Vera Lengsfeld / 23.09.2021 / 14:00 / Foto: Zairon / 12 / Seite ausdrucken

Diagnose aus der dysfunktionalen Hauptstadt

Der „Anfragekönig“ des Berliner Abgeordnetenhauses hat die Berliner Zustände in einem Buch zusammenfasst und das liest sich als verheerende Bilanz einer rot-rot-grünen Regierung.

Marcel Luthe stellte als Mitglied des Abgeordnetenhauses mehr als zehn Prozent aller parlamentarischen Anfragen und deckte damit mehrere Skandale des rot-rot-grünen Senates auf. Mit den Freien Wählern würde der "Anfragenkönig der laufenden Legislatur" nach der Wahl am 26. September gern in Fraktionsstärke ins Berliner Abgeordnetenhaus einziehen. Das ist noch ungewiss, denn momentan stehen die Freien Wähler bei den Umfragen in Berlin bei 4 Prozent. Das ist ein Wert, der aber durchaus Chancen verheißt, als neue bürgerliche Kraft ins Landesparlament einzuziehen.

Ob man nun als Luthe-Wähler in Frage kommt oder nicht, so lohnt sich doch ein Blick in ein Ergebnis seines hartnäckigen Fragens als Abgeordneter, sein Buch „Sanierungsfall Berlin“. Luthe zog als Abgeordneter der FDP ins Hohe Haus ein, wurde den dann doch nicht nicht so freien Demokraten aber bald lästig, weil er seine Aufgabe als Volksvertreter ernst nahm und genau das machte, was zu den Aufgaben von Parlamentariern gehört: der Regierung auf die Finger zu schauen. Es gibt in Berlins rot-rot-grünem Senat jede Menge Anlass, diese Kontrollfunktion sehr ernst zu nehmen. Das sah die FDP anders und trennte sich von dem „Störenfried“. Luthe wechselte zu den Freien Wählern, deren Spitzenkandidat er für die diesjährige Wahl wurde. 

Doch nun zum Buch: Luthe thematisiert darin die regelmäßigen Skandale einer dysfunktionalen Verwaltung, die Pannen rund um den Flughafen BER, den angeblichen Kampf des Senats gegen die organisierte Kriminalität, die offenen Tore der Gefängnisse und Geschlossenen Anstalten, durch die Straftäter und psychisch Kranke ungehindert und oftmals lange unbemerkt hinausspazieren, die skandalösen Zustände an den Schulen, die bereits zum Suizid mehrerer Schüler geführt haben.

„Verantwortungslosigkeitspingpong“

Eine große Stärke des Buches ist, dass Luthe nicht skandalisiert, sondern die Realität nüchtern dem Gesetz und der Verfassung gegenüberstellt und damit den multiplen Gesetzes- und Verfassungsbruch von Rot-Rot-Grün nachvollziehbar macht. Das alles ist sehr gut lesbar geschrieben, so dass die Lektüre spannend wie ein Krimi ist.

Luthes Einzug ins Abgeordnetenhaus korrespondierte mit dem Höhepunkt der Pannenserie des BER. Deshalb machte er sie zum Gegenstand seiner ersten parlamentarischen Anfragen. Er wollte wissen, wer für die millardenschweren Pannen haftet. Die forsche Antwort des Senats lautete: 

„Die rechtlichen Bewertungen und Haftungsaspekte … stellen Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse … dar und können deshalb nicht offengelegt werden. Sie sind dem Untersuchungsausschuss „BER“ als vertrauliche Unterlagen … zur Verfügung gestellt worden.“

Sein Kommentar: 

„Es ist also ein Geheimnis der zu 100 Prozent aus öffentlichen Mitteln finanzierten Flughafengesellschaft [ ] ob und mit welchem Ergebnis die politisch besetzten Aufsichtsräte einen oder zwei Fehler gemacht und ein paar Milliarden Steuergelder verschwendet haben? Kann das sein?“. 

