Thilo Sarrazin / 11.11.2019 / 06:01 / Foto: Achgut.com / 148 / Seite ausdrucken

Deutschlands Vertrauen schafft sich ab

Das Ergebnis der Landtagswahl in Thüringen war nicht überraschend: Wie in Sachsen und Brandenburg wurde die Partei des amtierenden Ministerpräsidenten zur stärksten Kraft – das begünstigte in Sachsen die CDU, in Brandenburg die SPD und in Thüringen die Linke –, und in allen drei Ländern wurde die AfD mit rund einem Viertel der Stimmen die zweitstärkste Kraft. Überall stieg die Wahlbeteiligung stark an.

Der Wahlkampf und das begleitende Medienecho erweckten den Eindruck, als ginge es nicht um eine Landtagswahl, sondern um eine Grundsatzentscheidung zwischen dem moralisch Guten und dem Bösen – letzteres repräsentiert durch die AfD.

Leider ist es richtig, dass aus der AfD immer wieder nationalistische und fremdenfeindliche Äußerungen kommen, die ganz offenbar im Trüben fischen. Insbesondere der Thüringer AfD-Vorsitzende Björn Höcke fällt regelmäßig durch radikale Sprüche auf, die sich unverhohlen an sprachliche Bilder anlehnen, wie sie im Nationalsozialismus üblich waren.

Da es sich bei Björn Höcke um einen akademisch ausgebildeten Studienrat für Geschichte handelt, muss man unterstellen, dass er genau weiß, was er tut und exakt die Wirkung beabsichtigt, die er erzielt. Höcke ist in Thüringen nicht sehr beliebt. In seinem eigenen Wahlkreis verfehlte er das Direktmandat schmählich und blieb hinter dem Gesamtergebnis der AfD zurück. Offenbar wählten viele Wähler die AfD trotz und nicht wegen Höcke. Mit einem freundlichen Landesvorsitzenden, der seine Worte zu wägen weiß, hätte die AfD in Thüringen möglicherweise noch besser abgeschnitten.

Kein Bewusstsein für deutsche Schuld

Im Durchschnitt sind die Stimmergebnisse der AfD in Ostdeutschland etwa doppelt so hoch wie in Westdeutschland. Dieser überdurchschnittliche Erfolg erklärt sich für mich teilweise daraus, dass in der DDR 45 Jahre westlicher Umerziehung ausgefallen sind: In der ostdeutschen Diktatur dampfte sich alles auf den Unterschied zwischen Kapitalismus und Kommunismus ein. Ein spezifisches kollektives Bewusstsein für deutsche Schuld wurde nicht entwickelt und vom Staat auch nicht gefördert. Wenn es deutsche Bösewichte gab, so saßen diese gemäß der herrschenden Ideologie der DDR allesamt im kapitalistischen Westdeutschland und arbeiteten am Untergang der DDR. 

Quasi als Antithese zur herrschenden SED-Diktatur wurde so in Ostdeutschland ein deutsches Nationalbewusstsein zur Quelle des Widerstandes gegen die herrschende Diktatur und zur Stütze der eigenen Identität. Solche Gefühlslagen wirken nach. Aus diesem Grund reagieren die Ostdeutschen auch dreißig Jahre nach dem Mauerfall viel sensibler als die Westdeutschen auf tatsächliche und vermeintliche Bedrohungslagen für Deutschland und die deutsche Identität. An diese spezifisch ostdeutsche Gemütslage knüpft jemand wie Björn Höcke mit seinen radikalen Sprüchen an.

Die Gründe für den Erfolg der AfD würde man aber missverstehen und in gewissem Sinn auch verharmlosen, wenn man sie in die Ecke ostdeutscher Sozialpathologie verschöbe. Bundesweit liegt die AfD in Umfragen stabil bei 12 bis 15 Prozent und überflügelt zumeist die SPD. Keineswegs ist sie die Partei der Alten und zu kurz Gekommenen. Dass ihre Wählerschaft überdurchschnittlich jung ist, müsste alle anderen Parteien nachdenklich stimmen. Dass sie unter Arbeitern vor der SPD die beliebteste Partei ist, sollte vor allem die SPD alarmieren.

