Gunnar Heinsohn / 17.11.2014 / 07:00 / 5 / Seite ausdrucken

Eine Analyse: Deutschlands technologische Zukunft sieht nicht rosig aus

Einen technologischen Abstieg erkennt man daran, dass zur Marktspitze führende Technologien nicht im eigenen Lande entstehen. Es bleibt jedoch schwierig, ein solches Nichtwerden auf das ökonomische Radar zu bekommen. Besser eignet sich dazu der jährliche Leistungsbilanzüberschuss. Da schafft – jenseits der Petroländer – Deutschland im November 2014 einen bewunderten sechsten Platz. Nur Singapur, die Schweiz, Taiwan, Norwegen und die Niederlande muss man ziehen lassen, während China, Japan und Süd-Korea momentan überflügelt werden.  Am einfachsten aber wird die Einschätzung zukünftiger Leistungsfähigkeit beim Blick auf Technologien, deren Spitzenpositionen ein Land erst innehat, dann verliert und danach niemals wiedergewinnt. In Deutschland geht die globale Führerschaft bei Kameras, Telefonen, Ton- oder Bildträgern sowie Schreibgeräten und Rechnern seit den 1970er Jahren verloren. Als populäre Ursachen gelten damals und heute die geringeren Löhne der mit Kopien antretenden Konkurrenz aus Japan oder Singapur, Süd-Korea oder Taiwan und längst auch aus der Volksrepublik China. Wäre dieses Argument tragfähig, müsste man diese Technologien zurückgewinnen, sobald die eigenen Löhne relativ sinken. Schon 2012 verdienen Japaner und Südkoreaner mehr als Deutsche.  Dennoch entstehen zwischen Rhein und Oder keine Werkstätten, in denen japanische Kameras oder koreanische Smartphones zerlegt, nachgeahmt und dabei umgehend verbessert für einen attraktiven Preis auf die Weltmärkte geworfen werden.

Es gibt für diese erstrangigen Handelswaren auch keine Firmen für die Ausnutzung der Lohnvorteile Chinas, wo etwa Japaner ihre daheim konzipierten optischen Wunderwerke produzieren lassen. Was verhindert, dass deutsche Techniker noch raffiniertere Apparate entwerfen und dann mithilfe chinesischer Produzenten die Japanern vom Thron stoßen? Liegt es am fehlenden Knowhow? Deutschland hält 2012 mit 902 internationalen Patenten auf eine Million Einwohner – direkt hinter der Schweiz (1013/Million) – einen ungebrochen imponierenden 4. Rang. Man liegt vor Amerikanern, Finnen und Dänen, allerdings hinter Japanern (2250/Million) und Süd-Koreanern (2962/Million). Resultiert die Schwäche gegenüber den Ostasiaten überdies aus dem hohen Durchschnittsalter? Das spielt bei Innovationen unstrittig eine Rolle und mag erklären, dass Süd-Korea mit 40,2 Jahren bei der Patentquote deutlich besser abschneidet als Japan mit seinen 46,1 Jahren. Aber warum schafft Deutschland mit einem Durchschnittsalter von ebenfalls 46,1 Jahren nur 40 Prozent der japanischen Patentbilanz?  Hier muss geringere Kompetenz und Einsatzbereitschaft im Spiel sein.
Dabei kann der Berliner Republik mit einem Pfund wuchern, das den Ostasiaten fehlt. Man hat nämlich 16,5 Millionen Migranten (20,5% der Einwohner), von denen 5,5 Millionen hier aufwachsen und kostenfrei qualifiziert werden. Allein 2013 legt diese Bevölkerungsgruppe um 3,8 Prozent und kann sich so von den vergreisenden Altdeutschen erfolgreich absetzen.

Alle Erwartungen für die Aufholjagd gegenüber den Ostasiaten ruhen auf diesem Nachwuchs. Schon jetzt stellt er fast ein Drittel der Neugeborenen. In einer Generation wird – aufgrund höherer Fruchtbarkeit – die Hälfte der Jugend zu ihm gehören. Welche Kompetenzen bringt er ein? Bei PISA-Mathematik von 2012 schneiden von den altdeutschen Schülern beunruhigende 30 Prozent mangelhaft oder schlechter ab. Nur 22 Prozent bringen ein gut oder sehr gut nach Hause. Das spricht gegen eine günstige Positionierung in der Zukunft, weil ein so hoher Anteil an Schwerqualifizierbaren nicht mehr unterzubringen ist.

