Donald Trump, so meinen viele, ist nicht bekannt dafür, dass er sich beraten lässt. Und wenn ihn jemand trotzdem beeinflusst, so geht die Rede, dann handelt es sich um Leute, die entweder extremistisch, unerfahren, dumm oder anderswie charakterlich ungeeignet sind. Wie zum Beispiel Stephen Miller, der Mann, dem man nun die zunächst harte Haltung des amerikanischen Präsidenten gegenüber illegalen Immigranten und deren Kindern zuschreibt.
Bereits wurde Millers Rücktritt verlangt. Was Anfang der Woche zu einem internationalen Sturm der Empörung geführt hatte, ist zwar inzwischen von Trump leicht korrigiert worden – statt in separaten Internierungslagern werden die Kinder nun zusammen mit ihren Eltern in Gefängnissen eingesperrt, was ein so großer Unterschied nicht ist. Und wenn auch manche Kritiker jubilieren, Trump habe zum ersten Mal nachgegeben, also eine Niederlage erlitten, herrscht nach wie vor der Eindruck eines Staatsmannes vor, der sich erstens unbeirrbar in den Abgrund stürzt, und der sich zweitens dabei von radikalen Außenseitern inspirieren lässt.
Ich habe vor wenigen Wochen einen dieser angeblichen Extremisten und Anfänger in Washington getroffen. Der Mann heißt Ed Feulner, er war jahrzehntelang Präsident der Heritage Foundation, eines konservativen Think Tanks; er berät Trump – und widerlegt eigentlich fast alles, was man sich hier in Europa zusammenreimt, wenn es um Trump geht, den erstaunlichsten und brutalsten Präsidenten der Vereinigten Staaten seit vielen, vielen Jahren.
Wer Feulner aufsucht, begibt sich ins Zentrum der Macht, im doppelten Sinne: Sein Büro befindet sich in einem schmucken Stadthaus in der Nähe des Kapitols, des amerikanischen Parlaments, das auf einem Hügel thront wie ein römischer Tempel, ein gewaltiger, imperialer Bau, der deutlich macht, wie bewusst es den Amerikanern schon früh gewesen sein muss, dass sie einst zu einer Weltmacht aufsteigen sollten.
Freund von Präsidenten und Mechaniker der Macht
Das Parlament wurde im 19. Jahrhundert errichtet, als viele Amerikaner noch im Wilden Westen in Holzbuden hausten. Feulners Büro ist voll von Büchern – und von Fotos, die ihn mit den Mächtigen dieser Welt zeigen: Feulner und Reagan, Feulner und Thatcher, Feulner und George W. Bush, Feulner und Kissinger. Er begrüßt mich mit jener unvergleichlichen, unkomplizierten Höflichkeit und Wärme, wie sie so manchen Amerikaner auszeichnen; er weist mir einen tiefen Stuhl zu, hört geduldig und auch belustigt zu, als ich seine zahllosen Bücher lobe, worunter sich auffällig viele historische Werke befinden. Ob er alle gelesen habe, will ich wissen. „Fast alle“, entgegnet er, und fügt an, dass er sich, obwohl ein Ökonom, schon immer für Geschichte interessiert habe. Wer davon nichts verstehe, habe keine Ahnung, wie man in der Politik etwas erreicht.
Davon kann im Fall von Feulner nicht die Rede sein. Nur wenige Nicht-Politiker haben in den letzten Jahrzehnten mehr Einfluss auf die amerikanische Politik genommen als Feulner, der Freund von Präsidenten und Mechaniker der Macht. Als junger Doktor der Ökonomie gründete er 1973 die Heritage Foundation, eine Art konservative Beeinflussungs- und Studienagentur, die sich zum Ziel setzte, direkt auf die Kongressabgeordneten einzuwirken. Als Verkaufsargument galt: Wir reden mit Ihnen, und wir machen Ihre Hausaufgaben – was unter anderem bedeutete, dass die Heritage Foundation zu allen wichtigen Geschäften des Kongresses sehr kurze Papers verfasste, die so kurz waren, dass die Parlamentarier sie auf dem Heimweg im Flugzeug lesen und memorieren konnten. Das war damals eine neue Geschäftsidee, inzwischen tun das alle Think Tanks: vereinfachen, vereinfachen.
