung auf die Fortsetzung dieses Panik-Orchesters. Auch wenn Siegfried nicht so unverwundbar war, wie er dachte. Spahn hat mit seinem letzten Parteitagsauftritt gegen das Reglement verstoßen. Ob er disqualifiziert wird, werden wir nächste Woche sehen.
Platz Nummer 4: Karl Lauterbach wird vielleicht doch noch SPD-Vorsitzender. Das Orakel von Corona drückt sich auf jeden Talk-Show-Sessel. Selbst wenn er spektakulär in Quarantäne zu versinken scheint, wird er dank Zoom zugeschaltet, was sein schlechtes Gebiss in einem etwas milderen Licht erscheinen lässt. Vielleicht haben seine im Äscher Sing-Sang entstehenden Schreckensgemälde ja gar seinem Landsmann Armin Laschet den Weg an die CDU-Spitze geebnet, der Neuvorstellung vom nächsten Monat.
Die siamesischen Zwillinge der Pandemie
Platz 5: Mit einem seltenen Idiom ist auch Tierarzt Lothar Wieler gesegnet. In der Frühphase der „Pandemie“ hat der Präsident des sagenumwobenen Robert-Koch-Instituts uns mit Warnungen und Worst-Case-Szenarien mit wissenschaftlichem Antlitz (10 Millionen Infizierte bis Pfingsten!) werktäglich pünktlich zur „Volle Kanne“-Sendezeit beglückt (am Wochenende hatten Ingo Nommsen, der Volle Kanne-Moderator, das Virus und die Gesundheitsämter frei – Ingo hat schon freiwillig aufgehört). Das half der Quote, wenn Mutti noch nicht ganz voll um halb 11 derweil am Piccolöchen nippte, um den Blutdruck zu heben.
Platz 6: Christian Drostens Frisur ist der schlagende Beweis dafür, dass die Öffnungszeiten von Friseuren notorisch überschätzt werden. Darin wird er nur noch ausgerechnet von Boris Johnson geschlagen. Und in Drostens stundenlangen Podcasts ist der geschickt mit Pomade geformte Lockenkopf ja gar nicht zu sehen. Sein publizistischer Zick-Zack-Kurs wird derweil erfolgreich als Erkenntniszuwachs gefeiert. Mal für die Maske, mal dagegen. Das erinnert an die Grundgesetze von Konrad Adenauer: „Was kümmert mich mein dummes Geschwätz von gestern.“ Das ist wissenschaftlicher Fortschritt.
Platz 7: Paul Ronzheimer, sellvertretender Bild-Chefredakteur und sein iPhone sind die siamesischen Zwillinge der Pandemie. In Bild-Live-Schalten kommentiert er wie weiland Radio-Kommentator Herbert Zimmermann das WM-Finale 1954, was ihm die Ministerpräsidenten whatsappen: „Aus dem Hintergrund müsste jetzt Söder schießen. Söder schießt. Ausgangssperre! Ausgangssperre! Ausgangssperre!” Na gut. Nicht jeder Söder-Schuss ist auch ein Treffer.
Schon Wowereits Substanz war arm aber sexy
Boris Palmer, Platz 8: Der Sohn des Remstal-Rebells mit Einser-Abitur wird wider Erwarten Nachfolger von Wilfried Kretschmann als Baden-Württembergischer Ministerpräsident und durchkreuzt das Ziel des Schäuble-Clans, dort doch noch eine konstitutionelle Monarchie zu errichten, für deren Leitung sich Tochter Christine Strobl schon auf dem Posten der Programmdirektorin des halbamtlichen Regierungssenders ARD warm läuft. Ihr Mann Thomas hat die Schmach, unter Kretschmann als Minister zu dienen.
