Der Weg von der Dritten zur Ersten Welt ist weit, mühsam und steinig. Trotzdem haben ein paar Länder es geschafft. Andersherum geht es leider viel schneller. Südafrika macht es vor, Deutschland eifert nach.
Ich wuchs in einem der stärksten Volkswirtschaften der Welt (Deutschland) auf und nahm die funktionierende Wirtschaft eines Industrielandes als Selbstverständlichkeit hin. Fast 25 Jahre lebte ich nach dem Abitur in einem Schwellenland (Südafrika), was sich, anders als die meisten Schwellenländer, nicht vorwärts, sondern rückwärts entwickelte. Die typischen Dritte-Welt-Länder in Afrika, Asien und Südamerika kenne ich von verschiedenen Freiwilligendiensten und Reisen.
Nur wenige Länder haben es geschafft, von der Liga der Dritten in die Liga der Ersten Welt aufzusteigen, sprich von traditionell geprägten Agrarstaaten zu modernen Industriestaaten. Japan war das erste, ansatzweise schon im 19. Jahrhundert, später, nach dem 2. Weltkrieg, folgten die „Tigerstaaten“ Asiens wie Taiwan, Singapur, Hongkong und Südkorea. Einige andere Staaten Asiens sind mittlerweile Schwellenländer, wie Indien, Indonesien und Malaysia, sprich, dort gibt es rasante Entwicklung und Modernisierung, allerdings auch immer noch viel Armut und Ungleichheit. Dazu muss gesagt werden, dass wenige sich aus eigener Kraft entwickelt haben und viel der Entwicklung massiven Investitionen von außen, aus dem Westen oder China, zu verdanken ist.
In Afrika gab es im späten 20. Jahrhundert nur ein Industrieland, nämlich Südafrika. Ohne zu sehr in die ganze Apartheid-Debatte einsteigen oder die Ungerechtigkeiten der damaligen Wirtschaftsordnung beschönigen zu wollen, muss gesagt werden, dass das Land, auch dank der Sanktionspolitik, in der Lage war, fast alles, was es benötigte, selbst herzustellen. Not macht erfinderisch, könnte man sagen.
Außer Konsumgütern stellte Südafrika zahlreiche Maschinen her, Autos unter Lizenz, moderne Waffen, hatte ein modernes Bank- und Versicherungswesen, eine gute Transportinfrastruktur und dergleichen. In den Städten mit ihren großen Einkaufszentren, breiten Boulevards, Gewerbegebieten und schmucken Vorstädten sah es nicht viel anders aus als in Australien oder den USA.
Natürlich wurde Südafrikas Gesamtbilanz heruntergezogen von den armen Gegenden, wo die selbstregierten Homelands der schwarzen Völker liegen, allerdings regierten dort eben Autokraten, die nicht ihre Länder aufbauen, sondern sich selbst bereichern wollten. Anders als in den echten Dritte-Welt-Ländern, wie das gesamte Afrika zwischen Limpopo (Südafrikas Grenzfluss zu Zimbabwe) und der Sahara, gibt beziehungsweise gab es in Südafrika die Errungenschaften der Ersten Welt in der Fläche, nicht nur im Geschäftsviertel der Hauptstadt. Mehr noch, es waren südafrikanische Produkte und südafrikanische Geschäfte.
Überschwängliche Bewunderung für deutsche Marken
Außerhalb Südafrikas ist in Afrika überall das gleiche Bild: In einem Dorf oder einer Kleinstadt ist irgendwo an der Hauptstraße ein kleiner, staubiger Laden, der wahlweise von Indern/Pakistanern, Chinesen oder Arabern betrieben wird und wo es eingeführte Billigware, Handyzubehör, Textilien und Konservendosen zu kaufen gibt. Ansonsten verkaufen afrikanische Frauen auf Decken oder Klapptischen im Freien etwas Obst und Gemüse oder Holzschnitzereien, so ziemlich das Einzige, was lokal produziert wird. Fabriken gibt es, wenn überhaupt, in der Haupstadt, und es sind ausnahmslos ausländische Firmen, die etwas mit niedrigem Technologieeinsatz für den lokalen Markt produzieren, etwa Softgetränke oder Baumaterial.