Gibt es wenigstens bei den Migranten Lichtblicke? Nicht bei den 2012 Getesteten! Bei der 2. Generation (den hier Geborenen) erreichen nur 7,5 Prozent gute und sehr gute Mathenoten. Das ist lediglich ein Drittel der bereits beklagenswert mageren Spitzenleistungen in der Mehrheitsgesellschaft. Hingegen enden fast 51 Prozent der Migrationsmathematiker mangelhaft, ungenügend oder noch schlechter.  In einer Wissensgesellschaft ohne körperliche Schwerstarbeit haben mithin Ostasiens Altkönner keine Schwierigkeiten, unsere jugendlichen Schulversager auf Distanz zu halten. Vor allem unsere Neubürger sorgen dafür, die Deutschland beim „Global Talent Competitiveness Index“ von 2014 die respektablen Plätze in den Patente- und Leistungsbilanzen nicht wiederholen kann, sondern auf den 16. Platz abrutscht.

Während das Fiasko beim bundesdeutschen Nachwuchs, von dem ein großer Teil kaum leisten wird, womöglich aber lebenslang Versorgung benötigt, nur wenig interessiert, wird in fast allen Medien gerätselt, ob der Konkurrent China die Middle-Income-Falle vermeiden kann oder wie Brasilien endet, das keinerlei Innovationen aufweist, bei denen es Preise setzen und deshalb beim Wohlstand in die Spitzengruppe aufsteigen kann. Dabei wird gerne Clintons Finanzminister Larry Summers zitiert, der im Oktober 2014 verkündet, dass China den südamerikanischen Abstieg gerade vor sich habe.

Doch schon 2012 liegt China bei der Relation von Patenten zum Bruttoinlandsprodukt vor Deutschland und der Schweiz auf dem 3. Platz. Es hat nur noch Japan und Süd-Korea vor sich. Bei Patenten in Relation zum finanziellen Einsatz für Forschung und Entwicklung gibt es bereits 2011 den zweiten Platz hinter Süd-Korea. Deutschland wird Zehnter.  Bei der absoluten Zahl internationaler Patente stagniert Deutschland seit 2008, während China seine Anmeldungen im selben Zeitraum von rund 6000 auf 18000 verdreifacht und deshalb 2012 mit der Bundesrepublik gleichzieht. 

All das schafft ein Land, von dessen 500 größten Firmen lediglich 200 in privater Hand sind. Nicht einmal die Hälfte der aus der Umwandlung von Staatsbesitz in Eigentümerfirmen erwachsenden Dynamik ist bisher aktiviert. Aber hat nicht auch China zu wenig Neugeborene? Mit einer Fertilitätsrate von 1,55 steht man in der Tat kaum besser das als Deutschland mit 1,43 und beim Durchschnittsalter von 36,7 Jahren ist man „nur“ noch ein knappes Jahrzehnt jünger als Deutsche oder Japaner. Aber bei PISA-Mathematik 2012 liegt Schanghai (als einzige aus China teilnehmende Region) auf Platz eins. Berechtigt ist der Verdacht, dass China keine durchschnittliche Schülerauswahl ins Rennen geschickt hat. Aber auch die Plätze zwei bis vier mit Singapur, Taiwan und Hongkong gehen an ethnische Chinesen. Selbst in Schanghai beklagt man rund 10 Prozent Matheversager. Das ist nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Doch gegenüber rund 38 Prozent Schulversagern in Deutschland (plus 35% wegen Nichtgeborensein Ausfallender) oder fast 52 Prozent in den USA verfügt man über eine Intelligenz, die nur Toren geringschätzen können.
Wo aber bleiben die Waren, die andere haben wollen und nur aus China beziehen können, das deshalb Preise nicht unterbieten muss, sondern setzen kann und so beim Wohlstand zulegt? Im Smartphone-Rennen, das ohne Europäer weitergeht, sind Xiaomi und Lenovo auf den Plätzen zwei und drei zwar nicht beim Profit, aber beim Volumen Apple hart auf den Fersen, während der Spitzenreiter Samsung aus Süd-Korea ebenfalls Einbußen erleidet.