Ausdruck einer allgemeinen Vertrauenskrise

Ich sehe die Etablierung der AfD und die anhaltende demoskopische Schwindsucht bei CDU und SPD als Ausdruck einer allgemeinen Vertrauenskrise, deren Ausmaß und Dauerhaftigkeit noch gar nicht überschaut werden kann. Wenn einmal das Vertrauen bröckelt, liest der kritische Bürger dieselben Fakten ganz anders. So können Stimmungsumschwünge entstehen, die ihre Eigengesetzlichkeit entwickeln. Dazu drei Beispiele:

  • Der Görlitzer Park in Kreuzberg, ein gärtnerisch schön angelegter Naherholungsraum ähnlich dem Central Park in New York, ist seit einigen Jahren fest in der Hand von rund 200 Drogendealern aus Westafrika und von deren Kunden. Bei Dunkelheit ist er nicht mehr begehbar, wie selbst die grüne Bezirksbürgermeisterin öffentlich zugab. Polizei und Justiz werden des Problems nicht Herr. Die Händler kamen als Asylbewerber. Nach deutschem Recht können sie allenfalls kurzzeitig festgesetzt werden. Wo eine Abschiebung rechtlich möglich wäre, scheitert diese am Widerstand der Herkunftsländer.
  • Ibrahim Miri, der Chef eines berüchtigten libanesischen Clans in Bremen, war vor wenigen Wochen mit einem teuren Sonderflug abgeschoben worden. Jetzt ist er wieder illegal eingereist und hat Antrag auf Asyl gestellt, weil er im Libanon von schiitischen Milizen bedroht werde.
  • Der Präsident der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft Berlin, Kai Wegner, wurde von grünen Abgeordneten zum Rücktritt aufgefordert, weil er den Missbrauch von Seenotrettung als Taxidienst von Afrika nach Europa kritisiert hatte. Das passt zu einer Umfrage von Allensbach, nach der 65 Prozent der Deutschen meinen, dass es in Deutschland immer mehr Tabuthemen gebe, bei denen die Meinungsfreiheit eingeschränkt sei.

Diese Beispiele wurden zufällig aus der Tagespresse ausgewählt. Sie können täglich hundertfach ergänzt werden. Wenn der Bürger Vertrauen in den Staat hat, wird er jedes einzelne Beispiel als Ausnahme von der Regel sehen und an der Überzeugung festhalten, dass Staat und Politik wissen, was sie tun und alles im Griff haben. Ist aber sein Vertrauen einmal erschüttert, dann wird er dieselben Beispiele als Beleg dafür sehen, dass die Staatsmacht in den falschen Händen liegt und hier endlich Remedur geschaffen werden muss. 

Je mehr Vertrauen die Politik verspielt, umso schwieriger wird die Rückkehr zum Zustand des ursprünglichen Vertrauens. Das spielt in die Hände jener, die den liberalen Rechtsstaat grundsätzlich kritisieren.

Zuerst erschienen in der Zürcher Weltwoche.

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Mike Loewe / 11.11.2019

Ostdeutsche sehen die Entwicklung wohl etwas nüchterner. Man braucht sich nur die Muslim-Anteile in Deutschland der vergangenen 50 Jahre z.B. in Zehnjahres-Schritten anzusehen (die Statistiken sind schwer zugänglich, aber man kann sie aus seriösen Quellen durchaus bekommen) und in die Zukunft zu extrapolieren, dann weiß man, was diesem Land in wenigen weiteren Jahrzehnten blüht. Die sogenannte Flüchtlingskrise war nur eine kleine Anomalie in einer schon vorher bestehenden beschleunigten Zunahme. Westdeutsche wurden konditioniert, in nüchternen Statistiken bereits eine Diskriminierung zu sehen. Ostdeutsche sehen die Entwicklung möglicherweise klarer.

Karl Mallinger / 11.11.2019

Das ist genau der Punkt. Im Osten Deutschlands, also in der ehemaligen DDR, gibt es eben NICHT jenes spezifisch westdeutsche Schuldbewusstsein, welches sich in der Bundesrepublik als Folge unter anderem der vielgescholtenen 68er, von Willy Brandts legendärem Kniefall in Warschau 1970 und der Ausstrahlung der US-Fernsehserie “Holocaust” im Jahr 1979 herausgebildet hat. Und man kann auch mit noch so viele Filmen, Fotos, Fernsehdokumentationen, Zeitzeugenberichten, Denkmälern usw. usf. zur NS-Zeit usw.  jenes westdeutsche Scham- und Schuldgefühl im Osten nicht erzeugen, wie es z.B. der 80-jährige Journalist Niklas Frank wegen seines Vaters, des 1945 hingerichteten NS-Verbrechers Hans Frank, wie eine Monstranz vor sich herträgt und welches er offenbar von allen Deutschen, egal in welcher Generation, gleichermaßen verlangt zu empfinden. Im Grunde wählt der Osten Deutschlands “normal postkommunistisch” und die AfD entspricht dort den Parteien in anderen Visegrad-Staaten wie der PiS in Polen oder Fidesz in Ungarn.  Aber auch in westlichen Ländern gibt es ja rechtspopulistische Parteien, etwa die PVV in Holland oder die SD in Schweden. Und wenn man, wie u.a. der FDP-Politiker Gerhart Baum, meint, für Deutschland müssten diesbezüglich wegen seiner NS-Vergangenheit aber andere Maßstäbe gelten als in anderen Ländern, dort dürfte man eine solche Partei wählen, in Deutschland jedoch nicht, dann ist das zwar durchaus verständlich. Aber die REALITÄT ist nun einmal eine andere, nämlich, dass wie gesagt, insbesondere (aber keineswegs nur) die Ostdeutschen NICHT die Notwendigkeit sehen und vor allem nicht FÜHLEN, dass man in Deutschland wegen der deutschen Geschichte irgendwie “anders” sein müsste als andere Länder.  Das kann man bedauern und beklagen, aber es ist nun mal so. Man muss damit leben und klar kommen.

