Wir hören immer häufiger von Messerstechereien. Obwohl in der betreuenden Berichterstattung meist peinlich genau darauf geachtet wird, nicht durch die Erwähnung oder Andeutung der Herkunft der Messerstecher Vorurteile zu schüren, verbreiten sich selbige. Deshalb ist hin und wieder eine fundierte journalistische Einordnung vonnöten.
„Im Verlauf der Auseinandersetzung zückte der 17-Jährige ein Messer und stach auf seinen Kontrahenten ein. Dabei traf er diesen am Oberkörper. „Der Junge wurde in einem Krankenhaus stationär aufgenommen“, so Karlstedt. Der Täter konnte fliehen. „Der 17-Jährige ist uns aber namentlich bekannt, er wohnt in Halle“, sagte der Polizeisprecher. Zeugen der Tat konnten Hinweise geben. Bei dem 17-jährigen Täter soll es sich laut Polizei um einen Syrer handeln, bei dem Opfer um einen Deutschen.
Es ist eine Nachricht, wie sie in den letzten Jahren häufiger vermeldet werden musste. Diese kam nun aus Halle, der Heimat der Mitteldeutschen Zeitung. Vielleicht deshalb nahm die Zeitung die aktuellste bekannt gewordene Messerstecherei der Stadt zu Jahresbeginn zum Anlass, das Thema Messerstechereien für ihre Leser wieder einmal richtig einzuordnen: „Nur weil in dem aktuellen Fall ein Syrer der Täter war, heißt es nicht, dass alle Syrer mit einem Messer herumlaufen“, zitiert sie beispielsweise den Vorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei in Sachsen-Anhalt (GdP), Uwe Bachmann. Um solche Behauptungen aufstellen zu können, müsste es erst einmal verlässliche Statistiken geben, die es aber nicht gäbe. Deshalb sei auch die Behauptung, dass immer mehr Messerdelikte zu verzeichnen wären, gar nicht beweisbar. Dass immer häufiger von solchen Ereignissen berichtet werde, bedeute zunächst einmal gar nichts. Das passende Zitat kommt wieder vom Gewerkschafter Bachmann: „Die subjektive Wahrnehmung ist innerhalb der Gesellschaft im Bezug zu Messerattacken sehr viel stärker geworden."
Es liegt an der Verrohung, oder?
Also liegt es nur an der subjektiven Wahrnehmung? Offenbar nicht so ganz. Auch Bachmann darf in dem zitierten Artikel einräumen, dass es nach seiner Wahrnehmung eine „marginale Zunahme“ an Messerdelikten gäbe und dass Jugendliche schneller zu einem Messer griffen, als es früher der Fall war. Und dafür gäbe es auch eine klare Ursache: Das liege vor allem an einer Verrohung. Woher kommt nun aber die Verrohung? Darauf wird an dieser Stelle nicht weiter eingegangen. Wahrscheinlich wäre die Antwort bei der richtigen Einordnung der sich hierzulande etablierenden Konfliktklärungskultur mittels Stichwaffen nicht hilfreich.
Hilfreich ist aber immer der bei solchen Themen beinahe unvermeidliche Kriminologe Christian Pfeiffer, ehemaliger Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen. Er weiß: „Solche Angriffe sind nicht überraschend – auch nicht, dass Flüchtlinge Messer bei sich führen." Sie hätten sich teilweise zum Schutz auf der Flucht mit Messern bewaffnet, wird er von der Mitteldeutschen Zeitung weiter zitiert: „Dass sie diese hier nicht brauchen, müssen sie erst begreifen – die Abrüstung kann lange dauern.“
Die Abrüstung auf Deutschlands einst friedlicheren Straßen kann lange dauern, erklärt der Experte. Das heißt wahrscheinlich in klares Alltagsdeutsch übersetzt: Gewöhnt euch dran, dass Messerstechereien jetzt zum Alltag gehören. Deshalb ist es wahrscheinlich auch vollkommen überflüssig, die Frage zu stellen, wie es denn so schnell zu der Aufrüstung kommen konnte, die jetzt eine lang dauernde Abrüstung nötig macht.
An solch destruktiver Art des Journalismus will sich die Mitteldeutsche Zeitung selbstverständlich nicht beteiligen, sondern sie blickt mit dem Polizeigewerkschafter pragmatisch voraus auf die Maßnahmen, mit denen der wachsenden Messer-Gefahr jetzt begegnet werden kann: Es sei wichtig, „dass Kinder schon in der Schule für die Gefahren sensibilisiert werden, die von Messern ausgehen und ihnen deutlich wird, dass diese gefährliche Waffen sein können“.
Außerdem wird ja langsam abgerüstet, obwohl wir hier nicht erfahren haben, wer das durchsetzen soll. Vielleicht die für Gefahren sensibilisierten Kinder, wenn sie erwachsen sind.
Der Beitrag erschien auch hier auf sichtplatz.de