Thomas Rietzschel / 14.07.2017 / 06:10 / Foto: Niels de Wit / 6 / Seite ausdrucken

Deutschland zuerst!

Erst haben die deutschen Politiker, beinahe unisono, alles getan, um die Globalisierung zu befeuern. Aufgestiegen aus den heimischen Provinzen, witterten sie die Chance, auf der Weltbühne mitspielen zu können, statt sich mit den Wählern daheim rumärgern zu müssen. Indem sie den ungehinderten Zugang zu neuen Märkten versprachen, vom hohen Norden bis Timbuktu, brachten sie bedeutende Teile der Wirtschaft, die Großindustrie und das Finanzwesen hinter sich. Die Erfolge sind beachtlich. Der Export floriert; rund um die Welt schießen die Niederlassungen deutscher Unternehmen wie Pilze aus der Erde. Der Traum vom schwäbisch gelenkten „Weltkonzern“, dem der gescheiterte Daimler-Chef Jürgen Schrempp einst nachhing, scheint sich zu erfüllen.

Wem diese Entwicklung anderswo, zum Beispiel in Amerika, unheimlich wird, weil er um den Bestand der heimischen Betriebe fürchtet, dem werden mit deutscher Strenge die Leviten gelesen. „Protektionismus“ ist noch der höflichste Vorwurf, den Donald Trump zu hören bekommt, seit er es als Präsident der USA gewagt hat, seine Wirtschaftspolitik unter das Motto „America first“ zu stellen. Fast könnte man den Eindruck gewinnen, der Mann wolle das Zunftwesen des Mittelalters wieder aufleben lassen. Derartige Unterstellungen sind zwar blanker Unsinn, aber nicht unsinnig genug, als dass die deutschen Vorkämpfer der Globalisierung jetzt nicht versuchen würden, klammheimlich in die Fußstapfen des Verteufelten zu treten.

Ohne sich vorher umständlich mit der Wirtschaft zu beraten, hat Brigitte Zypries gestern die Katze aus dem Sack gelassen. Kurzerhand verkündete die Bundeswirtschaftsministerin, eine gelernte Juristin und einstige Redakteurin der DKP-nahen Zeitschrift „Demokratie und Recht“, eine „längere Prüfung“ und eine erweitertes Vetorecht des Staates beim Einstieg ausländischer Investoren in deutsche Unternehmen.

Denn es könne nicht sein, sekundierte ihr die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, Kerstin Andreae, dass wir „tatenlos zusehen, wie uns wichtige Technologien und Know-how weggekauft werden“. Es gehe, so die Süddeutsche Zeitung, ebenfalls ein Sturmgeschütz der Globalisierung, um „ein härteres Vorgehen gegen unfaire Handels- und Investitionspraktiken“. Außerdem stünden im Bereich der Hightech-Industrie „wesentliche Sicherheitsinteressen“ auf dem Spiel, wurde nun wiederum vom Bundeswirtschaftsministerium vorgeschützt.

Gegen Protektionismus. Und für Handelsschutzinstrumente.

Ganz überraschend kam das nicht. War doch schon in der Abschlusserklärung von Angela Merkels G-20-Gipfel neben der Ablehnung jeglichen „Protektionismus“ von der Notwendigkeit „rechtmäßiger Handelsschutzinstrumente“ die Rede gewesen. Wer aufmerksam genug war, konnte die Nachtigall trapsen hören.

Was vor Hamburg keinem Regierungsmitglied über die Lippen gekommen wäre, wird jetzt von Brigitte Zypries als Forderung ausposaunt. Wortwörtlich befand ihr Ministerium: „Das Versprechen, durch die Globalisierung würde alles besser, hat sich für viele Menschen nicht erfüllt. Es ist an der Zeit, das Gewicht der EU in die Waagschale zu werfen und klare Regeln, Standards und Werte für weltweiten Handel zu setzen.“ Ein Schelm, der dabei an die bevorstehende Bundestagswahl denkt.

Ganz abgesehen davon, dass es sich in der Wirtschaft wie im Leben überhaupt verhält: Ein bisschen schwanger geht nicht. Wer das Tor nach draußen sperrangelweit aufstößt, um in ferne Länder, auf fremde Kontinente expandieren zu können, muss auch damit rechnen, dass andere von draußen herein drängen. Dass es den verantwortlichen Politikern jetzt gleichwohl wie Schuppen von den Augen fallen will, verrät die Hilflosigkeit des Zauberlehrlings, dem die Geister, die er rief, über den Kopf zu wachsen drohen.