Margit Broetz / 11.11.2019

Tja, Herr Sarrazin, die Meldungen könnte man noch ergänzen um die, die es gar nicht über den Lokalteil hinaus schaffen! Und da allmählich immer mehr Wähler merken, daß die sich sozialdemokratisch nennende Partei seit Jahrzehnten Politik gegen ihre Wähler macht (außer denen mit Islam-Hintergrund) werden diese halt Ex-Wähler, und - um einen “Deutschen Patrioten” (so Gabriel) zu paraphrasieren - der “baldige Abgang der SPD aber ist Parteiensterben von seiner schönsten Seite; eine Partei, deren größter Beitrag zur Politik der Nach-Kohl-Ära darin besteht, den Sozialstaat abzubauen und durch Kosmetik zu ersetzen, die seit dem Ende der Schröder-Ära mit grenzenlosem Selbstmitleid, penetranter Besserwisserei und ewiger schlechter Laune auffällt, diese Partei also kann gerne dahinscheiden.” —- Es ist auch zutreffend, daß Höcke polarisiert (den Personenkult den manche um ihn treiben verabscheue ich), er liebt die Provokation, wenn er z.B. von der “Bewegung” spricht, dann aber die “Friedensbewegung” nennt. Hört man ihm aber unaufgeregt zu, vertritt er meist Positionen, für die die SPD in den 1970ern stand. Offen gesagt, da hat seinerzeit Helmut Schmidt bösere Sätze rausgehauen, die würden ihn heute in die rechtsextreme Ecke befördern! Die Medien trauten sich nicht einmal, sowas zu zitieren! Höckes Problem ist, daß er Dinge zu Ende denkt und die Konsequenzen benennt, das wird ihm nicht verziehen! Im New York der 1960er waren die Zustände ähnlich wie in Berlin heute, oder schlimmer, aber dort hat man eine Politik der Zero-Tolerance nach der Broken-Window-Theorie durchgesetzt, und heute kann man sich dort fast überall sicher fühlen! (OK, Bronx weniger) Dafür haben wir den Gegenentwurf in Londonistan: Nach Jahren mit einem mohammedanischen Bürgermeister gibt es da mehr Messermorde pro Jahr als in Chicago. “We are bunt”!

sybille eden / 11.11.2019

Werte Frau Callias, - was glauben sie wieviel Prozent der politisch interessierten Menschen in diesem Land wohl eine “Liberal- konservative” Einstellung haben ? Ich sags ihnen, es sind nicht mehr wie um die 15%. Wie soll so eine kleine Minderheit gegen eine überwältigende Mehrheit von sozialistisch und grün- denkenden Menschen ankämpfen ? Das ist doch aussichtslos. Auch gibt es lange schon kein einflussreiches Medium oder eine Plattform für sie. Die se Entwicklung fing mit Willy Brandt an, und wurde auch vom “Estabishment” unterstützt ! Hier hatten Liberale seit dem Ende des WK 1 schon keine Chance mehr. Und die FDP ist ja nur ein Witz. Also urteilen sie bitte nicht so hart.

Richard Loewe / 11.11.2019

ich habe mich gefreut, als ich las, das Herr Sarrazin sich Bjoern Hoeckes annahm und wurde mal wieder bitter enttaeuscht: nicht an einer Stelle wurde Herr Sarrazin konkret. Ausgerechnet Sarrazin, der sonst so saubert argumentiert setzt sich nicht mit einem Zitat Hoeckes auseinander. Warum nur nicht? Ich habe leider keine Erklaerung.

Hansi Wohlfahrt / 11.11.2019

Danke an Mr. Dartäten und hier besonders an Herrn Wegner von der DLRG, Die grünen Ideologen wollen die Wahrheit am liebsten todschlagen. Diese Menschen, die niemals den wirklichen Ernst und Schrecken des Lebens kennengelernt haben, sind anscheinend bereit, für ihr heiliges Gewissen über Leichen gehen zu lassen. Hansi Wohlfahrt

Werner Kramer / 11.11.2019

Remedur. Schönes, altes Wort. Zeit wird’s!

sybille eden / 11.11.2019

Lieber Herr Sarrazin, der “Liberale Rechtsstaat” hat sich doch mit dem Amtsantritt von Merkel schon längst verabschiedet ! Sie wissen doch selbst am besten, welche und wieviele Rechtsbrüche es unter dieser Regierung schon gegeben hat.

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