Oswald Metzger, Gastautor / 25.07.2014 / 11:17 / 4 / Seite ausdrucken

Deutschlands Zufriedenheitsblase

Wir sind wieder an der Spitze. Die Welt beneidet uns rund um den Globus: um unseren wirtschaftlichen Erfolg, die politische Stabilität und natürlich unsere formidable Weltmeister-Elf. Nie war die Außen- und Binnenwahrnehmung unseres Landes so übereinstimmend positiv, ja fast euphorisch. Zufriedene Deutsche allenthalben. Selbst eine Politikerin ist derzeit populär wie nie und noch populärer als die deutschen WM-Fußballer. Die Kanzlerin toppte zu ihrem runden Geburtstag bei den Zustimmungswerten sogar die kickenden Müllers, Götzes und Schweinsteigers.

Auch wenn schon Ludwig Erhard um die Wirkung der Psychologie auf die volkswirtschaftliche Leistungsfähigkeit wusste: Selbstzufriedenheit und Euphorie können schneller umschlagen als viele glauben wollen. Die objektive Lage der deutschen Volkswirtschaft lässt derzeit wenig Raum für Euphorie. Das starke erste Quartal, dem milden Winter geschuldet, relativierte sich im zweiten Quartal dramatisch. Im Wahlkampfmodus des vergangenen Jahres war ohnehin schlicht verdrängt worden, dass sich das reale Wirtschaftswachstum in den Jahren 2012 und 2013 auf sehr bescheidenem Level bewegte.

Dazu passen aktuelle Hiobsbotschaften, die in der allseits positiven Stimmungslage aber fast untergehen. Erstmals seit 2009 ist das Volumen der Sozialleistungen in Deutschland wieder deutlich schneller gewachsen als die Jahreswirtschaftsleistung (BIP). Um 3,4 Prozent stiegen die Sozialausgaben im vergangenen Jahr auf den Rekordwert von rund 812 Milliarden Euro. Das BIP dagegen wuchs nominal, also ohne Inflationsbereinigung, um nur 2,7 %.

Bei den Lohnstückkosten, also den Arbeitskosten pro produziertem Gut, hat Deutschland seit dem Vorkrisenjahr 2007 seinen Wettbewerbsvorsprung deutlich verringert. Um 13 % lagen sie im vergangenen Jahr höher als damals. Und wer die Kosten- und Investitionsstruktur in der deutschen Automobilindustrie beleuchtet, dem dämmert vielleicht, wie schnell immens wichtige Branchen unserer Volkswirtschaft unter Druck geraten können. In Europa stagniert der Automarkt, der langfristig von den deutschen und europäischen Standorten bedient werden soll. Der wachsende asiatische und amerikanische Markt wird von Daimler, Audi/VW und BMW immer stärker durch marktnahe Fabrikation versorgt. Heute noch gehen 75% der deutschen Automobilproduktion in den Export. Wer glaubt, diese hohe Exportquote werde bleiben, der will die Signale nicht hören.

Jetzt erst nimmt der nachlaufende Konjunkturfaktor, der Lohn, richtig Fahrt auf. Wenn selbst der Bundesbank-Chefvolkswirt zu höheren Lohnabschlüssen auffordert, dann haben die Gewerkschaften erst recht keinen Grund zur Lohnzurückhaltung. Die Folge wird eine weitere Verschlechterung der Wettbewerbsbedingungen sein. Doch die Politik der Großen Koalition geht hier seit Monaten mit schlechtem Beispiel voran. Mit ihrer sozialpolitischen Freigebigkeit treiben Union und SPD die Lohnzusatzkosten massiv in die Höhe.
Doch Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall. Die deutsche Zufriedenheitsblase kann schnell platzen.

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Leserpost

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Chris Deister / 26.07.2014

Herr Metzger, die Blase, von der sie parlieren, funktioniert so: Statistiker und (staatsaffine) Volkswirte versichern Politiker und Presse, dass bei uns alles ganz supi laufe. Vor allem aus dem Ausland heißt es, dass wir „reich“ seien und bei uns Milch und Honig fließe (merke: jedem Land das keine 25% Jugendarbeitslosigkeit hat geht es gut). (Dass das den Zweck hat, die nächste Billion internationaler Transferleistungen –von D ins Ausland- klarzumachen ist natürlich reine Verschwörungstheorie.) Journalisten –ob gelenkt oder aus freiem Antrieb, ob bewusst oder unbewusst- stimmen nun einen zwar vielstimmigen, aber harmonischen Chor an: man will ja nicht immer nur Negatives berichten, so wird flugs Deutschlands zu Europas wirtschaflichem Erfolgsmodell erklärt. In der FAZ, beispielsweise, erschien mindestens wöchentlich ein Jubelartikel zur EU und zum Euro. Es kämen ja auch nur dringend benötigte Fachkräfte ins Land etc… Politiker –als praktisch eher faule und marktfern entlohnte Menschen- richten sich gerne in dem Lügengespinst ein und spielen fortan mit den Medien Pingpong: die übliche politmediale Blase schafft sich ihre Wirklichkeit selbst. Das, Herr Metzger, ist die Blase, die Sie (nicht) meinen. Ihre Mahnung ist ganz Siebziger und Achtziger Jahre. Wissen Sie noch? Als es eine Bundesbank gab die etwas zu sagen hatte, als die Staatsschulden im Vergleich zu heute lächerlich waren, als die Herstatt-Pleite eine große Nummer war. Im Endkampf des Systems –heute-, in dem die (vertraglichen und kulturellen) Grundlagen des Zusammenlebens von gewissenlosen Eliten zerstört wurden (im Falle des Euro betrug die Vertragstreue nicht einmal ein halbes Jahr!) sind das alles nur Peanuts. Ihre Einlassungen kommen mir vor wie nostalgische Reminiszenzen aus einer anderen Zeit.

Wolfgang Reich / 25.07.2014

Sehr geehrter Herr Metzger, Stimme Ihnen in diesem Punkt völlig zu. Aber was machen wir mit unserem außenwirtschaftlichen Ungleichgewicht?

George Urbanski / 25.07.2014

Wenn ich Ihren vulgärwirtschaftswissenschaftlichen Text so lese, Herr Metzger, komme ich nur einem Schluss: Es ist höchste Zeit für Lohnkürzungen! Frechheit, dass diese Gewerkschaftsvertreter sich überhaupt trauen, höhere Löhne zu fordern! Bleiben Sie am Ball, Herr Metzger! Holen Sie die Textilindustrie zurück aus Bangladesch!

Ralf Uhlemann / 25.07.2014

In der deutschen Automobilindustrie, der Schlüsselindustrie in Deutschland, werden derzeit Milliarden-Euro Sparprogramme aufgelegt. Der Vertrieb und die Niederlassungen in Deutschland werden radikal zusammengestrichen. Nach meiner Einschätzung liegt Oswald Metzger mit seiner Prognose richtig. Es wird hier bald ein böses Erwachen geben.

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