Denn grundsätzlich hat sich nichts geändert. Das Projekt der Globalisierung ist geblieben, was es immer war: ein politisches Sandkastenspiel, das nichts mit der Länder und Kontinente überschreitenden Kooperation souveräner Partner zu tun hat. Dass sie das nicht verstehen, ist den Dilettanten der Wirtschaftspolitik nur bedingt vorzuwerfen, erst recht nicht der deutschen Bundeskanzlerin. Was sie über das Wesen der Geschäfte weiß, wurde ihr im Fach „Politische Ökonomie“ während des „marxistisch-leninistischen Grundlagenstudiums“ in der DDR beigebracht. Es sind die Gesetzmäßigkeiten, nach denen der „Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe“, das kommunistische Pendant zur EWG, im Westen bekannter unter der Bezeichnung „Comecon“, krachend zusammenbrach.

Jeder ist sich selbst der Nächste

Sicher, der Vergleich mag leicht hinken, da es noch keine politische Behörde gibt, die die Globalisierung administrativ steuert. Das wäre auch nicht zu wünschen. Am Ende würde ein Reglement, wie es Brigitte Zypries verlangt, mehr Schaden anrichten als die angestoßene Entwicklung schrankenlosen Wirtschaftens ohnehin schon verursacht, Zwist und Uneinigkeit, wohin man schaut. Niemand weiß bisher, wie dem wieder vernünftig Einhalt geboten werden sollte, zumal jeder darauf bedacht ist, seine eigenen Interessen durchzusetzen, trotz der lautstarken Beteuerungen des Gegenteils und egal auf wessen Kosten. Das gilt für die Deutschen ebenso wie für die Chinesen, deren wirtschaftlicher Expansion hierzulande nun par ordre du mufti  Einhalt geboten werden soll. Ein gleichermaßen ohnmächtiges wie anmaßendes Unterfangen.

Nein, es hilft nichts, Tränen über die verschüttete Milch zu vergießen, noch lässt sich der Geist einfangen, nachdem er aus der Flasche gelassen wurde. Die deutsche Politik hat nicht bloß die Kontrolle über die innere Sicherheit verloren; sie ist auch nicht mehr in der Lage, Rahmenbedingungen für die weltoffene Entwicklung einer freien Wirtschaft zu gestalten. Statt Donald Trump von vornherein zu verdammen, ihn des „Protektionismus“ zu bezichtigen, um dann das gleiche Vorgehen als ein Gebot der Sicherheit anzupreisen, sollten unsere Politiker die Ohren aufsperren. Sie hätten allen Grund, sich ein Beispiel zu nehmen an dem offensiven Umgang des amerikanischen Präsidenten mit den unbestreitbaren Gefahren der Globalisierung.

Und insgeheim mag der eine oder andere das auch längst tun. Angela Merkel, dem politischen Brummkreisel, trauen wir jedenfalls zu, dass sie uns die gleiche Politik morgen oder übermorgen als neuesten Beweis ihrer Staatskunst verkaufen könnte. Eine Hoffnung immerhin, wenn auch eine, die auf Verlogenheit baut.

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Leserpost

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Christian Kühn / 14.07.2017

Mit den letzten beiden Zeilen ist alles kurz und bündig zusammengefaßt. Wenn man diese Wahrheiten nur noch in der Woche vor der BTW im September möglichst großflächig unter’s Volk, äh, natürlich unter die Schon-Länger-Hier-Seienden, bringen könnte…

