Burkhard Müller-Ullrich / 01.11.2013 / 10:55 / 3 / Seite ausdrucken

Dicke Freunde - Lagerfeld und die BMI-Herausgeforderten

Karl Lagerfeld wurde von französischen Adipositas-Aktivistinnen angezeigt, weil er im Fernsehen erklärt hatte, daß niemand dicke Frauen auf dem Laufsteg sehen wolle und Übergewichtige der Gesellschaft auf der Tasche lägen.

Es sind die Gene. Es sind die Kalorien. Es sind die Sorgen. Irgendwas ist immer, und schon zeigt die Gesellschaft mit dem Daumen nach unten, weil der Body-Mass-Index die Lagerfeldsche Idealvorstellung sprengt. Wer will schon dicke Frauen auf dem Laufsteg sehen? Und dicke Männer erst? Ja, in anderen Kulturen und anderen Epochen mag das alles anders sein, aber das hilft uns nicht weiter, Rubens ist vor 436 Jahren gestorben, und wir haben unsere Probleme jetzt.

Eines der Probleme ist der Hang zur sprachlichen Verschleierung: Wer Rundungen sagt und Speckwülste meint, verschlimmert die Lage genauso wie diese französische Vereinigung namens „Schön, rund, sexy – und ich stehe dazu“, denn wer da Mitglied wird, steht eben nicht dazu, sondern hofft, das Dazu-Stehen durch das Mitglied-Sein zu lernen. Kein Wunder, daß so eine Vereinigung mit Hilfe des Strafrechts gegen ästhetische Überzeugungen eines Modeschöpfers vorzugehen versucht.

Nun ist das Leiden am Leiblichen eines der großen Menschheitsthemen schlechthin. Die Philosophen denken seit Jahrtausenden über das Verhältnis von Körper und Geist nach, und von den Dicken können sie immerhin eines lernen, nämlich Humor. Gerade weil die Dicken in einer Haut stecken, zu der sie nicht ganz stehen, aber aus der sie nicht können, fallen sie nicht so leicht dem Terror der Identität anheim. Sie haben ein Über-Ich, das auf ihr Moppel-Ich herabschaut und ihm sagt: ‚auf dem Laufsteg will dich keiner sehen, also such´ dir was anderes, um zu glänzen‘. Diese Fähigkeit der Abspaltung und Selbstbetrachtung nennt Sigmund Freud Humor.

Die Dicken verfügen über das kostbare Wissen ihrer Unvollkommenheit, deswegen reden sie niemals solchen Stuß wie die hagere Nervensäge Lagerfeld. Doch leider sind die Körperformdiktate, die Lagerfeld vertritt und verbreitet, auch für die Dicken gültig. Es nützt nichts, die anderen Menschen mit Esprit, Charme und Bildung beeindrucken zu wollen, wenn man schon an der Silhouettenpforte abgewiesen wird. Der Fett-Scanner im Auge eines unbekannten Gegenübers ist animalisch und brutal, dagegen sind Lagerfelds Worte von ausgesuchter Höflichkeit. Und man kann ja nicht gegen jeden, der einen nicht mag, Strafanzeige stellen.

Man kann andererseits auch nicht jeden XXL-Bauch unter einer Burka verstecken. Wir müssen uns also mit der Tatsache ‚Fett‘ irgendwie arrangieren. Und zum Glück hat in Frankreich nicht nur Lagerfeld das Sagen, sondern auch Obelix. Ja, die beiden sollten mal aufeinandertreffen!

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Leserpost

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Armando Richter / 01.11.2013

Als Lagerfeld noch etwas dicklich war konnte man seine Bonmonts noch geniessen. Aber seitdem er so abgemagert ist, das er eine fast ledrige Konsistenz angenommen hat, klingen seine Bemerkungen nur noch schnippisch, hochmütig und hingeschnattert…..Sehr schade…früher hab ich ihm gern zugehört, aber jetzt ist gar nichts mehr an ihm dran….denn seine Mode kontest du schon immer vergessen

Dirk Jäckel / 01.11.2013

@Franz Roth, Sie haben ja Recht. Doch mir ist ein alter Mann, der Unsinn redet, allemal lieber als der Wahnsinn, alles und jeden wegen “Diskriminierung” anzuzeigen, wenn es nur um eine Meinungsäußerung geht, und dabei nicht ausgelacht zu werden. Europa hat in vielerlei Hinsicht eine antiliberale Phase. Was Meinungsfreiheit bedeutet - da müssen wir von den Amis noch viel lernen. Nicht wiederum lernen sollten wir andere freiheitsfeindliche Exzesse von ihnen - wie das neulich wieder von einigen bei uns geforderte Prostitutionsverbot.

Franz Roth / 01.11.2013

Lagerfeld sagte ja nicht nur, dass niemand dicke Frauen auf dem Laufsteg sehen wolle, sondern auch, dass Dicke der Gesellschaft auf der Tasche lägen. Und da stößt er ins gleiche unselige Horn wie die WHO, die Internisten, Kardiologen, das Gesundheitsministerium, die EU und was immer es sonst noch geben möge, was nach dem Rauchen auch gerne noch Zucker und Fett verbieten möchte.

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