Den ersten unstrittigen Durchbruch schafft China 2013 bei kommerziellen Kamera-Drohnen mit ihren hochkomplexen Softwarepaketen. Von Israelis erfunden und von Amerikanern militärisch massiv eingesetzt, hat die wissenschaftliche Intelligenz der ganzen Welt den Aufstieg dieser Technologie verfolgen können. Jeder hatte seine Chance – auch in Schwaben oder im Silicon Valley. Doch es sind die Angebote von Frank Wang mit seiner Firma „DJI Innovation“ aus Shenzen, die momentan keine Konkurrenz fürchten müssen. Für 1300 Dollar gibt es die „Phantom 2 Vision“, deren Kamera selbst bei Sturm nicht das Gleichgewicht verliert.  Gerne verlieren würde der Autor die Wette, dass noch kühnere Flug-Kameras nicht aus dem Land kommen, das bereits bei den erdgebundenen nie wieder auf die Beine gekommen ist.

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Leserpost

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Dieter Stolpe / 18.11.2014

Ja, lieber Prof. Dr. Dr. Heinsohn, aber woran liegt das, das Technologien, die in Deutschland entwickelt werden, nicht auch im großen Rahmen produziert und auch verkauft werden können? Okay, dass wir aufgrund der sog. “Energiewende” wohl nicht zu den internationalen Spitzenreitern bei der Atomkraft mehr werden können - sei’s drum. Aber was war den bei der Entwicklung des mp3 Audio- und Videoformates, welches ja beim Fraunhofer-Institut in Erlangen entwickelt wurde, los? Was ist schief gelaufen? Erlangen ist doch anerkanntermaßen ein gutes Umfeld für die Verbindung von Forschung und Industrie? Oder liegt der Fehler beim Bund? Sind mp3-Player ebenfalls politisch unkorrekt, so dass die allgemeine Moral es verbietet, die Dinger in Deutschland zu produzieren - wenigstens bis Auslauf des Patentschutzes? Danach hätte man in der Produktion in Deutschland vielleicht so viel Know-How bei der preiswerten Produktion alltagstauglicher und hochwertiger Geräte gehabt, dass man die sogar zu einem wettbewerbsfähigen Preis hätte anbieten können - teurer, aber dafür nicht in der Art des chinesischen Pseudoelektroschrotts, der gerade mal 1-2 Jahre hält.

Wolfgang Germanus / 18.11.2014

Wie sieht es denn mit der Qualität der Produkte aus diesen Ländern aus. Deutsche Produkte haben seit hundert Jahren den Ruf, erste Klasse zu sein. Chinesische Produkte hingegen haben in aller Welt den Ruf bald als Müll die Umwelt zu belasten und nicht nachhaltig zu sein. Auch die Produktionsbedingungen spielen eine grosse Rolle, da der bürokratische Ballast fehlt. Insofern bedeuten die Aussagen mir nicht viel. Weniger ist manchmal mehr.

Klaus Griesbach / 18.11.2014

Die Schanghaier Mathe champions landen in allen anderen Disziplinen wegen des chinesischen pauken-auswendig lernen-keine Fragen stellen-Schulsystems auf den hintersten Plaetzen. Dies ist auch der Grund dass der allergroessten Teil der vielen chinesischen Patente auf dem Weltmarkt kein Interesse findet, finden sich darunter doch kaum echte Innovationen. Klaus Griesbach Peking

Roland Müller / 17.11.2014

Nicht schlimm, dafür werden wir das im Sex am besten ausgebildete Land sein, das ist doch auch nicht nichts.

Waldemar Undig / 17.11.2014

Dafür kriegen die Europäer die Frühverrentung. Für Leute, die nicht mehr arbeiten wollen, weil sie keine Ideen und keine Initiative haben, die ideale Alternative. China wird Wirtschaftsmacht Nummer eins und Deutschland geht in Rente, so sieht es wohl aus.

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