Das könnte ihm auch unter Palmer blühen, den die Grünen nicht mehr als Tübinger Oberbürgermeister aufstellen wollten, was sich als klassisches Eigentor erweisen wird. So schlecht schießt nicht mal Söder, der unerschrocken um die Grüne Gunst buhlt. Palmer wehrt sich dagegen mit Pragmatismus, was die Vermutung erlaubt, dass mehr Menschen doch eher realitätsorientiert und weniger hysterisch sind, als die Demoskopen mit ihren Fragen suggerieren.
Platz 9: Franziska Giffey erfreut sich des Scharping-Effekts. Rudolf hatte einst mit der angeheirateten und ansehnlichen Gräfin Pilati geplanscht, was die Bunte ausreichend bebilderte. Seine Skandälchen wurden vom Entsetzen über den 11. September 2001 überdeckt, so dass er sich noch ein wenig in der bis heute ungebrochenen Reihe der erfolglosen Verteidigungsminister halten konnte. Giffey, die ihren offensichtlich erschlichenen Doktor-Titel vorsichtshalber nicht mehr „führt“, erfreut sich der Ehre, bei n24 und n-tv ein belangloses Pandemie-Statement in ihrem leicht tantenhaften Ton live zu verbreiten. Die Ehre wäre ihr in normalen Zeiten nur zuteil geworden, wenn sie ihren Rücktritt vom Spitzenamt der kopf- und führungslosen Hauptstadt-SPD erklärt hätte. So ersetzt sie die Lücke, die Wowereit einst hinterließ und der nette Michael Müller auch nicht ausfüllen konnte, vollkommen. Und schon Wowereits Substanz war arm aber sexy.
Last but noch least Nummer 10: Susanne Gaschke, erfolgreichster Neuzugang. Die WELT- und NZZ-Autorin schickt sich an, Lauterbach mit ihrer Tournee durch die Talk-Show-Studios der Republik den Rang abzulaufen. Das beruhigt, denn das lose Kieler Mundwerk hat nicht nur einen höheren Unterhaltungswert – und der ist in Talk-Shows zweifellos gefragt. Wie Palmer bringt Gaschke den Pragmatismus unerschrocken auf den Punkt und fällt deshalb im Panik-Orchester des Medienstroms auf. Das sichert eine Chance aufs Überleben im medialen Haifischbecken.
Hoffentlich entpuppen sich viele als „One Hit Wonder“
Das waren die TOP TEN des Monats. Kommen wir zu den Neuvorstellungen: Wie gesagt, Angela Merkel können Sie nicht mehr wählen. Unter „Ferner liefen“ notiert etwa Amazon-Gründer Jeff Bezos, der die Fußgängerzonen dieser Welt von den monotonen Ketten von Adler über Douglas, H&M bis hin zu Zara und von den gleichförmigen Filialen der Systemgastronomie befreit. Das nennt Schumpeter schöpferische Zerstörung. Hubertus Heil, welch ein Name für einen Sozialdemokraten aus Braunschweig, der den gnadenlosen Kampf gegen die Büroimmobilien dieser Welt qua Home-Office begonnen hat.
Der saarländische Ministerpräsident mit dem bezeichnenden Nachnamen Hans, dessen Wirkungsgebiet die Größe eines Landkreises in Vorpommern hat (Hinterpommern gehört schon zu Polen.) Die Reihe ließe sich endlos fortsetzen. Auch Küstenbarbie Manu Schwesig mit ihrem rigiden Corona-Regime ist unter den Neuvorstellungen und punktet mit der hohen Impfquote.
Das war sie wieder, Ihre Achgut.com-Hitparade im Zeeettt-Deeee-Efffff. Den schnell gesprochenen Abspann überlassen wir ehrfurchtsvoll dem Donnerhall von Dieter-Thomas Heck seligen Angedenkens.
Doch die Rolle einer Hitparade ist ja gerade, die im Moment besonders erfolgreichen Songs zu promoten. In der Hoffnung, dass sich möglichst viele und vor allem die richtigen nicht als Evergreens, sondern als „One Hit Wonder” entpuppen.