Was in Berlin vonstatten geht, nennt Luthe richtig „Verantwortungslosigkeitspingpong“. Leider herrscht das nicht nur in Berlin, sondern mittlerweile in ganz Deutschland.

Ein Drama für Kinder

Ganz besonders hart betroffen sind Kinder und Jugendliche in den Berliner Bildungseinrichtungen. In der Hauptstadt ist das Bildungsressort seit mehr als 25 Jahren in den Händen der SPD. Das hat nicht nur dazu geführt, dass im deutschen Bildungswettbewerb Berlin 2019 den sechszehnten Platz belegte, also Bummelletzter war, sondern vor allem dazu, dass Gewalt an den Schulen möglichst unter den Teppich gekehrt wird. Zwar gab es vor Jahren den bundesweit wirksamen Aufschrei der Rütli-Schule, der dazu geführt hat, dass sich dort die Zustände etwas gebessert haben, aber das trifft nicht auf die allgemeine Lage zu. Im Jahr 2018 gab es 9.860 Straftaten, das sind umgerechnet 14 Straftaten pro Schule in einem Jahr. Und wie wird damit umgegangen?

An einem altsprachlichen Gymnasium, das als Vorzeigeschule gilt, wurde ein Mädchen von einem Mitschüler gemobbt, geschlagen, sexuell belästigt. In der Hofpause, also unter Aufsicht des Lehrpersonals. Als das Mädchen sich wehrte und ein Lehrer es bemerkte, wurden Täter und Opfer bestraft. Was der Junge dem Mädchen wochenlang angetan hatte, sollte keine Rolle spielen. Erst als die Eltern sich an Luthe um Hilfe wandten, konnte die Versetzung des Täters an eine andere Schule erreicht werden. Die Vorfälle wurden nie protokolliert und gingen in keine Statistik ein.

Im Dezember wurde in der Solling-Oberschule in Berlin-Marienfelde ein jüdischer Junge von Mitschülern gefesselt und mit den Worten bedacht: „Was haben wir hier denn für einen Juden? Ab mit dir ins KZ!“ 

Der Vorfall wurde von der Schule und der Verwaltung vertuscht, bis ein mutiger Schüler mit der Aufschrift auf seinem T-Shirt auf den Skandal aufmerksam machte. Daraufhin gab es einen Brandbrief von Lehrkräften an den Senat, der aber nicht die Abstellung solcher antisemitischen Vorfälle forderte, sondern den Rausschmiss des mutigen Schülers. Die Senatorin verfügte daraufhin die Exmatrikulation. Das Verwaltungsgericht stoppte das allerdings „mangels gesetzlicher Grundlage“. Immerhin.

Luthe wollte daraufhin wissen, ob es eine Registrierung von Gewaltakten an Schulen gäbe. Nein. Senatorin Scheeres war der Meinung, dass „gesellschaftliche Probleme in die Schulen getragen würden“. Das heißt, niemand trägt die Verantwortung dafür. 

Tod nach Drohungen

Diese Verantwortungslosigkeit hat schon Leben gekostet. 

Eine elfjährige Schülerin der Hausotter-Grundschule in Reinickendorf wurde tagtäglich Opfer physischer und psychischer Gewalt. Das Lehrpersonal bemerkte nichts. Nach vier Monaten nahm sich das Mädchen in seinem Kinderzimmer das Leben.

Ein weiterer tragischer Fall ist der des elfjährigen Derek, der die Reinickendorfer Stötzner-Schule besuchte. Der Junge, der in frühester Kindheit Gewalt erleiden musste und sich bei einer liebevollen Pflegemutter gerade davon zu erholen begann, wurde in der Schule gemobbt. Als er wegen der fortgesetzten Angriffe, die vom Lehrpersonal nicht bemerkt wurden, eine Erbsenpistole mit in die Schule brachte, wurde ihm von Vertretern des Jugendamtes Mitte gedroht, ihn von der Pflegemutter wegzunehmen und in ein Kinderheim ins Ausland zu schicken. Derek nahm die Drohung ernst und erhängte sich in seinem Kinderzimmer.

