Ein Jahrestag ist mir 2017 durchgerutscht, wie wahrscheinlich viele, der Todestag einer Frau: Gerda Taro. Sie starb vor 80 Jahren, am 26. Juli 1937, einen Tag, nachdem sie auf der Flucht von einem Panzer der „eigenen“ Truppen überrollt worden war, für die sie in der Rolle arbeitete, die man heute vielleicht die eines embedded photographer nennen würde: im Spanischen Bürgerkrieg.
Der tragische Unfall beendete das Leben und die Karriere der 1910 in Stuttgart geborenen Frau, und begraben liegt sie auf dem Friedhof Père Lachaise, wie auch Jim Morrison, ein anderer aus dem vorwiegend für Musiker reservierten „27 Club“. Zu Lebzeiten trat Taro emanzipiert und burschikos auf, schlank, drahtig, in Kurzhaarfrisur und Leinenhosen. Wie ihren noch berühmteren Lebensgefährten Robert Capa interessierte sie an der Fotografie vor allem die Nähe zum Motiv. Capa schrieb: Wenn deine Bilder nicht gut genug sind, warst du nicht nah genug dran.
Die Nähe zum Motiv, das war für Gerda Taro im Spanischen Bürgerkrieg eine doppelte: Nah am Kampfgeschehen, nah am Internationalismus, dem sie sich wie viele Intellektuelle verschrieben hatte. Ihr prominentester Vertreter war Ernest Hemingway, Macho, Sozialist, Soldat, Schriftsteller, der die wohl eindrucksvollsten Berichte aus dem Spanischen Bürgerkrieg hinterlassen hat: „Wem die Stunde schlägt“ und die großartige, für ihn fast schon irrational pazifistische Kurzgeschichte „Alter Mann an der Brücke“: Eine Katze kann für sich selbst sorgen, aber was wird aus den anderen?
Taro war wie eine Katze. Ihre Eltern stammten aus Galizien, kannten Judenverfolgungen nicht nur vom Hörensagen, und Deutschland war für Taro kein sicherer Ort mehr. Was lag also näher, als in Spanien fotografierend gegen den Faschismus zu kämpfen wie ihr ungarisch-jüdischer Lebensgefährte Capa?
Die Wahl zwischen Teufel und Beelzebub
Diese Internationalisten waren Kommunisten, häufig genug solche stalinistischer Prägung. Dass die seit 1936 laufenden Schauprozesse Stalins auch Juden trafen, dass andere sowjetische Juden in eine autonome Republik verfrachtet wurden, das blendete wohl auch Taro aus, vielleicht zu Recht; eine autonome Republik mag unfreiwillige Heimat werden, mit einem Gestapokeller oder einem Konzentrationslager kaum zu vergleichen. So setzten viele damals ihre Hoffnungen auf Stalin, das Peperl, das Jean Améry in seinem Buch „Unmeisterliche Wanderjahre“ so hellsichtig-zwiespältig beschreibt. Stalins Judenverfolgungen sollten bis in die frühen 1950er Jahre andauern.
Juden in Europa hatten damals die Wahl zwischen Teufel und Beelzebub. Gerda Taro entschied sich, auf der Seite der Republik gegen die Anhänger Francos und ihre deutschen Unterstützer zu kämpfen, mit dem Fotoapparat. Taro bevorzugte die Leica, Capa die Contax II. 35-mm-Kinofilm war damals in der Fotografie noch relativ neu, eine technische Sensation, schnell und bequem, ideal für dokumentarische Fotografie, Schnappschüsse und Reportagen, Kriegsfotografie.
So entstanden aus beider Werk einige der beeindruckendsten, geradzu ikonenhaften Fotografien des Spanischen Bürgerkriegs. Taro war Capa aus beinahe jedem Blickwinkel ebenbürtig, sein weibliches alter ego. Es muss eine große Liebe gewesen sein. Capa geriet später mit seinem berühmtesten Foto in den Verdacht der fake news, und er starb, wie Taro, durch einen Unfall im Indochinakrieg. Er trat auf eine Landmine.
Der „mexikanische Koffer” mit tausenden Negativen
Capas ikonisches Foto des sterbenden Soldaten war einmal eines der Leitmotive der Linken. Die einen setzten es jahrzehntelang für die Inanspruchnahme des eigenen Antifaschismus ein: In der DDR war es eine Art Adelstitel, ein „Spanienkämpfer“ gewesen zu sein. Andere überschrieben es mit „Nie wieder Krieg!“ und fanden es pazifistisch. Vielleicht zu Recht changierte Capas Foto so zwischen den gleichen Polen wie das Werk Hemingways. Ich habe keinen Krieg erlebt. Dennoch: Tapferkeit, Verbrechen und Ekel, zuweilen sogar Bestürzung über sich selbst, sind seine nahezu unvermeidlichen Begleiterscheinungen. Taro wie Capa kostete der Krieg das Leben.
Gerda Taro blieb dennoch nahezu 70 Jahre im Schatten Robert Capas, zu Unrecht. Erst im Jahre 2008 tauchte der „Mexikanische Koffer“ auf. Er enthielt einige Tausend Negative aus dem Nachlass Taros. Es folgte nun endlich eine späte Anerkennung ihres Werks, ein bisschen verspäteter Ruhm.
Wieso ich eine „Spanienkämpferin“ feiere, sie gar rühme? Nicht, weil Künstler und Fotografen „links“ sein müssten, was sie sehr oft sind. Sind sie es nicht, dann dienen sie zuweilen dem Autoritären und später noch in seltsamer Kontinuität den Autoritäten, wie Hans Hubmann. Linke Künstler dienten nicht dem Autoritären? Auch das ist ein Irrtum, den Jean Améry erkannte, viele andere nicht. Gerda Taro hatte nicht die Zeit dazu, ihn zu erkennen, und wir wissen nicht, was aus ihr geworden wäre, hätte sie überlebt.
Gerda Taro war eine deutsche Jüdin im Europa der 1930er Jahre. Für irgendetwas musste sie sich entscheiden, Verfolgung und Tod im Nationalsozialismus, Emigration, für den Generalissimus Stalin, für den Kampf gegen den Faschismus des General Franco. Gerda Taro entschied sich für letzteren – und für den eleganten, nachdenklichen Juden Robert Capa.
Sie war jung und wagemutig. Sie starb, während sie noch dokumentieren wollte, was sie sah. So gefährlich in jeder Hinsicht ist es, eine Jüdin zu sein, bis heute. So ist es, wenn du ständig dazu gezwungen wirst, dich zwischen Resignation, Flucht und Wagemut zu entscheiden. Und doch wirft die Erinnerung an Taro eine aktuelle Frage auf: Warum feiern wir jüdische Künstler von gestern und kümmern uns keine 35 Millimeter um das Leben der Jüdinnen und Juden hier und heute?