Das hieß auch, dass es die Heritage Foundation verstand, konservative Politik auf drei, vier Maximen zu reduzieren und diese so oft zu wiederholen, dass sie kein Republikaner mehr je vergass: freie Märkte, schlanker Staat, maximale Freiheit für das Individuum, starke Verteidigung, traditionelle, amerikanische Werte – das waren die Grundsätze, die jedes Papier und jede Untersuchung anleiteten, das sind die Grundsätze, die die Heritage Foundation bis heute prägen. Hier einige Fragen und Antworten aus dem Gespräch mit Ed Feulner.
Frage an Ed Feulner:
Donald Trump gilt nicht unbedingt als ein Mann, der sich beraten lässt. Wie ist Ihre Erfahrung?
Ed Feulner:
Als Donald Trump im November 2016 zum Präsidenten gewählt wurde, schickten wir ihm einen Bericht mit 321 politischen Empfehlungen, die wir aus einer konservativen Sicht für dringend und nützlich hielten, ebenso suchten wir das Gespräch mit diversen Entscheidungsträgern seiner Regierung. Schliesslich erhielt auch ich die eine oder andere Gelegenheit, mit ihm zu sprechen. Das war stets ein sehr guter Austausch. Inzwischen zogen wir Bilanz und stellten fest, dass Trump nach bloss einem Jahr sage und schreibe 64 Prozent der 321 Empfehlungen umgesetzt hat. Das ist ein Rekord. Nicht einmal Ronald Reagan, den ich gut kannte, brachte in der gleichen Frist mehr zustande.
Woran liegt das?
Um seine Ziele zu erreichen, war Reagan in grösserem Ausmasse gezwungen, Gesetze zu revidieren, was gemeinhin viel mehr Zeit in Anspruch nimmt. Trump kann rascher agieren. Er profitiert davon, dass sein demokratischer Vorgänger Barack Obama sehr wenige Dinge über den Kongress verwirklicht hat: weil er die Zusammenarbeit mit dem Parlament mied, wurden wenige Gesetze beschlossen, stattdessen erliess Obama sehr viele präsidiale Verfügungen, die sein Nachfolger Trump ohne Federlesens beseitigen kann. Das hat er getan. Das Ergebnis ist atemberaubend: Trump und seine Regierung haben sehr viele unnötige Regeln und Weisungen aufgehoben, es ist eine beispiellose Deregulierung eingeleitet worden, ob in der Energie-, Umwelt-, Finanz- oder Wirtschaftspolitik, was unsere Unternehmer im wahrsten Sinne des Wortes entfesselt hat. Die amerikanische Wirtschaft wächst dieses Jahr wohl um rund drei Prozent, was man unter Obama für unmöglich hielt, die Arbeitslosigkeit liegt so tief wie seit 18 Jahren nicht mehr, wir haben mehr offene Stellen als Bewerber, ja selbst Latinos oder Schwarze sind so wenig von Arbeitslosigkeit betroffen wie seit langer, langer Zeit nicht mehr.
Donald Trump hat inzwischen einen Handelskrieg mit China und Europa ausgelöst. Das dürfte diesen Aufschwung ruinieren.
Die Heritage Foundation hat sich immer für den freien Handel ausgesprochen, wir wenden uns gegen jegliche Art von Protektionismus, dabei bleiben wir. Tatsache ist aber auch, dass manche Länder, insbesondere China, sich bisher nicht an die Regeln gehalten haben. Zwar reden diese Konkurrenten der USA von Freihandel, in Tat und Wahrheit schützen sie ihre eigenen Binnenmärkte mit allerlei unfairen Massnahmen. Wenn Donald Trump das Ziel hat, diesen Missstand zu beheben, dann kann ich das nur unterstützen. Um Trumps Handeln zu verstehen, das manche Kritiker als sprunghaft und unberechenbar betrachten, empfehle ich Ihnen sein Buch "The Art of the Deal", "Die Kunst des Verhandelns". Nichts klärt Sie besser über Trump auf: Trump ist kein Politiker, sondern ein Unternehmer, der es gewohnt ist, mit harten Bandagen zu kämpfen. Drohung, Gegenmassnahme, Verhandlungsabbruch, Bluff – mit dem ganzen Arsenal der Unfreundlichkeiten hat zu rechnen, wer mit ihm zu tun hat. Viele Politiker, gerade in Europa, haben das noch nicht ausreichend begriffen.