Die Schäden, die an der sozialen und psychischen Verfassung von Kindern und Jugendlichen angerichtet werden sind so immens wie den verantwortlichen Politikern offenbar gleichgültig. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung fand heraus, dass sich ein Viertel der deutschen Schüler an ihrer Schule nicht sicher fühlt. Luthe, der sich offenbar als einziger Abgeordneter mit diesem Problem befasste, wurde jedenfalls Anlaufpunkt für verzweifelte Eltern. Das ist vielleicht der wichtigste Grund, warum dieser Mann wieder ins Abgeordnetenhaus gehört.

Die mangelnde Sicherheit betrifft aber nicht nur Schulen, sondern die gesamte Öffentlichkeit. 

Die Tore der Berliner Justizvollzugsanstalten scheinen offen wie Scheunentore zu stehen. Innerhalb eines Monats sind 2019 zehn Straftäter entwichen. 

Die Offenheit der Anstalten

Als am 27. Mai 1978 der Terrorist Till Meyer – übrigens auch inoffizieller Mitarbeiter der Stasi – von bewaffneten Linksextremisten befreit wurde, trat der damalige Justizsentor Baumann zurück. Justizsenator Behrend von den Grünen klebt an seinem Stuhl. Um weiteren peinlichen Entdeckungen zu entgehen, verstärkte er nicht etwa das Wachpersonal in den Gefängnissen, sondern ließ eine Denunzianten-Plattform installieren. Justizangestellte sollen anonym melden, wenn es kritische Äußerungen ihrer Kollegen, etwa über den Senator, geben sollte. 

Was die offenen Türen der Gefängnisse betrifft, so haben sie ihre Entsprechung in denen der psychiatrischen Anstalten Berlins. Immer wieder entweichen psychisch kranke Triebtäter und gefährden die Berliner. Oftmals sind die Täter schon gefasst, ehe die Anstalt ihren Abgang überhaupt bemerkt hat.

Die Hauptstädter sind aber auch Gefährdungen ausgesetzt, weil verurteilte Straftäter ihre Haft aus Kapazitätsgründen nicht antreten können. Es dauert durchschnittlich 104 Tage bis ein rechtskräftig Verurteilter in Haft ist. Rekord des grünen Justizsenators waren 1.249 Tage, also mehr als drei Jahre, in denen der Straftäter auf freiem Fuß blieb und seine Opfer dauerhaft traumatisieren konnte.

Übrigens wurde auf Luthes parlamentarische Anfrage, wie viele Straftäter in den Jahren 2016 bis 2019 und Anfang 2020 aus Berliner Einrichtungen entwichen sind, geantwortet:

„Hierzu werden im Sozialpsychiatrischen Dienst keine Statistiken geführt, entsprechend kann die Anzahl nicht beziffert werden.“

Das sind nur einige Beispiele aus Luthes Buch, der Bilanz einer ideolgieverliebten und realitätsverleugnenden rot-rot-grünen Regierung.

Marcel Luthe: Sanierungsfall Berlin.

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P. Wedder / 23.09.2021

Schade, dass der Artikel erste heute erschienen ist. In Berlin kenne ich einige Wahlberechtigte, die nicht wussten, was bzw. wen sie wählen sollten. Gerade sein Einsatz für die Kinder, die sonst in Berlin scheinbar gar keine Lobby haben, hätte überzeugt. Leider wurde per Briefwahl schon abgestimmt. Zu spät, leider…

Rolf Mainz / 23.09.2021

Als der (übrigens SPD-)Politiker Heinz Buschkowsky die unglaublichen Zustände in Berlin-Neukölln bereits vor Jahren in Buchform veröffentlichte, erhielt er von einer Parteigenossin die Abfuhr, Deutschland bestehe nicht nur aus Neukölln. Na denn, anscheinend alles gut in den Villenvororten der linken Parteibonzen im roten und grünen Mäntelchen.

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