Woher dieser Zustand kommt, wie viel Kolonialismus, ungerechte terms of trade und hohe Zölle oder korrupte Eliten und die afrikanische Mentalität dafür verantwortlich beziehungsweise wie stark die verschiedenen Faktoren zu gewichten sind, ist eine endlose Debatte, für die hier nicht der Platz ist. Es geht vielmehr darum, dass diese Art Wirtschaft weltweit der Normalfall ist und eine hochentwickelte und -spezialisierte Wirtschaft wie in Deutschland die Ausnahme.
Die immer wieder im „globalen Süden“ geäußerte überschwängliche Bewunderung für deutsche Marken wie Audi, Mercedes, Bosch, AEG, Bayer, Stihl et cetera fand ich damals etwas nervend (zumal ich es schade fand, dass im Gegensatz dazu Goethe oder Beethoven nur wenigen Intellektuellen ein Begriff sind), inzwischen ist mir klar, wie speziell die deutsche Begabung für Erfinden, Verbessern und gewissenhaftes Herstellen und Verkaufen von vor allem technischen Erzeugnissen ist, auch wenn mir selbst das technische Interesse oder die Begabung zum Tüftler oder Ingenieur abgeht. England war zwar Erster mit der industriellen Revolution und vielen Erfindungen, geriet aber dann im späten 19. Jahrhundert (der sogenannten Gründerzeit) gegenüber Deutschland ins Hintertreffen und hat nie wieder aufgeholt. Trotz massiver, auch selbstverschuldeter Rückschläge wie dem Ersten und Zweiten Weltkrieg, Hyperinflation und Wirtschaftskrise blieb die Basis der (west)deutschen Industrie bestehen und ermöglichte das Wirtschaftswunder und das – von kleinen Abschwüngen abgesehen – unaufhaltsame Wirtschaftswachstum danach.
Der Weg der Deindustrialisierung
So wie der Weg von Entwicklungsland zu Schwellenland zu Industrieland möglich ist, ist es leider umgekehrt auch möglich. Bisher gibt es noch nicht viele Vorbilder, aber eine traurige Ausnahme ist das oben beschriebene Südafrika. Erstmal gab es – nach dem Ende der westlichen Herrschaft – eine Scheinblüte durch Globalisierung (und niedrigere Zinsen): Ein aufblühender Tourismus, steigende Einfuhren von Konsumgütern, erst aus Europa, dann immer mehr aus China, dazu eine steigende Ausfuhr von Mineralien zur Zeit des Commodity Super Cycle (sprich des Rohstoffhungers Chinas während seiner Wachstumsphase) in den Nullerjahren des 21. Jahrhunderts.
Allerdings ist eine Wirtschaft, die auf Einnahmen aus Rohstoffexporten und Tourismus gebaut ist, typisch für die Dritte Welt: Geringe Wertschöpfung, niedrige Löhne, geringe Arbeitssicherheit und anfällig für Schwankungen. Die Industrie ist noch da, aber ihr Anteil am Bruttoinlandsprodukt (13 Prozent) und an der Beschäftigung (18 Prozent) geht zurück, und etliche große und kleine Firmen wurden von ausländischen Konzernen aufgekauft und rationalisiert. Die Gründe für die De-Industrialisierung sind vielfältig:
- Abhängigkeit von China: Gerade durch seine BRICS-Mitgliedschaft, die Südafrika viel internationalen Status und entsprechende Selbstüberschätzung gibt, wird das Land immer mehr zur Kolonie von China, mit dem man nicht nur wirtschaftliche, sondern auch politische Bande hat. Unter Kommunisten fühlen sich die Mitglieder des regierenden ANC immer wohl, schließlich wurden sie in der Verbannung zu Kommunisten ausgebildet und sind es im Herzen noch immer.
- Wie oben beschrieben, hat Südafrika seine industrielle Basis zerstört durch Einfuhr fast sämtlicher, selbst der einfachsten Konsumgüter, die man früher selbst hergestellt hat, um im Gegenzug immer mehr Mineralien auszuführen. Das ist nicht nur schlecht für den Arbeitsmarkt, sondern auch für die Lieferketten: Gerade zur Zeit von Corona hat man gemerkt, wie schlecht es ist, wenn man von China abhängig ist.