Wenige kennen in der Hauptstadt so viele wie er
Ed Feulner ist heute 76 Jahre alt, was man ihm nicht ansieht. In Chicago aufgewachsen, stammt er aus einer katholischen, deutschen Familie. Seine Grosseltern waren einst nach Amerika eingewandert, deren Sprache beherrscht er aber nicht mehr. Er absolvierte ein College in Colorado, das die Jesuiten betrieben, dann besuchte er die renommierte Wharton Business School, schliesslich promovierte er an der Universität von Edinburgh in Schottland. Nach wie vor zählt er zu den wichtigen Akteuren konservativer Politik in Amerika. Wenige kennen in der Hauptstadt so viele wie er, wenige bewegen so vieles wie dieser alte, kluge, milde Mann.
Feulners Aufstieg hing eng mit jenem von Ronald Reagan zusammen. Obwohl dieser bereits Gouverneur von Kalifornien war, galt er als Aussenseiter, als er sich in den 1970er-Jahren um die Präsidentschaft bewarb. Feulner war genauso ein Newcomer, und es lag wohl daran, dass er sich sogleich um Reagan bemühte. Ausgestattet mit einer feinen Witterung für kommende, konservative Männer bot sich Feulner und seine Heritage Foundation dem stets bestens gelaunten, blendend aussehenden Schauspieler aus Hollywood sogleich an: Sie schlugen den Kandidaten zur Wahl vor, sie führten Reagan in Washington ein, sie glaubten an ihn – was Feulner um so leichter fiel, weil er schon früh, bereits als Student, sich jener Bewegung angeschlossen hatte, die in den 1960er-Jahren eine Art konservativer Revolution von unten auslösen sollte.
Feulners Held war damals Barry Goldwater, der unglückliche Präsidentschaftskandidat des Jahres 1964, ein intensiver Konservativer, der vom damaligen demokratischen Amtsinhaber Lyndon B. Johnson in den Wahlen geradezu massakriert wurde. Ausgerechnet dieser Goldwater, der Versager und Verlierer, war der Held von Feulner – und er war auch der Held von Reagan. Als dieser im Jahr 1981 ins Weisse Haus zog, nistete sich die Heritage Foundation zumindest virtuell dort ebenfalls ein: kein Think Tank spielte in der nun anbrechenden Reagan Revolution eine prominentere Rolle und nur wenige Berater hatten das Ohr von Reagan wie Ed Feulner.
Wer Trump beeinflussen will, erinnert ihn an Reagan
Wer Trump beeinflussen will, so erzählt man sich in Washington, der erinnert ihn mit Vorteil an das Vorbild Reagan, den er selbst erlebt hat und bewundert. Hat Reagan etwas gemacht, und man weist Trump darauf hin, so besteht eine grosse Chance, dass Trump es sogleich ebenso tut. Daran mag es liegen, dass die Heritage Foundation, Reagans Think Tank sozusagen, in der Trump Administration abermals zu grossem Einfluss gelangt ist. Manche Mitglieder des Kabinetts verdanken ihre Nominierung der Heritage Foundation, die Trump mit zahllosen Namen versorgt hat. Dass Mike Pompeo, der neue Aussenminister, eine wichtige Rede über die Politik gegenüber Nordkorea unlängst in den Räumen der Heritage Foundation gehalten hat, passt in dieses Bild. Eine grosse Ehre, ein Coup. Feulner berichtet davon mit einer gewissen Genugtuung, ohne überheblich zu wirken.
Trump ist ein "Disruptor", erklärt er, ein Zerstörer also des Status quo. Er bricht auf, was allzu lange allzu unbeweglich schien. Das macht ihn nicht unbedingt liebenswürdig – aus Sicht jener, die sich für Insider halten und ihre Macht zu verteidigen haben. Doch irrt, wer in Trump einzig den Aussenseiter und Revolutionär sieht. Im Hintergrund regiert das konservative Establishment längst mit. Feulner selbst ist alles andere als ein Aussenseiter. Er ist weder extremistisch, noch dumm, er besitzt Erfahrung wie kein Zweiter. Er berät den Unberatbaren. Und er glaubt an den Erfolg von Donald Trump.
Anfang Woche wurde bekannt, dass Trump gemäss einer Gallup–Umfrage inzwischen so beliebt ist wie Barack Obama zur gleichen Zeit seiner Präsidentschaft.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der Basler Zeitung