Anna Guarini / 14.07.2017

Seit Jahrzehnten jammern Linke über die Ungerechtigkeiten im Welthandel. Doch wenn sie an der Macht sind, ändert sich - nichts. Dass z.B. afrikanische Staaten der Zugang zu europäischen Märkten schwer gemacht wird, ist ein bleibendes Kontinuum über alle deutschen Regierungen hinweg. Ebenso, dass wir die Afrikaner mit unseren Produkten überschwemmen und so z.B. lokale Agrarstrukturen vernichten. Jetzt will Trump die amerikanischen Arbeiter vor zuviel globaler Konkurrenz aus Billiglohnländern und anderen schützen und wendet damit eigentlich das Prinzip an, was für Afrika von den Linken immer gefordert wurde. Aber bei Trump ist es reaktionär. - Früher haben Linke die Universalität der Menschenrechte hochgehalten und für politische Gefangene im Ausland demonstriert.  Heute schrumpft das Häuflein dieser Idealisten immer mehr. Kulturelle Relativität ist jetzt unter Linken angesagt. Wir dürfen ja nicht unsere westlichen moralischen Massstäbe in arrogant-imperialistischer Weise anderen Kulturen überstülpen, die in jedem Fall zu respektieren seien. Deshalb gehen Feministinnen und andere Progressive auch so auffällig auf Tauchstation, wenn es gilt, Missstände wie die Unterdrückung der Frau und Genitalverstümmelung zu kritisieren. Man darf ja auf keinen Fall islamophob sein. - Wer diesen intellektuell abgewirtschafteten, zu kohärentem Denken unfähigen Haufen, der sich bizarrerweise in Deutschland die Hoheit über die medialen Stammtische und über die politische Debatte erobert hat, ernst nimmt, dem ist nicht mehr zu helfen.

Klaus Reichert / 14.07.2017

Spricht der Autor hier für Protektionismus? Was soll daran gut sein, egal ob es ein Trumpscher oder neuerdings ein Merkelscher ist? Der (relativ) freie Welthandel hat mehr Wohlstand für mehr Menschen gebracht, als jedes andere Konzept. Das heißt natürlich nicht, dass nicht auf Standards bezüglich Arbeitsbedingungen und Umweltschutz gedrungen werden soll, wenn z.B. Unternehmen der ersten Welt in der dritten Welt fertigen lassen. Das geschieht aber bereits über zahlreiche Normen und Vorschriften der EU, der USA und weltweit. Als Trump - Verteidiger, der immer wieder den Unsinn richtig stellt, der hierzulande über ihn berichtet wird, sollte man nicht der Versuchung erlegen, all zu Vielem was er sagt, einen positiven Sinn zu geben. Manches ist wirklich Mist. Zum Beispiel sein Verständnis vom globalen Handel.

S. Barth / 14.07.2017

Bevor Merkel auch ins Lager der “Protektionisten” wechselt, wird sie dem Kind einen anderen Namen verpassen und es als ihre Idee verkaufen. Hauptsache, die SPD schnappt ihr da vor der Wahl nichts weg….

S.Schleitzer / 14.07.2017

Kaum ein Deutscher kann ernsthaft etwas gegen Globalisierung haben - zu groß wiegen die Vorteile für ein Land, welches nur Innovation und Leistungsbereitschaft (noch) als einzige natürlich Ressourcen besitzt. Die in Deutschland vorherrschende Verwirrung und falsche Diskussion entstammt der fehlenden Trennschärfe der Begriffe Globalisierung (engl. globalisation) und Globalismus (engl. globalism). Die Globalisierung haben wir bereits praktisch abgeschlossen. Globale Waren, Geld- und Dienstleistungsströme sind schon lange Realität und ohne sie würden wir aktuell nicht so gut dastehen. Unter dem Deckmantel der schon abgeschlossenen Globalisierung versuchen nun aber ganz andere Strömungen uns die Vorzüge des Globalismus als eine heilsbringende Ergänzung der Globalisierung zu verkaufen. Hier geht es aber mitnichten um die Korrektur von kleinen Fehlern der globalen Wirtschaft, sondern es geht um weltweite, gesellschaftsumwälzende und teilweise völkerrechtswidrige Prozesse. Insofern sind die “Kämpfer” gegen die Globalisierung heute vor allem Kämpfer für den Globalismus. Wer das nicht begreift hat bald ein wirkliches Problem.

Rudi Knoth / 14.07.2017

Zitat:“Indem sie den ungehinderten Zugang zu neuen Märkten versprachen, vom hohen Norden bis Timbuktu, brachten sie bedeutende Teile der Wirtschaft, die Großindustrie und das Finanzwesen hinter sich. “ Nur bis Timbuktu? Das ist aber noch recht nördlich.  Wenn schon dann bitte Ushuaia auf Feuerland. Weiter südlich ist nur noch die Antarktis.

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