- China wurde übrigens von den ganzen einschränkenden Arbeits- und Investitionsbestimmungen (Stichwort Affirmative Action, Black Economic Empowerment), die für westliche Investoren gelten, ausgenommen, Chinesen sozusagen zu Ehren-Schwarzen erklärt.
- Unzuverlässige und teure Energie: Anders als in Deutschland war es hier nicht eine gewollte Verknappung durch Abschalten moderner Kern- und Kohlekraftwerke, sondern bei rasant steigendem Bedarf wegen Bevölkerungswachstum, (einschließlich Masseneinwanderung aus dem Rest von Afrika) wurden die bestehenden Kraftwerke nicht instandgehalten und sank deren Leistung entsprechend, auch wurde in über 20 Jahren nur ein einziges Kraftwerk neu gebaut. War Südafrika zu Beginn des Jahrtausends einer der günstigsten Stromanbieter, ist es mittlerweile einer der teuersten im globalen Süden.
- Vergraulen von Investoren: Investoren, ob bestehende oder neue, ob im Inland oder aus dem Ausland, werden durch zahlreiche Faktoren vergrault: Eine horrende Kriminalität, was zu erhöhten Sicherheitsausgaben für Firmen führt; eine uneffektive und langsame Bürokratie und immer neue Vorschriften und Regularien, vor allem zur Anstellung und Beteiligung von sogenannten vorhin benachteiligten Personen, sprich alle außer weißen Männern, mit den entsprechenden Kosten für unzählige Workshops, Beauftragte, Broschüren etc. zu dem Thema; Unsicherheit zur Eigentumslage, da Enteignungen auch ohne Entschädigungen möglich sind, wenn die Regierung es für nötig achtet (Zimbabwe lässt grüßen). Die ausufernde Korruption tut ihr übriges.
Klingt das alles irgendwie bekannt?
Natürlich fällt Deutschland von einem viel höheren Niveau und auch langsamer. Selbst eine rot-grüne Regierung ist nicht so schädlich wie eine sozialistische ANC-Regierung, die im Gegensatz zu rot-grün nicht abgewählt werden kann wegen eines quasi-Monopols auf die Macht, an der auch die heutige Koalitionsregierung mit neun (!) weiteren Koalitionspartnern nichts ändert.
Deutschland hat immer noch viele fähige Verwaltungsbeamte, die noch ein Arbeitsethos haben und der Korruption nicht anheimfallen. Trotzdem, Quotenanstellungen um der Quote willen und Seilschaften hauptsächlich links-grüner Prägung in vielen Behörden, NGOs, Medienhäusern und der Kulturszene sind nicht gerade förderlich für Leistung und Verpflichtung gegenüber dem Bürger und dem Land, eher als gegenüber einer Ideologie.
Was allerdings für beide Länder gilt: Der Verfall nimmt exponentiell zu. Erst sind es kaum fühlbare atmosphärische Veränderungen, ein paar einzelne Anekdoten, aber bald überschlagen sich die negativen Ereignisse derart, dass man gar nicht mehr schnell genug darauf reagieren kann und eins zum anderen führt: Hier wandert ein Großbetrieb ab, da werden Massen entlassen, hier wird ein Minister der Korruption überführt, ohne deswegen zurückzutreten, da stürzt eine Brücke ein, dort wird gemeldet, dass ein Großteil der Eisenbahn oder der Armee nicht mehr funktionsfähig ist.
Die Regierenden verlieren zunehmend den Willen und die Fähigkeit zum Gegensteuern und kaschieren dies mit immer mehr und immer größeren Gipfeln zu diesem und jenem Problem, wo dann im Wesentlichen geredet, gefordert, gelächelt und gegessen wird, bevor eine Absichtserklärung verabschiedet wird, die nie umgesetzt wird.
Für Kritik, auch konstruktive, ist man immun, reagiert reizbar: Kritiker sind wahlweise immer Rassisten, Ewiggestrige, alte weiße Männer, die ihre Privilegien behalten wollen, Rechte, Nazis usw. Zur Selbstvergewisserung lassen sich auch immer wieder mittels Vorfeldorganisationen regierungstreue Massen gegen eine Politikveränderung mobilisieren.
Sebastian Biehl, Jahrgang 1974, arbeitet als Nachrichtenredakteur für die Achse des Guten und lebt, nach vielen Jahren im Ausland, seit 2019 mit seiner Familie in Berlin.